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Wie haben wir den eisernen Vorhang erlebt ?
18.08.2012, 12:11
Beitrag: #91
RE: Wie haben wir den eisernen Vorhang erlebt ?
Jede Reise nach Berlin-West war für mich ein Abenteuer.
1. Fahrt nach Berlin 1972 via Hamburg, Lauenburg, Perleberg, Küritz an der Knatter (habe jetzt die Reihenfolge nicht extra gecheckt) südlich Schwerin vorbei nach Berlin-West. An der Grenze hat ein DDR-Grenzer sich meinen Pass genau angeguckt. Ich musste mein rechtes Ohr freimachen, trug damals noch längere Haare gemäß dem Zeitgeist, dann hat er mein rechtes Ohr genau mit meinem Passbild verglichen, auf dem ich kürzere Haare trug. Dann sagte er sinngemäß: „Na ja ,,,“ und hat uns durchgewinkt. In den Pass kamen immer beeindruckende DDR-Visastempel, für die DDR eine gute Gelegenheit, sich als eigenständiger Staat zu dokumentieren. Berlin-West gab es im DDR-Sprachgebrauch nicht, es gab nur „Berlin, Hauptstadt der DDR“. Ich habe die DDR immer als selbständigen Staat empfunden, nicht in Anführungszeichen, wie die bescheuerte Springerpresse. Das Auto gehörte meinem Freund, der hatte ein paar alte Zeitungen im Kofferraum, die haben sie gleich konfisziert. Diese Fahrt war besonders interessant, denn es ging live durch die DDR-Provinz. Die Straße war für DDR-Verhältnisse recht gut. Man durfte die Transitstrecke natürlich unter keinen Umständen verlassen, anhalten nur gestattet, um in HO-Gaststätten für Wessis zu essen oder wenn man eine Panne hatte. Erste Eindrücke: an jedem Haus hingen rote Spruchbänder mit den bekannten Parolen, die Häuser waren außen dreckig bis katzengrau, wahrscheinlich war im Kaiserreich letztmalig was daran gemacht worden. Viel Armee war immer unterwegs, DDR-Volksarmee und Iwans ohnehin. Bei den Iwans war hellbrauch die vorherrschende Farbe, die einfachen Soldaten trugen Stiefel ohne Strümpfe. Die Offiziere waren herausgesputzt und grüßten freundlich, wenn man anhielt, damit sie die Straße überqueren konnten. Das war kurz vor Berlin, da war eine riesige russische Garnison beiderseits der Straße, links und rechts führen sie mit ihren T 52-Tanks durchs Gelände, alles war himmelblau bis 2 m oberhalb der Straße, die Fenster ließ man besser zu, damit man den Dreck nicht einatmen musste. Die Muschiks strichen die kilometerlangen Holzzäune links und rechts der Straße und sahen sich jedes Westauto höchst interessiert an. Es wird eine ABM-Maßnahme gewesen sein. Dann kam der letzte Grenzkontrollpunkt, ich meine es war Drewitz, nochmal ein dickes Visum in den Stempel, dann war man im „Glitzerding Berlin-West“. In Westberlin war jeder zweite Schwabe (viele hatten sich in Westberlin vor dem Dienst in der Bundeswehr verpisst), die sagten immer, wenn sie heimfuhren „Wir fahren nach Westdeutschland“, das fand ich irgendwie blöd.
2. Oft gefahren bin ich die Transitautobahn Hof – Berlin. Ich hatte einen Freund, der an der TU in Westberlin studierte, ihn besuchte ich mehrfach. In Hof kam es immer darauf an, wie die DDR-Grenzer gelaunt waren bzw. ob von oben harte oder weiche Welle verordnet war. Bei weicher Welle waren sie auch für einen Scherz zu haben, bei harter Welle konnten sie das Auto total zerlegen, ist mir aber nie passiert. Die DDR-Grenzerinnen trugen flotte Miniröcke, manche waren sehr hübsch. Gefragt wurde man immer, meist auf sächsisch „Haben Sie Funk oder Waffen dabei?“, was ich immer guten Gewissens verneinen konnte. Am Grenzkontrollpunkt Hof sah man im Querschnitt die gewaltigen Grenzbefestigungsanlagen der DDR: Erster Zaun, Laufgräben für die Hunde, Betonstreifen, auf denen die Patrouillen mit dem Jeep fuhren, Minenfelder, zweiter Zaun, immer aus Metall mit Drahtgeflecht, Selbstschussanlagen, Wachtürme, nachts war alles beleuchtet. Ich muss gestehen, ich fand das ungeheuer beeindruckend. Dann Pass vorzeigen, dann kam der Pass auf ein überdachtes Förderband und wurde so ca. 200 m nach vorne transportiert, in einen kleinen Bunker ohne Beleuchtung, hier saßen speziell geschulte Grenzer, die dicke Listen wälzten und prüften, ob man nicht Republikflüchtling war. Im Notfall konnten sie die Straße mit einer Betonramme auf Rädern sperren, falls jemand versuchen sollte, mit dem Lastwagen durchzubrechen. Dann bekam man irgendwann den Pass zurück und durfte gen Westberlin fahren. Höchstgeschwindigkeit auf der Transitautobahn war 110 km/h, es war besser, dieses Limit einzuhalten, die Geldstrafen waren gepfeffert. DDR-Bonzen in großen Wolgalimousinen und Iwans kümmerten sich nicht darum, die fuhren alle schneller. Die ersten 20 km nach der Grenze konnte man max. 30 km/h waren, ein riesiges Schlagloch am anderen. Grund: DDR-Bürger fuhren hier nicht, für die war 20 km vor der Grenze Schluss, es gab immer eine „Letzte Ausfahrt für DDR-Bürger“. Danach wurde es besser, ab da wurde die Autobahn auch teilweise mit Westmillionen saniert. An den Brücken hingen immer die schon bekannten roten Spruchbänder, z. B. „Plaste und Elaste aus Schkopau“. Irgendwann in der Magdeburger Börde kam die HO-Gaststätte Niemeck, da habe ich immer (gut) gegessen. Kotelette mit Salzkartoffeln, Gemüse und ein Bier gab`s für 4,50 DM West, von diesen Preisen konnte man im Westen nur träumen. Angeschlossen war auch ein HO-Laden, in dem auch DDR-Bürger mit Westdevisen einkaufen konnten. In der Gaststätte saßen Ost und West locker beisammen. DDR-Bürger meckerten immer an ihren Kindern rum, das fiel mir auf. Auf den Parkplätzen passte die Stasi auf, dass keine Kontaktaufnahme zu DDR-Bürgern erfolgte. Einmal machte ich nachts auf einem Parkplatz eine Pause, als plötzlich zwei DDR-Bürger aus dem Gebüsch hervorbrachen. Ich bin ganz schön erschrocken, aber die beiden Jungs, vielleicht 16 + 17 Jahre alt, wollten nur leere West-Zigarettenpackungen haben, leider hatte ich keine. Irgendwann kam dann der Grenzkontrollpunkt Dreilinden, wieder dickes Visum in den Pass, vorbei am obligatorischen russischen Ehrenmal mit dem T34 auf einem Betonsockel, und man war in Westberlin. Die Fahrt durch die DDR war immer eine Fahrt durch ein fremdes Land und hatte immer Abenteuercharakter. Eigentlich schade, dass es die DDR nicht mehr gibt, sorry, „Spässle gmacht“.
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