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Der Untergang von Sprachen
26.06.2016, 19:05
Beitrag: #63
RE: Der Untergang von Sprachen
Dietrich,
ich hab mich undeutlich ausgedrückt. In den Jahren nach der normannischen Invasion war das normannische Französisch die Verwaltungssprache in England. Dadurch verbreitete es sich auch in der Bevölkerung, die zumindest französische "Brocken" in ihre Alltagssprache eingliederte.
Dass das Englische heute noch so viele französische Lehnwörter hat, stammt aus dieser Zeit und ist deutlicher Ausdruck dafür, dass das Englische fast ausgestorben wäre (bzw. es zu einer "Ausbaustufe" des Anglonormannischen gekommen wäre, die vermutlich zu einem anglsiierten Französisch geführt hätte anstatt zum heutigen "frankonisierten Englisch" mit sienen vielen französischen Lehnwörtern) und dass England fast zum französischen Sprachraum gekommen wäre. Umgedreht hat sich dieser Trend erst, als um 1250 (Vertrag von 1259) große Teile des angevinischen Reichs in Frankreich verloren gingen. Der Adel hat sich "anglinisiert", Englisch wurde wieder zur Verkehrs- UND Verwaltungssprache, auch wenn sich das Anglonormannische noch etwa 100 Jahre als Hofsprache etc. hielt.
Welche Rolle der Adel dabei spielt, dass eine Invasorensprache von der Bevölkerung übernommen wird, zeigt sich noch an anderen Beispielen. In Irland z.B. war es umgekehrt, dort übernahmen die anglonormannischen Adligen, die Heinrich II. zur Beherrschung Irlands geschickt hatte, die gälische Kultur und Sprache der Einheimischen, weil sie in Opposition zum Herrscherhaus standen. Daher spricht man in Irland bis heute Gälisch, wenn auch nur teilweise. Dass das Gälische so unter Druck geraten ist, dass es dennoch beinahe ausgestorben wäre, hat mit späteren Entwicklungen zu tun.
Die Franken - wie auch die Goten - übernahmen mit der römischen Verwaltung (die Franken recht auch bald der römischen Rechtssprechung und dem römisch-katholischen Glauben) auch die (vulgär-)lateinische Verwaltungssprache. Ergebnis: Das Französische als lateinlastige Mischsprache aus Fränkisch und Vulgärlatein. Die Goten taten sich schwerer. Die gotische Oberschicht hatte ihren eigenen Glauben (die Katholisierungsversuche einiger Könige waren nicht sehr glückreich und führten zu Adelsaufständen und Umstürzen) und die Goten hielten auch viel länger als die Franken an einem eigenen Rechtssystem für die gotische Bevölkerung fest. Und siehe da, das Gotische hat auf das Vulgärlatein der Einheimischen bei weitem nicht so großen Einfluss genommen wie das Fränkische auf den Dialekt der Gallorömer oder auch wie das Anglonormannische auf das Mittelenglische.
Bei den Angelsachsen dürfte es ähnlich gewesen sein. Die Sprache, die als Amtssprache galt, und zwar für die ganze Bevölkerung, hat sich früher oder später durchgesetzt, so dass die keltormanische Sprache der Briten ausstarb und nur (relativ) wenige Spuren im Englischen hinterlassen hat (das gilt im Übrigen nicht für die britische Kultur, allerdings kenne ich mich da nicht so gut aus, Bunbury möge mich eines Besseren belehren...Wink
Hätten die Angelsachsen ein eigenes (Rechts-/Verwaltungs-) System für sich beibehalten und die Briten das ihre behalten dürfen, wer weiß, ob es nicht hier auch erst zur Zweisprachigkeit und dann eventuell sogar zur Durchsetzung des keltoromanischen Dialekts geführt hätte.
Ähnlich war es in den den süddeutschen Gebieten. Die Zuwanderer waren etwas zahlenstärker als die Keltoromanen, und doch hat sich der jeweilige germanische Dialekt durchgesetzt. Warum? Weil die Einheimischen unter dem gleichen, von den Eroberern/Zuwanderern dominierten, aber nicht geschaffenen Verwaltungssystem standen, das wiederum auf dem älteren, römischen System beruhte, aber mit Hilfe der germanischen Sprachen in Gang gehalten wurde. Bestes Beispiel, das mir grade einfällt: Die Baar. Entfernt verwandt mit dem Begriff "Bar" wie in "Bargeld", ist das einfach die germanische Übersetzung des Begriffs "Centene" wie "Hundertschaft" (auch als "Huntari" übersetzt). Das römische Verwaltungssystem wurde übernommen, aber mit germanischen Begriffen versehen. Das Keltoromanische ist sowohl im Alemannischen wie auch im Bairischen und (Rhein-/Mosel-/Main-)Fränkischen noch erkennbar in Form von Lehnwörtern, aber es hat als Sprache nicht überlebt. Und das, obwohl bspw. im Chiemgau, aber wohl auch anderswo, anhand der Ortsnamen nachvollziehbar ist, dass eine ganze Menge Keltoromanen im Land geblieben sind, als die Römer abzogen. Sie waren teilweise sogar nochin führender Position, erkennbar etwa an den Ortsnamen auf "-kammer" (= der Ort hatte mit Finanzen zu tun, also mit dem Eintreiben von Abgaben) und daran, dass die Vorsteher dieser Orte noch lange romanische Namen trugen, sogar in den (zumindest bairischen) Adel aufstiegen.

So, bevor ich mich jetzt endgültig verzettle, hole ich erst mal Luft und warte auf weitere Einwände und Kommentare...Wink
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