Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 0 Bewertungen - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
09.07.2016, 20:42
Beitrag: #3
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
(09.07.2016 11:17)Teresa C. schrieb:  Was den Rezensenten an diesem Buch lt. seiner Rezension entscheidend gestört hat, ist Folgendes: [...] Jan Hus war bekennender Christ seiner Zeit..., schon allein der Umgang mit seiner erdichteten Freundin enstammt dem Mindset des 21. und nicht des 15. Jahrhunderts! HALLO! Ihm ein uneheliches Kind anzudichten ist meiner Meinung nach unakzeptabel und geht darüber hinaus, "menschliche Schwächen" miteinzubeziehen ! Auch wenn die betreffende Person schon recht weit in der Vergangenheit gelebt hat, hat man nicht das "Recht" solche Fiktionen einzubauen! Leider kann sich der arme Jan Hus nicht dazu äußern ! [...]

Quelle: aus einer Einsterne-Rezension zu Tanja Douglas: Jan Hus, der Feuervogel von Konstanz

Wie seht ihr das?
Einerseits finde ich es im Sinne dichterischer Freiheit in einem Roman eigentlich schon zulässig, dass auch historische Figuren als Menschen gezeigt werden, und dafür bieten sich gerade Beziehungen zu anderen Figuren an. Anderseits aber frage ich mich, wie weit hier gegangen werden darf, ohne dass es auf eine "Verfälschung" der Fakten, der Figur oder der beschriebenen Zeit herausläuft.

Bei dem konkreten Beispiel hier, drängt sich außerdem für mich mit Blick auf den Zeitgeist (und einigen Trivial- bzw. Unterhaltungsromanen mit ähnlichem "Problem" / Protagonist/in wird hingerichtet) noch eine andere Überlegung auf.) Ist die Idee mit dem unehelichen Kind und der Geliebten vielleicht dem Umstand geschuldet, der Geschichte so etwas wie das obligatorische "Happyend" zu geben?

Mich würde sehr interessieren, wie ihr das seht.

Persönlich finde ich, sind dichterische Erfindungen in einem historischen Roman sogar ein Muss, denn es braucht schon sehr viel Kreativität, einen historischen Roman ausschliesslich auf beweisbaren Fakten aufzubauen. Dichterische Erfindungen und Freiheiten dürfen - alles meine Meinung - allerdings nicht dem entspr. aktuellen Forschungsstand widersprechen. Auch starke Indizien dürfen im hist. Roman nicht ignoriert werden und der Zeitgeist - d.h. die Wertvollstellungen der Epoche sollten berücksichtigt werden und nicht unsere eigenen in die Epoche transferiert werden.

Im vorliegenden Fall ist die die Erfindung eines unehelichen Kindes und einer Geliebten von Jan Hus historisch eigentlich sogar passend. Unehliche Kinder waren im Mittelalter zwar diskriminiert, insbesondere nicht erbberechtig, aber ein grosser Skandal wie in späteren Zeiten waren sie nicht. Bei Geistlichen war dies etwas anderes, aber im Vergleich hielt sich die gesellschaftliche Empörung auch in solchen Fällen meist in Grenzen.

Soweit man die Wertvorstellungen und Lebenfsformen mittelalterlicher Gesellschaften nach vollziehen kann, waren uneheliche Kinder zweitweise regelrecht an der Tagesordnung - und nicht nur beim Adel. Jan Hus war Magister und lehrte an der Universität, er war als eigentlich, zum Mindesten ursprünglich, nicht einmal Kleriker. Ein unehliches Kind hätte seinem Ansehen keinen Abbruch getan. Insofern ist nach meiner Einschätzung nicht nur nichts gegen ein unehl. Kind einzuwenden, sondern es ist, unter Berücksichtigung der damaligen Gegebenheiten, sogar noch sinnvoll und würde die "historische Realität" erhöhen. Allerdings dürfte im Roman dann die Existenz des Kindes nicht nach unseren Massstäben beurteilt werden.

Vielleicht wollte der Autor mit der Geliebten etwas mehr Dramatik in die Geschichte bringen und es schwebte ihm das Vorbild von Abaleard (der war auch gelehrter Magister und hatte sich mit dem Klerus, u.a. mit Bernahrd von Clairvaux angelegt) und Heloise vor.

Geliebte und uneheliche Kinder kann man historischen Persönlichkeiten des Mittelalters eigentlich immer unterstellen (historisch würde es passen), es sei denn, die Fakten- und Indizienlage liesse das eindeutig nicht zu. So wäre es beispielsweise nicht so eine gute Idee, dem kastilischen König Heinrich IV (g. 1474), der mit den Beinamen "der Unvermögende" oder "der Impotente" in die Geschichte eingegangen ist, uneheliche Kinder unterzujubeln.
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Nachrichten in diesem Thema
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen? - Aguyar - 09.07.2016 20:42

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds