Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 0 Bewertungen - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Analphabetismus heute bei uns
14.09.2014, 10:34
Beitrag: #21
RE: Analphabetismus heute bei uns
Mal als Beispiel außerhalb Württembergs das einer kleinen bayerischen Landgemeinde:

"Die nicht ganz so ergiebigen Berichte und urkundlichen Belege über das Schulwesen in Ebenhausen lassen dennoch mit den Visitationsprotokollen der protestantischen Zeit ab 1585 beginnen. (...) Obwohl vom Landesherrn ausgebildet und als Pfarrherren eingesetzt, erhielten diese und die Messner ihre Besoldung vom Abt (von Kloster Kaisheim) in Verrechnung mit dem Zehent, der dem Kloster Kaisheim weiterhin zustand. Bezogen auf die schulischen Verhältnisse nahm der Messner von Ebenhausen die Betreuung der Schulkinder zur Zufriedenheit des Pfarrers wahr, wenngleich von dem Messnergehalt noch eine für den Schulunterricht geeignete Person hätte eingestellt werden können.
Unterrichtet wurden hauptsächlich nur in den Fächern Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen. Der Besuch der Schule war mehr freiwillig, da es noch keine Schulpflicht gab. Eine Schule gab es nur in Reichertshofen, wohin auch die Kinder von Ebenhausen gingen, sofern sie überhaupt die Schule besuchten.
Folgende Namen werden in den Visitationsprotokollen genannt:
1575 Messner unbekannt, Pfarrer Peter Knauer
1585 Messner Hans Zeidelmaier von Baar gebürtig
1591 Messner Georg Zeidelmaier, des vorigen Sohn
1610 Messner Hans Henle

In der Folgezeit werden erst wieder von 1771-1848 als Messner und Schulhalter Schelchshorn, Haindl, Lob und Innocenz Haunsberger genannt.

Pfarrer Max Holzmann 1853-1873 schreibt über die damaligen Schulverhältnisse: „Ehedem bestand hier wohl eine Schule, aber kein eigenes Schulhaus. Der Messner, ansässig auf dem Hause Nr. 40 (heute Martinstraße 13) nördlich vom Tyrolerhofe, war zugleich Schulhalter unter spezieller Aufsicht des Pfarrers, und gab den Schulunterricht im eigenen Wohnhause“ (...) Nach der Klosteraufhebung im Jahre 1806 wurde vom Staat die Wohnungsentschädigung, die bisher das Kloster Kaisheim gewährte, nicht mehr ausbezahlt. Die Schullehrer wagten es auch nicht, dieselbe zu reklamieren, weil sie befürchteten, es könnte ihnen wegen des Fehlens der gesetzlichen Befähigung das Schulhalten entzogen und ein ausgebildeter Lehrer angestellt werden. Ein nicht geringes Nebeneinkommen brachte den Schullehrern in jener Zeit neben den Stolgebühren bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen das Aufspielen bei Tanzmusiken.(...)
Im Jahre 1854 konnte das erste gemeindeeigene Schulhaus (heute Anwesen Kirchplatz 9) bezogen werden. (...)
Im Jahre 1891 dachte die Gemeinde wegen ständig steigender Schülerzahlen an einen Erweiterungsbau, der jedoch wegen Platzmangel vom damaligen Bezirksamt Ingolstadt abgelehnt wurde. Daraufhin entschloss sich die Gemeinde für einen Schulhausneubau und kaufte 1892 vom Rauscheranwesen an der Hauptstraße 28 Dezimale hinzu. Bereits 1894 konnte die neuerbaute Schule von den Kindern bezogen werden. Im Jahre 1937 erwarb die Gemeinde weitere 18 Dezimale vom Rauscher Anwesen zur Erweiterung des Schulhauses. Für die drei Schulsäle wurden die alten Schulbänke durch neuzeitliche ersetzt und zehn Jahre später weitere 30 Schulbänke angeschafft. [Die Einwohnerzahlen des Dorfes stiegen entsprechend, die Erweiterungen sind also nicht darauf zurückzuführen, dass zuvor nur Jungen unterrichtet wurden und jetzt die Mädchen dazukamen). (...)"

Ich halte fest: Bis etwa 1848 wurde der Unterricht vom Messner gehalten, und zwar auf freiwilliger Basis. Der Weg zur regulären Schule im Nachbarort war zu Fuß etwa eine halbe Stunde. Naheliegend, dass die Dorfjugend eher ungebildet war, aber Lesen, Schreiben und die Grundzüge des Rechnens dürften geläufig gewesen sein, zumindest bei den Jungen.

Danach übernahm die Gemeinde den Unterhalt der Schule und bestallte dazu auch eigene Lehrer. Wird zwar in der Darstellung nicht extra erwähnt, war aber so. Die Qualifikation dieser Lehrer dürfte heutigen pädagogischen und inhaltlichen Maßstäben kaum einmal Stand gehalten haben...wer´s am billigsten machte, bekam den Job. Oft waren das verhinderte Pfarrer oder Invaliden, die irgendwie ein Auskommen suchten.

Bis 1891/94 stiegen die Schülerzahlen deswegen, weil erstens die Bevölkerung zunahm und weil zweitens mittlerweile die Schulpflicht eingeführt wurde, auch wenn sie noch schlecht kontrolliert werden konnte. Schlagendes Indiz dafür ist die Tatsache, dass in Ebenhausen erst 20 Jahre nach Reichsgründung ein neues Schulgebäude nötig wurde; das Schulhaus, das von 1854 bis 1891/94 in Gebrauch war, steht noch, es ist ein zweizimmriges Häuschen mit Anbau und zusätzlichen Wohnräumen für den Lehrer. In den Nachbargemeinde war das unisono ähnlich.

Erst nach 1894 waren also überhaupt erst einmal die räumlichen Voraussetzungen gegeben, einen einigermaßen vernünftigen Unterricht abzuhalten. Was das für das Bildungsniveau der damaligen - bayerischen - Landjugend aussagt, überlasse ich eurer Phantasie...

VG
Christian
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
14.09.2014, 11:03
Beitrag: #22
RE: Analphabetismus heute bei uns
Erst einmal vielen Dank für die Erklärung. Trotzdem werde ich diesen Prozentsatz mir nur mit Vorbehalt merken. Du hast schon richtig geschrieben, dass der Ermessensspielraum groß sein muss und der ermittelte Wert eine große Abweichung vorweisen wird. Denn dann stellt sich z.B. die Frage (aus einem Leipziger Gerichtsprozess), ob ein Professor aus dem Bereich Werkstoffkunde auch ein funktionaler Analphabet ist, nur weil er einen gerissenenen Betrüger aufgelaufen war und dadurch über 100.000 Euro verloren hat. Der Richter unterstellte ihm zumindest den Text des Vertrages nicht gelesen bzw. nicht verstanden zu haben, um dann entsprechende Fragen an den Vermittler zu stellen. Die Frage ist aber, ob nicht nur wie in diesem Fall, bewusst komplizierte Verklausulierungen verwendet werden, um Leute abzuschrecken, weil diese sich schämen, den (wirklich unverständlichen) Text verstanden zu haben. Aber ist das dann noch funktionaler Analphabetismus?

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
14.09.2014, 11:19
Beitrag: #23
RE: Analphabetismus heute bei uns
(14.09.2014 11:03)Sansavoir schrieb:  Aber ist das dann noch funktionaler Analphabetismus?

Eindeutig: Nein.
Man muss kein Amtsdeutsch können, um kein Analphabet zu sein...

Funktionaler Analphabetismus besteht darin (wie gesagt), dass man zwar z.B. seinen namen schreiben kann, auch einfache bzw. kurze Texte, dies aber mit Mühe, und dass man v.a. z.B. bei Zeitungsartikel oder epischen Texten (Kurzgeschichten, von Romanen ganz zu schweigen) diese zwar lesen kann, aber mit dem Verständnis Schwierigkeiten hat, wenn dieses überhaupt möglich ist.
Solche Menschen lesen dann erst gar nicht, weil sie von vorneherein wissen, dass sie keinen sinn in das Gelesene kriegen und werden so zu faktischen Analphabeten - was nicht geübt wird, verkümmert mit der Zeit, schon gar, wenn die Fähigkeit von vorneherein nicht deutlich ausgeprägt ist...

VG
Christian
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
14.09.2014, 12:12
Beitrag: #24
RE: Analphabetismus heute bei uns
Funktionaler Analphabetismus ist v.a. auch ein relativer Begriff. Genau wie Armut, die sich z.B. in Deutschland ganz anders ausdrückt als in Burkina Faso oder Bangladesch.
Ist der Grad der Beherrschung der Schriftsprache (Lesen+Schreiben) im Arbeitsleben und/oder im allgemeinen gesellschaftlichen Verkehr (noch) ausreichend oder nicht?
Die Grenzen, in denen man von funktionalem Analphabetismus spricht, sind auf Grund des allgemeinen rasanten technischen, aber auch gesellschaftlichen "Fortschritts", natürlich zeitlich fließend. Was gestern vielleicht noch gelangt hat, ist geraume Zeit später nicht mehr ausreichend und kann heute oder morgen dazu führen, dass derjeneige nicht mehr in vollem Umfang, den von der Gesellschaft gestellten Anforderungen gerecht werden kann und sukzessive von bestimmten gesellschaftlichen Prozessen und Normalitäten ausgegrenzt wird. Selbst die Vertretung der eigenen Interessen wird ihm dadurch extrem erschwert oder fast unmöglich gemacht.

Das ganze macht es natürlich umso schwerer, wenn Daten über Analphabetismus/Alphabetisierung von vor hundert oder zweihundert Jahren, mit denen von heute verglichen werden sollen.


Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.
Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!

Eduard F. Mörike (1804-1875)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
14.09.2014, 14:12
Beitrag: #25
RE: Analphabetismus heute bei uns
(13.09.2014 23:06)Bunbury schrieb:  So, und jetzt mit einer Mischung aus Ironie und Resignation eine kurze Zusammenfassung der Diskussion:

Zum Beleg, daß um 1880 herum das Bildungsniveau höher war als heute und fast jeder lesen und schreiben konnte, wurden Prozentzahlen miteinanderverglichen- 0,024 % der Rekruten eines einzelnen Jahrganges (1880) wurden die 14,2 der kompletten Erwerbslosen von heute gestellt.

Ich habe mich mit diesem Vergleich ernsthaft und sachlich auseinandergesetzt und festgestellt, daß beide Zahlen nicht mit einander vergleichbar sind.

Dies wurde von meinen beiden Mitdiskutanten mehr oder weniger ignoriert.

Zum weiteren Beleg wurde das Programm einer Schule aus Würtemberg von 1810 angeführt.

Auch damit habe ich mich auseinandergesetzt. Der sachlich richtige Einwand, daß es 1810 kein einheitliches Deutschland gab, wurde ebenso ignoriert wie die Tatsache, daß es in unterschiedlichen Königreichen unterschiedliche Bildungspläne gegeben hat und daß es eine allgemeine Schulpflicht in ganz Deutschland tatsächlich erst 1910 gab.

Es wurde eine weiterführende Mädchenschule als Beispiel für die Bildung von Mädchen angeführt. Dafür, daß das flächendeckend war, fehlt jeder Beleg.
Aber ich soll es als Beweis für die anfängliche Behauptung irgendwie akzeptieren.

Als ich das nicht tue, wurde mir dann von einem Mitdiskutanten gleich ein persönliches Problem unterstellt.

Wir haben also:
Behauptung
Gegenargument ignorieren.
Beispiel
Frage nach der Allgemeingültigkeit des Beispiels- ignorieren.
Persönlich werden.

Im übrigen in jeden Psychologielehrbuch der klassische Rollen- Streitablauf.

Gut, Jungs. Da es offensichtlich dadrum geht:

Um das Jahr 1880 herum konnten in Deutschland fast alle Menschen lesen, rechnen und schreiben und zwar besser, als sie das heute können. Jeder hat den Karl May gelesen, und Mädchen hatten natürlich die gleichen Bildungschancen wie Jungen.

Wenn ihr das so haben wollt, gut. Dann meinetwegen.
Ihr habt recht- und ich habe meine Ruhe.

Und ironischerweise beginne, meine Tante und Großtante zu verstehen. Was nützt es schon, wenn Mädchen lesen und denken können- am Endehaben die Männer immer recht...

Wie gesagt, ganz ernst gemeint ist das nicht, eher ein bißchen ironisch und resigniert.



sowas ignoriert man am besten.
Wenn nicht der "psychologische" Teil wäre.

Basis dieser Kontroverse ist dieser 3nd
http://www.forum-geschichte.at/Forum/sho...t=karl+may

Insbesondere diese Aussagen:

Zitat:Ich schrieb dies:
Die Deutschen des Jahres 1910 hatten überaus detaillierte Kenntnisse über die USA, zumindest detailliertere als heute!
Und ich wage die These, dass dies für 1880 ebenso zutrifft.

Und bekam die Antwort:
Kann ich mir nicht vorstellen- in der breiten Masse zumindest nicht. Das Bürgertum vielleicht- aber Menschen, die nicht lesen und schreiben konnten und 12 bis 14 Stunden für den täglichen Unterhalt arbeiten mussten, hatten nicht unbedingt die Muße sich mit Amerika zu beschäftigen ist....

Naja, ungefähr so wie die BILD Zeitung- es reicht doch, wenn einer lesen kann und den anderen erzählt, was er gelesen hat.

Dumme Frage- auch die Frauen?

Okay, vielleicht ein voreiliger Schluss. Meine ältesten Verwandten wurden um die Jahrhundertwende geboren. Zur Schule sind sie zwar gegangen, aber sie waren deswegen nicht im Stande, ein Buch zu lesen. Ein bißchen in der Bibel, mehr aber auch nicht. Und ich habe von dieser uralten Generation die Männer nicht gekannt, nur die Frauen. Und die waren nicht wirklich Analphabeten, aber ein längerer Text hat sie schon überfordert...

Ich habe ja keine Ahnung, aus welcher gesellschaftlichen Klasse deine Vorfahren stammen, aber für Arbeiter war ein Buch um die Jahrhundertwende etwas sehr exotisches. Da ist viel über Mund zu Mund Propaganda gelaufen, jeder hat erzählt, was er von irgendeinem Cousin 27 grades gehört hat, der vor drei Jahren ausgewandert ist. Und natürlich auch, was der Lehrer und der Pfarrer, die beiden Intellektuellen eines jeden Dorfes, aus dem Winnetou erzählt oder vorgelesen haben...

eine Urgroßmutter (Jahrgang weiß ich nicht, muss um 1880 gewesen sein) konnte regelmäßig nicht zur Schule gehen, weil sie ihre Mutter pflegen und sich um ihre jüngeren Geschwister kümmern mußte. Außer der Bibel hat sie nichts gelesen, sie konnte es wohl auch nicht besonders gut. Meine Großmutter (1898) hielt gar nichts davon, daß Mädchen ihre Zeit mit lesen vergeuden, das durften bei ihr im Haus nur die Jungen. Aus denen sollte ja mal was werden. Aber ein Mädchen, das die Nase in ein Buch steckte, bekam doch keinen Mann mehr ab. Wer wollte schon ´nen Blaustrumpf haben? Meine Mutter (1941) hat erzählt, daß meine Großmutter nur mit Mühe lesen konnte und für einen Brief zum Lesen (aber nicht aus Amerika) Stunden brauchte.
Arbeiterfamilie halt.

Aber möglicherwiese handelt es sich dabei auch um die Relikte der Zeit, die danach kam. Meine tante hat meiner Mutter immer die Hölle heigemacht, wenn de gelesen hat- und ich bekam von ihr in einer Tour zu hören, daß es nicht so wichtig für mich wäre, Hausaufgaben zu machen, ich sollte besser daheim beim Kochen helfen. Aber auch meine Großtante, 1897 er jahrgang war der Meinung, daß ich lieber meinem Bruder das Zimmer aufräumen sollte als selbst etwas zu lernen....

Und das bezog sich auf die Stellung meiner Frau in unserer gemeinsamen Firma:

Zitat:Du kannst das schreiben und merkst nicht einmal, daß du mein "Rollenklische" wie Arkona das oben so schön nennt, voll bestätigst?

Hat sich nichts geändert gell? Die Frau darf dem Manne gerne als Hilfskraft unterstützen. Nur mehr sein, das darf sie nicht...

Wer meine Frau kennt, kann darüber nicht mal lachen....

Ja, meine Frau macht heute ganz etwas anderes als das, was sie studierte.
Wird aber noch ein paar geben.
Und auf meinen Druck oder sonstwas sowieso nicht. Das war ihre eigene freie Entscheidung.
Bei Bedarf hole ich gerne eine Ehrenerklärung ihrerseits ein.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
14.09.2014, 16:47
Beitrag: #26
RE: Analphabetismus heute bei uns
Es ist gut, dass der Begriff des funktionalen Analphabeten gefallen ist. Wenn es um Behördenformulare geht, bin ich auch einer. Lieber lege ich jährlich eine hohe 3stellige Summe für den Steuerberater auf den Tisch (bin Freiberufler) als mich selbst damit abzugeben.

„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 11:58
Beitrag: #27
RE: Analphabetismus heute bei uns
(14.09.2014 14:12)Suebe schrieb:  [quote='Bunbury' pid='38612' dateline='1410642371']
Und das bezog sich auf die Stellung meiner Frau in unserer gemeinsamen Firma:

Zitat:Du kannst das schreiben und merkst nicht einmal, daß du mein "Rollenklische" wie Arkona das oben so schön nennt, voll bestätigst?

Hat sich nichts geändert gell? Die Frau darf dem Manne gerne als Hilfskraft unterstützen. Nur mehr sein, das darf sie nicht...

Wer meine Frau kennt, kann darüber nicht mal lachen....

Ja, meine Frau macht heute ganz etwas anderes als das, was sie studierte.
Wird aber noch ein paar geben.
Und auf meinen Druck oder sonstwas sowieso nicht. Das war ihre eigene freie Entscheidung.
Bei Bedarf hole ich gerne eine Ehrenerklärung ihrerseits ein.

Sorry, ich wollte dich nicht kränken, und schon gar nicht das behaupten, was du wieder rausgelesen hast.

Mir ging es einzig und allein um die Selbstverständlichkeit, mit der du das geschrieben hast. Als wäre es das Normalste der Welt, daß die Frau dem Manne hilft, egal, was sie selbst studiert hat. Ja, das klang sehr selbstverständlich.
Das ist es aber nicht.

Das stimmt schon traurig.
Aber ich erwarte nicht, daß du das verstehst.


Schade, ich hätte gerne herausgefunden, wie die Diskrepanz zwischen dem, was du als Fakten präsentierst und dem, was bei mir angekommen ist, zu erklären ist. Aber ich fürchte, du bist nicht der richtige dafür.

Denn ehrlich gesagt- wir haben ja eigentlich über etwas ganz anderes diskutiert. Unser kleiner "Privatstreit", wenn man es so will. Letztendlich geht es ja doch in letzter Konsequenz eh wieder nur darum, daß die Jugend von heute nichts taugt, faul ist und in der Schule nichts vernünftiges lernt.

@Uta, Avicenna, Chris: Danke für eure Infos. Die waren sehr interessant und dazu angetan, das Bild doch abzurunden.

Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 14:51
Beitrag: #28
RE: Analphabetismus heute bei uns
(14.09.2014 16:47)Arkona schrieb:  Es ist gut, dass der Begriff des funktionalen Analphabeten gefallen ist. Wenn es um Behördenformulare geht, bin ich auch einer. Lieber lege ich jährlich eine hohe 3stellige Summe für den Steuerberater auf den Tisch (bin Freiberufler) als mich selbst damit abzugeben.

oder Versicherungsverträge....
Ich würde aber mal ganz forsch behaupten, dass wir uns dann als funktionale Analphabeten in bester Gesellschaft befinden, nämlich mit der ganz großen Mehrheit -
mir drängt sich da spontan der alte Geisterfahrerwitz auf....

nicht ärgern, nur wundern...
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 15:25
Beitrag: #29
RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 14:51)Uta schrieb:  
(14.09.2014 16:47)Arkona schrieb:  Es ist gut, dass der Begriff des funktionalen Analphabeten gefallen ist. Wenn es um Behördenformulare geht, bin ich auch einer. Lieber lege ich jährlich eine hohe 3stellige Summe für den Steuerberater auf den Tisch (bin Freiberufler) als mich selbst damit abzugeben.

oder Versicherungsverträge....
Ich würde aber mal ganz forsch behaupten, dass wir uns dann als funktionale Analphabeten in bester Gesellschaft befinden, nämlich mit der ganz großen Mehrheit -
mir drängt sich da spontan der alte Geisterfahrerwitz auf....
oder "Allgemeine Geschäftsbedingungen" .....oder Gebrauchsanweisungen ...oder

In den meisten Fällen ist das Absicht, die Juristenzunft will ja auch leben.
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 16:34
Beitrag: #30
RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 11:58)Bunbury schrieb:  ./.

Das stimmt schon traurig.
Aber ich erwarte nicht, daß du das verstehst.
./.


Nein, ich verstehe es auch nicht.

Zitat:Schade, ich hätte gerne herausgefunden, wie die Diskrepanz zwischen dem, was du als Fakten präsentierst und dem, was bei mir angekommen ist, zu erklären ist. Aber ich fürchte, du bist nicht der richtige dafür.

Das nehme ich zur Kenntnis.


Und jetzt erlaube ich mir auch mal ein offenes Wort.

Du steckst voller Vorurteile.
Alle Fakten, die deine Vorurteile nicht bestätigen, nimmst du entweder gar nicht zu Kenntnis, oder versuchst sie "herabzurelativieren". Was nicht sein darf kann auch nicht sein...
Mädchen im 19, Jahrhundert der Unterschicht konnten nicht lesen.
Basta aus fertig. Bunbury hat gesprochen.

Meine Frau, sorry, aber du hast davon angefangen,
hatte zweimal Krebs, einmal links, einmal rechts.
Wenn man zuvor so blöd war, und 10 Jahre zu Hause war, der Kinder zuliebe, hat man alle Ansprüche verloren.
Und man, in dem Fall sie, kommt mit der Krankengeschichte in ihren Job nicht ums "Verrecken" wieder rein.
Wer stellt auch einen zukünftig Langzeitkranken ein? Die öffentliche Hand zweimal nicht.
Langer Rede kurzer Sinn, wir, ich aber auch sie, waren sehr froh, dass es in dem Fall eine Alternative gab.

Aber natürlich, ich bin ja ein solcher Macho.....


Der Rest.... geschenkt. Auf zweimal

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 17:33
Beitrag: #31
RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 15:25)Renegat schrieb:  
(15.09.2014 14:51)Uta schrieb:  oder Versicherungsverträge....
Ich würde aber mal ganz forsch behaupten, dass wir uns dann als funktionale Analphabeten in bester Gesellschaft befinden, nämlich mit der ganz großen Mehrheit -
mir drängt sich da spontan der alte Geisterfahrerwitz auf....
oder "Allgemeine Geschäftsbedingungen" .....oder Gebrauchsanweisungen ...oder

In den meisten Fällen ist das Absicht, die Juristenzunft will ja auch leben.

Das kann man sicher noch allgemeiner sehen, nicht nur bei irgendwelchen Finanzsachen.
Überall dort, wo sich einer gewissen Fachsprache bedient wird, sieht derjenige, der davon keine Ahnung hat, eben total blass aus - er versteht kaum etwas. Beim Lesen von solchen Texten das gleiche - in speziell diesen Fachgebieten ist man dann ein funktionaler Analphabet.

Inwieweit solche Fachsprachen insofern sinnvoll und effizient sind, weil sich die "Kundigen" auf diese Art besser und schneller verständigen können, und/oder ob man sich damit auch sichtbar oder hörbar von anderen "Unkundigen" einfach nur abgrenzen will, kann ich nicht einschätzen. Es ist sicher von beidem was dabei.

Eine verwandte Problematik tritt m.E. auch bei Immigranten auf, die nach D. kommen und kaum Deutsch (sprechen) können. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit können diese Leute in ihrer Muttersprache lesen und schreiben, was dagegen die LeseSchreibkompetenz im Deutschen betrifft, sind sie aber funktionale Analphabeten der untersten Ebene, obwohl sie vielleicht die Buchstaben eines vorliegenden Textes zu Wörtern und Sätzen zusammenfügen können.


Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.
Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!

Eduard F. Mörike (1804-1875)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 17:48
Beitrag: #32
RE: Analphabetismus heute bei uns
Zitat:Mädchen im 19, Jahrhundert der Unterschicht konnten nicht lesen.
[...]

Vielleicht nochmal zurück zum Thema (Sorry, Suebe, dass ich ausgerechnet das Zitat aus deinem Beitrag gewählt habe, war aber im Moment so gut greifbar. Ich will dir damit nichts in den Mund legen.)

Gehen wir davon aus, dass Mädchen im 19. Jh. durchaus in der Schule waren und wenigstens eine Grundschulbildung bis hin zur Volksschulbildung genossen haben, dann dürften doch die meisten wenigstens lesen und schreiben gelernt haben.

Nehmen wir weiterhin die Zahlen, die im Verlaufe der Diskussion aufkamen, als Fakt, nämlich 14,2 % (funktionale ?) Analphabeten.

Ok, wenn es in unserem heutigen Schulsystem mit Schulpflicht, Schulwahl, Lehrmittelfreiheit, Fördereinrichtungen, Durchlässigkeit nach oben wie nach unten, Sonderpädagogen etc. pp immerhin 14,2% der heute Erwerbstätigen (sicher?) "gelingt" nach 7 - 9 (oder noch mehr) Schuljahren immer noch nicht richtig lesen und schreiben zu können, wieviele mögen dann im 19. Jh. zwar in der Schule gewesen sein, aber es auch nicht geschafft haben?

Heutzutage muss sich ein "echter" Analphabet (funktionaler, wie auch immer definiert lass ich mal außen vor) ganz schön was einfallen lassen, um nicht als solcher erkannt zu werden. Es gibt kaum Erwerbsmöglichkeiten, in denen nicht ein Minimum an Lesen und Schreiben erforderlich wird, und sei es nur die Kantinenbestellung aufzugeben. Im 19. Jh. sah das sicher sowohl für Männlein als auch Weiblein anders aus. Erstens gab es genügend Erwerbsmöglichkeiten ohne Schriftlichkeit, noch dazu dürfte es gerade auch den Frauen nicht unbedingt an Ansehen geschadet haben, wenn sie es mit dem Schreiben nicht so hatten. Von ihnen waren andere Qualitäten gefordert.

Aus diesem Grund denke ich schon, dass der Anteil analphabetischen Frauen im 19. Jh. deutlich höher lag als heute.

Was die andere Zahl in dieser Diskussion betrifft, die 0,024 Rekruten. Ich muss ehrlich sagen, dass mich das interessiert. Wäre doch mal interessant, die heutigen wehrtauglichen jungen Männer des gleichen Alters (also die zwei Jahrgänge die normalerweise jetzt eingezogen werden würden) gegenüber zu stellen. Dann würde a) der Vergleich stimmen, und b) könnte man daran wirklich sehen, wie sich die Grundbildung zumindest für junge Männer im Laufe der Zeit verändert (verbessert? verschlechtert?) hat.

nicht ärgern, nur wundern...
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 18:26
Beitrag: #33
RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 16:34)Suebe schrieb:  
(15.09.2014 11:58)Bunbury schrieb:  ./.

Das stimmt schon traurig.
Aber ich erwarte nicht, daß du das verstehst.
./.


Nein, ich verstehe es auch nicht.

Zitat:Schade, ich hätte gerne herausgefunden, wie die Diskrepanz zwischen dem, was du als Fakten präsentierst und dem, was bei mir angekommen ist, zu erklären ist. Aber ich fürchte, du bist nicht der richtige dafür.

Das nehme ich zur Kenntnis.


Und jetzt erlaube ich mir auch mal ein offenes Wort.

Du steckst voller Vorurteile.
Alle Fakten, die deine Vorurteile nicht bestätigen, nimmst du entweder gar nicht zu Kenntnis, oder versuchst sie "herabzurelativieren". Was nicht sein darf kann auch nicht sein...
Mädchen im 19, Jahrhundert der Unterschicht konnten nicht lesen.
Basta aus fertig. Bunbury hat gesprochen.

Meine Frau, sorry, aber du hast davon angefangen,
hatte zweimal Krebs, einmal links, einmal rechts.
Wenn man zuvor so blöd war, und 10 Jahre zu Hause war, der Kinder zuliebe, hat man alle Ansprüche verloren.
Und man, in dem Fall sie, kommt mit der Krankengeschichte in ihren Job nicht ums "Verrecken" wieder rein.
Wer stellt auch einen zukünftig Langzeitkranken ein? Die öffentliche Hand zweimal nicht.
Langer Rede kurzer Sinn, wir, ich aber auch sie, waren sehr froh, dass es in dem Fall eine Alternative gab.

Aber natürlich, ich bin ja ein solcher Macho.....


Der Rest.... geschenkt. Auf zweimal

Du merkst es wirklich nicht, oder?
Du machst mich wirklich extrem traurig.
Du steckst so voller Vorurteile, daß du Dinge liest, die ich nicht geschrieben habe. Aber du weißt mit absoluter Sicherheit, was ich denke und sage.

Nein, sorry, tust du nicht. Nicht einmal ansatzweise.

Das mit deiner Frau tut mir leid.
Aber ich habe nie über sie geschrieben, sondern nur über dich. Du hast sie ins Spiel gebracht, nicht ich.

Aber soviel Fairness, wenigstens das zuzugeben, brauche ich von dir wohl nicht zu erwarten.

Und ja- ich halte dich für einen Macho. Aber nicht deswegen, was du mir unterstellst. Sonst einfach deswegen, weil du niemals auch nur ansatzweise zugeben konntest, daß ich vielleicht irgendwo recht haben könnte. Und daß du mir regelmäßig, wenn ich eine andere Meinung habe als du, die Kompetenz absprichst, die Frage beurteilen zu können. Etwas, was du bei unseren männlichen Mitschreibern nicht tust.

Trotzdem habe ich mich immer wieder auf die Diskussion mit dir eingelassen- weil ich immer in Betracht ziehe, mich vielleicht doch geirrt zu haben. Ich denke, das lasse ich künftig.

Aber nicht deinetwegen.
Sondern um all der anderen willen, die sich hire wirklich um Sachlichkeit bemüht haben.

An alle anderen: Danke für die Infos. Ihr habt mir echt weitergeholfen.

Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 19:18
Beitrag: #34
RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 17:48)Uta schrieb:  Was die andere Zahl in dieser Diskussion betrifft, die 0,024 Rekruten. Ich muss ehrlich sagen, dass mich das interessiert. Wäre doch mal interessant, die heutigen wehrtauglichen jungen Männer des gleichen Alters (also die zwei Jahrgänge die normalerweise jetzt eingezogen werden würden) gegenüber zu stellen. Dann würde a) der Vergleich stimmen, und b) könnte man daran wirklich sehen, wie sich die Grundbildung zumindest für junge Männer im Laufe der Zeit verändert (verbessert? verschlechtert?) hat.

Da habe ich schon nach gesucht und leider im Netz nix gefunden. Die Zahl von 1880 kommt mir so niedrig vor, es müssen andere Kriterien als heute angewandt worden sein. Das Schreiben des eigenen Namens? Aber darüber worum es primär ging, nämlich dass auch schon in dieser Zeit Lesen und Schreiben in Deutschland verbreitetes Allgemeingut war, sind wir uns hoffentlich einig. Dazu bedarf es auch keiner zehnjährigen Schulzeit, zumal man damals die Aneignung dieser Fertigkeit nachdrücklich mit dem Rohrstock förderte.

„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 19:50
Beitrag: #35
RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 19:18)Arkona schrieb:  Da habe ich schon nach gesucht und leider im Netz nix gefunden. Die Zahl von 1880 kommt mir so niedrig vor, es müssen andere Kriterien als heute angewandt worden sein. Das Schreiben des eigenen Namens? Aber darüber worum es primär ging, nämlich dass auch schon in dieser Zeit Lesen und Schreiben in Deutschland verbreitetes Allgemeingut war, sind wir uns hoffentlich einig. Dazu bedarf es auch keiner zehnjährigen Schulzeit, zumal man damals die Aneignung dieser Fertigkeit nachdrücklich mit dem Rohrstock förderte.

Ich hatte was vergleichbares an Zahlenmaterial gefunden, nur blöderweise alles schon wieder weggeklickt. Da muss ich nochmal in der Chronik schauen. Die Kriterien die da angewandt wurden, waren aber mit Sicherheit andere, da stimme ich dir absolut zu.

Das mit dem Rohrstock ist auch ein guter Hinweis.
Dieses sehr autoritäre "pädagogische Hilfsmittel" war ja ein ständig über den Schülern schwebendes Damoklesschwert, welches wohl so manchem verstockten und auf Faulheit zurückzuführenden "funktionalen Analphabeten" die Liebe zum Lesen, Schreiben und Rechnen nähergebracht haben muss.
Ich stelle mir das ziemlich schrecklich und demütigend vor.


Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.
Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!

Eduard F. Mörike (1804-1875)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 20:37
Beitrag: #36
RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 17:48)Uta schrieb:  
Zitat:Mädchen im 19, Jahrhundert der Unterschicht konnten nicht lesen.
[...]

Vielleicht nochmal zurück zum Thema (Sorry, Suebe, dass ich ausgerechnet das Zitat aus deinem Beitrag gewählt habe, war aber im Moment so gut greifbar. Ich will dir damit nichts in den Mund legen.)

Gehen wir davon aus, dass Mädchen im 19. Jh. durchaus in der Schule waren und wenigstens eine Grundschulbildung bis hin zur Volksschulbildung genossen haben, dann dürften doch die meisten wenigstens lesen und schreiben gelernt haben.

Nehmen wir weiterhin die Zahlen, die im Verlaufe der Diskussion aufkamen, als Fakt, nämlich 14,2 % (funktionale ?) Analphabeten.

Ok, wenn es in unserem heutigen Schulsystem mit Schulpflicht, Schulwahl, Lehrmittelfreiheit, Fördereinrichtungen, Durchlässigkeit nach oben wie nach unten, Sonderpädagogen etc. pp immerhin 14,2% der heute Erwerbstätigen (sicher?) "gelingt" nach 7 - 9 (oder noch mehr) Schuljahren immer noch nicht richtig lesen und schreiben zu können, wieviele mögen dann im 19. Jh. zwar in der Schule gewesen sein, aber es auch nicht geschafft haben?

Heutzutage muss sich ein "echter" Analphabet (funktionaler, wie auch immer definiert lass ich mal außen vor) ganz schön was einfallen lassen, um nicht als solcher erkannt zu werden. Es gibt kaum Erwerbsmöglichkeiten, in denen nicht ein Minimum an Lesen und Schreiben erforderlich wird, und sei es nur die Kantinenbestellung aufzugeben. Im 19. Jh. sah das sicher sowohl für Männlein als auch Weiblein anders aus. Erstens gab es genügend Erwerbsmöglichkeiten ohne Schriftlichkeit, noch dazu dürfte es gerade auch den Frauen nicht unbedingt an Ansehen geschadet haben, wenn sie es mit dem Schreiben nicht so hatten. Von ihnen waren andere Qualitäten gefordert.

Aus diesem Grund denke ich schon, dass der Anteil analphabetischen Frauen im 19. Jh. deutlich höher lag als heute.

Was die andere Zahl in dieser Diskussion betrifft, die 0,024 Rekruten. Ich muss ehrlich sagen, dass mich das interessiert. Wäre doch mal interessant, die heutigen wehrtauglichen jungen Männer des gleichen Alters (also die zwei Jahrgänge die normalerweise jetzt eingezogen werden würden) gegenüber zu stellen. Dann würde a) der Vergleich stimmen, und b) könnte man daran wirklich sehen, wie sich die Grundbildung zumindest für junge Männer im Laufe der Zeit verändert (verbessert? verschlechtert?) hat.

(15.09.2014 18:26)Bunbury schrieb:  
(15.09.2014 16:34)Suebe schrieb:  Nein, ich verstehe es auch nicht.


Das nehme ich zur Kenntnis.


Und jetzt erlaube ich mir auch mal ein offenes Wort.

Du steckst voller Vorurteile.
Alle Fakten, die deine Vorurteile nicht bestätigen, nimmst du entweder gar nicht zu Kenntnis, oder versuchst sie "herabzurelativieren". Was nicht sein darf kann auch nicht sein...
Mädchen im 19, Jahrhundert der Unterschicht konnten nicht lesen.
Basta aus fertig. Bunbury hat gesprochen.

Meine Frau, sorry, aber du hast davon angefangen,
hatte zweimal Krebs, einmal links, einmal rechts.
Wenn man zuvor so blöd war, und 10 Jahre zu Hause war, der Kinder zuliebe, hat man alle Ansprüche verloren.
Und man, in dem Fall sie, kommt mit der Krankengeschichte in ihren Job nicht ums "Verrecken" wieder rein.
Wer stellt auch einen zukünftig Langzeitkranken ein? Die öffentliche Hand zweimal nicht.
Langer Rede kurzer Sinn, wir, ich aber auch sie, waren sehr froh, dass es in dem Fall eine Alternative gab.

Aber natürlich, ich bin ja ein solcher Macho.....


Der Rest.... geschenkt. Auf zweimal

Du merkst es wirklich nicht, oder?
Du machst mich wirklich extrem traurig.
Du steckst so voller Vorurteile, daß du Dinge liest, die ich nicht geschrieben habe. Aber du weißt mit absoluter Sicherheit, was ich denke und sage.

Nein, sorry, tust du nicht. Nicht einmal ansatzweise.

Das mit deiner Frau tut mir leid.
Aber ich habe nie über sie geschrieben, sondern nur über dich. Du hast sie ins Spiel gebracht, nicht ich.

Aber soviel Fairness, wenigstens das zuzugeben, brauche ich von dir wohl nicht zu erwarten.

Und ja- ich halte dich für einen Macho. Aber nicht deswegen, was du mir unterstellst. Sonst einfach deswegen, weil du niemals auch nur ansatzweise zugeben konntest, daß ich vielleicht irgendwo recht haben könnte. Und daß du mir regelmäßig, wenn ich eine andere Meinung habe als du, die Kompetenz absprichst, die Frage beurteilen zu können. Etwas, was du bei unseren männlichen Mitschreibern nicht tust.

Trotzdem habe ich mich immer wieder auf die Diskussion mit dir eingelassen- weil ich immer in Betracht ziehe, mich vielleicht doch geirrt zu haben. Ich denke, das lasse ich künftig.

Aber nicht deinetwegen.
Sondern um all der anderen willen, die sich hire wirklich um Sachlichkeit bemüht haben.

An alle anderen: Danke für die Infos. Ihr habt mir echt weitergeholfen.

(15.09.2014 19:18)Arkona schrieb:  
(15.09.2014 17:48)Uta schrieb:  Was die andere Zahl in dieser Diskussion betrifft, die 0,024 Rekruten. Ich muss ehrlich sagen, dass mich das interessiert. Wäre doch mal interessant, die heutigen wehrtauglichen jungen Männer des gleichen Alters (also die zwei Jahrgänge die normalerweise jetzt eingezogen werden würden) gegenüber zu stellen. Dann würde a) der Vergleich stimmen, und b) könnte man daran wirklich sehen, wie sich die Grundbildung zumindest für junge Männer im Laufe der Zeit verändert (verbessert? verschlechtert?) hat.

Da habe ich schon nach gesucht und leider im Netz nix gefunden. Die Zahl von 1880 kommt mir so niedrig vor, es müssen andere Kriterien als heute angewandt worden sein. Das Schreiben des eigenen Namens? Aber darüber worum es primär ging, nämlich dass auch schon in dieser Zeit Lesen und Schreiben in Deutschland verbreitetes Allgemeingut war, sind wir uns hoffentlich einig. Dazu bedarf es auch keiner zehnjährigen Schulzeit, zumal man damals die Aneignung dieser Fertigkeit nachdrücklich mit dem Rohrstock förderte.

(15.09.2014 19:50)Avicenna schrieb:  
(15.09.2014 19:18)Arkona schrieb:  Da habe ich schon nach gesucht und leider im Netz nix gefunden. Die Zahl von 1880 kommt mir so niedrig vor, es müssen andere Kriterien als heute angewandt worden sein. Das Schreiben des eigenen Namens? Aber darüber worum es primär ging, nämlich dass auch schon in dieser Zeit Lesen und Schreiben in Deutschland verbreitetes Allgemeingut war, sind wir uns hoffentlich einig. Dazu bedarf es auch keiner zehnjährigen Schulzeit, zumal man damals die Aneignung dieser Fertigkeit nachdrücklich mit dem Rohrstock förderte.

Ich hatte was vergleichbares an Zahlenmaterial gefunden, nur blöderweise alles schon wieder weggeklickt. Da muss ich nochmal in der Chronik schauen. Die Kriterien die da angewandt wurden, waren aber mit Sicherheit andere, da stimme ich dir absolut zu.

Das mit dem Rohrstock ist auch ein guter Hinweis.
Dieses sehr autoritäre "pädagogische Hilfsmittel" war ja ein ständig über den Schülern schwebendes Damoklesschwert, welches wohl so manchem verstockten und auf Faulheit zurückzuführenden "funktionalen Analphabeten" die Liebe zum Lesen, Schreiben und Rechnen nähergebracht haben muss.
Ich stelle mir das ziemlich schrecklich und demütigend vor.


Mal allen Antworten.

Mit den "Rekruten" ist es wohl so, dass da vermutlich eher die Gesamtzahl der "Gemusterten" gemeint war. Es ist durchaus möglich, dass da gar nicht viel mehr als die Kunst des Namensschreiben und -lesen geprüft wurde.
Ritter/Tenfelde vergleichen ja auch lediglich mit den Ergebnissen von ca. 1870, dass da noch 2-3% je Jahrgang nicht dazu fähig waren. Und machen an diesem Ergebnis fest, dass dies auf die Leistungen der dt. Volksschule zurückzuführen sei.
Auf die man sich im deutschen Reich sehr viel eingebildet hätte, da zdZ in den anderen europäischen Flächenstaaten dieses Level längst nicht erreicht gewesen wäre.
Kritischer sehen Tenfelde/Ritter die Versuche über die Volksschule die Bevölkerung streng auf Kaiser und Reich auszurichten, wozu zB in Bayern die Lehrer nicht angewiesen worden wären. Dies aber aus innerer Überzeugung oft genug auch versucht hätten.
Der Krieg 1870/71 sei auch ein Sieg des dt. Volksschullehrers gewesen. alles frei zitiert aus o.g.

Wobei, es gibt anscheinend eine Untersuchung über das Leseverhalten des dt. Arbeiters vor 1914 von Langewiesche, ich muss mal schauen ob ich die besorgen kann.


Die Regionalforscher oder Heimatkundler wie man sagen will, des 19. + 20. Jahrhunderts waren sehr häufig Lehrer, ergo kann man sich in regionalen historischen Publikationen recht sicher sein, dass da "immer" ein Kapitel "Schule" enthalten ist. Das Thema oft angerissen wird. Auch die Aktenlage, zumindest in Württemberg ist recht gut, die Herzöge (Beispiel der vielgescholtene Carl Eugen sah dies als seine Berufung) waren hinterher, dass ihre Vorgaben auch umgesetzt wurden. Daher gibt es Visitationsprotokolle ohne Ende Rolleyes
Egal worin man schaut, amtl. Kreisbeschreibung von 1961 Ortsgeschichten usw. usf. Schule ist drin.
Durchaus auch mit Infos zum Thema hier

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 20:46
Beitrag: #37
RE: Analphabetismus heute bei uns
Der Rohrstock....

Habe ich in der Grundschule noch erlebt.
Nicht nur die "gesunde Ohrfeige" oder die gefürchtete Tatze, nein, Hosenspanne, über die voderste Bank legen.....

Hat einer in meiner Klasse an die Schultüre ein Wort geschrieben, begonnen mit V und aufgehört mit tz.
Kam der Rektor mit dem Rohrstock in der Hand, hat ihn mitgenommen wie einen zum Tod verurteilten, die Schreie waren im Klassenzimmer noch zu hören....

Und keiner hat gewusst, warum der verprügelt wurde....

Er hätte die Kreide geklaut, mit der er jenes ominöse Wort geschrieben hatte.
Dass das Kappes war, habe ich mit meinen 8 Jahren geschnallt.

War ein Flüchtlingskind Mutter alleinerziehend, die haben in einer Baracke gehaust und der Junge hat vermutlich manches mitbekommen, was für ein Kind nicht so gut ist.
Aber den so verprügeln....

Sorry, war eine Abschweifung..

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 20:47
Beitrag: #38
RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 19:50)Avicenna schrieb:  Das mit dem Rohrstock ist auch ein guter Hinweis.
Dieses sehr autoritäre "pädagogische Hilfsmittel" war ja ein ständig über den Schülern schwebendes Damoklesschwert, welches wohl so manchem verstockten und auf Faulheit zurückzuführenden "funktionalen Analphabeten" die Liebe zum Lesen, Schreiben und Rechnen nähergebracht haben muss.
Ich stelle mir das ziemlich schrecklich und demütigend vor.

Das kann man wohl annehmen. Hier mal aus der Sicht von jemandem, der dabei war:

Zitat:„Die Lateinschule, welche auch mir viele Konflikte gebracht hatte, wurde für Hans mit der Zeit zur Tragödie, auf andere Weise und aus anderen Gründen als für mich, und wenn ich später als junger Schriftsteller in der Erzählung „Unterm Rad“ nicht ohne Erbitterung mit jener Art von Schulen abrechnete, so war das leidensschwere Schülertum meines Bruders dazu beinah ebenso sehr Ursache wie mein eigenes. Hans war durchaus gutwillig, folgsam und zum Anerkennen von Autorität bereit, aber er war kein guter Lerner, mehrere Lernfächer fielen ihm sehr schwer, und da er weder das naive Phlegma besaß, die Plagereien und Strafen an sich ablaufen zu lassen, noch die Gerissenheit des Sich-Durchschwindelns, wurde er zu einem jener Schüler, von denen die Lehrer, namentlich die Schlechten Lehrer, gar nicht loskommen können, welche sie nie in Ruhe lassen können, sondern immer wieder plagen, höhnen und strafen müssen. Es sind mehrere recht schlechte Lehrer dagewesen, und einer von ihnen, ein richtiger kleiner Teufel hat ihn bis zur Verzweiflung gequält. Dieser Mann hatte unter anderen bösen Gewohnheiten die, daß er sich beim Abfragen dicht und drohend vor dem Schüler aufstellte, ihn mit schrecklichem Richtergesicht anbrüllte und dann, wenn der verängstigte Schüler natürlich versagte und ins Stottern geriet, seine Frage viele Male wiederholte, in einem rhythmischen Singsang, und dazu im Takt mit seinem eisernen Hausschlüssel auf des Schülers Kopf losschlug. Ich weiß aus späteren Erzählungen meines Bruders, daß dieser böse kleine Tyrann mit seinem Hausschlüssel zwei Jahre lang den kleinen Hans nicht nur Tag für Tag, sondern oft auch bis in die Angstträume der Nacht hinein gepeinigt hat. Oft kam er in einem hoffnungslosen Krampf von Kopfweh und Todesangst aus der Schule nach Hause.“
aus: Hermann Hesse, "Kinderseele" - Erinnerungen an Hans, 1918

Hermann Hesse schrieb das mit 41 Jahren und bezieht sich auf seine Schulzeit und die seines 6 Jahre jüngeren Bruders in den späten 1890er Jahren.

Es ist ein Nachruf an seinen kleinen Bruder, der sich im Jahr 1936 das Leben nahm.

nicht ärgern, nur wundern...
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
15.09.2014, 21:21
Beitrag: #39
RE: Analphabetismus heute bei uns
Ist zwar OT, aber wenn wir schon bei der alten Prügelpädagogik sind:

Ein älterer Lehrer in der Lausitz zeigte mir mal ein ausgefülltes Buch betr. Schulstrafen aus Kaisers Zeiten. Wurde damals ähnlich wie ein Klassenbuch geführt, mit vorgedruckter Tabelle.

Datum / Name des Gezüchtigten / Art der Züchtigung / Begründung

Bei Art der Züchtigung stand immer (sic!) 3 Schläge auf das Gesäß. Begründung alles Mögliche, von A wie Abschreiben bis Z wie Zaunkönigsnest ausgenommen. Auf meine Bemerkung, 3 Schläge wären doch eher ein Spaß für den Delinquenten gewesen, sagte er, das wäre nur der aktenkundige Eintrag gewesen. Ordnung musste sein. In der Praxis hat sich der Dorfschulmeister natürlich meist gewaltig "verzählt".

„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
16.09.2014, 08:25
Beitrag: #40
RE: Analphabetismus heute bei uns
Jeder der diese Sadisten noch in Aktion erlebte, war wohl von dem selben Gedanken erfüllt.
Warte mal bloss, bis ich "gross und stark bin"
und ich kann mich erinnern, wie die 8-Klässler in der Zeit mal den Oberschläger als er besoffen aus dem Gesangverein kam, in den Marktbrunnen schmissen.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds