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Belagerung Wiens 1683
07.01.2019, 14:27
Beitrag: #1
Belagerung Wiens 1683
Es ist legendär und der Ausgang ist bekannt. Aber ich denke, dass Osmanische Reich war auch 1683 nicht mehr so kraftvoll und expansiv wie 1529. Es war ein letztes Aufbäumen, danach gab es nur noch den "sterbenden Mann am Balkan".

„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein)
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08.01.2019, 01:54
Beitrag: #2
RE: Belagerung Wiens 1683
Es ist richtig, dass das Osmanische Reich 1683 nicht mehr so kraftvoll und expansiv war wie 1529. Trotzdem ist es m.E. noch zu verfrüht, vom "sterbenden Mann" zu sprechen. Expansiv war das Osmanische Reich vor allem unter Mehmed II. (1451–1481) und dann wieder unter Selim I. und dessen Sohn Suleiman den Prächtigen, also von 1512 bis 1566. Dabei sollte man aber beachten, dass Suleiman schon 1547 einen auf 5 Jahre befristeten Frieden mit Ferdinand I. schloss. Ferdinand I. nutzte diesen Frieden, um sich in „seinen“ Teil Ungarns gegen Johann Zápolya durchzusetzen. Aber was viel wichtiger war, Suleiman unterstützte nicht Heinrich II. von Frankreich und die protestantischen Reichsfürsten gegen Kaiser Karl V. Im Jahr 1552 konnten die Osmanen die Stadt Eger nicht einnehmen und 1566 scheiterte Suleiman vor Szigetvar. Bereits 1565 scheiterte die Eroberung Maltas durch Turgut Reis. Die Herrschaft von Suleimans Sohn Selim II., genannt der Säufer, wird bereits als Beginn des Niedergangs betrachtet. Das lag sicher an der Persönlichkeit des Sultans, aber wohl hauptsächlich an der osmanischen Niederlage in der Seeschlacht von Lepanto (1571).

Die o.g. Niederlagen waren schon folgenreich für das Osmanische Reich. Die Politik war seitdem nicht nur auf Expansion, sondern auch auf Konsolidierung der Herrschaft im Innern ausgerichtet. Möglicherweise ist dies auch die Ursache, dass die Person des Sultans an Bedeutung verlor, somit austauschbar und der Großwesir zumindest befristet die Politik bestimmte. Die Familie Koprüllü kann man als eine Dynastie der Großwesire betrachten, Kara Mustafa verdankte m.E. seinen Aufstieg dieser Familie.

Der Lange Türkenkrieg von 1591 bis 1606 zeigte schon, dass die Osmanen und die österreichischen Habsburger und ihre Verbündeten gleichwertige Gegner waren, keiner der Kontrahenten konnte den anderen besiegen, sodass 1606 der Frieden von Zsitvatorok geschlossen wurde. Der Frieden nutzte beiden, die Osmanen brauchten keinen Zweifrontenkrieg zu befürchten und hatten nun freie Hand in ihren Auseinandersetzungen mit Persien. Für die Habsburger bedeutete der Frieden die Nichtteilnahme der Osmanen am Dreißigjährigen Krieg. Dieser Frieden zwischen den Osmanen und österreichischen Habsburgern endete erst 1663. Der erneute Krieg hat seine Ursachen m.E. in den komplizierten Machtkämpfen und Konflikten in Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen. In diesem Zusammenhang stehen wohl auch die Aufstände des ungarischen Hochadels gegen Habsburg, 1664 bis 1666 und 1670/71, der mit der Hinrichtung einiger Magnaten wie Petar Zrinyi oder Ferenc Nadasdy endete. Diese Situation versuchte Kara Mustafa zu nutzen, möglicherweise auch auf Veranlassen von siebenbürgischen Fürsten wie Ferenc I. Rakoczy oder Imre Thököly. Sowohl Rakoczy als auch Thököly waren mit Ilona Zrinyi verheiratet, deren Vater und Bruder eine erst zwischen Habsburg und den Osmanen lavierende, dann eine antihabsburgische Politik betrieben. Ferenc I. Rakoczy und Ilona Zrinyi waren die Eltern des späteren Kurutzenführer Ferenc II. Rakoczy.

Bei dem Versuch Kara Mustafas, Wien zu erobern, handelt es sich um eine Eigenmächtigkeit des Großwesirs. Im Gegensatz zu 1529, war das kein Feldzug, dem alles unterordnet wurde. Mehmed IV. ließ seinen Großwesir gewähren, er unterstützte ihn nicht, aber er unterband dessen Feldzug auch nicht. Offensichtlich hatte er die Macht dazu nicht. Fakt ist, dass im Großen Türkenkrieg von 1683 bis 1699 die Osmanen in die Defensive gerieten, ebenso scheiterte der von ihnen und Ludwig XIV. unterstützte Kurutzenaufstand. Aber man darf nicht vergessen, dass die Osmanen sich noch auf den Balkan behaupteten. Den Osmanen gelang z.B. 1690 die Wiedereroberung Belgrads, das allerdings 1717 wieder verloren ging. Die Fanarioten in der Walachei und im Fürstentum Moldau wurden im 18. Jh. noch von den Osmanen ein- und abgesetzt. 1739 konnten die Osmanen wieder einige 1717/18 verlorene Gebiete zurückerlangen, z.B. auch Belgrad.

Ich würde sagen, dass nach 1683 die Entwicklung im Osmanischen Reich stagnierte und es einen Wechsel von politischen Misserfolgen und Erfolgen gab. Schlimmer als der Große Türkenkrieg von 1683 bis 1699 oder der Krieg von 1716 bis 1718 war für die Entwicklung des Osmanischen Reiches der Russisch-Türkische Krieg von 1768 bis 1774. Dieser und der Russisch-Türkische Krieg von 1806 bis 1812, aber auch die Machtübernahme Mehmed Alis in Ägypten waren m.E. der Beginn des tatsächlichen Sterbens des Osmanischen Reichs. Hinzu kommen die Unabhängigkeitsbewegungen in Serbien oder Griechenland, das Besetzen Algerien durch Frankreich u.a. Andererseits muss man aber beachten, dass Sultan Mahmud II. versuchte, das Osmanische Reich zu reformieren und zu modernisieren und in einigen Bereichen auch ein erfolgreicher Reformer war.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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