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Die DDR ein (kein) Unrechtsstaat?
27.11.2014, 04:45
Beitrag: #92
RE: Die DDR ein (kein) Unrechtsstaat?
1979 fuhren ein Kumpel und ich mit den Mopeds nach Wernigerode, um eine Bekannte zu besuchen, die aber nicht zu Hause war. Nachdem wir uns den schönen Ort etwas angeschaut haben, fuhren wir weiter nach Bad Blankenburg und von dort aus nach Thale. Da es inzwischen gegen 18 Uhr war, bauten wir im Wald unser Zelt auf und fuhren mit dem Moped zum Abendessen nach Thale, einer kleinen Stadt am Fuße des Harzes. Als wir zurückfuhren, folgte uns ein VP-Lada, der uns auch in den Wald folgte, wo bereits eine andere VP-Abteilung auf uns wartete. Wir mussten auf die Wache, wurden verhört, verbrachten dann die Nacht in einem stark beleuchteten Raum und unsere Eltern mussten in Leipzig um 2 auf die Wache. Über dieses Verhalten der Bullen - Vopo sagte niemand in der DDR - beschwerte sich der Vater meines Kumpels bei irgendeiner Parteibehörde, er hatte kein Erfolg. Mein Vater war nicht in der Partei, er fürchtete um seinen Job und war deshalb mehrere Wochen sehr sauer auf mich. Mein Kumpel hatte damals Kartenmaterial und Lederstiefel eingebüßt, ersteres wurde konfiziert, bei den Stiefeln meinten die Bullen nur, wir würden uns irren, die Stiefel würden sich sicher wieder zu Hause finden. Mein Kumpel sucht seitdem immer noch seine Stiefel. (Nö, das ist jetzt nicht wahr, er hat den Verlust zähneknirschend verkraftet.)

1983 begann aus Anlass des 500. Jahrestages von Luthers Geburtstag die DDR ihr Bild über Luther zu ändern. Deshalb gab es staatliche und kirchliche Veranstaltungen, wo man sich traute mit Kerzen und "Schwerter zu Pflugscharen" - Aufnäher seinen Unmut gegen Pershing, SS-20 und die verkrustete DDR-Führung zu äußern. In Leipzig war seit Tagen bekannt, dass am Sonnabend, den 7. November 1983, also drei Tage vor Luthers Geburtstag, auf der Petersstraße gegenüber dem ehemaligen Kino "Capitol" eine Demo für Frieden und Abrüstung stattfinden soll. Meine damalige Clique traf sich in einer Kneipe und wir fuhren dann auch in die Stadt. Aber einer – Name wird nicht genannt - musste vorzeitig aussteigen. Der bekam nämlich plötzlich Magenkrämpfe, lief grün und blau an und musste vorzeitig aussteigen, um hinter den nächsten Busch zu verschwinden. Danach schleppte sich der arme Mensch nach Hause, um eine unangenehme Nacht bei Tee und Zwieback zwischen Klo und Bett zu verbringen. Sonntagmittag, so gegen 16 Uhr 10, ich war gerade aufgestanden, klingelte es Sturm und mein Kumpel und seine damalige Freundin standen vor der Tür. Zuerst lästerten sie, dass mein Hintern für Heiterkeit der Straßenbahnbenutzer gesorgt hätte, danach kamen sie so langsam mit der Sprache heraus. Sie hatten eine Nacht und einen Vormittag auf der Polizeiwache verbracht, nachdem sie etwa 10 bis 20 m auf der Petersstraße mit einer brennenden Kerze gelaufen sind. Wer nicht schnell genug weg rennen konnte, wurde von den Bullen auf den „Robur“ verfrachtet und danach verhört. Dem einen Teil meiner Clique gelang die Flucht, dem anderen nicht. Mein Kumpel, seine Freundin und die anderen „Eingefangenen“ bekamen „Berlin-Verbot“ für das Jahr 1984, vor allem für das Jugendfestival, das in jenem Jahr stattfand. Wir sind dann halt nicht nach Berlin gefahren, sondern nach Prag und sahen das schöne Berlin erst 1989 wieder. Das hatte aber nichts mehr mit dem Verbot zu tun, Prag war einfacher schöner…
Was mir bis heute etwas rätselhaft ist, aber was ich auch nicht mehr wirklich wissen will, ist, dass mein damaliger Dozent mich zu diesem Thema ansprach und meine „richtige Entscheidung“ begrüßte!!!

Nach dem Studium dachte ich, meine Mitgliedschaft in der FDJ (Freie Deutsche Jugend) endete mit dem 25. Geburtstag. „Ja, das ist natürlich richtig, aber das gilt nur für Arbeiter“, belehrte mich die FDJ-Sekretärin des Betriebes, „aber Ingenieure bleiben bis zum 30. Lebensjahr in der FDJ.“ “Das kann nicht sein, im Statut der FDJ steht nichts davon.“ „Das ist neu und steht im neuen Statut.“ „Nun, als ich in die FDJ eintrat, galt das alte Statut und da trete ich jetzt aus, weil ich inzwischen 25 Jahre alt bin“. Das ging eine Weile hin und her, schließlich durfte ich aus der FDJ austreten und musste auch nicht mehr deren Veranstaltungen besuchen. Aber als erstes kam eine Mitteilung der Betriebsleitung, dass man mich nicht in die betriebliche Arbeiterwohngenossenschaft aufnehmen kann, was wiederum bedeutete, der Betrieb kann mir trotz Bedarf keine Wohnung stellen. Zweitens kam der Abteilungsleiter zu mir, den ich ein Pamphlet unterschreiben musste, nicht aus dem FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) auszutreten. Ich unterschrieb, obwohl ich damals nicht wissen konnte, dass ein paar Jahre später der DGB mich in Rechtsstreite gegen ehemalige Arbeitgeber unterstützen würde. Drittens kam ein Kollege zu mir, der mich bat, nicht die Mitgliedschaft in der DSF (Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft) zu verweigern. Als er in mein wohl verdattertes Gesicht schaute, meinte er nur, die Brigade hätte sich verpflichtet, dass jeder aus der Brigade Mitglied der DSF wird. Und wenn ich eben kein Mitglied werde, kann die Brigade nicht „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ werden und dies bedeutete, dass keine Prämien ausgezahlt werden. Nun ich einigte mich mit ihm, dass ich den Jahresbeitrag zahle, aber ansonsten von der DSF in Ruhe gelassen werde. Daran hielten sich beide Seiten bis zum Untergang der DDR.

Etwas ernster wurde es 1988: da wurde Nicolae Ceaucescu aus Anlass von dessen 70. Geburtstag der Karl-Marx-Orden verliehen. Für mich war das nicht hinnehmbar, da ich Rumänien zum damaligen Zeitpunkt relativ gut kannte. Also schrieb ich zwei DIN-A4-Seiten, warum ich gegen diese Auszeichnung war. Da ich damals nur montags und freitags im Stammbetrieb war, die restlichen Tage auf Baustellen, meist im KKW Lubmin bei Greifswald weilte, wartete ich an einem Montagnachmittag, nachdem ich ein ganzes Wochenende am Text gefeilt habe und ihm in allerschönster Schönschrift schrieb, darauf, dass sich meine liebe Kollegen nach Hause begaben. Endlich waren sie weg und ich heftete mein Pamphlet, an eine Wandzeitung, die im Gang des Bürogebäudes hing. Der Dienstag verging, ich war auf der Baustelle und nichts passierte. Der Mittwoch verging auch, aber kurz vor 16 Uhr musste ich „sofort“ zum Bauleiter. Wenn das Wort „sofort“ fiel, war immer etwas im Busche und mein Leipziger Chef wollte mit mir telefonieren, oder besser gesagt, er brüllte ins Telefon, so dass man nicht viel verstand und den Hörer einige Dezimeter weg vom Ohr halten musste. So hörte der Bauleiter etwas von Konsequenzen, Achse Berlin-Bukarest und Schmierereien, die mir noch sehr Leid tun werden. Am Ende hieß, „Setz’ Dich in den nächsten Zug, morgen früh um 7 hast Du Dich vor der Abteilungsleitung zu verantworten“. So war es auch und am Ende versetzte man mich in eine Produktionsbrigade eines anderen Betriebes im Kombinat. Dort war ich etwa 6 Monate, nach anfänglichen Schwierigkeiten, ich musste in der Sandstrahlerei arbeiten, kam ich mit den Leuten ganz gut zu Recht, auch dank des dortigen Chefs, der – wie der Zufall es will – ein gebürtiger Siebenbürgen-Sachse war.

Nun habe ich etwas aus dem Nähkästchen geplaudert. Meinen Freundeskreis habe ich diese Erlebnisse erzählt, wobei ich sagen muss, dass nicht alle mich unterstützten oder gar Verständnis entgegen brachten. Meinen Eltern habe ich damals nur Halbwahrheiten erzählt, so z.B. dass mein Produktionseinsatz unter der Rubrik „sozialistische Hilfe“ fiel.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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RE: Die DDR ein (kein) Unrechtsstaat? - Sansavoir - 27.11.2014 04:45

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