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Armut im Mittelalter
31.10.2016, 13:06
Beitrag: #1
Armut im Mittelalter
Zur Einleitung möchte ich schreiben, dass Armut ein relativer Begriff ist und das er über unterschiedlichen Abstufungen verfügt. Jede Gesellschaft bzw. Epochen betrachten Armut in unterschiedlicher Weise - sowohl auf kulturellen und wirtschaftlichen Niveau.

z. B. das Französische des Mittelalters berichtet von einem Mann, dass er in die Unfreiheit oder in das Elend falle; auch dass er seinen Stand nicht erhalten könne. Mit diesen Worten wird m. E. ein Verfallsprozess beschrieben indem eine extreme Situation in eine unabwendbare Not umschlägt.

Doch reicht eine gründliche Analyse zur Beschreibung der Armut benutzten Begriffe bzw. Unterscheidung der verschiedenen Armutsschwellen nicht aus, um dieses in vielfältigen Aspekten zu erfassen.

Die Entwicklung der Armut im oströmischen Reich des 6. Jh. wurde sogar mit einer Springflut verglichen! Chroniken, Gesetzestexte, Heiligenviten und Predigen liefern auch die Grundlagen für die Beschreibung der Armut bzw. Existenzbedingungen in den unterschiedlichsten Kategorien.

Wie sehen wir heute die Armut?
In erster Linie spielt doch hierbei die Besitzlosigkeit eine wesentliche Rolle, sowie Mangel an Nahrung, die meist zur Unterernährung führt (z.B. Mangel an Vitamine A. B. und C).

Bei den ärmsten Schichten fehlt die erforderliche Ernährung, um das Leben zu erhalten. Auch kommen bei extrem mangelnder Ernährung Krankheiten hinzu, Parasitosen, Nervenentzündungen, Wassersucht, Blindheit, Lepra - und auch die Pest (ein Oberbegriff für schwarze Pest, Lungenpest, Antoninische Pest wurde sogar noch hinzu gefügt, obwohl wir heute wissen, das es hierbei nicht um eine sog. Pest geht, sondern um ein besonders virulenten Stamm entweder der Pocken oder der Masern geht) tat ihr übriges.

Über die Existenz berichten auch Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz. So wird auch verständlich, welche Katastrophen - die zwischen 540 - 600 - jeweils im Abstand von 10 Jahren aufgetretenen 6 Epidemien für die großen urbanen Zentren des Mittelmeerraumes darstellten.

Wesentlich auch ist der prekäre Gesundheitszustand der Armen. Mangelhafte Hygiene (Schmutz, Geschwüre), schlechte Kleidung und die miserablen Wohnverhältnisse.

Auch ohne eine Pandemie zeigte in Grabinschriften die oft eine durchschnittliche Lebenserwartung von rd. 35 Jahren.

Je mehr die Massenarmut anstieg, desto mehr entfachte sich der Zorn der armen Bevölkerung. Der Eremit Calixtus, der wie auch andere Propheten die Endzeit ausbrechen sah, soll für seine Zeit von 1378 - 1420 große Wirren voraus gesagt haben. Sollten die Aussagen richtig überliefert geworden sein, dann hätte dieser es kaum besser treffen können; denn neben den großen Schisma erschütterten zwischen 1378 und 1383 Unruhen in einem nie zuvor gekannten Ausmaß ganz Europa!

Lesen wir die Quellen mit wachem Interesse zeugen sie von Bestürzung, Ratlosigkeit, Empörung und Zorn. Konkret sagen diese aus wie die Armut der untersten Schichten der Bevölkerung ausgesehen hat.
Zum Beispiel waren die Ärmsten der Armen vorwiegend Arbeiter auch in den Salinen und Salzbergwerken. Salz war zu der Zeit ein geringwertiges Produkt, an dem nur die Spekulanten und der Fiskus verdienen konnten, so dass für den Armen kaum am Gewinn was übrig blieb.
Neben Salinearbeitern galten auch Seeleute, die ebenfalls am untersten Ende der Gesellschaft lebten. Der Lohn für die Arbeit der Armen reichte zur Sicherung des Lebensunterhaltes kaum aus.

Arme und Bettler empfand die obere Gesellschaftsschicht von der Mitte des 14. Jh. bis 16. Jh. als lästiges und beunruhigendes Element. Von der Schwarzen Pest bis hin zu den Wirren am Ende des 14. Jh. wurden besonders die Armen mit der Pest konfrontiert, die auch die Armen dezimierte, jedoch nicht die Armut beseitigte.
Zwar verschonte die Pest Niemanden; doch bei den Armen fand diese einen besonders fruchtbaren Nährboden, dem eine geraume Zeit von Hungersnöten voraus gegangen war. Ein Sprichwort bringt es auf dem Punkt: "Erst herrscht die Hungersnot, dann die Pest!"

Mit diesem Sprichwort wird auch verdeutlicht, dass die Armen die bevorzugten Opfer der Epidemie waren. Gewöhnlich breitete sie sich zuerst in den Armenvierteln aus, wütete besonders extrem und forderte weitaus mehr Todesopfer als in den noblen Wohnvierteln der Oberschicht.

Das nur ein Hauch genügte, um den Armen dahin zu raffen, nahmen die Mediziner des 14. Jh. bitter ernst. Sie glaubten sogar, dass durch Einatmen und nur ein Blick genügte, um die Beulen- oder Lungenpest auf anderen Personen zu übertragen.

Auch wenn Hinterbliebene glaubten, es begänne nun nach Abklingen der Pestwelle ein besseres Leben - wie sehr irrten sie sich! Was konnte der arme Mensch wohl hinterlassen? Ein Leinentuch, Lumpen, ein Bett, oder gar eine Ziege?

Aber die Sterblichkeit der Reichen machte die Reichen noch reicher und überließ die Armen der Armut!

Einem Haus eine Bibliothek hinzuzufügen heißt, dem Haus eine Seele zu geben.

Marcus Tullius Cicero
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02.01.2017, 13:23
Beitrag: #2
Armut in Mittelalter
Zu Deinen Beitrag drei Überlegungen:
Interessant wäre sicher, wie die "Armen" ihre Lage tatsächlich wahrgenommen haben. Was die Kindheit in der Republik Österreich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg betrifft, so waren viele Kinder damals aus armen Familien, was aber von ihnen selbst gar nicht so wahr genommen wurde. Wahrscheinlich müssten wir unterscheiden zwischen tatsächlicher Armut, wo es wirklich den Betroffenen an allem Lebensnotwendigen gemangelt hat, und relativer Armut, bei der die Betroffenen so einigermaßen über die Runden kamen, sich aber einen gewissen Lebensstandard nicht leisten konnten.

(31.10.2016 13:06)Aurora schrieb:  Zum Beispiel waren die Ärmsten der Armen vorwiegend Arbeiter auch in den Salinen und Salzbergwerken. Salz war zu der Zeit ein geringwertiges Produkt, an dem nur die Spekulanten und der Fiskus verdienen konnten, so dass für den Armen kaum am Gewinn was übrig blieb.
Neben Salinearbeitern galten auch Seeleute, die ebenfalls am untersten Ende der Gesellschaft lebten. Der Lohn für die Arbeit der Armen reichte zur Sicherung des Lebensunterhaltes kaum aus.

Da Salzminen immer wieder verpfändet wurden, kommt es mir nicht sehr überzeugend vor, dass Salz damals wirklich so geringwertig war. Salz war außerdem damals doch eines der wenigen Mittel, mit denen Lebensmittel konserviert werden konnten, es diente damals also nicht nur der Geschmacksverbesserung.

(31.10.2016 13:06)Aurora schrieb:  Mit diesem Sprichwort wird auch verdeutlicht, dass die Armen die bevorzugten Opfer der Epidemie waren. Gewöhnlich breitete sie sich zuerst in den Armenvierteln aus, wütete besonders extrem und forderte weitaus mehr Todesopfer als in den noblen Wohnvierteln der Oberschicht.

Aus dem Jahr 1463 erfahren wir, dass im damaligen Herzogtum Österreich (unter der Enns) (heute Teil des Bundeslandes Niederösterreichs der Republik Österreich) eine Seuche herrschte. Deswegen sollen der Kaiser und die Kaiserin, die damals ihren Sitz in der Neustadt (heute Wiener Neustadt) hatten (das übrigens damals gar nicht Teil dieses Herzogtums Österreich war) ihren Sohn, den späteren Kaiser Maximilian I., zu seiner Sicherheit nach Graz (damals eine der beiden wichtigsten Städte des Herzogtums Steier(mark), heute Landeshauptstadt des Bundeslandes Steiermark der Republik Österreich) geschickt haben. Sie blieben aber selbst in der Neustadt, das letztlich von der Seuche verschont blieb. Man wird davon ausgehen, das Wegbringen des späteren Kaisers eher eine Vorsichtsmaßnahme als tatsächlich notwendig war.
In anderen Fällen erfahren wir wiederum, dass sich Herrscher, wenn wieder einmal eine Seuche in ihrer Residenzstadt herrscht, in eine andere Residenz begaben.

Daraus würde ich schließen: Wer es sich leisten konnte, hatte die Möglichkeit sich bei einer Seuche woanders hinzubegeben, die ärmere Bevölkerung bzw. die Leibeigenen und Unfreien hatten diese Möglichkeit nicht.
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Übrigens habe ich im "Nirwana" eine Anmerkung gefunden, dass Armut im Mittelalter auch bedeutete, keine Familie zu haben. Offensichtlich war diese im Vergleich zu heute ein äußerst wichtiger Faktor.

Auf diesen Aspekt spielt vielleicht auch ein literarisches Werk der nordischen Literatur, die "Thidrek-Saga", in der es auch um die Nibelungensage geht, an. Sigurd (Siegfried) ist sicher keiner der Armen, er ist hier ein Königssohn, aber ohne Familie. Brunhild gegenüber, die zumindest als "Gutbesitzerin" hier besser gestellt ist, als er, begründet er seine Ehe mit Gudrun (Kriemhild) damit: er hätte Gudrun genommen, da sie Brüder hätte, die Brunhild nicht hat. Die Ehe zwischen Brunhild und seinem jetzigen Schwager Gunnar (Gunther) will er hier übrigens auch stiften, um Brunhild zu einem "guten" Mann zu verhelfen. Er will also Brunhild ebenfalls zu einer Familie verhelfen, und sie so wohl auch dafür entschädigen, dass er nicht sie, sondern eine andere genommen hat.

Sind die "Brüder" von Gudrun also nur eine faule Ausrede, wie es in der Sekundärliteratur oft behauptet wird, oder ist das aus dem historischen Kontext doch eine sinnvolle und nachvollziehbare Begründung? Gudrun (Kriemhild) bietet Sigurd (Siegfried) hier die Zugehörigkeit zu einer Familie, was im Mittelalter offensichtlichh eine gewichtige Option ist. Wer keine Familie hat, ist bereits arm.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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02.01.2017, 14:16
Beitrag: #3
RE: Armut im Mittelalter
bei meinem Text liebe Teresa habe ich mich auf das Buch "Die Armen im Mittelalter" (Michel Mollat, Professor für Geschichte) C.H. Beck bezogen.

Einem Haus eine Bibliothek hinzuzufügen heißt, dem Haus eine Seele zu geben.

Marcus Tullius Cicero
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02.01.2017, 16:04
Beitrag: #4
RE: Armut in Mittelalter
(02.01.2017 13:23)Teresa C. schrieb:  Übrigens habe ich im "Nirwana" eine Anmerkung gefunden, dass Armut im Mittelalter auch bedeutete, keine Familie zu haben. Offensichtlich war diese im Vergleich zu heute ein äußerst wichtiger Faktor.

Auf diesen Aspekt spielt vielleicht auch ein literarisches Werk der nordischen Literatur, die "Thidrek-Saga", in der es auch um die Nibelungensage geht, an. Sigurd (Siegfried) ist sicher keiner der Armen, er ist hier ein Königssohn, aber ohne Familie. Brunhild gegenüber, die zumindest als "Gutbesitzerin" hier besser gestellt ist, als er, begründet er seine Ehe mit Gudrun (Kriemhild) damit: er hätte Gudrun genommen, da sie Brüder hätte, die Brunhild nicht hat. Die Ehe zwischen Brunhild und seinem jetzigen Schwager Gunnar (Gunther) will er hier übrigens auch stiften, um Brunhild zu einem "guten" Mann zu verhelfen. Er will also Brunhild ebenfalls zu einer Familie verhelfen, und sie so wohl auch dafür entschädigen, dass er nicht sie, sondern eine andere genommen hat.

Sind die "Brüder" von Gudrun also nur eine faule Ausrede, wie es in der Sekundärliteratur oft behauptet wird, oder ist das aus dem historischen Kontext doch eine sinnvolle und nachvollziehbare Begründung? Gudrun (Kriemhild) bietet Sigurd (Siegfried) hier die Zugehörigkeit zu einer Familie, was im Mittelalter offensichtlichh eine gewichtige Option ist. Wer keine Familie hat, ist bereits arm.

Umgedreht lässt sich aus dieser Ansicht auch der Nepotismus vieler Kirchendiener erklären. Die Familie hatte einen so hohen Stellenwert, dass man mit allen Mitteln, auch zu Lasten der Kirche, Angehörige der Familie förderte.

Bei Handwerkern und Kaufleuten, aber auch bei Wirten, Müllern oder nicht leibeigenen Bauern war es nicht unüblich, dass nach dem Tod des Meisters ein Geselle die Witwe heiratete und das Geschäft für die minderjährigen Kinder seines Vorgängers fortführte. Für den oft zugewanderten Gesellen bedeutete die Heirat auch eine Zugehörigkeit zu einer Familie.

In der Frühen Neuzeit werden sich solche Bräuche nicht geändert haben. Ein Beispiel, wie wichtig eine Familie für jede einzelne Person war, zeigt z.B. die Familie des Komponisten Johann Sebastian Bach (1685–1750). Er war bereits im Alter von 10 Jahren Vollwaise und wurde gemeinsam mit einem anderen Bruder im Haushalt des ältesten Bruder aufgenommen. Später, Bach war bereits Thomaskantor in Leipzig, lebte Bachs verwaister Neffe im Haushalt des selbst kinderreichen Komponisten.

Bach war zweimal verheiratet. Bei seiner ersten Eheschließung mit seiner Cousine zweiten Grades Maria Barbara musste er sich verpflichten, die ältere Schwester seiner Frau mit in seinem Haushalt aufzunehmen. Offensichtlich befürchteteten die Zieheltern der verwaisten jungen Frauen, die Ältere nicht unter die Haube zu bekommen. Bach behielt seine Schwägerin zeit ihres Lebens in seinem Haushalt, auch nachdem seine erste Frau verstorben war und er eine zweite Ehe einging.

Bachs älteste Tochter Catherina (aus erster Ehe) half dann später ihrer Stiefmutter Anna Maria im Haushalt und verzichtete auf eine eigene Familie. Nach dem Tod Bachs blieben die Frauen zusammen. Anna Maria bekam bis zu ihrem Tod im Jahr 1760 von der Stadt ein Almosengeld, dies ist eine Art Witwenrente. Inwieweit Catherina nach dem Tod ihrer Stiefmutter von der Stadt oder ihren Brüdern versorgt wurde, entzieht sich meinen momentanen Kenntnisstand.

Bei meinen Recherchen habe ich festgestellt, dass es im heutigen Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt bürgerliche Familienverbände gab, die häufig als Gelehrte/Pastoren, Komponisten/Musiker, Baumeister oder Händler arbeiteten und sich gegenseitig unterstützten. Eine Familie bedeutete soziale Absicherung und wer keine hatte, war arm dran.

Aurora von Königsmarck (1662–1728) muss nach dem mysteriösen Tod ihres Bruders Philipp befürchtet haben, ebenfalls ohne Familie dazustehen. Zumindest war ihre gesellschaftliche Situation im Jahre 1694 als 32-jährige Unverheiratete prekär. Solange der Tod ihres Bruders nicht bestätigt wurde, waren ihre Schwester und sie nicht erbberechtigt. Die Schwester war zumindest verheiratet, aber Aurora musste zumindest einen gesellschaftlichen Abstieg und auch Mittellosigkeit befürchten. An einer Aufklärung des Schicksals von Philipp von Königsmarck bestand jedoch kein Interesse. Er wurde wegen seiner Beziehung zu Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg (Prinzessin von Ahlden) ermordet und die Welfen in Hannover bemühten sich diese Angelegenheit unterm Teppich zu kehren.

In dieser Situation war für Aurora die Begegnung mit dem sächsischen Kurfürsten August den Starken ein Glücksfall, der halbherzig eine Untersuchung des Falles einforderte. Wichtiger für Aurora: Der gemeinsame, von August anerkannte Sohn Moritz garantierte schon allein eine Altersabsicherung. Aurora wurde Dank des Kurfürsten schließlich Äbtissin von Quedlinburg und sie adoptierte die Türkin Fatima, die etwa um 1704 bis 1706 als Frau von Spiegel Mätresse des Kurfürsten war und ihm zwei Kinder gebar, darunter den Fürsten Rutkowski, der wie sein Halbbruder Moritz ein erfolgreicher Feldherr wurde.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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