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Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
21.07.2016, 14:34
Beitrag: #17
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
(11.07.2016 23:56)Sansavoir schrieb:  Das Thema ist nicht einfach zu beantworten. Da es sich um einen Roman (oder einen Film) handelt, sollte dichterische Freiheit gestattet sein. Manche Autoren weisen ihre Leser daraufhin. Ich finde das okay, wenn man im Falle dichterischer Freiheiten dann über die tatsächlichen Geschehnisse informiert wird.

Gerade damit habe ich inzwischen tatsächlich Probleme. Natürlich ist es schön, wenn Autoren/innen ihrer Leserschaft auf ihre Veränderungen hinweisen.

Und nichts finde ich ärgerlicher, wenn Autoren/innen ihre Version von Geschichte der Leserschaft als die einzige Wahre aufnötigen oder so tun, als hätten sie sich wirklich an die Fakten gehalten, obwohl dem gar nicht so ist.

Daneben habe ich inzwischen den Eindruck, dass "Autor/in, die gut recherchiert hat" zurzeit der wichtigste Marketing-Schmäh ist, und sogar leicht zu durchschauen, da die meisten dieser Autoren/innen ihre historischen Bücher (vor gewöhnlich unterschiedlicher geschichtlicher Kulisse) am laufenden Band im 1-2-Jahres-Rhythmus publizieren. Dass sie da schon aus Zeitgründen nicht für jedes Buch wirklich gut und umfassend recherchiert haben können, sollte einem der gesunde Menschenverstand sagen. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Leserschaft, dass der breiten Masse mit diesem Schmäh durchkommen.

Andererseits habe ich bei vielen Leser/innen den Eindruck, dass die Geschichtskenntnisse inzwischen sehr zu wünschen übrig lassen, und sie sich nur zu gerne jeglichen Bären aufbinden lassen.

Wenn Autor/in mir versucht weiszumachen, das, was in seinen historischen Romanen erzählt wird, ist richtig - wenn er oder sie das behauptet, dann sollte wirklich alles einwandfreie Fakten sein, denn sonst er oder sie mir bei mir unten durch.

Auf der anderen Seite: Ist es wirklich notwendig, dass Autor/in jede Änderung der historischen Fakten der Leserschaft gegenüber mitteilen muss, damit diese sich kein "unrichtiges" Bild von historischen Geschehnissen macht, geschweige gar, dafür rechtfertigen muss. Es ist für mich auch nicht die Lösung.

Das Ganze ist wohl ein Problem unserer Zeit, wo das Drumherum wichtiger ist, als eine gut erzählte Geschichte, die vielleicht sogar authentisch wirkt und bei der ich mir sogar vorstellen will, so könnte es vielleicht wirklich gewesen sein.

Ich gebe zu, mir sind noch immer jene Autoren/innen die liebsten bei historischen Romanen, die auf Nachwort, Geschichteunterricht etc. verzichten und es mir überlassen, wie ich ihr Buch sehen will und dass ich mich gegebenenfalls selbst über die Fakten schlau mache.

Offensichtlich haben wir am deutschen Buchmarkt noch immer einen "bildungsbürgerlichen" Rechtfertigungszwang. Ein historischer Roman darf nicht einfach nur unterhalten, er muss, wenn auch nur scheinbar, den Eindruck vermitteln, Leser/innen hätten dabei auch ihr Fachwissen verbessert.

Berücksichtigt man, dass die meisten deutschsprachigen historischen Romane aufgrund ihrer Machart Trivial- und Groschenromane sind (und das gilt gerade für viele, die angeblich gut recherchiert sind), drängt sich die Vermutung auf, dass Nachwort, Fakten, behauptete Recherche etc. wohl auch der Augenauswischerei dienen und nur dazu beitragen sollen, dass so manche/r Schundautor/in so noch rasch schnell zum/r Historiker/in befördert wird.

Das gewisse Schauspieler/innen im Film eine Figur geprägt haben, stimmt allerdings. Dabei ist Klaus Maria Brandauer z. B. in einer späteren Verfilmung von "Quo vadis" ein sehr facettenreicher Nero, aber die Vorstellung von Nero wird noch immer von Peter Ustinovs Darstellung geprägt. Eleonore von Aquitanien ist Katherine Hephurn und Peter O'Toole hat Henry II. sogar zweimal gespielt, nicht nur als "Der Löwe im Winter", sondern auch der Anouilh-Verfilmung "Beckett und die Ehre Gottes", und bei Henry V. denke ich auch sofort Kenneth Branagh.

Interessant sind natürlich Vergleiche, wenn es verschiedenen Filme / Schauspieler/innen zu einem Thema / Roman gibt. Die Bartholomäus-Nacht mit Isabelle Adjani ist nicht die erste Verfilmung von Dumas' Roman, und gerade bei einem Roman wie "Die drei Musketiere" sind die Darstellungen von König Ludwig XIII. (gewöhnlich mit einem unbekannten Schauspieler besetzt) und Kardinal Richelieu (fast immer ein bekannter Schauspieler, ob nun Vincent Price, Charlton Heston, Christoph Waltz oder Tim Curry) recht aufschlussreich.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass es gar nicht einmal die authentischste Besetzung sein muss. So habe ich bei den unterschiedlichen Mayerling-Filmen immer den Eindruck gehabt, dass James Mason als Kaiser Franz Joseph I. nicht gerade authentisch wirkte, aber seine Interpretation dieser Figur war einfach die interessanteste und schlüssigste für mich.

Apropos österreichische Geschichte - als ich die neue "Sisi"-Fernsehverfilmung gesehen habe, war ich selbst überrascht, dass ich keineswegs ständig den Vergleich mit den "berüchtigten" Sisi-Filmen gezogen habe. Ich hatte kein Problem den Schauspielern/innen ihre Rollen abzunehmen, mit einer Ausnahme: Martina Gedeck konnte ich die Erzherzogin Sophie (Sisis "böse" Schwiegermutter) nicht wirklich abnehmen, obwohl sie nicht schlecht spielte und ihre Sophie nicht nur netter, sondern auch viel differenzierter war, aber leider auch ziemlich hausbacken wirkte. Aber dennoch, mit Vilma Degischer aus den "Sisi-Filmen" konnte sie es nicht aufnehmen, alleine deren Aura fehlte mir völlig.

Interessant fand ich auch, wie Filmdarstellung auf andere Medien Auswirkungen haben. Die gängige Darstellung von Henry VIII. in der Oper "Anna Bolena" von Gaetano Donizetti (aus italienischen Romantik) orientierte sich gewöhnlich am Porträt von Holbein, was historisch betrachtet, sogar seine Richtigkeit hat, denn es entstand in etwa zu der Zeit, als Henry VIII. Anne Boleyn hinrichten ließ. Weniger authentisch war es dagegen, wenn in einem Unterhaltungsfilm der 1960er Jahre ( "Eine Prinzessin verliebt sich", eine Walt Disney-Produktion, was schon alles sagt), ein Henry VIII. nach Vorlage Holbein gezeigt wurde, spielte die Geschichte doch zu jener Zeit, als Henry VIII. in Wirklichkeit noch ein junger und offensichtlich auch fescher Mann war. (Catalina von Aragon war hier als dunkelhaarige, melancholische spanische "Madonna" zu sehen, was auch nicht gerade authentisch ist, aber für seine erste Ehefrau typisch.)

Als die Oper "Anna Bolena" vor einigen Jahren an der Wiener Staatsoper mit Anna Netrebko und Elina Garanca aufgeführt wurde (die Oper ist in erster Linie das ideale Vehikel für zwei Primadonnen), man erstaune, war Henry VIII. auch diesmal mit einem jung wirkenden feschen Bass bzw. Bariton besetzt, der eindeutig nach der Fernseh-Soap-Opera "Die Tudors" kostümiert worden war. ZufallBig Grin

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Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen? - Teresa C. - 21.07.2016 14:34

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