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Stalingrad in der Adenauer-Ära
09.08.2012, 09:19
Beitrag: #19
RE: Stalingrad in der Adenauer-Ära
Was ist dran, an der "Vergewaltigerhorde"
Diese Beitrag wird als Zitat ungekürzt eingestellt und stammt nicht aus meiner Feder:


Die Rote Armee. Welche Assoziationen werden vielen Menschen in Deutschland wohl spontan in den Sinn kommen? Nach Jahrzehnten medialer Bearbeitung werden unter ihnen wohl primär Vergewaltigungen sein. Die böse Rote Armee, die wie keine zweite Frauen schändete, was ein Markenzeichen der russischen Barbarei war. Die Kultivierung dieses Bildes, das zunächst von der Wochenschau der Nazis ganz im Sinne ihrer Rassenideologie propagiert wurde, wurde im Kalten Krieg mit Enthusiasmus von den konservativen Kreisen der BRD und den Amerikanern aufgegriffen und zur regelrechten Orgie hochstilisiert.

Der britische Historiker Antony Beevor beziffert die Opfer sowjetischer Vergewaltigungen in seinem Buch "Berlin:The Downfall 1945" auf mindestens 2.000.000 (später erhöhte er sie mit dem Ausspruch "jede Frau von acht bis achtzig"). Die Zahl eroberte mit Leichtigkeit viele glaubensbereite Hirne und ist heute vielen ein Begriff. Dabei beruft sich der Historiker, der in seinem Buch öfters durch das Nacherzählen anonymer Gerüchte wissenschaftlich sündigt, auf "einen Doktor", der etwas geschätzt haben soll und die Angaben zweier nicht näher genannter Berliner Krankenhäuser (Kapitel 27, Vae Victis). Ihre Berlin betreffenden Schätzungen projeziert Beevor auf die Gesamtbevölkerung der von den Sowjets besetzten Reichsgebiete und erhält so seine Zahl. Nicht sehr wissenschaftlich, aber solange es keinen stört..

Stören tut diese Methodik in der Tat sehr wenige. Wer will denn schon protestieren, wenn ihm ein willkommenes rhetorisches Geschenk gereicht wird? Den Angelsachsen nützt es, um sich als die "edlen" Sieger von den "barbarischen" Siegern abzuheben. Und das, obwohl die Sowjets das von militärischen Zielen längst abgekoppelte Bombardieren der Zivilbevölkerung wie in Dresden kaum je praktizierten. Das Ganze passt auch in die seit Längerem verfolgte Strategie, die Geschichte dahingehend umzuschreiben, dass die westlichen Allierten als die wichtigsten Sieger empfunden werden. Gleichzeitig gebrauchen die revanchistischen Elemente in Deutschland die ständige (Über-)Betonung der Verbrechen der Roten Armee, um die historische Schuld Deutschlands in der Sowjetunion zu relativieren. Bei der ständigen gebetsmühlenartigen Fixierung auf die immer gleichen Themen (Vertreibung, Vergewaltigungen, alliierte Bomben, deutsche Kriegsgefangene in der SU) erzeugen sogar die Öffentlich-Rechtlichen seit Längeren ein schiefes Bild der historischen Proportionen des Leids, zumal von den Verbrechen an weitaus mehr Menschen in der Sowjetunion kaum die Rede ist und kein Guido Knopp dies ähnlich penibel analysieren will.

Vergewaltigungen hat es durch die Rote Armee zweifellos gegeben und sicherlich mussten Zehn- oder gar Hunderttausende Frauen in den Frühlingsmonaten 1945 diese Erniedrigungen und Gewalt über sich ergehen lassen. Wie alle unschuldigen Opfer des Zweiten Weltkrieges sind diese Frauen zu bemitleiden und die brutalen Verbrechen gegen sie zu verurteilen. Was jedoch an der ganzen Sache stört, ist neben der Zweifelhaftigkeit der genannten Proportionen auch die Erweckung des Eindrucks einer Exklusivität des Vorgehens der Sowjets, als wenn außer ihnen niemand so etwas machte. Die Propaganda-Bilder von den "disziplinierten" deutschen Soldaten sind eben doch nicht ganz spurlos verschwunden. Nur wenige sind bereit, das Hirn einzuschalten und zu überlegen, ob es denn realistisch war, dass mehrere Millionen deutsche Soldaten drei Jahre lang (!) ihren sexuellen Trieb einfach durch die Rippen schwitzten und das in der Atmosphäre völliger Straflosigkeit in einem Vernichtungskrieg.

Über zehn Millionen sowjetische Zivilisten sind während der deutschen Besatzung ums Leben gekommen. Wenn heute von den deutschen Vergewaltigungen von sowjetischen Frauen weniger bekannt ist, dann zum einen, weil die Frauen anschließend vielfach einfach getötet wurden, was damals überhaupt keine Konsequenzen hatte. Darüberhinaus wurden solche Vorfälle - anders als im Westen - nicht von der offiziellen Propaganda aufgegriffen, da zur Dämonisierung der Deutschen bereits mehr als genug anderer Aspekte vorhanden waren und man nicht auch noch die (in der Sowjetkultur noch stärker tabuisierten) Bereiche aufgreifen musste.

Wer an die "Zivilisiertheit" der deutschen Soldaten in der Sowjetunion glaubt, der sollte sich fragen, wie denn die monströsen Opferzahlen in der Zivilbevölkerung dort im Einzelnen zustande kamen. Im Gegensatz zu den wachsweichen Ausführungen von Beevor ist eindeutig belegt, dass allein in Weißrussland im Zuge der Partisanenbekämpfung 628 Dörfer samt allen Bewohnern niedergebrannt wurden, in über 4000 Dörfern wurden Teile der Bewohner massakriert... Nicht zufällig befürchteten die Nazis eine riesige Rachewelle beim sowjetischen Vormarsch, die dann aber doch weitgehend unter den Erwartungen blieb.

Obwohl die hohen Opferzahlen in der Sowjetunion im Westen bekannt sind, macht sich dennoch kaum jemand die Mühe, das Ganze genauer unter die Lupe zu nehmen. Für die einen ist das zum Fürchten unbequem, für die anderen einfach unzweckmäßig. Es sei erlaubt, einen Ausschnitt aus dem Film Geh und Sieh des sowjetischen Regisseurs Elem Klimov über die dokumentierte und belegbare "Normalität" in Weißrussland im Jahr 1943 unten einzubinden. Dies soll niemandem Schuldgefühle einreden, sondern nur dazu anstoßen, abstrahiert von eingetrichterten Vorstellungen einfach mal realistisch nachzudenken, ob denn jene "zivilisierte" Soldaten, die so etwas massenhaft machten, nicht auch zu Taten wie Vergewaltigungen fähig waren...

Die Greueltaten der einen sind mit den Greueltaten der anderen nicht zu rechtfertigen. Allerdings ist wichtig, dass der Gesamtzusammenhang und der Zeitgeist jener brutalen Zeit deutlich wird. Und dass niemand mehr, wenn er ein Gewissen hat, von der Exklusivität der sowjetischen Vergewaltigungen spricht.
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RE: Stalingrad in der Adenauer-Ära - krasnaja - 09.08.2012 09:19

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