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Ab wann gibt es "Deutschland"?
19.10.2016, 20:21
Beitrag: #21
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(19.10.2016 16:38)Dietrich schrieb:  
(19.10.2016 16:20)Suebe schrieb:  Die Germanen haben einander sehr wohl alle verstanden.

Da habe ich meine Zweifel.

Deutsch, Schwedisch und Englisch sind germanische Sprachen. Dennoch können sich die Sprecher nicht untereinander verständigen.

Ich vermute, dass ein Alemanne um 1000 einen Friesen oder Sachsen wenn überhaupt nur mit Mühe verstehen konnte. Noch heute können sich plattdütsch Sprechende mit Leuten, die oberbayerischen Dialekt sprechen, nicht verständigen.

Lediglich in der höfischen Literatur gab es ab den Staufern so etwas wie eine mittelhochdeutsche Standardsprache. Aber schon ganz Norddeutschland sprach Niederdeutsch und das war im Süden völlig unverständlich.

Da haben sich schon Sachkundige darüber ausgelassen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Germanisch..._Deutschen

aus dem LInk
Zitat:Die folgenden Tabellen stellen einige Wortgleichungen aus den Bereichen Verwandtschaftsbezeichnungen, Körperteile, Tiernamen, Umweltbegriffe, Pronomina, Verben und Zahlwörter für wichtige alt- und neugermanische Sprachen zusammen. Man erkennt den hohen Grad der Verwandtschaft der germanischen Sprachen insgesamt, die besondere Ähnlichkeit der westgermanischen und nordgermanischen Sprachen untereinander, die stärkere Abweichung des Gotischen von beiden Gruppen und letztlich die Beziehung des Germanischen zum Indogermanischen (letzte Spalte, hier sind die Abweichungen natürlich größer). Hier können auch die Gesetze der germanischen (ersten) und hochdeutschen (zweiten) Lautverschiebung überprüft werden (ausführliche Behandlung im nächsten Abschnitt). Da die germanischen und indogermanischen Formen nur rekonstruiert sind, sind sie mit einem * versehen.

dann noch hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Germanisch..._Deutschen

aus dem link
Zitat:In der Periode des Althochdeutschen erschien auch zum ersten Mal das Wort deutsch in seiner heutigen Bedeutung. Das Wort ist germanischer Herkunft; diot bedeutete im Althochdeutschen Volk und diutisc – volksmäßig, zum eigenen Volk gehörig. Das Wort wurde auch sehr früh in lateinische Quellen in der Form theodiscus übernommen und diente zur Unterscheidung romanischer und germanischer Einwohner des Frankenreiches. Ein interessantes Beispiel seiner Nutzung finden wir im Bericht von einer Reichsversammlung von 788, wo der Bayernherzog Tassilo zum Tode verurteilt wurde. Der Schreiber der Kanzlei erklärte, dies geschah wegen eines Verbrechens, quod theodisca lingua harisliz dicitur (das in der Volkssprache harisliz [Fahnenflucht] genannt wird). Zuerst wurde das Wort nur in Bezug auf die Sprache benutzt; bei Notker von Sankt Gallen finden wir zum Beispiel um 1000 in diutiscun – auf Deutsch. Erst fast ein Jahrhundert später, im Annolied, das um 1090 im Kloster Siegburg entstand, lesen wir von diutischi liuti, diutschi man oder diutischemi lande.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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20.10.2016, 10:57
Beitrag: #22
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(19.10.2016 15:55)Dietrich schrieb:  Schon Luther und Ulrich von Hutten sprechen vom "deutschen Volk", sodass eine solche Identität nicht erst dann, sondern früher entstanden sein muss. Es ist davon auszugehen, dass sich dieses Bewusstsein seit den ottonisch-salischen Kaisern allmählich und nicht überall gleichzeitig entwickelt hat. Ab dem 12. Jh. existiert der Begriff "regnum Teuronicorum", so z.B. vom Papst zur Zeit des Investiturstreits gebraucht, um den Kaiser auf sein deutsches Königreich zu reduzieren. 1080 spricht er in diesem Zusammenhang vom "regnum Teutonicorum".

Man sollte die Bevölkerung Deutschlands nicht für so einfältig halten, dass sie nicht wusste, dass es neben den Reichsteilen Burgund und Italien auch ein deutsches Königreich gab. Da allerdings die Herrscher im diplomatischen Verkehr stets vom Sacrum Imperium Romanum sprachen, war die Bezeichnung "diütsche lante" blasser ausgeprägt. Ein Baier konnte kein Franke sein, wohl aber ein Deutscher.

Dazu sagt das Lexikon des Mittelalters:

"Ein deutsches Bewusstsein setzt kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jahrhundert ein." (Lexikon des Mittelalters, Bd. III, Sp. 785)
[/quote]

Nun hatten aber bereits die deutschen Könige - auch wenn sie es nicht zum Kaiser geschafft hatten - Anspruch auf Oberitalien erhoben. Und mich würde ja schon interessieren, was das Mittelalter-Lexikon unter "deutschem Bewusstsein" versteht. Hutten und Luther meinten, da bin ich überzeugt, mit "deutschem Volk" die Sprache und zwar analog zu "welschem Volk", mit welchem wahlweise französisch- oder italiensprachiges "Volk" gemeint war.
In der mittelalterlichen Eidgenossenschaft beispielsweise (und die gehörte ja auch zum "deutschen" Volk) wurde auch der König meist nicht "deutscher König" sondern "römisch Chüng" genannt - also "römischer König".

PS: Was ich nicht ganz verstehe, in deinen obigen Beiträgen gehst Du ja auch von einer "lokalen Identität" (Landesherr) und höchstens "nebulös" von einer deutschen Identität aus.

Was ich in diesem Zusammenhang noch hinzufügen möchte: Für das Mittelalter ähnelten sich m.M diese "Flickenteppich-Verhältnisse" und sind keine spezifischen Merkmale des HRR. Auch in Frankreich beispielsweise war es nich anders (Herzogutm Aquitanien, Grafschaft Anjou, Königreich Navarra, Herzogtum Bretagne, Grafschaft Foix, Grafschaft Albret). Sowenig sich ein Bayer als Deutscher und dadurch einem Friesen verwandt fühlte, fühlte sich ein Gascogner als Franzose und leitete daraus einen gemeinsame Identität mit einem Bretonen ab. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass diese mittelalterlichen Verhältnisse in Deutschland (und auch in Italien - Garibaldi ist ein etwas älterer Zeitgenosse von Bismarck) am längsten überlebt hatten.
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20.10.2016, 11:20
Beitrag: #23
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(19.10.2016 16:20)Suebe schrieb:  Du gehst hier davon aus, dass sich die Sprachen "aufeinanderzu" entwickeln. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Nur mal als Beispiel, so lange ist es noch gar nicht her, dass auch in Augsburg, Ulm oder Cannstatt vom "Huus" gesprochen wurde, oder vom "Chend" wie jenseits von Schwarzwald und Bodensee noch heute. (wo man die Lautverschiebung bis dato verschlafen hat Devil)

Die Germanen haben einander sehr wohl alle verstanden. 'Und von der Sprachtheorie her, siehe "Indoeuropäisch" kann es auch gar nicht anders sein.

Ich bin diesbezüglich der Meinung von Dietrich und überzeugt davon, dass ein Alemanne einen Friesen sowenig verstanden hat einen "Welschen". Die ersten Anfänge zur Entstehung einer "deutschen" Sprache, die auch von allen verstanden wurde, geht meines Wissens auf die Bibelübersetzung Luthers zurück, der für diese "neue Sprache" vornehmlich Ausdrücke und Wendungen aus Tühringen, Sachsen, Anhalt und Bayern verwendet hat (also in etwa aus derGrossregion, in welcher er Exil resp. Schutz gefunden hatte). Wenn sich die "Deutschen" sprachlich verstanden hätten, wäre die Schaffung einer solchen Sprache bestimmt nicht nötig gewesen. Mann nennt so etwas "Ausgleichsprache" und ist kein spezifisches Merkmal des "Deutschen". Dieselben Verhältnisse findest Du im Mittelalter in den meisten Sprachen, auch ein Lombarde hat einen Sizilianer nicht verstanden. Die "italienische Sprache" beispielsweise entstand ebenfalls als Ausgleichsprache - hier war es keine Bibelübersetzung sondern Dantes "Inferno", wobei Dantes florentinisch zu "italienisch" wurde.

https://de.wikipedia.org/wiki/Ausgleichssprache
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20.10.2016, 12:25
Beitrag: #24
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
Mal Butter bei die Fische.

Die Althochdeutschen Dialekte haben sich erstaunlich wenig unterschieden, wenn überhaupt sind Unterschiede lediglich in Nord-Süd Richtung festzustellen.

Das Wort "deutsxch" (lassen wir mal die alten Schreibweisen einfach weg) hat sich nur sehr langsam durchgesetzt. Von einer "allgemeinverbindlichkeit" kann frühestens ca. 1100 gesprochen werden.
Bis dahin haben die Bewohner des Ostfränkischen Reiches ihre Sprache als "fränkisch" bezeichnet (auch hier lassen wir die altertümlichen Schjreibweisen einfach weg) dies änderte sich erst, als die Bezeichnung "französich" für die romanische Sprache in Westfranken sich durchgesetzt hatte.

maW es ist per se müßig nach einem "deutschen Bewusstsein" zu fragen, zu einer Zeit in der "deutsch" als Wort noch gar keine Rolle spielt, "Fränkisch" das aussagt nach was gefragt wird.

Mine Quelle: dtv.Atals Deutsche Sprache Ausgabe 2004

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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20.10.2016, 12:49
Beitrag: #25
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(20.10.2016 12:25)Suebe schrieb:  Mal Butter bei die Fische.

Die Althochdeutschen Dialekte haben sich erstaunlich wenig unterschieden, wenn überhaupt sind Unterschiede lediglich in Nord-Süd Richtung festzustellen.

Das Wort "deutsxch" (lassen wir mal die alten Schreibweisen einfach weg) hat sich nur sehr langsam durchgesetzt. Von einer "allgemeinverbindlichkeit" kann frühestens ca. 1100 gesprochen werden.
Bis dahin haben die Bewohner des Ostfränkischen Reiches ihre Sprache als "fränkisch" bezeichnet (auch hier lassen wir die altertümlichen Schjreibweisen einfach weg) dies änderte sich erst, als die Bezeichnung "französich" für die romanische Sprache in Westfranken sich durchgesetzt hatte.

maW es ist per se müßig nach einem "deutschen Bewusstsein" zu fragen, zu einer Zeit in der "deutsch" als Wort noch gar keine Rolle spielt, "Fränkisch" das aussagt nach was gefragt wird.

Mine Quelle: dtv.Atals Deutsche Sprache Ausgabe 2004
Hinsichtlich "deutschem Bewusstsein" bin ich mit Dir einverstanden (mittelalterliche Verhältnisse). Was aber "fränkisch" angeht nicht. "Fränkisch" war die Sprache der Franken, die Ottonen aber beispielsweise, die Könige des "ostfränkischen" Reiches, sprachen "sächsisch" - d.h. ich bin der Ansicht, dass sich Karl der Grosse und Widukind nicht so ohne weiteres verstanden (sprachlich) hatten.
Ich komme natürlich schlecht an gegen den "Atlas Deutsche Sprache" und Wikipedia ist tatsächlich keine Quelle, die in jedem Fall über jeden Zweifel erhaben ist. Ich zitiere dennoch darausSmile (Fettdruck durch mich)

Das Althochdeutsche ist keine einheitliche Sprache, wie der Begriff nahelegt, sondern die Bezeichnung für eine Gruppe westgermanischer Sprachen, die südlich der sogenannten „Benrather Linie“ (die heute von Düsseldorf-Benrath ungefähr in west-östlicher Richtung verläuft) gesprochen wurden. Diese Dialekte unterscheiden sich von den anderen westgermanischen Sprachen durch die Durchführung der Zweiten (oder Hochdeutschen) Lautverschiebung. Die Dialekte nördlich der „Benrather Linie“, das heißt im Bereich der norddeutschen Tiefebene und im Gebiet der heutigen Niederlande, haben die Zweite Lautverschiebung nicht durchgeführt. Diese Dialekte werden zur Unterscheidung vom Althochdeutschen unter der Bezeichnung Altsächsisch (auch: Altniederdeutsch) zusammengefasst. Aus dem Altsächsischen hat sich das Mittel- und Neuniederdeutsche entwickelt. Jedoch hat auch das Altniederfränkische, aus dem später das heutige Niederländisch entstanden ist, die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht, wodurch dieser Teil des Fränkischen nicht zum Althochdeutschen zu zählen ist.

Da das Althochdeutsche eine Gruppe naheverwandter Mundarten war und es im frühen Mittelalter keine einheitliche Schriftsprache gab, lassen sich die überlieferten Textzeugnisse den einzelnen althochdeutschen Sprachen zuweisen, so dass man oft treffender von (Alt-)Südrheinfränkisch, Altbairisch, Altalemannisch etc. spricht. Diese westgermanischen Varietäten mit der Zweiten Lautverschiebung weisen allerdings eine unterschiedliche Nähe zueinander auf, in der die späteren Unterschiede zwischen Ober-, Mittel- und Niederdeutsch begründet sind.
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20.10.2016, 18:11
Beitrag: #26
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
Sorry wegen meiner Rechtschreibung heute morgen.
Ein Schamane hat mir Zeugs in die Augen getropft, dass ich wenig bis nix sehen konnte.

Das ist meine Quelle
https://www.dtv.de/buch/werner-koenig-dt...ache-3025/

ich habe es darin nochmals nachgelesen.
Die Dialekt-Unterschiede der althochdeutschen Sprache werden als sehr gering beschrieben. Was daran liegen würde, dass die "Volksstämme" sich aus unterschiedlichsten Gruppierungen zusammengesetzt hätten, und wie geschrieben Unterschiede nur nord-süd zu verorten wären, wie du ja auch schreibst.
Interessant ist auch, dass "deutsch" zwischen der ersten Nennung, 853 und der Mitte des 11. Jahrhundert fast nur (Ausnahmen zB Notker) als Fremdbezeichnung in Latein auftritt. Da gibt es anscheinend ein "Heldenlied" auf althochdeutsch aus der Mitte des 10. Jahrhundert, wo selbstverständlich von "fränkisch" die Rede ist, während die angefügte Latein-Übersetzung von "deutsch" schreibt.
Erst im 11. Jahrhundert ist dann von "deutscher Sprache von deutschen Leuten in deutschen Landen" die Rede.

maW vorher gab es natürlich kein "Deutschland" weil man sich als Franke im Fränkischen Reich verortete.

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21.10.2016, 10:53
Beitrag: #27
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
NS:
Das Annalied ist das oben erwähnde "Heldenlied" zweisprachig.

TT:
Zu Zeiten von Cäsar, Plinius usw. geht man übrigens noch von der Existenz einer "Gesamt-Germanischen" Sprache aus.

Die Auffächerung des Indoeuropäischen (meinetwegen auch Indogermanischen) wird zeitlich etwa 3.000 vor Chr. verortet.

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21.10.2016, 14:03
Beitrag: #28
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Hinsichtlich "deutschem Bewusstsein" bin ich mit Dir einverstanden (mittelalterliche Verhältnisse). Was aber "fränkisch" angeht nicht. "Fränkisch" war die Sprache der Franken, die Ottonen aber beispielsweise, die Könige des "ostfränkischen" Reiches, sprachen "sächsisch" - d.h. ich bin der Ansicht, dass sich Karl der Grosse und Widukind nicht so ohne weiteres verstanden (sprachlich) hatten.

Natürlich sprachen die Sachsen im Mittelalter "sächsisch", und bezeichneten das auch so. Kein Sachse wäre auf die Idee gekommen, er spräche "fränkisch". Das gilt ebenso für die Baiern oder Alemannen (Schwaben). Gerade die sächsische Ottonendynastie war stolz auf ihr Sachsentum, auch wenn sie den neuen Staat als "Ostfränkisches Reich" bezeichnete. Dass dort nicht überall "Franken" wohnten, dürfte den damaligen Zeitgenossen klar gewesen sein.

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Nun hatten aber bereits die deutschen Könige - auch wenn sie es nicht zum Kaiser geschafft hatten - Anspruch auf Oberitalien erhoben.

Italien war Teil des HRR und wurde somit von seinen Herrschern als "Reichsitalien" bezeichnet.

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Und mich würde ja schon interessieren, was das Mittelalter-Lexikon unter "deutschem Bewusstsein" versteht.

Dazu sagt das Lexikon des Mittelalters:

"Ein deutsches Bewusstsein setzt kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jahrhundert ein." (Lexikon des Mittelalters, Bd. III, Sp. 785)

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Hutten und Luther meinten, da bin ich überzeugt, mit "deutschem Volk" die Sprache und zwar analog zu "welschem Volk", mit welchem wahlweise französisch- oder italiensprachiges "Volk" gemeint war.

Wenn Luther oder Hutten vom "deutschen Volk" sprachen, so meinten sie Menschen mit deutscher Sprache im Gegensatz zu Italienern oder Franzosen, zeitgenössisch gern als "Welsche" bezeichnet.

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  PS: Was ich nicht ganz verstehe, in deinen obigen Beiträgen gehst Du ja auch von einer "lokalen Identität" (Landesherr) und höchstens "nebulös" von einer deutschen Identität aus.

Es gab gespaltene Identitäten. An erster Stelle stand der Landesherr, der über Wohl und Wehe seiner Untertanen bestimmte, die Hohe Gerichtsbarkeit besaß und zahlreiche andere Rechte, die seine Landeshoheit ausmachten. Daneben gab es aber auch ein zunächst sehr schattenhaftes Bewusstsein, dem deutschen Volk anzugehören. Gegenüber Franzosen, Italienern, Dänen oder Tschechen war das "deutsche Volk" eine eigene Einheit, die sich von diesen Völkern absetzte. Daran kann kein Zweifel bestehen, denn die Unterschiede waren auch für den "gemeinen Mann" offensichtlich.

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Was ich in diesem Zusammenhang noch hinzufügen möchte: Für das Mittelalter ähnelten sich m.M diese "Flickenteppich-Verhältnisse" und sind keine spezifischen Merkmale des HRR. Auch in Frankreich beispielsweise war es nich anders (Herzogutm Aquitanien, Grafschaft Anjou, Königreich Navarra, Herzogtum Bretagne, Grafschaft Foix, Grafschaft Albret).


Da gibt es zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich einen gewaltigen Unterschied.

Im HRR waren die Reichsfürsten Landesherren mit Landeshoheit. Die Landeshoheit gab dem Landesherrn die Gewalt über alle Einwohner, die auf seinem Territorium ansässig waren, über die Untertanen und Landstände. Diese Herrschaftsgewalt war grundsätzlich allumfassend und wurde nur beschränkt durch die Reichsgrundgesetze. Die Begriffe Landesherrschaft und Landeshoheit sollen also das Phänomen beschreiben, dass im römisch-deutschen Reich die Staatsgewalt zu einem guten Teil nicht vom König ausgeübt wurde, sondern von adeligen und geistlichen Reichsfürsten

Eine solche Macht übte der hohe Adel in Frankreich nie aus, ganz abgesehen davon, dass sich die französische Königsdynastie am Ende des Mittelalters aller französischen Territorien bemächtigt hatte. Sie waren nur noch Sekundogenituren, bzw. im Besitz von Nebenlinien des Königshauses.
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21.10.2016, 14:27
Beitrag: #29
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
Zitat:Natürlich sprachen die Sachsen im Mittelalter "sächsisch", und bezeichneten das auch so. Kein Sachse wäre auf die Idee gekommen, er spräche "fränkisch". Das gilt ebenso für die Baiern oder Alemannen (Schwaben). Gerade die sächsische Ottonendynastie war stolz auf ihr Sachsentum, auch wenn sie den neuen Staat als "Ostfränkisches Reich" bezeichnete. Dass dort nicht überall "Franken" wohnten, dürfte den damaligen Zeitgenossen klar gewesen sein.

Das hast du nun schon öfter geschrieben.
Wie wäre es mal mit einem Nachweis?
Denn wie gesagt, der dtv-Atlas Deutsche Sprache schreibt, zumindest zu den Baiern und Alemannen das genaue Gegenteil. Sachsen müsste ich nochmals nachlesen.

Im Norden sind wohl sprachliche Spuren einer indogermanischen Vorbevölkerung zu finden die weder keltisch noch germanisch war, und wohl auch einen Niederschlag gefunden hat.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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21.10.2016, 14:40
Beitrag: #30
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(21.10.2016 14:27)Suebe schrieb:  [quote]Natürlich sprachen die Sachsen im Mittelalter "sächsisch".
Das hast du nun schon öfter geschrieben.
Wie wäre es mal mit einem Nachweis?


Altsächsisch und Altniederdeutsch. https://de.wikipedia.org/wiki/Alts%C3%A4...he_Sprache

(21.10.2016 14:27)Suebe schrieb:  Norden sind wohl sprachliche Spuren einer indogermanischen Vorbevölkerung zu finden die weder keltisch noch germanisch war, und wohl auch einen Niederschlag gefunden hat.

Das ist korrekt.
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21.10.2016, 14:49
Beitrag: #31
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
Ich denke du hast es schon verstanden, es ging mir vorrangig um die Baiern und Alemannen.
Hier hätte ich gerne den Nachweis.

Mein Hinweis war auf eine vermutete weitere indogermanische Sprache im Norden (Niedersachsen und co.) gemeint, die weder keltisch noch germanisch war, aber sehr wohl Indogermanisch!

Aber vorrangig täte mich ein Nachweis interessieren, dass die Baiern und Alemannen zdZ der Meinung waren, die würden nicht! fränkisch reden.
Was du hier schon mehrfach eingeworfen hast.

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21.10.2016, 15:04
Beitrag: #32
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(21.10.2016 14:49)Suebe schrieb:  Mein Hinweis war auf eine vermutete weitere indogermanische Sprache im Norden (Niedersachsen und co.) gemeint, die weder keltisch noch germanisch war, aber sehr wohl Indogermanisch!

Der Sprachwissenschaftler Hans Krahe war von der indogermanischen Herkunft der von ihm entdeckten Sprachschicht, die er Alteuropäisch nannte, überzeugt. In seiner Alteuropäischen Hydronomie postulierte er eine vorgermanische und vorkeltische jedoch indogermanische Sprachschicht. https://de.wikipedia.org/wiki/Alteurop%C...Hydronymie

(21.10.2016 14:49)Suebe schrieb:  Aber vorrangig täte mich ein Nachweis interessieren, dass die Baiern und Alemannen zdZ der Meinung waren, die würden nicht! fränkisch reden.
Was du hier schon mehrfach eingeworfen hast.

Mir ist nicht klar, was du meinst. Die Baiern sprachen bis etwa 1100 https://de.wikipedia.org/wiki/Altbairisch, die Franken und Alemannen ndere westgermanische Sprachen, d.h. Altalemannisch https://als.wikipedia.org/wiki/Altalemannisch und Altfränkisch https://de.wikipedia.org/wiki/Altfr%C3%A...he_Sprache

Alle diese Idiome zählen zum Zeithorizont des Althochdeutschen. Das Althochdeutsche ist aber keine einheitliche Sprache, wie der Begriff nahelegt, sondern die Bezeichnung für eine Gruppe westgermanischer Sprachen.
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21.10.2016, 16:05
Beitrag: #33
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
Dietrich versteht mich nicht. (heul)

Zitat:ir ist nicht klar, was du meinst. Die Baiern sprachen bis etwa 1100 https://de.wikipedia.org/wiki/Altbairisch, die Franken und Alemannen Vorgängeridiome ihrer Dialekte, d.h. Altalemannisch https://als.wikipedia.org/wiki/Altalemannisch und Altfränkisch https://de.wikipedia.org/wiki/Altfr%C3%A...he_Sprache

Alle diese Idiome zählen zum Zeithorizont des Altdeutschen. Das Althochdeutsche ist aber keine einheitliche Sprache, wie der Begriff nahelegt, sondern die Bezeichnung für eine Gruppe westgermanischer Sprachen.

noch mal, zum Mitschreiben.
Die Bevölkerung des Ostfränkischen Reiches sprach eine gemeinsame Sprache, die im Süden nur sehr geringe Dialektunterschiede hatte, zum Norden größere. Dass die Sprache, trotz der dialektunterschiede, sehr ähnlich war, und völlig anders als die der Welschen (Westfranken - Romäer usw.) haben die aber sehr gut gemerkt. Und nannten die gemeinsame Sprache "Fränkisch". Soweit meine mehrfach angeführte Quelle.

Du jedoch vertrittst die Meinung, dass die Allemannen, Frnaken, Baiern usw. usf. keine gemeinsame Sprache sprachen, im Gegenteil Dolmetscher brauchten. (Womit du nicht zuletzt die Sprachentwicklung von den Füssen auf den Kopf stellst.)

Und dafür bist du bis dato den Nachweis schuldig geblieben.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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21.10.2016, 16:14
Beitrag: #34
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(21.10.2016 16:05)Suebe schrieb:  Die Bevölkerung des Ostfränkischen Reiches sprach eine gemeinsame Sprache, ...

Nein, sprach sie nicht.

Wie du den verschiedenen Wiki-Artikeln entnehmen kannst, waren Altbairich, Altsächsisch, Altfränkisch und Altalemannisch verschiedene westgermanische Sprachen. Und die waren durchaus unterschiedlich, wie das bei verschiedenen Sprachen nun mal so ist.

Die früheste Stufe des Deutschen beginnt mit dem Mittelhochdeutschen, das unter den Staufern zur ersten standardisierten Sprache bei Hof wurde. Die Idiome der Bevölkerung unterschieden sich nach wie vor erheblich voneinander. So sprach der ganze Norden Niederdeutsch, was für Alemannen und Baiern völlig unverständlich war.
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21.10.2016, 23:10
Beitrag: #35
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
Ich habe das Vaterunser in Altbairich, Altfränkisch, Altallemanisch und Gotisch gelesen. Sie waren für mich weitgehend verständlich und ähnelten sich. Im Gotischen waren einige Worte wirklich anders, also eine ansere Wortverwendung. Ich halte sie deshalb für Dialekte des frühen Deutschen. Man muß nicht jeden Dialekt gleich zu einer anderen Sprache erklären.

viele Grüße

Paul

aus dem hessischen Tal der Loganaha (Lahn)
in der Nähe von Wetflaria (Wetzlar) und der ehemaligen Dünsbergstadt
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22.10.2016, 13:33
Beitrag: #36
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(21.10.2016 23:10)Paul schrieb:  Ich halte sie deshalb für Dialekte des frühen Deutschen. Man muß nicht jeden Dialekt gleich zu einer anderen Sprache erklären.

Für die Speachwissenschaft werden Altsächsisch, Altbairisch, Altgränkisch usw. als wesrgermanische Sprachen und nicht als Dialekte klassifiziert. So kann man z.B. bei Wiki lesen:

"Das Altbairische ist eine westgermanische Sprache, die zur Zeit der ersten schriftlichen Quellen bereits vollständig die Zweite Lautverschiebung vollzogen hat. ... Zum Altalemannischen bestehen in dieser Zeit ebenfalls noch wenig Unterschiede. Erst im 12. Jahrhundert driften das Alemannische und das Bairische auf Grund unterschiedlicher Lautentwicklungen auseinander (Diphthongierung)...

Innerhalb der westgermanischen Sprachen wird das Altbairische zur Gruppe der Elbgermanen gezählt und hat zusätzlich noch kleinere ostgermanische Einflüsse, ..."

Von einer deutschen Sprache kann man vermutlich erst ab der Zeit des Mittelhochdeutschen, d.h. etwa seit dem 10./11. Jh. sprechen. Aber mir fehlen da exakte sprachwissenschaftliche Kenntnisse und ich kann mich nur auf Wiki verlassen.
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22.10.2016, 19:16
Beitrag: #37
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
Was macht die Frage nach einem als Staatengebilde benannten Deutschland aus? Wozu muß man wissen, ab wann es Deutschland war?
Wieso soll ein Deutschland vor 1871 bestanden haben, waren es doch viele selbstständige Staaten, die sich in ihrer Regionalität identifizierten, nicht aber mit einem "Deutschland".
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22.10.2016, 20:28
Beitrag: #38
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
-Nix gegen Wiki, als schnelle 1. Information unübertroffen.
Jedoch, wenn es ans Eingemachte geht, ist die gedruckte Quelle in jedem Fall vorzuziehen.

Quelle: dtv-Atlas Deutsche Sprache ISBN 978-3-423-03025-0
17. Korrigierte und durchgesehene Auflage 2011

Seite 43 rechte Spalte c. Mitte
Die ältesten germ. Sprachzeugnisse sind uns von römischen Autoren überliefert.
Diese Einzelwörter repräsentieren einen Sprachzustand, den man als Gemeingermanisch bezeichnetBei CAESAR ... bei TACITUS ..... bei PLINIUS D. Ä. .... An ihrem Lautstand erkennt man, dass damals ds Germanische noch als Einheitssprache vorhanden gewesen sein muss, dass eine Auseinanderentwicklung erst später stattgefunden hat.


zum Althochdeutschen
Seite 61 rechte Spalte 2. Abschnitt
Die ahd. Dialekte sind fast nur durch Unterschiede zwischen Nord und Süd, nicht zwischen Ost und West greifbar. Ihre relative Einheitlichkeit ist dadurch bedingt, dass die Besiedelung des Südens durch einwandernde Gruppen aus vielen verschiedenen Gebieten erfolgten. Das führte zu Ausgleichserscheinungen mit der Folge, dass die regionalen Sprachen des ahd. Südens in der Zeit in der sie erstmals aufgeschrieben wurden, keine großen Unterschiede aufweisen.

zum "deutschen" ./. "fränkischen"
Seite 59 rechte Spalte Mitte
Es (theudisc) wird zunächst nur für die Sprache angewandt, und zwar nur in rechtssprachlichem Zusammenhang. Es bezeichnet dabei das Volkssprachlich-Germanische im Gegensatz zu Latein. Das ahd. Normalwort zur Bezeichnung der Volkssprache Mitteleuropas ist frencisg wie z.B. in Otfrieds ahd. Evangeliendichtung von 865.

Wörtlich Zitate
von mir (leise fluchend) abgetippt

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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23.10.2016, 18:09
Beitrag: #39
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(21.10.2016 14:03)Dietrich schrieb:  Da gibt es zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich einen gewaltigen Unterschied.

Im HRR waren die Reichsfürsten Landesherren mit Landeshoheit. Die Landeshoheit gab dem Landesherrn die Gewalt über alle Einwohner, die auf seinem Territorium ansässig waren, über die Untertanen und Landstände. Diese Herrschaftsgewalt war grundsätzlich allumfassend und wurde nur beschränkt durch die Reichsgrundgesetze. Die Begriffe Landesherrschaft und Landeshoheit sollen also das Phänomen beschreiben, dass im römisch-deutschen Reich die Staatsgewalt zu einem guten Teil nicht vom König ausgeübt wurde, sondern von adeligen und geistlichen Reichsfürsten

Eine solche Macht übte der hohe Adel in Frankreich nie aus, ganz abgesehen davon, dass sich die französische Königsdynastie am Ende des Mittelalters aller französischen Territorien bemächtigt hatte. Sie waren nur noch Sekundogenituren, bzw. im Besitz von Nebenlinien des Königshauses.

Wenn wir vom Mittelalter sprechen (sagen wir bis zu etwa 1550) so ist das Bild von "Landesherren mit Gewalt über alle Einwohner" m. W. nach falsch.
Auch die Macht eines mittelalterlichen Landesherrn war nicht einheitlich und meistens äusserst kompliziert. Der grösste Teil eines mittelalterlichen Landesherrn bestand auch innerhalb "seines Territoriums" aus unterschiedlichen Herrschaftsrechten. Ïn der Regel bestand der grösste Teil seiner Herrschaft aus Lehen - und zwar aus Lehen unterschiedlicher Herkunft. Dabei waren Reichslehen, d.h. Lehen, welche vom HRR stammten, aber auch Lehen anderer Adligen. Und die Lehen resp. die damit verbundenen Rechten glichen sich kaum. Beispielsweise konnte der hier angenommene, hypothetische Landesherr die hohe Gerichtsbarkeit über ein Dorf ausüben, während er von einem benachbarten Gutshof lediglich bestimmte Abgaben zu erwarten hatte und vom Nachbardorf wiederum nur einige Regale verliehen (z.B. das Zollregal) bekommen hatte. Dazwischen lagen - "in seinem Territorium" - Klosterherrschaften, von denen er, wenn er Glück hatte, die Kastvogtei inne hatte, oder aber sie entzogen sich ganz seiner Herrschaft. Weiter konnten in seinem Territorium Städte liegen, sogenannte "Reichsstädte" oder "reichsunmittelbare Städte", welche in ihrem Territorium ebenfalls Lehnsgewalt ausübten und direkt dem Reich unterstellt waren. Weiter konnten in seinem Territorium auch Besitzungen von Freiherren liegen, deren Herrschaft sich oft sogar auf sogenannten "Eigen", d.h. Eigenbesitz, stütze, mit welchem sich nicht einmal dem Reich lehnspflichtig waren (desshalb Eigen und Lehen).

Im Verlauf des spätmittelalterlichen Landesausbaus waren die grossen Terrfitorialherren natürlich bestrebt, die fehlenden Rechte zu erwerben (Heirat, Erbfall, Kauf) - etwa, indem ein verarmter Kleinadliger seinen Eigenbesitz an den Territorialherrn verkaufte und ihn als Lehen von diesem zurück erhielt - um eine lückenlose Territorialherrschaft zu Erreichen. Dies gelang aber meist erst nach dem Mittelalter, als der Absolutismus die Lehnsherrschaft ablöste.

Die mittelalterlichen Machtverhältnisse waren aufgrund der Lehnsherrschaft viel komplizierter. Zudem waren Lehen keine umfassenden Herrschaftsrechte. Abgaben, Gerichtsbarkeit, Regalien etc. konnten auch einzeln verliehen werden und sogar weiter verliehen werden - sogenannte Afterlehen, was zu Aftervasallen führte (ja ich weiss, der Begriff kann zweideutig aufgefasst werden Big Grin). Hinzu kam, dass der Lehensinhaber in der Regel Lehen verschiedener Lehensherren inne hatte. Da mit den meisten Lehen auch gewisse Gefolgschaftspflichten verbunden waren, konnte das für den Lehnsträger rasch peinlich werden, wenn er Lehen von zwei miteinander verfeindeten Lehensherrn inne hatte (wem musste er jetzt die Treue halten ?).

Für den Lehnsherrn ("Territorialherr"), welcher die Lehen verlieh, war die Situation auch nicht überschaubarer. Die Lehen waren erblich, d.h. der Lehnsherr konnte den Besitz erst wieder neu verleihen, wenn die Familie des Lehensinhabers in männlicher Linie ausgestorben war. Oft war es zudem möglich, dass der Lehnsinhaber das Lehen verkaufen konnte, so dass der usprüngliche Lehnsinhaber plötzlich zu einem anderen Vasallen kam - der ihm möglicherweise gar nicht genehm war. Wenn jetzt das Lehen noch an einen Feind des Lehnsherrn verkauft oder verpfänder wurde ...

Die Lehnsherrschaft, die sich über einen grossen Teil des mittelalterlichen Europas verbreitet hatte (inkl. einiger slawischer Regionen) war im Wesentlichen eine Erfindung des Frankenreiches. Und gerade deshalb waren sich die Verhältnisse im HRR und in Frankreich am Ähnlichsten. Die Herrschaft eines Herzogs von Bayern war genauso Stückwerk und kompliziert wie die Herrschaft eines Grafen von Champagne. Und der französische König war genauso wenig ein unumschränkter Herrscher über sein Königreich wie es der deutsche König oder Kaiser war. Der ganze Hundertjährige Krieg war letztendlich mehr oder weniger "nur" eine Auseinandersetzung um die Frage, wer als rechtmässiger Lehnsherr über Aquitanien anzusehen sei.

Den Unterschied zwischen HRR und Frankreich, da bin ich mit Dir einig, liegt darin, dass die zahlreichen Nebenlinien des französischen Königshauses im Verlauf des Spätmittelalters die Macht in den verschiedenen Herrschaften übernehmen konnten. Das war aber gewissermassen Zufall. Die französichen Nebenlinien der Capetinger (auch die Valois und Bourbonen sind Nebenlinien der Capetinger) hatten das Glück, dass die französischen Grossadligen nach und nach ausstarben und die Lehen an das Königreich zurückfielen oder, noch häufiger, dass beim Aussterben ein Vertreter einer capetingischen Nebenlinie gerade mit der hinterbliebenen Erbtochter verheiratet war. Das hatten zwar auch die spätmittelalterlichen Habsburger-Kaiser versucht, doch leider starben weder die Welfen, Wittelsbacher, Hessen, Wettiner oder Mecklenburger aus. Dafür die Kastilier/Aragonesen, weshalb die Habsburger nicht über Deutschland als Territorialherren herrschen konnten, dafür über Spanien (etwas vereinfacht und plakativ ausgedrückt).
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23.10.2016, 19:09
Beitrag: #40
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(21.10.2016 16:14)Dietrich schrieb:  
(21.10.2016 16:05)Suebe schrieb:  Die Bevölkerung des Ostfränkischen Reiches sprach eine gemeinsame Sprache, ...

Nein, sprach sie nicht.

Wie du den verschiedenen Wiki-Artikeln entnehmen kannst, waren Altbairich, Altsächsisch, Altfränkisch und Altalemannisch verschiedene westgermanische Sprachen. Und die waren durchaus unterschiedlich, wie das bei verschiedenen Sprachen nun mal so ist.

Die früheste Stufe des Deutschen beginnt mit dem Mittelhochdeutschen, das unter den Staufern zur ersten standardisierten Sprache bei Hof wurde. Die Idiome der Bevölkerung unterschieden sich nach wie vor erheblich voneinander. So sprach der ganze Norden Niederdeutsch, was für Alemannen und Baiern völlig unverständlich war.

(22.10.2016 20:28)Suebe schrieb:  -Nix gegen Wiki, als schnelle 1. Information unübertroffen.
Jedoch, wenn es ans Eingemachte geht, ist die gedruckte Quelle in jedem Fall vorzuziehen.

Quelle: dtv-Atlas Deutsche Sprache ISBN 978-3-423-03025-0
17. Korrigierte und durchgesehene Auflage 2011

Seite 43 rechte Spalte c. Mitte
Die ältesten germ. Sprachzeugnisse sind uns von römischen Autoren überliefert.
Diese Einzelwörter repräsentieren einen Sprachzustand, den man als Gemeingermanisch bezeichnetBei CAESAR ... bei TACITUS ..... bei PLINIUS D. Ä. .... An ihrem Lautstand erkennt man, dass damals ds Germanische noch als Einheitssprache vorhanden gewesen sein muss, dass eine Auseinanderentwicklung erst später stattgefunden hat.


zum Althochdeutschen
Seite 61 rechte Spalte 2. Abschnitt
Die ahd. Dialekte sind fast nur durch Unterschiede zwischen Nord und Süd, nicht zwischen Ost und West greifbar. Ihre relative Einheitlichkeit ist dadurch bedingt, dass die Besiedelung des Südens durch einwandernde Gruppen aus vielen verschiedenen Gebieten erfolgten. Das führte zu Ausgleichserscheinungen mit der Folge, dass die regionalen Sprachen des ahd. Südens in der Zeit in der sie erstmals aufgeschrieben wurden, keine großen Unterschiede aufweisen.

zum "deutschen" ./. "fränkischen"
Seite 59 rechte Spalte Mitte
Es (theudisc) wird zunächst nur für die Sprache angewandt, und zwar nur in rechtssprachlichem Zusammenhang. Es bezeichnet dabei das Volkssprachlich-Germanische im Gegensatz zu Latein. Das ahd. Normalwort zur Bezeichnung der Volkssprache Mitteleuropas ist frencisg wie z.B. in Otfrieds ahd. Evangeliendichtung von 865.

Wörtlich Zitate
von mir (leise fluchend) abgetippt

Mir scheint, wir stossen hier auf Interpretationen, die auch unter Historikern nicht geklärt sind. Mir selbst ist wie Dietrich (und Wikipedia) eigentlich geläufig, dass altfränkisch, altsächsisch, altbayrisch etc. als Sprachen zu definieren seien und althochdeutsch demgemäss den Versuch Karls des Grossen und seiner Nachfolger darstellt, zwecks Verschriftlichung eine einheitliche Volkssprache zu schaffen.

Es gibt aber trotzdem recht starke Hinweise darauf (nicht nur Suebes dtv-Atlas), dass sich die Sprecher der verschiedenen Sprachen (oder eben doch Dialekte ?) trotz der unterschiedlichen Idiome verstanden haben:

1) In den sogenannten Strassburger Eiden 842, in welchen sich die beiden Enkel Kars des Grossen, Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle im Streit um das Reichserbe zu einigen versuchten und in denen erstmals der Begriff "deutsch" (resp. die Vorläuferbezeichnung) auftaucht, verstand es das gesamte ostfränkische Heer - bestehend aus Franken, Sachsen, Bajuwaren, Thüringern, Allemannen, Friesen - als Karl der Kahle in der "lingua theodisca" schwörte. Und dies offenbar trotz der bereits bestehenden Lautverschiebung. Zum Mindesten utnerstellt dies die zeitgenössische Quelle.

2) Etwas über 100 Jahre vor den Strassburger Eiden missionierte der Angelsachse Bonifatius Sachsen, Thüringer und Friesen. Gemäss den Quellen soll er dabei keine Verständigungsschwierigkeiten gehabt haben, ganz im Gegensatz zu seinen Vorgängern, den "keltisch" sprechenden iro-schottischen Mönchsmissionare.

Es sind dies immerhin zwei Punkte - wenn die zeitgenössischen Quellen nicht lügen - die dafür sprechen, dass sich die einzelnen "germanisch" sprechenden Einwohner des heutigen Deutschlands durchaus verstanden haben. Für Gotisch dürfte das allerdings nicht gelten, den dieses scheint sich bereits vor der Lautverschiebung zu stark entfernt zu haben.

Für ein Zusammengehörigkeits-Gefühl aufgrund dieser entfernten Sprachgemeinschaft sprechen hingegen m. M., wie weiter oben beschrieben, die mittelalterlichen Verhältnisse. Und dieses fehlende Zusammengehörigkeits-Gefühl umfasste nicht nur die "Deutschsprachigen". Es gilt ebenso für alfranzösisch, italienisch und die slawischen Sprachen.

Es ist ein das ganze Mittelalter hindurch hindurch bestimmendes Merkmal, dass die Volkssprachen nicht mit sozialen Gruppen und Verbänden zu identifizieren waren. Weil eine Sprache mehrere Völker umfasste wehrte sich bereits Isidor von Sevilla (560 - 636) gegen die Gleichung, dass Sprache gleich Volk sei. Und weil sogar in einer Stadt mehrere Sprachen existierten, wies Dante (1265 - 1321) ebenso die Gleichung, dass eine Sprache einer Stadt entspreche, zurück. Menschen gleicher Sprache lebten nicht täglich zusammen weshalb Sprachunterschiede nur selten zu sozialen Konflikten führten und die Herren zwangen ihren Knechten auch nicht ihre Sprache auf. Die Normannen beispielsweise regierten Süditalien auf italienisch und England auf französisch. Nur eine Gleichung galt unbestritten: Alle Kleriker sprachen und schrieben Latein, und wer über örtliche Mundart und augenblickliche Situation hinaus gehört werden wollte, tat es ihnen nach.

Das Volk nicht gleich Sprache resp. Sprachgemeinschaft ist resp. im Mittelalter war, zeigen die oben erwähnten Einschätzungen von Isidor und Dante (u.a. nachzulesen bei Arno Borst "Lebensformen im Mittelalter"). Dass heisst, zum Mindesten das Mittelalter definierte Volk nicht über Sprachgemeinschaft (trotz Luther und Hutten - und die sprechen von "deutschen Landen", nicht vom "deutschen Volk").

Heute ist das Anders, und wenn man die deutsche Identität bereits im Frühmittelalter verorten möchte, so ist sind dies lediglich moderne Ansichten und Standpunkte. Die mittelalterlichen Menschen definierten "Volk" offensichtlich nicht nach Sprache, also fühlten sich die deutsprachigen Bewohner des HRR auch nicht als "Deutsche". Wenn ihre modernen Nachkommen das anders sehen (gilt wie gesagt auch für Franzosen, Italiener, Polen, Spanier, Serben etc). ist das deren Angelegenheit und hat mit Nationalismus zu tun, und den kannte das Mittelalter nicht.

PS:
Was Tacitus und die "germanisch" Sprechenden angeht (Antike und Spätantike kenne ich wenig) resp. ob sich deren Sprecher verstanden haben oder nicht, kann m. M. in diesem Zusammenhang nicht so relevant sein. Der zeitliche Abstand zum Karolingereich ist meiner Einschätzung nach einfach zu gross, um von Tacitus auf die germanischen Stammesverbände zur Zeit des fränkischen Reichs schliessen zu können. Ich bin in einem anderen Zusammenhang mal selbst auf die Nase gefallen, als ich versucht habe, Gründe für bestimmte frühmittelalterlichen Verhältnisse von Aussagen von Tacitus herzuleiten.
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