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Investiturstreit
01.10.2012, 01:39
Beitrag: #7
RE: Investiturstreit
Der Investiturstreit von 1076 bis 1122 war eine Auseinandersetzung zweier Weltanschauungen. Vordergründig ging es um die Frage: Ist die Kirche dem Staat untertan oder ist der Staat der Kirche untergeordnet? Und das bedeutet in letzter Konsequenz die Befürwortung oder die Ablehnung eines christlichen Gottesstaates bzw. einer christlichen Theokratie. Nicht so deutlich, aber trotzdem sichtbar, ging es auch um die Frage, inwieweit sich die Zentralmacht oder (partikularer) Föderalismus behauptet.

Das Reformpapsttum, dessen wichtigster Vertreter Gregor VII. war, bekämpfte die Einsetzung von kirchlichen Laien in wichtige Kirchenämter. Damit war der Konflikt mit dem deutschen Königtum vorprogrammiert. Dessen wichtigste Stütze war das von Otto I. geschaffene Reichskirchensystem. Höhepunkt dieses nach weltlichen Interessen des Königs bzw. Kaisers ausgerichteten Systems war die Herrschaft Heinrichs III., der in Rom Päpste nach seinem Gutdünken einsetzte. Um 1050 ließ sich Heinrich III. als gottgleicher, über alle weltlichen und geistlichen stehender Herrscher verehren. Das Papsttum war eindeutig dem Kaisertum untergeordnet. Die Stellung des Papstes gegenüber dem Kaiser lässt sich in dieser Zeit mit der des Patriarchen von Konstantinopel gegenüber dem byzantinischen Kaiser vergleichen.

Die fast sakrosankte Stellung des Kaisertums ging mit dem frühen Tod Heinrichs III. im Jahr 1056 unter. Die weltlichen und geistlichen Fürsten waren zu diesem Zeitpunkt nicht gewillt, dem kindlichen König Heinrich IV. bzw. seiner Mutter Agnes von Poitou die Position Heinrichs III. an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide zu gewähren. Eine ähnlich bedrohliche Situation mit einem minderjährigen König bestand schon einmal nach dem Tod Ottos II. im Jahr 983, die jedoch von der Regentin Theophanu gemeistert wurde. Agnes von Poitou war aber keine Frau vom politischen Format Theophanus. Sie erkannte nicht die prekäre Lage ihres Sohnes und sie war auch nicht fähig, eine sein Erbe bewahrende Regentschaft zu führen.

In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts bildete sich in der Abtei von Cluny eine Bewegung zur Reformierung der Kirche und des Papsttums. Das Papsttum befand sich seit dem 10. Jahrhundert in einer Krise, das Amt wurde häufig nur von Angehörigen der römischen Oberschicht besetzt. So forderten z.B. der 6. Abt von Cluny, Hugo († 1109) den Verbot von Laien bei der Führung von Kirchenämtern. Die Äbte, wie Odilo oder Hugo von Cluny, forderten dass ein Bischof unbedingt die Priesterweihe erhalten haben muss. Diese Forderung war vor allem gegen die römischen Adelsfamilien gerichtet, konnte aber auch gegen die Reichskirche angewandt werden.

Zulauf erhielten die Reformer aus Cluny vor allem nach dem Schisma zwischen der römischen und griechischen Kirche im Jahr 1054. Humbert von Silva Candida, der im Auftrag des Papstes Leo X. Unionsverhandlungen mit Michael Kerullarios, dem Patriarchen von Konstantinopel, führte und bei diesen Verhandlungen scheiterte, befürwortete daraufhin immer stärker die Reform der römischen Kirche, mit dem Ziel, die Position des Papsttums gegenüber den geistlichen und weltlichen Herrschern hervorzuheben. Begünstigt durch den Tod Heinrichs III. und dem damit verbundenen Machtvakuum setzten sich die Reformer in Rom durch. Seit dem Pontifikat von Nikolaus II. (1058–1061) bzw. der Lateransynode von 1059 bestimmten die Reformer die Kirchenpolitik. Herausragender Akteur dieser Reformbewegung war der Subdiakon Hildebrand, der spätere Papst Gregor VII.

Erste außenpolitische Erfolge erlangte das Reformpapsttum mit Hilfe des Herzogs Wilhelm von der Normandie, der sich vor der Eroberung von England im Jahr 1066, beim Papst rückversicherte und nach der erfolgten Eroberung Englands den Papst als Lehnsherr anerkannte. Damit wurde dem Papst eine ähnlich übergeordnete weltliche Stellung wie dem Kaiser zugestanden. 1077 unterstellte sich der ungarische König Ladislaus dem Papst und 1083 folgte der sizilianische Herrscher Robert Guiscard, der Gregor VII. nach der 1084 erfolgten Belagerung Roms in Salerno politisches Asyl gewährte. Dies, aber auch Heinrichs IV. Gang nach Canossa im Jahr 1077, bedeutet, dass das Papsttum in der 2. Hälfte des 11. Jahrhundert eine enorm wichtige politische Bedeutung in Europa erlangte. Das Beispiel Ungarn zeigt auch, dass dessen Königtum mit Hilfe des erstarkten Papsttums die Chance nutzte, sich von der de facto seit 955 bestehenden deutschen Bevormundung zu lösen.

Heinrich IV. versuchte mit dem Erreichen seiner Volljährigkeit die gesellschaftliche Position seines Vaters zu übernehmen. So setzte er 1070 einen ihm genehmen Mann zum Erzbischof von Mailand ein. Daraus entbrannte ein Konflikt mit Papst Alexander II., der nicht gewillt war auf seine Investiturrechte zu verzichten und einen geweihten Priester zum Erzbischof einsetzte. Eine Einigung konnte Heinrich nicht erreichen, mit dem Amtsantritt Gregors VII. verschärfte sich dir Situation. Verbündete fand Gregor in den deutschen Fürsten, die während der Minderjährigkeit Heinrichs ihre Macht erweiterten und diesen Machtzuwachs auch weiterhin behalten wollten. So musste sich Heinrich einerseits mit der Gegnerschaft des Papstes, andererseits mit der Opposition der Fürsten und später auch der eigenen Söhne auseinandersetzen. Zeitweise war er als politische Kraft ausgeschaltet, so 1096 als er die von Kreuzfahrern verübten Judenpogrome in deutschen Städten nicht verhindern konnte.

Das Wormser Konkordat von 1122 beendete den Investiturstreit und ist einer der wichtigsten mittelalterlichen Verträge. Es wurde ein Kompromiss gefunden, in dem staatliche und kirchliche Aufgaben, Rechte und Pflichten festgelegt wurden. Ebenso wurden die Rangstreitigkeiten zwischen Kaiser und Papst beendet, der Kaiser galt als das weltliche Oberhaupt und der Papst als das geistliche Oberhaupt. De facto bedeutete dies, dass die römisch-katholische Christenheit von einer Doppelspitze geführt werden sollte. Praktisch war dies nicht so einfach, ein starker Kaiser, wie Friedrich I. Barbarossa setzte ein ihm genehmen Gegenpapst ein, ein starker Papst, wie Papst Innozenz III. förderte die Machtübernahme seines Gegenkönigs Friedrich II. Sowohl Kaiser als auch Papst konnten bei der Unterzeichnung des Konkordats wissen, dass noch im 12. Jahrhundert mit dem erstarkten französischen Königtum ein für beide gefährlicher Gegner erwuchs.

Ich denke, dass mit dem Konzil von Lyon 1245, als der Papst zum Feldzug gegen Friedrich II. und die Staufer aufrief, das Wormser Konkordat nur noch Makulatur war. Friedrich II., der sich als deutscher König mit Hilfe des Papstes und dem französischen Königtum durchsetzte, wurde in den folgenden 5 Jahren eben von diesen Kräften vernichtet. Es ist eben kein Zufall, dass Friedrichs Enkel Konradin 1268 von Karl I. von Anjou, dem Sohn von Ludwig VIII., des Siegers der Schlacht von Bouvines 1214, hingerichtet wurde. Doch der Sieg des päpstlichen Vasallen Karl von Anjou rettete die Päpste nicht. Spätestens mit dem erzwungenen Umzug der Päpste von Rom nach Avignon verlor das mittelalterliche Papsttum sein Ansehen und seine Bedeutung.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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