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Naher Osten
12.03.2017, 23:32
Beitrag: #23
RE: Naher Osten
Obwohl die politische Lage im Nahen Osten sehr kompliziert ist, versuchte ich in den letzten Tagen versucht, eine kurze Übersicht, besonders zur Geschichte Syriens und des Iraks, auszuarbeiten. Als ersten Teil liefere ich meine Ausarbeitung für die Zeit vom bzw. nach dem 1. Weltkrieg bis zur Machtübernahme von Hafez al-Assad im Jahr 1970 in Syrien bzw. von Hassan al-Bakr und seinem Verbündeten Saddam Hussein im Jahr 1968.

1. Die Ereignisse im Nahen Osten zwischen 1916 und 1924

Neben Gründen aus der jüngeren Zeitgeschichte sehe ich die wesentlichen Ursachen der heutigen politischen Situation in Syrien und im Irak in den Ereignissen von 1916 bis 1924. Das wichtigste Ereignis war der Zerfall des Osmanischen Reiches. Neue (halbkoloniale) Staaten und Mandatsgebiete entstanden aus den ehemaligen osmanischen Provinzen oder aufgrund der Grenzfestlegungen des Sykes-Picot-Abkommen. Obwohl die Herrschaft des Sultans in Arabien, aber auch im Maghreb de facto nur noch nominell war, so regulierte die osmanische Herrschaft oft in regionalen Konflikten der Clans. Diese Clans herrschten tatsächlich in diesen Gebieten, sie bezahlten Steuern oder Tribute an den Sultan, der die Clans wiederum gewähren ließ. Wie gesagt nur bei Konflikten, egal ob die Clans gegeneinander kämpften oder sich gegen den Sultan erhoben, reagierte Istanbul.

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass der Sultan nicht nur als weltliches Oberhaupt handelte, sondern auch als geistliches Oberhaupt. Immerhin fungierten die osmanischen Sultane bis 1922 in Doppelfunktion auch als Kalif. Die von Atatürk vollzogene Absetzung des Osmanen Abdülmecid II. als Kalif im Jahre 1924 bedeutet deswegen auch, dass seitdem dem (sunnitischen) Islam eine anerkannte oberste religiöse Instanz fehlt. Dies ist meiner Meinung eine Ursache dafür, dass der Islam sich radikalisierte, da sich viele Kleriker (und Laien) die Rolle des Kalifen angemaßt haben. Einschränkend muss aber auch dargelegt werden, dass die letzten Herrscher des Osmanischen Reiches schwache und in ihren Handlungen eingeschränkte politische Figuren waren, sodass mit ihrer Absetzung als Sultan (1922) und Kalif (1924) nur vollzogen wurde, was bereits der politischen Realität entsprach – beide Ämter waren ein Relikt aus der Vergangenheit und wurden nicht mehr gebraucht. (?)

Die Politik von Großbritannien und Frankreich während des und nach dem 1.WK legte m.E. den Grundstein der heutigen Konflikte im Nahen Osten. Besonders das nahezu gleichzeitige Versprechen eines jüdischen Staates (Balfour-Doktrin 1917) und eines arabischen Staates (Hussein-MacMahon-Korrespondenz 1915/16, "Goldener Halbmond", 1916) bereitete den Zündstoff für kommende Konflikte vor. 1919/20 wurden dann die Araber betrogen, indem ihre Gebiete lt. Sykes-Picot-Abkommen in eine britische und eine französische Zone aufgeteilt wurden. Das hatte zur Folge, dass es französisch und britisch kontrollierte Gebiete gab, aus denen sich die „künstlichen“ Staaten Syrien, Libanon, Irak und (Trans-)Jordanien gebildet wurden. Die heutigen Konflikte in Syrien und im Irak zeigen deutlich, dass sowohl die Bildung einer syrischen als auch einer irakischen Nation gescheitert sind.

Politische Lösungsversuche wie das Anfang 1919 geschlossene Faisal-Weizmann-Abkommen, nach dem Palästina in eine jüdische und eine arabische Zone aufgeteilt werden sollte, scheiterten. Dies lag daran, dass die Siegermächte Großbritannien und Frankreich den Arabern nicht den geforderten unabhängigen Staat gewährten. Die politische Situation verschärfte sich 1920 infolge des antijüdischen Aufstands in Palästina und die großsyrischen Forderung zur Annexion der arabischen Zone. Da sich Faisal 1920 selbst von seinem mit Chaim Weizmann ausgehandelten Vertrag distanzierte, blieb das Faisal-Weizmann-Abkommen wirkungslos.

Hussein ibn Ali, der Scherif von Mekka aus der Dynastie der Haschemiten, die wiederum ihre Abstammung direkt vom Propheten Mohamed herleitet, wurde während des 1. Weltkriegs sowohl von deutscher als auch britischer Seite als Verbündeter umworben. Der in Istanbul geborene, bereits sechzigjährige Mann war viele Jahre ein de-facto-Gefangener des Sultans Abdülhamid II., der ihm erst 1908 das Amt des Scherifs von Mekka übertrug. Ob diese Ernennung mit den zunehmend auftretenden Sabotageakten an der Hedschas-Bahn zusammenhängt, lässt sich nicht belegen. Fakt ist, dass unter Hussein ein Rückgang der Sabotageakte stattfand, obwohl der Scherif sich dieser Problematik nicht direkt annahm. Allerdings nahm das Interesse am Weiterbau der Hedschas-Bahn seit der jungtürkischen Machtübernahme im Jahre 1909 auch merklich ab. 1911 lehnte Hussein die Führung eines anti-osmanischen Aufstandes ab. 1916 entschied er sich jedoch für die Briten bzw. für Thomas E. Lawrence, der von ihm selbst und seinen Söhnen als vertrauenswürdig empfunden wurde und der offensichtlich auch nur ein Betrogener der britischen Politik war. Unter Führung des Scherifs, der sich nun „König der Araber“ nannte, seines dritten Sohnes Faisal (1883–1933) und Lawrence (1888–1935) begann 1916 der arabische Aufstand gegen das Osmanische Reich.

Das jungtürkische Triumvirat erkannte die Gefahr des von den Briten unterstützten Aufstandes. Ahmed Cemal Pascha, offiziell Marineminister – tatsächlich neben Talaat Pascha und Enver Pascha drittmächtigster Mann im Osmanischen Reich, übernahm die Führung der Osmanischen Truppen zur Niederschlagung des Aufstands. Im Wesentlichen blieb er erfolglos, allerdings konnte er einige Erfolge in Palästina vorweisen. Interessant ist, dass Ben Gurion, der spätere erste Präsident Israels, Cemal seine Unterstützung anbot. Dieser lehnte jedoch die Hilfe durch jüdische Freischärler ab. Der arabische Aufstand trug auf jeden Fall zum Untergang des Osmanischen Reiches bei. Er neutralisierte die Niederlage der Briten bei Gallipoli und erschwerte den Jungtürken ihre pantürkischen Träume auf Kosten Russlands bzw. der entsprechenden Völker umzusetzen. Ebenso hinderte der Aufstand den Ausbau der Bagdadbahn und den damit erhofften Zugang des Deutschen Reiches auf das Erdöl der Region um Mosul.

Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und die Konkurrenz (und Schwäche) der Siegermächte führte auch zu einer völligen Umwälzung der politischen Verhältnisse auf der arabischen Halbinsel, deren Folgen heute noch wirksam sind. Nach der Absetzung des letzten osmanischen Kalifen beanspruchte Hussein ibn Ali das Amt für sich. Er ernannte sich selbst zum Kalifen und seinen ältesten Sohn Ali ibn Hussein zum König von Hedschas, einem Gebiet im Westen der Halbinsel. Diese Ambitionen richteten sich eindeutig gegen die Ansprüche von Abd al-Aziz Ibn Saud, des Herrschers über den Nadschd, der zentral gelegenen Region. Bereits Ende 1924 eroberten Ibn Saud und die ihm unterstützenden Wahhabiten den Hedschas und die Haschemiten wurden vertrieben. 1926 vereinigte Ibn Saud all seine seit 1902 eroberten Gebiete, die seit 1932 als Königreich Saudi-Arabien firmieren. Der jetzige saudische König Salman Abd al-Azis ist der sechste Sohn, der seinen 1953 verstorbenen Vater im Jahr 2015 als König folgte. Die Bedeutung der 1924 erfolgten Eroberung des Hedschas liegt nicht darin, dass die nachweislich seit dem 10. Jahrhundert als Scherifen von Mekka und Scherifen von Medina (bis 1517) herrschenden Haschemiten gestürzt wurden, sondern dass im Gefolge der Eroberungen die radikal-fundamentalistischen Wahhabiten die Kontrolle über die religiösen Zentrem des Islams in Mekka und Medina übernahmen.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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Naher Osten - Suebe - 18.10.2014, 11:15
RE: Naher Osten - Uta - 18.10.2014, 13:50
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