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hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
20.03.2016, 16:16
Beitrag: #16
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Lieber Suebe,

bitte versteh mich nicht falsch. Es ist doch nicht der Fall, dass ich etwa Nachweise nicht gelten lasseIndifferent, ganz im Gegenteil. (Das Einzige, was ich versuche, ist, dass ich Überliefertes auch erst einmal im Bezug auf Glaubwürdigkeit kritisch sehe und hinterfrage. (Das kommt vielleicht daher, dass ich inzwischen zu viele Entdeckungen zu "historischen Fakten" gemacht habe, die nicht nur das, was als "historischer Fakt" verbreitet ist, widerlegen, sondern oft auch feststellen durfte, dass der "historische Fakt" auf einer Grundlage aufbaut, die oft fragwürdig, in einigen Fällen sogar lachhaft ist. (Daher halte ich mich lieber an Informationen, die sich z. B. aus Rechnungsbüchern, Botschafterberichte (soweit nicht für die Öffentlichkeit bestimmt) und Urkunden ergeben, nicht aber an Briefe (die vielleicht sogar für die Nachwelt bestimmt waren), Chroniken (bei denen neben einem parteiischen Chronisten, eine bestimmte Schwerpunktsetzung etc. auch immer wieder zu berücksichtigen ist, dass ihre Verfasser keineswegs den Durchblick hatten oder über alles informiert gewesen sein könnten bzw. vieles aus einer anderen Chronik übernommen haben) und Ähnliches.

Vor kurzem habe ich z. B. einen Aufsatz über die Stadt Konstanz in den Appenzellerkriegen gelesen, in dem sehr deutlich gezeigt wurde, dass Konstanz in jeden dieser Kriege verwickelt war und eine wichtige Rolle spielte, obwohl die bisherige Geschichtsforschung vom Gegenteil ausgegangen ist, weil es aus dieser Zeit kaum Quellenbelege dafür gibt, was die stadtgeschichtlichen Quellen von Konstanz selbst betrifft. (Der Verfasser hatte allerdings das Quellenmaterial anderer beteiligter Konfliktparteien über diese Kriege aufgearbeitet, und er zeigt, dass sich da eindeutig Hinweise dazu finden, dass die Stadt Konstanz in jedem dieser Kriege einer der Hauptakteure war. (Er verwendet allerdings Quellenmaterial, auf das die Stadt Konstanz keinen Zugriff hatte, und es drängt sich da sogar in seiner Darstellung der Verdacht auf, dass das weitgehende Fehlen von Konstanzer Quellen für die Appenzellerkriege kein Zufall ist.)

Außerdem beziehe ich bei einer Überlegung auch immer den Hintergrund bzw. vergleichbare Situationen ein, weil ich inzwischen den Eindruck habe, dass viele historische Fehlinformationen / Ungenauigkeiten / Quark auch auf eine isolierte Betrachtung zurückzuführen ist.

Bei Ulrich von Württemberg und Sabina von Bayern ist sicher, dass die Ehe nach den damaligen Maßstäben keine gute Ehe war. Immerhin haben wir da auch noch die "Mordgeschichte" um diesen Herrn von Hutten, und wie du selbst anführst, flüchtete Sabina nicht nur vom Hof ihres Ehemannes, sondern diese Flucht wurde von Mitgliedern der eigenen Familie geduldet und sogar möglich gemacht, ihr wurde auch Zuflucht gewährt.

Wir haben es hier also mit einem historischen "Ehefall" zu tun, der nicht nur überliefert wird, sondern eindeutig bewiesen ist.

Wobei auffällt, dass die Überlieferung nicht(?) einseitig ausgefallen ist, da nicht nur Ulrich, sondern auch Sabina fragwürdiges Verhalten unterstellt wird: also nicht der "Wüterich" / "Psychopath" und das "arme Opfer". (Inwieweit Sabinas "zweifelhafter" Ruf gerechtfertigt ist, wäre allerdings eine andere Frage. Offensichtlich hat sie sich gegen Ulrich gewehrt, mag sein, dass das vor allem für die Nachwelt besonders "shocking" war, etwa im Sinne von: "weibliches Opfer verharrt nicht brav in der Opferrolle, sondern wagt es, Widerstand zu leisten.)

Auffallend ist für mich aber, dass sich die Fälle "misshandelte" und als "Ehebrecher/innen bestraften" Ehefrauen (vorwiegend bei den Wettinern finden, so z. B. Anna von Sachsen / Ehefrau von Moritz von Oranien, Sidonia von Sachsen / Ehefrau von Erich von Braunschweig-Lüneburg etc.) erst später, zwar im 16. Jahrhundert, abervor allem in der zweiten Hälfte) finden. Bei Ulrich und Sabina dürfte es sich mit Blick auf vergleichbare Fälle in dieser Zeit um einen Ausnahmefall gehandelt haben.

Da stellt sich schon die Frage:
War die schief gegangene Ehe tatsächlich für ihre Zeit eine Ausnahme?
So scheint es jedenfalls.

Allerdings wäre natürlich vorstellbar, dass keine weiteren schweren Ehekonflikte gesichert überliefert sind, weil es gewöhnlich im Hochadel (HRR, und vielleicht nicht nur dort) üblich war, dass so etwas diskret und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gelöst oder wenigstens geregelt wurde.
Wenn diese Annahme doch stimmt, dann war die Ehe zwischen Ulrich und Sabina insofern eine Ausnahme, als sie eben nicht von den Dynastien vertuscht wurde. In diesem Fall stellt sich natürlich die Frage: Warum wurde dieser "Eheskandal" nicht vertuscht oder, wenn das nicht möglich war, wenigstens halbwegs zurechtgebogen?

Mögliche Antworten:

- Weil weder Ulrich noch Sabina (und vor allem sie) nicht (mehr) bereit waren, sich an die "Regeln" zu halten, wonach "Ehekrisen" im Hochadel nicht publik werden dürfen. (Was auch die schlechte "Presse" erklären würde, die sie hatte - "Regelbrecher/innen" kommen meistens nicht gut weg.)

- Weil der Eheskandal letztlich ein Ausmaß angenommen hatte, so dass eine Vertuschung / eine diskrete Lösung nicht mehr möglich war?

- Weil es Personen gab, die durchaus ein Interesse daran hatten, dass der "Skandal" publik wurde: Vorstellbar wäre das, um z. B. den Herzog Ulrich noch zweifelhafter wirken zu lassen, als er auf seine Zeitgenossen ohnehin gewirkt haben dürfte. (Ein Ehemann, der seine Frau misshandelt und schlägt, ist schon zweifelhaft, einer, dessen Frau es wagt, ihn ebenfalls zu schlagen, macht eine noch schlechterer Figur.) Seine Anhängerschaft, die er offensichtlich auch hatte, könnte wiederum durch die "Diffamierung" seiner Frau versucht haben, ihn zu verteidigen.

...

Aber das wäre vielleicht wieder ein Thema für einen neuen Thread wie z. B. Ehekrisen im Spätmittelalter.

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Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers - Teresa C. - 20.03.2016 16:16

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