Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 0 Bewertungen - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Der 30 jährige Krieg
17.10.2016, 21:21
Beitrag: #7
RE: Der 30 jährige Krieg
Der (Zweite) Prager Fenstersturz am 23. Mai 1618

Der Führer der böhmischen Radikalen Heinrich Matthias Thurn von Valassina organisierte 1617/18 eine Konföderation der protestantischen Landstände aller habsburgischen Gebiete. Aus diesem Grund nahm er Verbindungen zu dem Leiter der kurpfälzischen Politik, Christian I. von Anhalt, auf. Das heißt, die Landstände der habsburgischen Länder verbanden sich mit den Reichsständen gegen die Habsburger als Landesherren und als Reichsoberhaupt.

Obwohl die Habsburger seit 1438 die Kaiser stellten, war das HRR immer noch eine Wahlmonarchie. Der Kaiser wurde Anfang des 17. Jahrhundert immer noch von den sieben Kurfürsten gewählt, die in der Goldenen Bulle von 1356 auserkoren wurde. Das waren die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier, der katholische König von Böhmen und die protestantischen Kurfürsten von Brandenburg, Sachsen und von der Pfalz. D.h. 1618 gab es 4 katholische und 3 protestantische Kurfürsten, der Kandidat der katholischen Seite (also Ferdinand von Tirol) wäre bei dieser Konstellation mit 4:3 Stimmen gewählt worden.

In Böhmen bestand zwar eine Erbmonarchie, der König musste jedoch von den böhmischen und mährischen Landständen bestätigt werden. Der größtenteils utraquistische (gemäßigt hussitische) böhmische Adel konnte sich seit 1471 (also nach dem Königtum von Georg Podiebrad) mit den Königen aus der Jagiellonen- bzw. seit 1526 Habsburgerdynastie arrangieren. Das traf auch für andere protestantische Adlige (z.B. Lutheraner) zu. Ein Grund dafür war auch, dass die Kaiser bzw. böhmische Könige Ferdinand I., Maximilian II. und Rudolf II. keine religiösen Hardliner waren. Ab 1611/12 zeichnete sich jedoch ab, dass dies sich ändern würde. Kaiser Mathias und sein Kanzler Khlesl leiteten schon Maßnahmen für eine Rekatholisierung ein, beide waren aber zögerlich bzw. ließen noch Fingerspitzengefühl walten. Das Wirken beider wird unterschiedlich bewertet.

Fest steht, dass mit der Ernennung von Ferdinand von Tirol als Nachfolger für Kaiser Matthias feststand, dass eine Rekatholisierung Böhmens bevorstand. Ferdinand war von Jesuiten erzogen und seine politischen Berater stammten größtenteils aus dem Orden. In Tirol hatte er bereits eine blutige Rekatholisierung umgesetzt, die böhmischen Stände mussten mit dem Schlimmsten rechnen. Außerdem schlossen 1617 die spanischen und deutschen Habsburger einen Vertrag (Oneda-Vertrag), in dem sie sich zum gegenseitigen Beistand verpflichteten.

Die böhmischen Landstände waren bereit, die Wahl des Kurfürsten von der Pfalz zum König von Böhmen zu unterstützen. Diese Wahl hätte bedeutet, dass der Kurfürst von der Pfalz zwei Kurstimmen erhalten hätte und somit die nächste Kaiserwahl maßgeblich beeinflussen wird. Die bisherige Ausrichtung zugunsten der katholischen Kurfürsten wäre verloren gegangen, die Protestanten besäßen vier Kurstimmen und würden den nächsten Kaiser stellen. Dies hätte zu einer erheblichen Bekämpfung der Gegenreformation geführt. Die Politik wurde vor allem von Christian von Anhalt verfolgt, der die kurpfälzische Politik leitete. Ein Problem war allerdings, dass die Pfälzer Calvinisten, die Brandenburger und Sachsen Lutheraner waren. Da in Sachsen von den Landesherren nur den sogenannten Augsburger Konfessionen Religionsfreiheit zugestanden wurde, bildete sich in diesem Kurfürstentum ein vom orthodoxen Luthertum propagierter Anti-Calvinismus, der ein Grund dafür war, dass letztlich die protestantische Allianz rasch zerfiel.

Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz, nahm das Angebot der böhmischen Stände an und versprach, die protestantische Union zu mobilisieren, die ihm bei seiner Wahl zum König von Böhmen unterstützen und die Kaiserwahl Ferdinands verhindern soll. Zeitgleich forderte Ferdinand spanische Truppen an, der Papst gewährte ihm finanzielle Unterstützung und die Neugründung der katholischen Liga wurde initiiert. Maximilian von Bayern war für den Preis der Übertragung der pfälzischen Kurwürde auf Bayern bereit, Ferdinand militärisch zu unterstützen.

Am 23. Mai 1618 zog eine Delegation der böhmischen Stände unter Führung Thurns zum Prager Schloss. Nach hitzigen und lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Thurn und den königlichen Statthaltern Martinitz und Slawata wurden letztere von den Aufständischen aus dem Fenster in den 17 Meter tiefen Burggraben des Hradschins geworfen, wo sie verletzt liegen blieben. Dieser Zweite Prager Fenstersturz – der Erste Prager Fenstersturz leitete 1419 die Hussitenkriege ein – bedeutete den Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Martinitz und Slawata überlebten den Sturz und auch den Dreißigjährigen Krieg. Trotz dieses Sturzes kann man sie zu den Gewinnern der kommenden Jahre zählen. Thurn starb als Privatmann, er stand viele Jahre in schwedischen Diensten und kämpfte u.a. in den Schlachten bei Breitenfeld (1631) und Lützen (1632).

Der Prager Fenstersturz war aber vor allem ein revolutionärer Akt, der den böhmischen Aufstand einleitete und sich (mit nationaltschechischen Parolen) schnell ausbreitete. Unter Führung Thurns wurde ein dreißigköpfiges Direktorium eingesetzt, das die Regierungsgeschäfte übernahm, die Jesuiten aus Böhmen vertrieb und den Erzbischof von Prag absetzte. Im Juni 1619 rückten die böhmischen Aufständischen unter Führung Thurns bis nach Wien vor, um ein Entgegenkommen Ferdinands in Glaubensfragen zu erzwingen. Unterstützung erhielten die Böhmen von den österreichischen Ständen. Ferdinand konnte jedoch mit Hilfe der Wiener Stadtbevölkerung die Truppen Thurns zum Rückzug nach Prag drängen.

Am 26. August 1619 wurde Ferdinand als König von Böhmen abgesetzt, der Landtag erklärte Böhmen zum Wahlreich und wählte Kurfürst Friedrich von der Pfalz zum neuen König. Friedrich weilte zu dieser Zeit in Frankfurt am Main und stimmte am 28. August 1619 der Kaiserwahl Ferdinands II. zu. Am 4. November 1619 wurde der Pfälzer in Prag zum König von Böhmen gewählt und wenige Tage später nahm Gabor Bethlen, Fürst von Siebenbürgen, mit Unterstützung der ungarischen Protestanten den Titel eines „Erwählten Königs von Ungarn“ an.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Nachrichten in diesem Thema
Der 30 jährige Krieg - Aurora - 16.10.2016, 11:14
RE: Der 30 jährige Krieg - Sansavoir - 16.10.2016, 21:45
RE: Der 30 jährige Krieg - Suebe - 16.10.2016, 23:03
RE: Der 30 jährige Krieg - Aurora - 17.10.2016, 09:30
RE: Der 30 jährige Krieg - Dietrich - 17.10.2016, 16:15
RE: Der 30 jährige Krieg - Aurora - 17.10.2016, 19:17
RE: Der 30 jährige Krieg - Sansavoir - 17.10.2016 21:21
RE: Der 30 jährige Krieg - Teresa C. - 18.10.2016, 15:26

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds