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Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
21.11.2014, 19:25
Beitrag: #1
Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
Hallo ,
ich beschäftige mich seit kurzem mit der Frage was währe wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten. Dabei bin ich auf ihre Städtebaupläne wie Germania gestoßen.
Ich frage mich aber nun welchen Baustil sie verwendet hätten z.B. den Neoklassizismus und ob sie in den Städten eher Hochhäuser oder Wohnungsblocks gebaut hätten. Vielleicht hätten sie es aber auch in jeder Stadt anderst gemacht.
Am wenigsten kann ich mir den Baustil in Neu Drontheim vorstellen.
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21.11.2014, 19:35
Beitrag: #2
RE: Baustil der Nazis nach dem Endsieg
(21.11.2014 19:25)themaster schrieb:  Ich frage mich aber nun welchen Baustil sie verwendet hätten z.B. den Neoklassizismus und ob sie in den Städten eher Hochhäuser oder Wohnungsblocks gebaut hätten. Vielleicht hätten sie es aber auch in jeder Stadt anderst gemacht.
Am wenigsten kann ich mir den Baustil in Neu Drontheim vorstellen.

Hitler besaß in Sachen Architektur und Malerei die absolute Deutungsmacht. Es ist also davon auszugehen, dass der neoklassizistische Baustil bei öffentlichen Bauten und Großbauten weiterhin Verwendung gefunden hätte. Im Verlauf des 20. Jh. hätte man sich sicher nicht dem modernen Hochhausbau und der Skelettbauweise verschlossen. Aber möglicherweise wäre dabei etwas ähnliches herausgekommen, wie der Zuckerbäckerstil der Sowjets, nur umgewendet in eine klassizistische Richtung.

Inwieweit private Bauten einem staatlichen Diktat unterworfen gewesen wären, ist natürlich kaum zu entscheiden. Da wäre es dann vielleicht eher zu Bauformen gekommen, wie sie heute allgemein üblich sind.
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21.11.2014, 19:51
Beitrag: #3
RE: Baustil der Nazis nach dem Endsieg
Ja ich glaube auch das der neoklassizistische Stil an den großen Bauten verwendet würde, aber was ist mit den Wohnbauten. Hitler wollte ja große und eindrucksvolle Städte da hätte er doch bestimmt keine Betonbunker gebaut. Und er hätte ja auch bestimmt nicht jede Stadt gleichgebaut.
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22.11.2014, 04:55
Beitrag: #4
RE: Baustil der Nazis nach dem Endsieg
(21.11.2014 19:51)themaster schrieb:  Ja ich glaube auch das der neoklassizistische Stil an den großen Bauten verwendet würde, aber was ist mit den Wohnbauten. Hitler wollte ja große und eindrucksvolle Städte da hätte er doch bestimmt keine Betonbunker gebaut. Und er hätte ja auch bestimmt nicht jede Stadt gleichgebaut.

Der privatwirtschaftliche Städte- und Wohnungsbau hätte sich im Wesentlichen nicht anders entwickelt als nach 1945.

Die Frage ist aber auch, ob es nach einen für Hitler siegreichen Kriegsende einen umfangreiche staatliche Städte- und Wohnungsbauwirtschaft oder einen Städte- und Wohnungsbau nationalsozialistischer Organisationen gegeben hätte?
Hitler bzw. die Nazis hätten sich aber auch an den Kosten orientieren müssen. Hitler hätte seine Vorstellungen in einigen Städten, wie in Berlin, Nürnberg oder Linz eventuell umsetzen können, in anderen Städten hätte er sich den gegebenen wirtschaftlichen Notwendigkeiten unterwerfen müssen.

Eine andere Frage wäre auch, ob enge, mit dem Auto kaum befahrene Altstädte unter Hitler eine Chance auf Weiterbestehen gehabt hätten. Oder das eine oder andere Fachwerkhaus einer Straßenerweiterung hätte weichen müssen. Ich schließe deshalb nicht aus, dass unter Hitler Altstädte abgerissen worden wären und stattdessen Bunkerbauten (oder Plattenbausiedlungen) gebaut worden wäre. Man sollte nämlich Hitler und Albert Speer als Architekten nicht überbewerten.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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22.11.2014, 10:49
Beitrag: #5
RE: Baustil der Nazis nach dem Endsieg
(22.11.2014 04:55)Sansavoir schrieb:  Man sollte nämlich Hitler und Albert Speer als Architekten nicht überbewerten.
Ja, denn das wenige an Wohnbauten, was während der Nazizeit gebaut wurde und vor allem das Wohnbauprogramm direkt nach dem Krieg in den frühen 50ern, schloß nahtlos an die Architekturrichtung der 20er Jahre an. Eher schlicht und sachlich, eben äußerlich Bauhaus aber in der Ausführung sehr kostengünstig gebaut.
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22.11.2014, 12:01
Beitrag: #6
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
Ob der Krieg nun gewonnen worden wäre oder nicht, die Städte wären genauso zerstört gewesen wie sie es nach 45 dann waren. Ein rasches Wiederaufbauprogramm mit einem Schwerpunkt auf Wohnungsbauten wäre so oder so nötig gewesen.
Dabei hätten die Nazis das ein oder andere zerstörte öffentliche Gebäude in ihrem typisch bombastisch-erdrückend-neoklassizistischen Stil gebaut. Auch hätte man wohl versucht, die vielen angefangenen Megabauten in Nürnberg oder Berlin fertig zu bauen, koste es was es wolle. Wohl mit hilfe von Zwangsarbeitern, das wäre billiger gewesen.
Wobei die Kostenfrage wohl dazu geführt hätte, dass gerade die Megaprojekte wieder unterbrochen hätten werden müssen, denn das Dritte Reich wäre - nach Götz Aly - egal bei welchem Kriegsausgang ein paar Jahre nach dem Kriegsende pleite gewesen.
Was dann passiert wäre, steht in den Sternen. Entweder das Dritte Reich hätte einen neuen Eroberungskrieg begonnen, um sich Geld zu beschaffen oder es hätte ein Wirtschaftswunder gebraucht (das wiederum nicht denkbar gewesen wäre ohne die für die Nazis scheinbar typische Finanzierung auf Pump, also neuerlicher Verschuldung) oder man hätte nur noch auf billig gebaut. Die Neubauten wären dann nach wenigen Jahrzehnten baufällig gewesen, die Städte wohl so ähnlich ausgesehen wie die DDR-Städte kurz vor der Wende.

Nicht zu vergessen die Frage, was mit Hitler gewesen wäre. Wie lange hätte der noch gelebt, hätte er sich nicht 1945 umgebracht? Wohl nicht mehr so lange. Nach Hitlers Tod, wohl irgendwann Ende der 40er, anfang der 50er - wie wäre das Nazi-Bauprogramm weiter gelaufen? Wäre Deutschland um ein paar Karinhalls mehr bereichert worden? Oder hätte sich Speer durchgesetzt (in architektonischer Sicht) und hätte der dann den in der Hinsicht relativ unambitionierten Görings, Goebbels usw. einen neuen Stil schmackhaft machen können, der sich an den Kosten bei gleichzeitiger Berücksichtigung des propagandistischen Wirkens von Gebäuden orientiert hätte?
Oder wäre es ähnlich gelaufen wie in der UdSSR, wo nach Stalins Tod ja auch architektonisch ein Umbruch weg vom Zuckerbäckerstil stattfand?

VG
Christian
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22.11.2014, 16:55
Beitrag: #7
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
Ich hatte neulich auf dem Notariat zu tun, der Bau von 1952 im "Stil Schmitthenners" Arkaden, Erker, durch Bemalung gegliederte Fassade die vom Fachwerk inspieriet ist, Steildach.
Der Haus, damals Gesundheitsamt, ist mir schon in der Grundschule "komisch" vorgekommen.
Aber es gibt, zumindest bei mir ums Eck, etliche solche Bauten, die Kreissparkasse in Balingen oder das Hechinger Rathaus fallen mir auf die Schnelle ein.
Der Baustil der ersten öffentlichen Neubauten in den 50ern. Im Prinzip vereinfachter Historismus.

Soll heißen der GRÖFAZ war auch stilistisch ein Kind seiner Zeit.
Der hat doch nichts eigenes verbrochen,
außer dem Holocaust

mal noch ein Baubeispiel:
[Bild: 120px-K%C3%B6nigin-Olga-Bau_Stuttgart.jpg]

Der Olga-Bau in Stuttgart von 1953

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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29.07.2016, 19:43
Beitrag: #8
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
Auch hier ein Artikel dazu, wie Prag hätte nach dem Zweiten Weltkrieg hätte aussehen sollen, wäre es zum "Endsieg" gekommen:

http://radio.cz/de/rubrik/geschichte/gro...tung-prags
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30.07.2016, 07:13
Beitrag: #9
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
Das liest sich - im Vergleich zu den Plänen, die vor Berlin, Linz oder München existierten - relativ zivil. Im Endeffekt wären die Nazis als Straßenbauer in Erscheinung getreten, mit einigen wenigen Gebäuden á la "Haus der Kunst". Dass vor allem die Straßenpläne der Nazis mit der Nord-Süd-Magistrale mitten durch Prag dann auch tatsächlich so umgesetzt wurden, spricht dafür, dass in den 50ern noch der gleiche Zeitgeist in Richtung "autofreundliche Stadt" existierte, der auch schon zur Nazizeit und davor geherrscht hatte. Nur dass in der Nachkriegszeit sowohl im Osten wie auch im Westen relativ unideologisch gern auf die Nazipläne zurückgegriffen wurde.
Im Vergleich zu Prag fällt mir dazu als erstes Augsburg ein, dessen Altstadt den Krieg relativ unbeschadet überstanden hat und dann in den 50ern Jahren radikal "durchschneist" wurde. Das alte Ensemble am Kesselmarkt z.B. wurde in den 50ern komplett abgerissen und durch "moderne" 50er-Jahre-Bauten ersetzt, der Straßenzug Pilgerhausstraße-Leonhardsberg-Karlstraße-Ludwigstraße massiv erweitert mit dem Effekt, dass man heute, sprächen nicht Sicherheitsgründe dagegen, am liebsten mit geschlossenen Augen durch dieses Viertel gehen möchte...Sad
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30.07.2016, 09:55
Beitrag: #10
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
Du kennst Prag? Ja, die Magistrale ist eigentlich ein Sündenfall, da sie schöne Stadtteile trennt, aber es ist fraglich, wie man das verkehrstechnisch hätte besser lösen können.

Das monumentalste Bauwerk hatte man ja dann Stalin gewidmet, aber dazu will ich dann einen anderen Thread eröffnen (oder evtl. gibt es ihn schon), denn kommunistische Monumentalbauten hatte es auch in sich.

Hat jemand gute links zu fotos von Germania, Linz und München?
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15.08.2016, 22:34
Beitrag: #11
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
(21.11.2014 19:25)themaster schrieb:  Ich frage mich aber nun welchen Baustil sie verwendet hätten z.B. den Neoklassizismus und ob sie in den Städten eher Hochhäuser oder Wohnungsblocks gebaut hätten.
Bemerkenswert, dass in diesem Thread nur vom »Neoklassizismus«, resp. vom »vereinfachten Historismus« die Rede ist, was zwar zutrifft, obwohl es sich bei der NS-Architektur zum großen Teil eigentlich um das »Art Déco« handelte; der Grund mag vielleicht auch außerhalb dieses Forums in der anhaltenden Beliebtheit des Art Déco liegen, die man nicht beschmutzen will.

Das Art Déco wurzelt einerseits in der Secession des deutschsprachigen Raums und andererseits im Neoklassizismus, der die historisierende Formen minimalistisch interpretieren wollte.

Sagt man »Secession«, muss man gleich den Begriff »Jugendstil« auseinanderdividieren: während das belgische/französische »Art Nouveau« eine Naturverbundenheit und meistens auch eine Bescheidenheit (Intimität) anstrebte, stellte die Münchner/Wiener Secession eigentlich ein Gegenprogramm dar, indem sie die antikisierende Architektur stilisierte, und sie üppig mit Ornamenten anreicherte. In der bald durchmischten Koexistenz der Secession und des Art Nouveau wiederholte sich damit die Dualität zwischen organischer und antikisierender Gestaltung, womit sich bereits die Epoche des Barocks abgemüht hatte.

Fairerweise muss aber angemerkt werden, dass die Secession ursprünglich als Widerstand gegen den Konservatismus gedacht war (weshalb sie in München zur Zeit des NS aufgelöst wurde, während ab 1936 ein NSDAP-Mitglied als Präsident der Wiener Secession waltete). Auch ägyptisierende Elemente kamen wieder langsam dazu (wie bereits um 1800, als solche Entwürfe aber kaum realisiert wurden).

Das Art Déco wurde einerseits als Dekorationsstil übernommen (Paris) und andererseits, samt seiner Tendenz zum antikisierenden Ordnen (geometrische Regelmäßigkeit, Symmetrie), zum architektonischen Stil des Siegers, bzw. des Möchtegernsiegers auserkoren. Deutlich vorgeführt wurde dies z.B. an der Weltaustellung von 1937 in Paris und wird heute noch durch die Wolkenkratzer-Architektur der Epoche in den USA (wo die Architektur von nicht wenigen deutschen Auswanderern beeinflusst war).

Obwohl ich persönlich das hier zum Thema gewählte Gedankenspiel für durchaus entbehrlich halte Confused , hat das Thema dennoch eine gewisse Berechtigung, regte sie doch (und tut es leider noch heute) die Fantasien von Kreativen insbesondere im angalsächsischen Raum an.
Erwähnt sei aber auch der Science-Fiction-Klassiker Metropolis des Wieners, Fritz Lang, der zumindest von der Ästhetik her »protonationalsozialistische« Züge nicht leugnen kann und ein fiktives Horrorszenario lieferte, das heute diesbezüglich vielfach als Referenz dient.

Wie es aber auch der mittlerweile veränderte Stil der selbstherrlichen Wolkenkratzer-Architektur zeigt, folgt auch die Art und Weise der Selbstdarstellung dem Geschmack der Zeit.
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16.08.2016, 09:47
Beitrag: #12
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
Kennt einer/eine hier Latina? Die "Hauptstadt" der pontinischen Sümpfe?
Nach Trockenlegung der Sümpfe erbaut zu des Duce Zeiten als Littoria.

[Bild: 405px-Comunelatina.jpg]

Es stimmt schon, es ist die Deko an den Bauten. Sonst könnte das alles auch aus den 50er60ern sein.

Und über Art kann man halt streiten.

[/quote]

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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16.08.2016, 12:14
Beitrag: #13
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
(16.08.2016 09:47)Suebe schrieb:  Kennt einer/eine hier Latina? Die "Hauptstadt" der pontinischen Sümpfe?
Nach Trockenlegung der Sümpfe erbaut zu des Duce Zeiten als Littoria.
Das Gebäude kannte ich nicht, aber ein gutes Beispiel für den Stil, der später in den 1950-ern langsam ausplätscherte (d.h. weiter reduziert wurde). Nimmt hier sogar Bezug auf die Renaissance, resp. auf den italienischen Villenstil mit belvedere-Türmchen… Interessant ist, wie wichtig hier die stilisierten Verdachungen über den Fenstern sind, stellen sie doch die offensichtliche Verbindung zum Klassizismus her, sodass man die Stützen des halboffenen Ganges im Erdgeschoß nicht einfach als eine Reihe von Pfeilern, sondern als modernisierte Kolonnade wahrnimmt.



Gestern ist mir erst nach meinem Posting der hauptsächliche Grund für die Problematik der (deutschen) Benennung des Baustils der NS-Zeit aufgegangen. Dies liegt grundsätzlich im eigenwilligen und m.M.n. unsinnigen Gebrauch des Begriffs »Klassizismus« und »Neoklassizismus« in großen Teilen des deutschsprachigen Raums.

Bereits jenes »Neo-« ist in Bezug auf die antikisierende Moderne recht unlogisch, da im 19. Jh. die klassizistische Bauweise nie unterbrochen wurde, sodass von keiner Wiederaufnahme, und somit von kein »Neo-« die Rede sein kann. Außerhalb der Grenzen Deutschlands (und vmtl. auch Österreichs) steht »néoclassicisme« für den Klassizismus, der in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. wieder aufkam, nachdem das Rokoko die antikisierende Seite des Barocks immer mehr verschmähte, d.h. nachdem tatsächlich ein Unterbruch da war. In Deutschland aber nennt man jene Epoche »Klassizismus«, als wäre dies eine neue Mode der antikisierenden Gestaltung in der Architektur gewesen. Außerhalb Deutschlands ist dies absolut falsch und auch in Bezug auf den deutschsprachigen Raum entbehrt diese Sichtweise der eigentlichen Wahrheit. Da sei zum Beispiel nur an die Palais in München erinnert, die im späten 17. Jh. fleißig erbaut wurden, die man aber lieber als Barock bezeichnet, auch wenn sie dem Stil eines streng strukturierten Klassizismus zuzuordnen sind und mit der Gesinnung des eigentlichen Barocks wenig zu tun haben. Der Klassizismus war also auch für den deutschen Raum keine Innovation, sondern eine Wiedereinführung, wenn auch mit neuen Referenzen (im späten 18. Jh. vornehmlich aus England, anstatt aus Frankreich).

Die Frage ist also, soll man den Baustil der NS-Zeit ebenfalls dem »Neoklassizismus« zuschieben, dem Begriff, der im Deutschen für einen Teil des (späten) Historismus steht, der heute ohnehin (d.h. außerhalb der NS-Architektur) als minderwertiger und deshalb als weniger erhaltenswert betrachtet wird? Natürlich fällt dies leichter, als den Stil als Nachfolger des (als moderner empfundenen) »Jugendstils« (im umfassenden Sinn), d.h. als »Art Déco« wahrzunehmen. Klar, jenes »Déco« bezieht sich auf den Dekorationsstil, dem zuvorderst in Paris gefrönt wurde. Man hat aber gleichzeitig keine Probleme damit, die Bezeichnung auch umgangssprachlich auf die US-Architektur anzuwenden. Die genau gleiche Formensprache nur aufgrund von Ideologien begrifflich zu trennen, mag zwar dem Zeitgeist des Benennenden gerecht werden, vernebelt aber die Sicht auf die eigentlichen Referenzen des Erschaffenden.
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18.08.2016, 14:49
Beitrag: #14
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
(15.08.2016 22:34)Mashenka schrieb:  Bemerkenswert, dass in diesem Thread nur vom »Neoklassizismus«, resp. vom »vereinfachten Historismus« die Rede ist, was zwar zutrifft, obwohl es sich bei der NS-Architektur zum großen Teil eigentlich um das »Art Déco« handelte;

Nein, um Art Deco handelte es sich bei den zentralen und beispielhaften Bauten der Nazis nicht.

1930 lernte der Architekt Paul Ludwig Troost den Parteiführer der NSDAP Hitler kennen und plante für ihn die ersten Repräsentationsbauten in einer strengen neoklassizistischen Formensprache. Nach seinem Tod 1934 wurde Albert Speer bevorzugter Baumeister.

Albert Speer mit seinen neoklassizistischen Baugedanken, die Elemente der Moderne aufnahmen und auch traditionelle Formen zitierte, wurde zu Hitlers Stararchitekt. An technischen und industriellen Anlagen folgte auch die Architektur des Nationalsozialismus dem Gebot der Funktionalität als Kennzeichen des technologischen Fortschritts.

Ablesen lässt sich das an zahlreichen Bauten wie der Akademie für Jugendführung (Braunschweig), der Neuen Reichskanzlei (Berlin), dem Olympiastadion, dem Haus der Kunst (München) u.a.
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18.08.2016, 19:06
Beitrag: #15
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
(18.08.2016 14:49)Dietrich schrieb:  Nein, um Art Deco handelte es sich bei den zentralen und beispielhaften Bauten der Nazis nicht.

1930 lernte der Architekt Paul Ludwig Troost den Parteiführer der NSDAP Hitler kennen und plante für ihn die ersten Repräsentationsbauten in einer strengen neoklassizistischen Formensprache. Nach seinem Tod 1934 wurde Albert Speer bevorzugter Baumeister.

Albert Speer mit seinen neoklassizistischen Baugedanken, die Elemente der Moderne aufnahmen und auch traditionelle Formen zitierte, wurde zu Hitlers Stararchitekt. An technischen und industriellen Anlagen folgte auch die Architektur des Nationalsozialismus dem Gebot der Funktionalität als Kennzeichen des technologischen Fortschritts.

Ablesen lässt sich das an zahlreichen Bauten wie der Akademie für Jugendführung (Braunschweig), der Neuen Reichskanzlei (Berlin), dem Olympiastadion, dem Haus der Kunst (München) u.a.
Nein, ablesen lässt sich das auf gar keinen Fall. Wird hier etwa das Vokabular samt Kunstverständnis der Nazis als verbindlich betrachtet??! Als hätten die nicht deutlich genug vorgeführt, dass sie mit ihrer Auslegung von Kunst und Brauchtum manipulieren wollen…

Wo genau findet man denn mehr Klassizismus als sonst im Art Déco? Zum Beispiel hier? Und soll das hier z.B. gleich gegenüber ein völlig anderer Stil sein, um sich etwa abzugrenzen?
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18.08.2016, 19:55
Beitrag: #16
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
(18.08.2016 19:06)Mashenka schrieb:  Nein, ablesen lässt sich das auf gar keinen Fall. Wird hier etwa das Vokabular samt Kunstverständnis der Nazis als verbindlich betrachtet??! Als hätten die nicht deutlich genug vorgeführt, dass sie mit ihrer Auslegung von Kunst und Brauchtum manipulieren wollen…

Die Fassade eines Bauwerks folgt bestimmten baukünstlerischen Ideen. Und somit sind zahlreiche Repräsentationsbauten der Nazis klassizistischen Formen nachempfunden. Allerdings sind die Nazis nicht Erfinder des Neoklassizismus, denn neoklassizistische Bauten finden sich in vielen Teilen der Welt. So u.a. das Lincoln-Memorial in Wasgington, das Polizeipräsidium in Kopenhagen, das finnische Parlament in Helsinki usw.

Allerdings hebt sich der Neoklassizismus der Nazis oder derjenige der italienischen Faschisten oft durch eine besonders gewalttätige Imponierarchitektur hervor. Dennoch gibt es durchaus formschöne und maßstabsgerechte Bauten wie die Akademie für Jugendführung in Braunschweig.

Im übrigen gibt es nur gute und schlechte Architektur und das hängt nicht von der Ideologie ab. Ginge es danach, dürften wir die Musik des argen Antisemiten Richard Wagner nicht mehr hören, was im übrigen für zahlreiche Werke der Literatur, Architektur, Malerei oder eben der Musik gilt.
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18.08.2016, 22:26
Beitrag: #17
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
(18.08.2016 19:55)Dietrich schrieb:  Die Fassade eines Bauwerks folgt bestimmten baukünstlerischen Ideen. Und somit sind zahlreiche Repräsentationsbauten der Nazis klassizistischen Formen nachempfunden.
Vordergründig! Ansonsten waren die Architekten der NS-Zeit auch dem Geschmack der Zeit unterworfen.

Man kann nicht alles »klassizistisch« nennen, nur weil es paar Pfeiler hat und einigermaßen symmetrisch ist. Die Verwendung des Begriffs »Neoklassizismus« auf die späthistoristische Moderne im Deutschen macht keinen wirklichen Sinn. (siehe dazu mein Posting weiter oben) Nach der kurzen Welle des Jugendstils (Dauer 5–10, max. 15 Jahre) machte sich zunächst wieder der Historismus breit (nicht nur als Klassiz.), z.T. mit Bemühungen, ihn zu modernisieren. Ein wichtiger Aspekt dieses Späthistorismus war eine oriantalisierende, inkl. ägyptisierende Tendenz. Letztere floss auch ins Art Déco.(!)

Wie gern sich aber die NS-Zeit auf die griechisch-römische Antike bezog, und wie sehr dabei die antiken Gedanken vergewaltigt wurden, ist bekannt. Durch die NS-Bauten wurde die griechisch-römische Architektur genauso verunglimpft und dilettantisch lächerlich gemacht. So wurde z.B. insbesondere die ägyptisierende Giganto- und Klotzmanie charakteristisch für die NS-Architektur.

Nein, das war nichts weiter als oberflächliches Art Déco, alle Bedingungen für eine menschengerechte, d.h. Wohlfühlarchitektur ignorierend. Mit dem Stil haben übrigens auch die Nazis »dekoriert«: und zwar ihre Ideologie, ihren Machtanspruch.
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19.08.2016, 14:18
Beitrag: #18
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
(18.08.2016 22:26)Mashenka schrieb:  Vordergründig! Ansonsten waren die Architekten der NS-Zeit auch dem Geschmack der Zeit unterworfen.

Es geht hier um die öffentlichen Repräsentationsbauten der Nazizeit und die hatten auf Anordnung Hitlers klassizistischen Formen zu folgen. Der Bauhausstil der "Moderne" war im Naziregime verpönt. Diese Ablehnung manifestierte sich z. B. im Verbot des Bauhauses und der Vertreibung seiner Vertreter.

Von diesen öffentlichen Bauten abgesehen konnten die Wald- und Wiesenarchitekten natürlich bauen, wie sie wollten. Kleine Siedlungshäuser waren nicht "klassizistisch".

Für staatlich geförderte Siedlungsbauten galt der "Heimatschutzstil": Weiterentwicklung des Historismus mit traditionellen, regionaltypischen Bauformen. Äußerlich kennzeichnende Elemente sind Verwendung ortsüblicher Baumaterialien (in Norddeutschland z. B. Backstein, im Alpenraum Holz) und, im Gegensatz zum Historismus, ein Verzicht auf verzierende Attribute.

(18.08.2016 22:26)Mashenka schrieb:  Man kann nicht alles »klassizistisch« nennen, nur weil es paar Pfeiler hat und einigermaßen symmetrisch ist.

Die von mir aufgeführten öffentlichen nationalsozialistischen Repräsentationsbauten gelten in der Architekturgeschichte als "neoklassizistisch". Ob das nun "Sinn" macht oder nicht. Daneben gab es zur Zeit des Nationalsozialismus den von mir erwähnten

- "Heimatschutzstil",
- einen sachlichen Funktionalismus für Sportbauten und Stadien,
- eine neue Sachlichkeit für Technik-, Industrie- und Fabrikbauten sowie
- eine moderate Moderne für Wohn- und Verwaltungsbauten.

(18.08.2016 22:26)Mashenka schrieb:  Wie gern sich aber die NS-Zeit auf die griechisch-römische Antike bezog, und wie sehr dabei die antiken Gedanken vergewaltigt wurden, ist bekannt.

Wie ich bereits sagte, ist der Rückgriff auf den Formenschatz der klassischen Antike weltweit verbreitet, denn in der ersten Hälfte des 20. Jh. entstanden in zahlreichen Ländern neoklassizistische Bauwerke.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tritt der Neoklassizismus in vielen Ländern Europas und Amerikas unabhängig von der jeweiligen Staatsform in Erscheinung und erlangt so auch in vielen demokratisch regierten Ländern öffentliche Geltung. Im Laufe der 1930er Jahre erheben totalitäre Regimes in Deutschland, Italien und der Sowjetunion im Rahmen ihrer künstlerischen Vorstellungen und propagandistischen Selbstdarstellung den Neoklassizismus zum repräsentativen, ins Monumentale übersteigerten Staatsstil.
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19.08.2016, 15:28
Beitrag: #19
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
Als zu welchem Stil gehörig würdet ihr den Stuttgarter Hauptbahnhof einordnen?

[Bild: 375px-Hbf-stuttgart-2004.jpg]

erbaut über den 1. Weltkrieg hinweg 1912-1921

auf den 1. Blick ist das doch Nazi-Architektur pur. Mindestens für den unvoreingenommenen und kenntnislosen Betrachter

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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19.08.2016, 16:03
Beitrag: #20
RE: Baustil der Nazis nach dem "Endsieg"
Für Bauten wie den Stuttgarter Hauptbahnhof prägte man den Stilbegriff "Neue Sachlichkeit": Ein moderner Zweckstil der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, der zwischen Historismus und Expressionismus steht.

Für mich weist der Außenbau durchaus Aspekte des Expressionismus auf, auch sind gotisierende Formen sichtbar, zudem klassizistische Säulenarchitektur. In seiner kubischen Monumentalität ist der Stuttgarter Hbf ein schönes Beispiel für die Zeit der 20er Jahre.

Aber du hast Recht: In ähnlicher Form entstanden auch eine Reihe von Nazi-Bauten, so wie hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Akademie_f...(2006).JPG
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