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In die Linse lächeln
07.12.2016, 19:49
Beitrag: #1
In die Linse lächeln
Braucht man heute ein neues Ausweispapier, muss man neue Passbilder haben.
Lässt man die anfertigen, habe zumindest ich ein Problem.
Man darf nicht in die Linse grinsen.

Nun hat man einem seit dem Säuglingsalter beigebracht, so bald so ein Fotografierkasten irgenwo auftaucht, hat man zu grinsen.....

Schaut man sich alte Fotografien an, 90 Jahre aufwärts, fällt einem auf, dass eigentlich nur Kinder lächeln.
Die Erwachsenen schauen überaus ernst.

Da muss irgendwo zwischen 1920 und 1930 eine kulturelle Revolution stattgefunden haben.
Seither wird gelächelt, vorher wurde nicht gelächelt.

Hat eine/r der Mitstreiter/innen hierzu irgendwelche Infos, oder Vermutungen?

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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07.12.2016, 20:17
Beitrag: #2
RE: In die Linse lächeln
Stimmt, auf alten Bilder sehen die Ahnen aus wie gemalt. Im Sonntagsstaat mitsamt Eisernem Kreuz...

„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein)
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07.12.2016, 20:41
Beitrag: #3
RE: In die Linse lächeln
Ich könnte mir vorstellen, dass das mit der Tugend der Disziplin zu tun hatte. Fotografien waren früher sehr teuer und etwas ganz besonderes, und der lachende Mensch war nicht das Ideal dieser Zeit. Tüchtigkeit, Disziplin und Selbstbeherrschung waren gefragt. Wenn ich mich so an Erzählungen meiner Großtante erinnere, galt ein Mädchen, das viel lachte, als liederlich und ein Mann, der viel lachte, als Halodrian...
Aber bist du dir sicher, was die Zeit anbetrifft? Ich habe mir die alten Bilder meiner Familie angesehen, und abgesehen von Brautleuten auf ihren Hochzeitsfotos lächelt keiner. Als der älteste Bruder meiner Mutter geheiratet hat, gab es ein Familienfoto mit ungefähr 25 Personen. Die einzigen, die lächeln, sind die Brautleute und die Kinder. Alle anderen nicht. Und Großonkel Theo mit seiner Hakenkreuzbinde lächelt nicht mal auf dem Hochzeitsfoto...

Wenn ich mir die Erziehungsbücher aus dieser Zeit durchlese, wundert es mich allerdings, dass tatsächlich noch die Kinder lächeln...

Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
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07.12.2016, 20:56
Beitrag: #4
RE: In die Linse lächeln
Ich kann mir vorstellen, das Bunbury den Kern getroffen hat. Doch denke ich mir auch, das es eine extrem schlimme Zeit war, besonders in der Zeit des I. WK. Die Menschen hatten viele Sorgen und Nöte, die sie nicht so einfach seelisch abbauten und daher auch kaum lächelten bzw. lachten.

Einem Haus eine Bibliothek hinzuzufügen heißt, dem Haus eine Seele zu geben.

Marcus Tullius Cicero
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07.12.2016, 21:05
Beitrag: #5
RE: In die Linse lächeln
(07.12.2016 20:41)Bunbury schrieb:  Fotografien waren früher sehr teuer und etwas ganz besonderes, und der lachende Mensch war nicht das Ideal dieser Zeit.
Ach, unsere Vorfahren werden genauso gelacht haben wie wir, glaubst Du nicht auch?
Aber der erste Teil des Satzes trifft wohl voll zu. Ich meine: Wieviele Fotos von den Menschen bis zum 1.Weltkrieg und früher gab es? Man zog den guten Anzug/das beste Kleid an, die Kosten, der Aufwand und man schoß auch noch keine Fotoserien, in der man verschiedene Fratzen austesten konnte.
Im dritten Reich verlangte wohl vor allem der Adolf gerne beinahe schon an Albernheit grenzende gute Laune in den Wochenschauen. Also zumindest da war der lächelnde Mensch nicht mehr verpönt.

"Es gibt nur eine Sache die größer ist als die Liebe zur Freiheit: Der Hass auf die Person, die sie dir weg nimmt."(Che Guevara)
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07.12.2016, 21:18
Beitrag: #6
RE: In die Linse lächeln
In einem Buch über die Industrialiesierung bei mir ums Eck, sind jede Menge "Belegschaftsfotos" aus den 1860-70-80er Jahren abgebildet, wenn da mal zufällig ein Kind, oder auch Lehrlinge mit auf dem Foto sind, lächeln die, zumindest manchmal.
Die Erwachsenen ernst wie auf einer Beerdigung.

Das habe ich sodann mit Familienfotos abgeglichen, dito.
Nur die Kinder lächeln darauf seltener, waren wohl knapper an der Kandare.

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08.12.2016, 10:47
Beitrag: #7
RE: In die Linse lächeln
(07.12.2016 21:05)Triton schrieb:  Ach, unsere Vorfahren werden genauso gelacht haben wie wir, glaubst Du nicht auch?

Nein, glaube ich nicht.
Ich glaube zwar durchaus, dass das Lachen ein Grundbedürfnis des Menschen ist und jeder es gerne tut, wenn man ihn läßt. Und es gab mit Sicherheit Zeiten, in denen die Menschen herzhaft gelacht haben und das auch genossen haben.
Aber zumindest in steng protestantischen Gemeinden war das Lachen zeitweise verpönt. Und man kann Menschen durchaus konditionieren, dass sie sich das Lachen gewissermaßen "abgewöhnen".
Ich kann mich darüber hinaus noch an die blöden Sprüche meiner Tante erinnern (die wesentlich älter war als meine Mutter), dass ich als Mädchen nicht laut lachen dürfe... weil anständige Mädchen das nun mal nicht tun...

Auch heute noch begegnet mir immer wieder die Auffassung, das laut lachende Frauen ordinär und vulgär sind.
Das gewzungene Lächeln für den Anschein ist dagegen aber heute ein Muss...

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08.12.2016, 12:57
Beitrag: #8
RE: In die Linse lächeln
Ich las mal, ich weiß nicht mehr woBig Grin, dass die ersten US-Delegationen 41-42 in Russland, den Sowjets, ihren Verhandlungspartnern, wie "grinsende Affen" vorgekommen wären.
Den Russen das US-Amerikanische Dauergrinsen auf den Geist gegangenwäre.

Aber, wenn ich das richtig überlege, hat Triton schon recht, das "Foto-Grinsen" ist in Deutschland älter. Vermutlich schon 20er.

Könnte das damit zusammenhängen, dass immer mehr Linsen auf die Gesichter gerichtet wurden, kein Fotografenbesuch, gewaschen und gestriegelt bis zur Unkenntlichkeit der Ablichtung mehr zuvorging?

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08.12.2016, 13:39
Beitrag: #9
RE: In die Linse lächeln
Meinst du wirklich? Gab es früher schon "Amateur- Fotografen"? Die Fotografen kamen zwar vielleicht irgendwann ins Haus und man mußte nicht mehr hingehen, aber ich denke, bis zu den 50 er Jahren war es immer mit Kosten verbunden, wenn der Fotograf kam.


Aber mir fällt gerade noch ein anderer möglicher Zusammenhang mit dem Lächeln ein- meine Großmutter lächelte auf Fotos wahrscheinlich einfach deshalb nie, weil sie im Oberkiefer kaum noch Zähne hatte.
Hast du den Zusammenhang mal überprüft? Kronen und Zahnersatz- wann kam das auf? Wann konnte man das Lächeln überhaupt zeigen?
Und wer sich einen Fotografen leisten konnte, der konnte sich wohl auch falsche Zähne leisten...

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08.12.2016, 13:53
Beitrag: #10
RE: In die Linse lächeln
(08.12.2016 13:39)Bunbury schrieb:  Meinst du wirklich? Gab es früher schon "Amateur- Fotografen"? Die Fotografen kamen zwar vielleicht irgendwann ins Haus und man mußte nicht mehr hingehen, aber ich denke, bis zu den 50 er Jahren war es immer mit Kosten verbunden, wenn der Fotograf kam.

Das Fotografieren war bis zur Digital-Fotografie immer mit ganz schönen Kosten belastet.
Aber dank Eastman vulgo Kodak gab es relativ früh schon Apparate für den interessierten Amateur.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kodak
aus dem link
Zitat:Ein Werbeslogan aus Kodak-Box-Zeiten war „You press the button – we do the rest“ („Sie drücken auf den Knopf, wir erledigen den Rest“). Das Unternehmen beteiligt sich am Sponsoring von Fotowettbewerben, Fotoprojekten und Stipendien für angehende Fotografen.

Kodak stellte Rollfilme und ab 1888 auch industriell gefertigte Fotoapparate her, darunter die Kodak Nr. 1, den Brownie sowie später die Instamatic, die auch von Amateuren einfach bedient werden konnte; Kodak machte so die Fotografie in den USA zu einer populären Freizeitbeschäftigung.

In den 50ern war Fotografieren zeitweilig, noch vor dem Auto, des Deutschen liebste Freizeitbeschäftigung. Blenden, Verschlusszeiten und Lichtstärke waren beliebte Stammtischthemen (kann man sich fast nicht mehr vorstelle, war aber so)

Zitat:Aber mir fällt gerade noch ein anderer möglicher Zusammenhang mit dem Lächeln ein- meine Großmutter lächelte auf Fotos wahrscheinlich einfach deshalb nie, weil sie im Oberkiefer kaum noch Zähne hatte.
Hast du den Zusammenhang mal überprüft? Kronen und Zahnersatz- wann kam das auf? Wann konnte man das Lächeln überhaupt zeigen?
Und wer sich einen Fotografen leisten konnte, der konnte sich wohl auch falsche Zähne leisten...

Daran habe ich zuvor auch gedacht, mindestens kann ich mich an eine Bemerkung einer meiner Schwestern erinnern, die Angesichts des verschämten Grinsen mit geschlossenem Mund (auf nem Foto) einer längst verstorbenen Großtante meine, "die hat keinen einzigen ganzen Zahn im Mund gehabt" Devil... "aber sowas von einem ungewaschen Maulwerk"
...... Wilted_rose Ich kannte die Dame nicht mehr.

Also auch das wird ein Grund gewesen sein.

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08.12.2016, 16:16
Beitrag: #11
RE: In die Linse lächeln
(08.12.2016 12:57)Suebe schrieb:  Den Russen das US-Amerikanische Dauergrinsen auf den Geist gegangenwäre.
Von den Amerikanern stammt auch die Erfindung des CHEEEEEESE, um aus einem neutralen einen grinsenden Ausdruck zu machen. Übrigens, das nur am Rande, erkennt man so ganz genau, ob ein Foto mit Amis drauf gestellt ist oder nicht. Denn der Cheese-Mund und dann auch noch bei mehreren Personen, formt ja nun mal eine eher ungewöhnliche Visage.

Achja, General Patton revanchierte sich für die "grinsenden Affen" mit "mongoloiden Russen".

Meine Mutter, in der Weimarer Republik geboren, hasste ungestellte Bilder. Wenn man (ich) einfach auf den Auslöser drückte, brachte sie das auf die Palme. Bei einem Foto hatte man sich gefälligst von seiner Schokoladenseite zu zeigen und zum Beispiel frontal vor dem Fotografen aufzubauen. Bei uns liegen immer noch Fotoalben mit Unmengen dieser gestellten Szenerien herum. Auch die Geschichte mit dem Stammtischthema Fotographie stimmt auf jeden Fall, man war damals in der Wirtschaftswunderzeit auch bereit, viel Geld dafür auszugeben. Mein Onkel kaufte sich zum Beispiel, es muss so um 1960 gewesen sein, eine der ersten Polaroidkameras und war damit immer im Mittelpunkt des Interesses. Das Ding hat wohl ein kleines Vermögen gekostet und ein Bild dürfte nach Kaufkraft gerechnet so teuer gewesen sein wie heute die billigsten Kameras. Die Bilder waren von unterirdischer Qualität, aber das störte scheinbar niemand.

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08.12.2016, 18:09
Beitrag: #12
RE: In die Linse lächeln
Ja, so Anfang der 50 er Jahre hätte ich auch gedacht, dass die ersten Freizeitfotografen auf den Plan traten. Ich erinnere mich daran, dass mein Onkel geschätzte 100.000 Dias angefertigt hat. Mein Vater hatte dann auch eine Polaroid, die war natürlich "besser"...

Ich hatte dann eine kleine Kodak Pocket Kamera in der Mittelstufe und wurde damit zum Klassenfotografen...

Das war Zeitweise auch ein Statussymbol, wenn ich mich recht erinnere. "Ja schau mal, wir machen Fotos von jeder Feier, und die Meyers von gegenüber können sich das nur an Weihnachten leisten". oder so ungefähr.
Seltsame Vorstellung, dass der Fotoapparat mal irgendwann das Alter ego zum Tablet war...Wink

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08.12.2016, 21:05
Beitrag: #13
RE: In die Linse lächeln
Bei der kurzen Durchsicht alter Familienaufnahmen (1900-1920) ist mir noch etwas anderes aufgefallen.
Die meisten Aufnahmen waren ja im Fotostudio, frisch gewaschen, gekämmt, usw. Gesichter wie drei Tage Regenwetter.

aber einige Aufnahmen sind anders. Die Leute stehen vor ihren Häusern, oder schauen aus dem Fenster. Diese Aufnahmen scheinen aber nur zum Teil gestellt zu sein, die Frauen tragen Schürzen die Männer ihre Arbeitskleidung, haben auch mal einen Hammer oder ein anderes Werkzeug in der Hand.
Und auf diesen Aufnahmen wird tatsächlich hin und wieder gelächelt.

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08.12.2016, 21:42
Beitrag: #14
RE: In die Linse lächeln
... weil den Leuten nicht bewußt war, dass sie fotografiert wurden?

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09.12.2016, 13:01
Beitrag: #15
RE: In die Linse lächeln
(08.12.2016 21:42)Bunbury schrieb:  ... weil den Leuten nicht bewußt war, dass sie fotografiert wurden?

doch, das war ihnen den Bildern nach schon bewusst.
Sie schauen zum Fotografen, haben anscheinend ihre augenblickliche Tätigkeit unterbrochen.

Ich vermute mal, die Fotografen, waren ja zu der Zeit alles "Profis", haben davon gelebt, sind, wenn im Studio nichts los war, durch die Lande gezogen und haben die Leute vor ihren Häusern abgelichtet, und vermutlich anschließden versucht, denen die Bilder zu verkaufen.


Da gibt/gab es bei uns eine "Nachbarstadt-Neckerei" deren Hintergrund ich nie verstand.
Dem Sinn nach:
"Wenn du bei einem gewitter durch X-Stadt kommst, wirst du dich wundern, bei jedem Blitz reißen sie die Fenster auf, und schauen raus.
Die Dackel denken sie werden fotografiert."
Erst heute, jetzt und hier, wird es mir klar. Idea
Das hängt mit Sicherheit mit diesen "vor dem Haus-Bildern" zusammen.
Ich danke Euch, Kolleginnen und Kollegen!
Thumbs_upThumbs_upSmileRose

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12.12.2016, 23:54
Beitrag: #16
RE: In die Linse lächeln
(07.12.2016 20:41)Bunbury schrieb:  Ich könnte mir vorstellen, dass das mit der Tugend der Disziplin zu tun hatte. Fotografien waren früher sehr teuer und etwas ganz besonderes, und der lachende Mensch war nicht das Ideal dieser Zeit. Tüchtigkeit, Disziplin und Selbstbeherrschung waren gefragt. Wenn ich mich so an Erzählungen meiner Großtante erinnere, galt ein Mädchen, das viel lachte, als liederlich und ein Mann, der viel lachte, als Halodrian...
Aber bist du dir sicher, was die Zeit anbetrifft? Ich habe mir die alten Bilder meiner Familie angesehen, und abgesehen von Brautleuten auf ihren Hochzeitsfotos lächelt keiner. Als der älteste Bruder meiner Mutter geheiratet hat, gab es ein Familienfoto mit ungefähr 25 Personen. Die einzigen, die lächeln, sind die Brautleute und die Kinder. Alle anderen nicht. Und Großonkel Theo mit seiner Hakenkreuzbinde lächelt nicht mal auf dem Hochzeitsfoto...

Wenn ich mir die Erziehungsbücher aus dieser Zeit durchlese, wundert es mich allerdings, dass tatsächlich noch die Kinder lächeln...

Bunbury ist zwar auf der richtigen Spur mit dem besonderen Moment, aber mit Tugend und Disziplin hatte das Nichtlächeln wohl wenig zu tun. Vielleicht mit Verklemmtheit und Aufgeregtsein im weitesten Sinn, etwa wie: uiui, ich werde jetzt beobachtet; oder: ojeoje, jetzt sind dann alle Augen auf mich gerichtet. Ja, früher wurden Photographien auch angeschaut… Tongue

Davon abgesehen: auch auf Gemälden wurde gelegentlich gelächelt und sogar auf Skulpturen, blieb jedoch die Ausnahme. Der Grund war die Seltenheit solcher Verewigung. Mit anderen Worten: das Abbild wurde vor allem als Dokumentation verstanden, als Hinterlassenschaft für die Nachwelt. Dies war auch bei Photographien bis zum frühen 20. Jh. so. Ein weiterer prägender Grund war die Belichtungszeit; es ist schwierig, minutenlang zu lächeln, ohne zu zittern. Erst als sie wesentlich kürzer wurde und die Köpfe der Porträtierten nicht mehr gestützt werden mussten, konnte das Lächeln eingefangen werden.
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13.12.2016, 10:55
Beitrag: #17
RE: In die Linse lächeln
(12.12.2016 23:54)Mashenka schrieb:  Dies war auch bei Photographien bis zum frühen 20. Jh. so. Ein weiterer prägender Grund war die Belichtungszeit; es ist schwierig, minutenlang zu lächeln, ohne zu zittern. Erst als sie wesentlich kürzer wurde und die Köpfe der Porträtierten nicht mehr gestützt werden mussten, konnte das Lächeln eingefangen werden.

Das ist keine Erklärung, warum auf dem Hochzeitsfoto meines Onkels außer Brautleuten und Kindern keiner lächelt. Das war Anfang der 50 er, und da dauerte es nicht lange, eine Aufnahme zu machen.

Ich gehe eher davon aus, dass den Fotografierten bewußt war, dass sie ein Dokument für die "Ewigkeit" hinterlassen- und jeder wollte einen möglichst positiven Eindruck hinterlassen.
Es ist fast unvorstellbar (abgesehen von den Zähnen), dass meine gestrenge Großmutter das Foto herumzeigen und sich dem Gerede der Leute aussetzen würde ("Guck dir mal die Gret´uff dem Photto an- wie die lacht- was hat dann die zu lache, mir san doch all so oorm und hawwe nix. Wie kann die da lache...") Gleiches gilt für meine Tante, die davon besessen war, was wohl die Leut saache däte.. Die hätte im Leben nicht gelächelt auf so einem Foto...
Ich kenne die alten Schabracken noch, sie waren der Schrecken meiner Kindheit. Und sie haben Bilder tatsächlich so kommentiert, auch das gehört zu den Alpträumen meiner frühen Jahre...

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13.12.2016, 12:43
Beitrag: #18
RE: In die Linse lächeln
(13.12.2016 10:55)Bunbury schrieb:  Das ist keine Erklärung, warum auf dem Hochzeitsfoto meines Onkels außer Brautleuten und Kindern keiner lächelt. Das war Anfang der 50 er, und da dauerte es nicht lange, eine Aufnahme zu machen.

Ich gehe eher davon aus, dass den Fotografierten bewußt war, dass sie ein Dokument für die "Ewigkeit" hinterlassen- und jeder wollte einen möglichst positiven Eindruck hinterlassen.
Es ist fast unvorstellbar (abgesehen von den Zähnen), dass meine gestrenge Großmutter das Foto herumzeigen und sich dem Gerede der Leute aussetzen würde ("Guck dir mal die Gret´uff dem Photto an- wie die lacht- was hat dann die zu lache, mir san doch all so oorm und hawwe nix. Wie kann die da lache...") Gleiches gilt für meine Tante, die davon besessen war, was wohl die Leut saache däte.. Die hätte im Leben nicht gelächelt auf so einem Foto...
Ich kenne die alten Schabracken noch, sie waren der Schrecken meiner Kindheit. Und sie haben Bilder tatsächlich so kommentiert, auch das gehört zu den Alpträumen meiner frühen Jahre...

Das kenne ich auch noch aus meiner Kindheit. Selbst meine Großmutter sah ich auf keinem Bild lächeln. Vielleicht war der Grund, jemand könnte ihr auch dieses womöglich nachreden? Als ich eingeschult wurde, ging meine Großmutter mit mir zum Fotograf, im Arm meiner Schultüte. Ich habe noch immer ihre Worte im Ohr: Ich solle mich anständig benehmen, ordentlich und brav auf dem Stuhl sitzen und den Fotografen anschauen. Auch gelächelt hatte ich nicht.

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13.12.2016, 19:19
Beitrag: #19
RE: In die Linse lächeln
(13.12.2016 10:55)Bunbury schrieb:  dass meine gestrenge Großmutter das Foto herumzeigen und sich dem Gerede der Leute aussetzen würde ("Guck dir mal die Gret´uff dem Photto an- wie die lacht- was hat dann die zu lache, mir san doch all so oorm und hawwe nix. Wie kann die da lache...") Gleiches gilt für meine Tante, die davon besessen war, was wohl die Leut saache däte.. Die hätte im Leben nicht gelächelt auf so einem Foto...
Ich kenne die alten Schabracken noch, sie waren der Schrecken meiner Kindheit. Und sie haben Bilder tatsächlich so kommentiert, auch das gehört zu den Alpträumen meiner frühen Jahre...
Kann Dich da beruhigen, sowas gibt es immer noch. Die haben übrigens die größte Angst davor, ihren Lebenslauf-Narrativ (aus armen Verhältnissen, fleissig, sparsam, vom Schicksal schwer geschlagen) als reines Phantasiegebäude zu entlarven.

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13.12.2016, 20:39
Beitrag: #20
RE: In die Linse lächeln
(13.12.2016 19:19)Triton schrieb:  Kann Dich da beruhigen, sowas gibt es immer noch. Die haben übrigens die größte Angst davor, ihren Lebenslauf-Narrativ (aus armen Verhältnissen, fleissig, sparsam, vom Schicksal schwer geschlagen) als reines Phantasiegebäude zu entlarven.

Ich hatte gedacht, dass sich wenigstens die Lebenslügen heute ein wenig geändert hätten....Wink

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