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hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
22.03.2016, 21:53
Beitrag: #22
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Wenn ich mir so den Wikipedia-Artikel zu Ulrich von Württemberg und Sabina von Bayern ansehe, stellt sich für mich die Frage, ob Sabinas "schlechter" Ruf nicht auch politische Gründe hatte. Eigentlich wäre es bei einem Sturz / einer Absetzung von Ulrich naheliegend gewesen, dass er zugunsten seines (noch minderjährigen) Sohnes abgesetzt wird, für den dann ein Regentschaftsrat eingesetzt wird. Fälle, dass bei diesem auch die Mutter einbezogen ist, gibt es genug, auch wenn es in einigen Dynastien (z. B. bei den Habsburgern) Regelungen gab, die Frauen automatisch ausschlossen.

Mit dem Fall von Henriette von Mömpelgard gab es für Württemberg bereits einen Präsenzfall, eine Regentschaft für den Sohn Christoph hätte Sabina die Möglichkeit gegeben, selbst (wenn zu Beginn sicher nur eingeschränkt) die Herrschaft zu übernehmen. Da mag ihr "schlechter" Ruf auch damit zusammenhängen, dass es Interesse gab, sie als eine mögliche Regentin für den Sohn Christoph auszuschalten, da es von Seiten der Habsburger und vielleicht auch der Wittelsbacher längst andere Pläne mit dem Herzogtum Württemberg gab.

Es könnte somit durchaus im Interesse ihrer eigenen Familie gelegen haben, dass dieser Eheskandal sozusagen publik wurde. Zudem scheint er immer wieder gegen Ulrich (als vorgebliche) Begründung für seine Entmachtung / Entmachtungsversuche eingesetzt worden zu sein. (Ein politischer Vorwand etwa, um den Sturz eines Reichsfürsten bzw. der Ausschaltung einer Dynastie eine "legale" Grundlage zu geben.)

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Was Ulrichs angebliche oder tatsächliche Beliebtheit beim einfachen Volk betrifft (zumindest für die Nachwelt), so würde ich keineswegs das auf den Roman "Liechtenstein" zurückführen, in der Ulrich zwar durchaus als Sympathieträger gesehen werden kann. (Hauff versucht auch, einige von Ulrichs "Fehler" mit unglücklichen Zufällen zu entschuldigen oder den "falschen" Ratgebern anzulasten, mit denen sich Ulrich leider einlässt und auf die er hört.)
Allerdings ist der Herzog bei Hauff keineswegs eindeutig eine Lichtgestalt. Zum Roman selbst gibt auch einige Rechtfertigungen von Hauff, die zeigen, dass er offensichtlich selbst befürchtet hat, mit seiner zu positiven Ulrich-Darstellung Kritik zu ernten. (Hauff beruft sich z. B. darauf, dass sein Roman eine "Legende" ist und Ähnliches.)

Mit Blick auf Hauffs Anmerkungen würde ich eher davon ausgehen, dass sich das "positive" oder "ambivalente" Ulrich-Bild bereits entwickelt hatte und von Hauff letztlich übernommen (und ausgebaut) wurde, wobei Hauffs Vorbild für "Lichtenstein" eindeutig historische Romane von Walter Scott sind, gerade zu "Waverley" gibt es deutliche Parallelen. (Allerdings spricht es für Hauffs Roman, dass sein Roman keineswegs eine Kopie á la Scott geworden ist.)

Da ich mit der Geschichte des Herzogtums Württemberg zwischen 16. und 19. Jahrhundert nicht wirklich vertraut bin, fehlt mir die Grundlage für konkrete Überlegungen zur Entstehng eines Ulrich-Bilds nach seinem Tod bzw. vor Hauff.

Dass jemand für die Nachwelt zur Figur von Legenden / Sagen wird, hat gewöhnlich verschiedene Gründe, wobei ich zwischen 3 Typen unterscheiden würde.

- Einzelne Legenden / Sagen zu einer historischen Person, die orts- oder geschehnisgebunden sind, z. B. Gründungssagen und Ähnliches.

- Gezielte Legenden- und Sagenbildung, die von bestimmten Personen / Gruppen ausgegangen sind.

- Legenden- und Sagen, die sich allmählich im Volk gebildet haben.

(Wobei die Abgrenzung hier fließend ist.)

In einigen Fällen, da wäre z. B. Kaiser Maximilian I., dürfte die Legenden-, Sagenbildung bereits von dem/r Betroffenen selbst initiiert worden sein. In der Folge könnte es auch die Familie / Dynastie / Nachfolger/innen gewesen sein, die versucht waren, den angeblichen oder tatsächlichen Ahnherrn / Vorfahren gezielt ein wenig (auch in ihrem eigenen Interesse) zu rehabilitieren.

Eine andere Möglichkeit ist die Erinnerung an jene Zeit, wo alles angeblich besser war, weil damals eben noch ..., an die sogenannte Heldenzeit, die glorreiche Vergangenheit etc. .
Ein Beispiel dafür wäre das (glorreiche) Hochmittelalter des Wilhelminischen Köngreichs im 19. Jahrhundert, die gute Zeit unter Kaiser Franz Josef I. von Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg oder König Ludwig von Bayern nach dessen Sturz.

Eine solche Einstellung (in diesem Fall zum Spätmittelalter) zeigt z. B. das Drama "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" von Goethe. (Den Gegensatz zwischen der alten oder neuen Zeit, auf dem Walter Scott in vielen seiner Romane baut, könnte er von Goethe haben.)

In den Balladen um Eberhard den Greiner von Ludwig Uhland wird ausdrücklich die damalige Heldenzeit im Gegensatz zur (heldenlosen) Gegenwart beschworen. (Auch wenn einiges in den Balladen selbst nicht so ganz dem entspricht, wie wir uns heute unreflektiertes Heldentum vorstellen.)

Immerhin zeigt die Legendenbildung um Eberhard den Greiner und Eberhard im Bart, die beide für spätere Generationen zu Symbolfiguren für den Aufstieg Württembergs zur (gefürsteten) Grafschaft bzw. zum Herzogtum wurden, ganz gut, dass offensichtlich in Württemberg selbst (oder in gewissen Bevölkerungsschichten / -kreisen) die Verklärung des (legitimen) Landesfürsten Tradition hat. Es wäre sicher auch interessant, zu überprüfen, inwieweit das "positive" Image der beiden Eberharde tatsächlich gerechtfertigt ist und ob ihr guter Ruf bereits zu Lebzeiten bestanden hat bzw. wie er sich entwickelt hat.

Sowohl bei Eberhard dem Greiner als auch Eberhard im Bart finden wir bereits das treue Volk, auf das beide Eberharde stets vertrauen können.
Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass da einiges von ihrem "Glanz" auch auf ihren Nachfahren Ulrich letztlich doch abgefärbt hat. (Das treue Volk des Herzogtums Württemberg lässt seinen rechtmäßigen Landesfürsten auch dann nicht im Stich, wenn er Fehler gemacht hat.)

Bei Ulrich selbst, was auch immer (objektiv betrachtet) von ihm zu halten ist, gibt es durchaus einige Punkte, die ihn zumindest für die Nachwelt wenigstens ansatzweise zu einem Sympathieträger machen konnten. (Ob zu Recht ist natürlich eine andere Frage.)

Im Herzogtum Württemburg setzte sich z. B. letztlich der evangelische Glaube durch, und Ulrich gilt als erster evangelischer Landesfürst. Das könnte ihn späteren Generationen durchaus empfohlen haben, und mag sein, dass er deshalb vielleicht im 17. Jahrhundert auch einmal als "Märtyrer" von "bösen katholischen" Herrschern (Wittelsbacher, Habsburger) gesehen wurde.

Trotz mehrfacher Vertreibung konnte sich Ulrich als Herzog behaupten - er konnte also letztlich als der gesehen werden, der allen Widrigkeiten zum Trotz der Sieger blieb. Sein Sohn wurde sein Nachfolger, und somit war er letztlich einer der Stammväter der Herrscherfamilie oder könnte sogar als Gründer einer (weiteren) Würtembergischen Dynastie gesehen werden. (Alles Gründe, die eine positive Sicht zumindest bei späteren Generationen gefördert haben.)

Abgesehen davon - bietet sich für Ulrich noch eine Heldenschablone an, die bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren haben dürfte, wenn wir uns diverse Hollywoodfilme ansehen.
Der Held als Kämpfer, der, nachdem er alles verloren hat, nicht aufgibt, wobei es letztlich nicht einmal mehr eine Rolle spielt, ob der Held seine Niederlage mitverschuldet oder sogar selbst verschuldet hat - dass er nicht in der Niederlage verharrt, sondern den Kampf wagt, ist bei diesem Klischee Rehabilitierung genug, und wenn sein Kampf am Schluss sogar für ihn Erfolg hat, hat er natürlich die Sympathien auf seiner Seite.

Nebenbei - das treue Volk und sein (geliebter) Fürst - dieses Stereotyp ist nicht nur eine Verklärung des Fürsten, sondern auch die Leute aus dem Volk werden dabei verklärt ...
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Wie es um Ulrichs tatsächlichen Ruf zu seinen Lebzeiten bestellt war, ist natürlich wieder eine andere Frage. Dabei wäre sicher zu beachten, ob die zeitgenössischen Quellen als neutral, für Ulrich oder für seine Gegner/innen einzustufen sind. Aufschlussreich wäre auch eine Darstellung, von der wir sicher wüssten, dass er sie selbst in Auftrag gegeben hat, natürlich nicht, weil die etwa objektiv wäre, aber weil sie zumindest Hinweise geben könnte, wie er sich selbst gesehen hat oder selbst gesehen wurde.

Hinzu kommt auch noch der Kontext: es macht halt doch einen Unterschied, ob Ulrich mit dem Schwert ins Ehegemach stürmt, weil er Sabina verängstigen will und Ähnliches oder weil er sich etwa selbst vor ihr schützen will. "Zwinkern"

Was die Bevölkerung betrifft, wäre es vielleicht auch aufschlussreich, zu untersuchen, in welchen Gegenden Ulrich Anhänger hatte. Wenn die Bauern in einer bestimmten Gegend für den Herzog waren, bedeutet das nicht automatisch, dass alle Bauern für ihn war. (Ähnliches wäre auch bei anderen Bevölkerungsgruppen zu bedenken.)

Außerdem wäre wohl auch zu berücksichtigen, wie das Verhältnis der Bevölkerung mit den Gegnern Ulrichs, z. B. den Heerführern des Schwäbischen Bundes ausgesehen hat, wie gewisse Teile der Bevölkerung diese wahrgenommen haben. Zu überlegen wäre auch, dass zudem einige von den Heerführern des schwäbischen Bundes ursprünglich für Ulrich gekämpft hatten.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers - Teresa C. - 22.03.2016 21:53

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