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Wie haben wir den eisernen Vorhang erlebt ?
19.06.2012, 22:47
Beitrag: #4
RE: Wie haben wir den eisernen Vorhang erlebt ?
Ich wuchs östlich des „Eisernen Vorhangs“ auf, als die Mauer gebaut wurde, war ich noch kein Jahr, als sie fiel war ich bereits 29 Jahre alt.

Kindheit und Jugend

Als Kind nahm ich die Teilung nicht sonderlich wahr. Das lag wohl darin begründet, dass meine Eltern durch den Mauerbau nicht ihre Geschwister oder ihre Freunde verloren hatten und infolgedessen keine nahe Verwandtschaft im Westen lebte. Da wir eine kinderreiche Familie waren, konnten wir schon aus finanziellen Gründen wenig reisen. Und bei den damaligen Bummelzügen war eine Reise von Leipzig nach Thüringen schon fast eine kleine Weltreise, zumindest wenn man die Reisedauer betrachtet. So erschien einen die DDR noch nicht zu klein.

Bei meiner in der Magdeburger Börde lebenden Oma sah dies natürlich anders aus, sie hatte einen Teil im Westen Deutschlands lebende Geschwister, Cousinen oder Nichten, die sie selbst als Rentnerin auch besuchen konnte. War ich bei meiner Oma zu Besuch, war es eigentlich egal, ob die alten Damen oder Herren aus dem Westen oder Osten kamen, spätestens nach einer Viertelstunde redeten sie über ihre Vertreibung aus Westpreußen oder Pommern. Gut, die Westtanten brachten Schokolade für uns Kinder und Kaffee für die Erwachsenen mit. Aber über den jeweiligen Alltag wurde bei solchen Treffen nicht geredet.

Wie wohl die meisten meiner Generation erwarb ich die ersten Kenntnisse über das Leben im damaligen Westen durch das Westfernsehen und durch das Kino. In der Schule lernten wir zwar ausführlich über die Geografie des Rheinischen Schiefergebirge, der Alpen oder der Rocky Mountains; über die politischen und wirtschaftlichen Systeme wurden wir nur unzureichend und vor allem ideologisch eingefärbt informiert. Wenn man es so will, bestanden meine Vorstellungen über den Westen einerseits aus dem vermittelten Bild von ARD und ZDF, andererseits aus den in der DDR gezeigten französischen, italienischen und US-amerikanischen Filmen.

1970 oder 1971 war mein Vater in Jugoslawien auf Montage. Dorthin konnte er eigentlich nur reisen, weil zu Hause eine Frau und vier Kinder auf ihn warten würden und somit seine Rückkehr in die DDR als sehr wahrscheinlich galt. Für mich bedeutend waren, neben einer tollen Jacke, vor allem unzählige Dias über Städte und Landschaften eines faszinierenden Landes, das ich nach der damaligen politischen Lage frühestens mit Renteneintritt (also im Jahr 2025) besuchen konnte. Das empfand ich damals als ungerecht, ich verstand auch nicht, warum man dieses schöne, aber „nur dem Namen nach sozialistische Land“ (Erklärung eines Lehrers) nicht besuchen konnte. Diskussionen zu diesem Thema wurden in der Schule nur halbherzig geführt oder von vornherein abgeblockt. Außerdem gab es viel Neid unter den Nachbarn, die meinem Vater bzw. meinen Eltern so einiges an Gehässigkeiten unterstellten. 1996, 1997 und 2001 konnte ich zumindest Slowenien und Kroatien bereisen.

Um 1973 erfolgte ein zweiter Blick auf die große, weite Welt. Ein „Westonkel“, er galt als das „schwarzes Schaf“ der jenseitigen Verwandtschaft, kreuzte von meiner Oma kommend ohne Ankündigung mit seiner Tochter bei meinen Eltern auf. Er wollte unbedingt Leipzig kennen lernen und vom Leben in der DDR wissen. Beeindruckt war ich vor allem auch, dass er von seinem Arbeitstag erzählte, von seinen politischen und gewerkschaftlichen Tätigkeiten oder vom Austausch zwischen westdeutschen und ausländischen Schülern. Zu diesem Onkel, einen entfernten Cousin meines Vaters hatten dann meine Eltern, Brüder und ich bis zu seinem Tod vor ca. zehn Jahren regelmäßig Kontakt.

Des Weiteren begann ich mich in dieser Zeit auch mehr für die zweimal im Jahr stattfindende Leipziger Messe zu interessieren. Eigentlich musste man einen Personalausweis vorlegen, wollte man die Messe (heute „Alte Messe“) besuchen. Als Dreizehnjähriger hatte ich natürlich keinen Ausweis, den gab es erst ab 14, und Taschengeld hatte ich stets zu wenig. So entschlossen sich einer meiner Brüder und ich die Messe „schwarz“ zu besuchen. Eine Zaunlücke wurde schnell gefunden und schon waren wir drin. Das war schon eine fantastische Welt, Aussteller aus allen Herren Länder. Besonders Auto- und Motorradhersteller konnten sich kaum den Andrang der Besucher erwehren. Aber ich kann mich auch noch erinnern, dass Brasilien das Publikum mit heißen Samba-Tänzerinnen erfreute. Krönender Abschluss eines Messebesuchs waren die „Trophäen“, bestehend aus Prospekten, Kulis oder anderen Werbematerial. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ein Holländer uns mit Füllfederhaltern beschenkte. Später, als Student in den 80-er Jahren, arbeitete ich mehrmals als Küchenhilfe im Restaurant eines großen Unternehmens. Als Franz Joseph Strauß mit diesem Unternehmen Geschäfte abschloss, hatte ich plötzlich und unerwartet frei. Da musste wohl jemand anderes Brot, Käse und Wurst schneiden …

1976 fuhren wir mit der Klasse nach Ostberlin. Für mich war es der erste Aufenthalt in der DDR-Hauptstadt. Unter anderen besichtigten wir den Fernsehturm, den Palast der Republik und das Brandenburger Tor. Aber besondere Emotionen hat das Besichtigen der Mauer bei mir nicht ausgelöst, sie stand halt da und das Brimborium der Wachablösung fand ich albern. Allerdings muss ich gestehen, dass ich Berlin erst nach dem Fall der Mauer richtig kennen gelernt habe, da ein Teil meiner Bekannten 1983/84 ein Berlin-Verbot ausgesprochen bekamen.

Im Frühjahr 1979, ich war achtzehn Jahre alt, schaffte ich es erstmalig die DDR zu verlassen. Gut, nicht für immer und es war auch nicht der „goldene“ Westen, es war nur das Nachbarland - die Tschechoslowakei. Ein paar Kumpels und ich besuchten Prag, wir schauten uns die wunderschöne Altstadt an und besuchten das U Fléku, eine von DDR-Bürgern „okkupierte“ Schwarzbierkneipe – damals ein „Muss“ für einen Prag-Touristen. Doch meine Reiselust wurde bald gebremst, ich musste im November 1979 zur Armee.

Wehrdienst an der innerdeutschen Grenze

Für 18 Monate wurde ich als Wehrpflichtiger zu den Grenztruppen der DDR eingezogen. Im Gegensatz zum Bundesgrenzschutz oder den Grenzpolizeien der Bundesländer waren die Grenztruppen eine Armee. Mit der Aufrüstung ihrer Grenztruppen umging die DDR Auflagen, die ihre Heerstärke einschränkten und so wurden Ende der 70-er / Anfang der 80-er Jahre viele Wehrpflichtigen zu den Grenztruppen gezogen. Ob sie wollten oder nicht, das stand nicht zur Debatte – die Alternative hieß Knast, vor allem wenn man keinen christlichen Hintergrund hatte. Ich selber stand ca. 9 Monate an der innerdeutschen Grenze bei Coburg, vorher waren 6 Monate Ausbildung, 1,5 Monate stationierte man mich an der tschechischen Grenze in Johanngeorgenstadt, der Rest (ca. 6 Wochen) war „Bau“.

Während meiner Zeit dort gab es keine versuchten oder vollendeten Grenzüberschreitungen. Da hatte ich Glück gehabt. Aber mehrere Dinge habe ich dort gelernt. Einerseits konnte ich praktisch am eigenen Leib die Brutalität des Regimes erleben. Die Offiziere waren Überzeugungstäter, Technokraten und vor allem rücksichtslose Karrieristen, denen die Würde eines Soldaten oder das Leben eines Flüchtigen nichts galten. Wer dort nicht zum Antikommunisten wurde, dem war nicht mehr zu helfen.

Andererseits habe ich auch die schöne fränkische Landschaft vom Beobachtungsturm (BT 11) betrachten können. Sonntags kamen oft Reisebusse zu Anfahrtsstellen, deswegen waren Dienste an so einer Anfahrtsstelle sehr beliebt. Das lag vor allem daran, dass bei schönem Wetter sich (nicht selten) junge Damen entkleideten, um sich zu sonnen oder einfach den armen Soldaten ihren Alltag zu verschönen. Weniger gern gesehene Besucher waren der Zoll (ein VW-Bus) und die bayrische Grenzpolizei, letztere fuhren im alten VW-Käfer mit dem leicht zu merkenden Kennzeichen CO 7799 herum. Seltener sah man den Bundesgrenzschutz oder die US-Army. Die Amerikaner mochten wir, sie waren meist schlampig angezogen und rauchten für jeden sichtbar ihre Joints. Wir zeigten ihnen dann unsere Bandmaße (wenn sie kurz genug waren). Bereitwillig zeigten uns die Amerikaner ihre Dienstränge oder die Kennzeichen ihrer Fahrzeuge. Und wir taten dies auch.
(Außer du hattest so ne rote Pfeife neben Dir – die Wahrscheinlichkeit lag bei 1:5)

Fazit: Man ist mit ein paar seelischen Schrammen davon gekommen. Vielleicht half mir das Befolgen des Slogans: „Wo viel Lärm und Licht, da ist der Grenzverletzer nicht.“ Mit der Bevölkerung im Grenzgebiet sind wir gut ausgekommen, nur während der Zugfahrten nach Hause hörte man ab und zu abfällige Bemerkungen, wie "grüne SS" oder "Mörder". Aber da ich in den anderthalb Jahren eh nur fünfmal zu Hause war, kann man dies inzwischen abhaken.

Meine Reisen in den 80-er Jahren

Im Sommer 1982 entschlossen sich ein Kumpel und ich nach Bulgarien zu trampen. Wir schafften das auch innerhalb von 16 Tagen, wobei wir etwas geschummelt haben und einen Teil der Strecke mit dem Zug oder einem Bus gefahren sind. Das erste Malheur passierte in Bad Elster an der Grenze zur CSSR. Ich musste meine Kraxe auspacken, es war ziemlich peinlich, als meine Klamotten, das Waschzeug und der Schlafsack im Zugabteil herumlagen. Ganz anders der ungarische Zoll, die kontrollierten gar nicht und gaben freundliche Tipps für einen Budapestaufenthalt. Dagegen waren die Rumänen wieder ganz eifrig, sie streiften mehrmals durch den Zug und machten Stichproben bei verschiedenen Leuten. Am schlimmsten war aber, dass ein Infektionsmittel durch das Fenster geschüttet wurde, es brannte ganz schön heftig auf der Kopfhaut. Seitdem schloss ich immer die Fenster an rumänischen Grenzbahnhöfen.

Während unseres Aufenthaltes in Szentendre bei Budapest lernten wir Jugendliche aus Bochum, eine Familie aus den Niederlanden und zwei junge Frauen aus Bad Münstereifel kennen. Haben uns alle prächtig verstanden, wir zogen tagsüber in Budapest herum und führten abends bei einem Glas Wein interessante Gespräche zum Thema Ost/West.

Bis 1989 unternahm ich mit meiner Clique jedes Jahr eine weitere Reise in den vier zu bereisenden Ländern CSSR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Polen konnte/sollte aufgrund der Ereignisse um die Solidarnosc nicht mehr bereist werden, eine Reise in die Sowjetunion war nur über Reisebüro oder Jugendtourist möglich. 1983 lernten wir auf dem Campingplatz junge Menschen aus Esslingen, aus Kopenhagen und aus Belgien kennen. Ein Kumpel verliebte sich in eine der Belgierinnen. Es war eine Tragödie, Rotz und Wasser wurde geheult, als ihr Zug von Budapest in Richtung Wien abfuhr. Wochenlang hing mein Kumpel damals in den Seilen. 1990 trafen sich die beiden wieder, ihre Liebe flammte für kurze Zeit noch einmal auf, dann war Schluss für immer. 1984 blieb ich als Einziger in Györ hängen, Grund waren zwei Ungarinnen, die dem Begriff Völkerfreundschaft eine etwas andere Note verliehen. Ich wusste aber, dass ich meine Leute auf irgendeinen Budapester Bahnhof wieder treffe. Der Deli pu. (Südbahnhof) galt als das Penner-Hilton und dort traf ich sie alle wieder.

Nun noch ein paar Worte zum Trampen. In Ungarn klappte das damals gut. Die Leute waren freundlich, oft luden sie einen noch zum Kaffee oder auf ein Eis ein. In Rumänien klappte das auch, allerdings wollten die Fahrer dafür Kaffee oder Pfeffer haben. Kaffee und Pfeffer hatten wir immer ausreichend mit, damit konnte man handeln und letztlich fast alle Türe öffnen. Aufgrund des offiziellen Umtauschkurses der DDR-Mark zum rumänischen Lei von etwa 1:2,5 wäre ein Rumänienaufenthalt teuer geworden, Dank unserer Gewinne aus dem Kaffeehandel konnten wir unsere Rumänienreisen (von einzelnen Diebstählen abgesehen) preiswert gestalten. Einmal sind wir auf der Ladefläche eines Betonlasters mitgefahren, da hatten wir danach eine Weile zu tun, uns von Kopf bis Fuß zu säubern. Ein anderes Mal fuhren wir in einem Kofferwagen mit, durch den eine lecke Leitung verlief. Als wir ausstiegen, mussten wir erst einmal alle erbrechen.

Ich möchte nun aber nicht alle Erlebnisse aufzählen, sondern noch einiges zu den Ländern schreiben. In der CSSR war es eigentlich so wie in der DDR. In Ungarn fiel der große Unterschied zwischen Budapest, den Balaton und den Rest auf. Budapest kam uns schon wie das Paradies auf Erden vor. Oft stöberten wir in Plattenläden, kauften LP’s von den „Rolling Stones“, „Led Zeppelin“, „AC/DC“, „Pink Floyd“ oder von Udo Lindenberg. Und wer noch Geld übrig hatte, deckte sich mit Pullovern oder Jeans noch ein. Nicht zu vergessen: Meine erste Coca-Cola trank ich in Budapest und man mag schmunzeln, ich nahm mir sogar eine Flasche Coca-Cola nach Hause mit. Bis 1988 hatte ich auch immer genügend Forints, man brauchte nur genügend Zollerklärungen und die musste man sich halt irgendwie „besorgen“. Prekär wurde es für uns, als die ungarischen Banken Computer besaßen. Praktisch war dies das „Aus“ für einen längeren Ungarnaufenthalt.

Nun noch ein paar Zeilen zu Rumänien. Ein armes, ausgemergeltes Land, das von einem größenwahnsinnigen Diktator beherrscht wurde. Es gab praktisch nichts, die Leute mussten schon früh um einen Liter Milch oder ein Stück Weißbrot kämpfen. Eine Tomatenhändlerin aus Brasov war zumindest in Leipzig und Dresden bekannt dafür, dass sie preisgünstige Platzkarten für die Rückfahrt besorgen konnte. Der verscherbelten wir Antibabypillen, Damenstrumpfhosen, Deospray usw., sie sorgte dann für Fahrkarten, frisches Obst u.a. In den Städten zogen oft Kinderbanden herum, ebenso war Vorsicht vor Zigeunern geboten. Ein befreundetes Pärchen ließ in Bukarest einige Minuten ihre Ausrüstung unbeobachtet, sie sahen sie nie wieder.

Aber die meiste Zeit waren wir im Gebirge. Die Touren waren sehr anstrengend, aber die wunderschöne Landschaft des Fagaras-, des Rodna- oder des Retezat-Gebirges entschädigten uns für viele Unannehmlichkeiten. 1988 fuhren wir per Schiff von Iasi nach Tulcea auf der Donau direkt an der rumänisch-sowjetischen Grenze entlang. Diese Grenze war ähnlich abgesichert wie die innerdeutsche Grenze, sie erschien uns als unpassierbar.

Ich kann mich auch noch an einen behinderten Jungen aus Constanta erinnern, der sich mit einem „Rolli“ (vergleichbar mit dem, den Möbelträger, Gemüsehändler usw. nutzen) fortbewegte. Er lungerte vor einer Pizzeria herum und wartete, dass die Leute ihm ihre Essensreste überließen. Als ich im Betrieb dieses und ähnliche Erlebnisse publik machte, wurde ich als Unruhestifter, Spinner, Nestbeschmutzer usw. beschimpft. 1988 hing ich einen öffentlichen Protestbrief gegen die Verleihung des Karl-Marx-Ordens an Nicola Ceaucescu aus. Er blieb nicht lange hängen und ich musste mich als Ingenieur ein paar Wochen in der Produktion bewähren. Mein dortiger Chef stammte aber aus Siebenbürgen, er hielt mehr oder weniger seine schützende Hand über mich.

Zu Bulgarien fällt mir momentan nur ein, dass in diesem Staat der Abstieg in den 80-er rasant erfolgte. Zum ersten Mal war ich dort 1982, die Leute waren freundlich und die Versorgung empfand ich als gut. Das Trampen klappte gut, notfalls reiste man mit dem Pferdewagen. Allerdings Mädels konnten nur in männlicher Begleitung trampen, DDR-Frauen wurden in Bulgarien häufig als sexuelles Freiwild betrachtet. 1985 waren wir im südbulgarischen Achtopol am Schwarzen Meer – mehr oder weniger mussten wir dort länger verweilen, da der Großteil der Truppe an einer Magen-Darm-Infektion litt. Verschont blieben ein Kumpel und ich, die sich zwei Esel „borgten“, um dann in den Süden zu reiten. Weit kamen wir nicht, einerseits wollten die Esel nicht so richtig, andererseits fielen wir einer Zivilstreife auf, die uns etwas unfreundlich mitteilten, dass wir uns 12 km von der türkischen Grenze befänden und dort nichts zu suchen hätten. Als wir (die vier- und zweibeinigen Esel) wieder brav in Achtopol ankamen, wurden unsere unfreiwilligen Begleiter auch wieder freundlicher. Bereits im Sommer 1989 war Bulgarien ein anderes Land. Wir empfanden die Menschen als mürrisch, zum Teil als aggressiv und die Versorgung war spürbar schlechter geworden. Ob dies alles mit innenpolitischen Problemen, z.B. den seit 1985 erfolgten Exodus einer türkischen Minderheit, zusammenhängt, weiß ich nicht.

Fazit: So einige Länder habe ich noch vor dem Mauerfall als Tourist kennen und deren Menschen schätzen gelernt. Als ich im Sommer 1989 ein paar Tage in Budapest weilte, überlegte ich schon, mich in einem Auffanglager zu melden, aber deren Überfüllung bzw. deren hygienischen Zustände schreckten mich ab. Als die Ungarn dann im September 1989 die ungarisch-österreichische Grenze öffneten, ahnte ich, dass die letzten Tage des Honeckerregimes eingeläutet wurden.

Die Wende

Am 9. November 1989 fiel die Mauer und am Sonntag, den 12. November betrat ich nach einer fünfstündigen Fahrt im voll gestopften Zug erstmalig den Berliner Westen mit 15 DM im Portemonnaie. Ich stieg ca. 7 Uhr auf dem Bahnhof Zoologischer Garten aus und mein erster Gedanke war, hier sieht es aus, wie bei „Christiane F.“ (einer Drogensüchtigen, deren Schicksal in „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ verfilmt wurde). Auf dem Bahnhofsgelände waren die Spuren einer durchfeierten Nacht zu erkennen, überall Bierpfützen, Erbrochenes und jede Menge „Schnapsleichen“. Ich musste mal dringend pinkeln und wollte deswegen die öffentliche Toilette aufsuchen. Die Toilettenfrau wollte 50 Pfennig, aber nachdem ich ihr meine 50 Pfennig (also die Alu-Chips) gab, fing sie laut zu lamentieren an. Schließlich beendete sie rigoros die Diskussion mit der Bemerkung, ich könnte ja vor dem Bahnhof mein Geschäft erledigen. Aber draußen standen Tausende von Menschen und nun entschied ich mich doch zurück zur öffentlichen Toilette zurück zu kehren. Die gute Frau hat inzwischen kapituliert, Alu-Chips zahlende oder gar nicht zahlende Völkerstämme strömten in ihre Toilette.

Dann war es eigentlich nur noch peinlich. Beim Anstehen nach dem Begrüßungsgeld kam es oft zu Tumulten. Mehrmals forderten die Bankangestellten die Leute auf, nicht zu drängeln und sich diszipliniert in die Schlange einzureihen. Erst die Drohung, die Bankfiliale zu schließen, führte zur Vernunft der Leute. Ebenso peinlich war es, dass vor der Gedächtniskirche Händler mit ihren LKW’s auffuhren und von der Ladefläche Kaffee, Schokolade, Orangen und Bananen um sich warfen und sich belustigten über die danach gierenden Ostdeutschen. Ich muss sagen, ich war in meinen Leben nur 5 Wochen stolz, DDR-Bürger zu sein. Besonders am 7. und 9. Oktober 1989 in Leipzig, am 7. revoltierten wir in Leipzig, die Bullen jagten uns durch die Stadt und setzten Wasserwerfer gegen uns ein und was am 9. Oktober in Leipzig geschah, weiß ja die ganze Welt. Damals, als wir 70.000 Menschen das Ende der DDR einleiteten, war ich stolz auf meine Landsleute. Das war dann in Westberlin für immer vorbei.

Ich streunte dann durch Westberlin. Abends geriet ich in eine Demonstration der Hausbesetzerszene. Habe mich da mit einem jungen Mann eine Weile unterhalten. Als ich mich verabschiedete, meinte er nur, dass wir von „Bullen“ umzingelt waren. So war es auch. Die kommenden Wochenenden besuchte ich neben Berlin hauptsächlich bayrische Städte, ehe ich mich zu Ostern 1990 zu einer Reise nach Wien entschloss. Das war schon ein einmaliges Erlebnis. Geschlafen habe ich dort auf einer Parkbank in der Nähe des Rathauses, es war zwar hundekalt, aber eigentlich war mir das egal. Und da diese Reise so gut geklappt hatte, unternahm ich zu Pfingsten 1990 eine Reise nach Italien, wo ich mir Florenz, Bologna und Verona anschaute. An diese Reise erinnere ich mich heute immer noch so, als ob ich erst letzte Woche dort war.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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