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Ulucak Höyük
13.08.2014, 14:04
Beitrag: #1
Ulucak Höyük
Servus!

Ich möchte eure Aufmerksamkeit mal auf die westanatolische jungsteinzeitliche Siedlung Ulucak Höyük lenken.

Der Siedlungshügel ist seit dem 7.Jt.v.Chr. besiedelt gewesen und in seiner zweiten Siedlungsphase (von insgesamt fünf) Mitte des 6.Jt.v.Chr. durch Brand zerstört worden; dadurch findet man die Gebäude und Reste der zweiten, noch jungsteinzeitlichen Phase meist "in situ".

Zwei erstaunliche Fakten traten bei den Ausgrabungen zu Tage:
- Schon zu Beginn der ersten Siedlungsphase hielt man eigentlich alle wichtigen Haustierrassen: Es traten Unmengen von Knochen von Rind, Schaf, Ziege und Schwein zu Tage. In Anbetracht der Tatsache, dass nach allgemeiner Forschungslage diese Tiere erst ca. 1000 Jahre zuvor domestiziert worden sind, ist insbesondere die "Komplettheit" des Haustierzoos erstaunlich.
- die für den Bau von Gebäuden v.a. der ersten Phase verwendeten Lehmziegel haben die einheitliche Größe von 55 × 5 × 8 cm. In der zweiten Siedlungsphase wurde dagegen eher Lehmflechtwerk verwendet; eigentlich ein Rückschritt.

Man scheint in Westanatolien Anfang des 7.Jt.v.Chr. (= vor 9-10.000 Jahren) schon sehr weit gewesen zu sein in Richtung auf die Entwicklung einer städtischen Kultur.

VG
Christian
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21.09.2014, 13:12
Beitrag: #2
RE: Ulucak Höyük
Ich musste mir jetzt erstmal einen Überblick verschaffen, an welcher Stelle das Ganze zu verorten ist.
Die Fundstätte Ulucak (Höyük [=Siedlungshügel]) befindet sich im äußersten Westen Anatoliens, in der heutigen Provinz Izmir, unweit der östlichen Mittelmeerküste und der griechischen Insel Lesbos. Das antike Troja findet man ca. 150 km weiter nordwestlich in der Provinz Çanakkale.

[Bild: %C4%B0zmir_districts.png]
(Provinz Izmir, Wikimedia)

Im Gegensatz zu den mittel-/südanatolischen jungsteinzeitlichen Fundorten (z.B. Hallan Çemi oder Göbekli Tepe) und anderen wichtigen Siedlungsresten des Fruchtbaren Halbmondes, haben diese westanatolischen Gebiete im Zuge der archäologischen Erforschung neolithischer Kulturen, bisher keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle gespielt, obwohl dort ein diesbezüglich großes Potential vermutet wird.
Denn gerade diese Region ist Teil einer der wahrscheinlichen Ausbreitungsrouten des "Neolithischen Pakets" in Richtung Balkan und anderer Teile Europas.
Der Ulucak Hügel wurde in den 1960er Jahren von David French entdeckt, blieb aber gemeinsam mit anderen westanatolischen jungsteinzeitlich relevanten Stätten bis in die 90er hinein, weitesgehend unbekanntes Terrain. Eine intensivere Forschung mit systematischen Grabungen wird erst ab der Jahrtausendwende, insbesondere von österreichischen, deutschen und türkischen Forschergruppen betrieben.

Die aktuellsten Ergebnisse aus der Fundgegend Ulucak Höyük stammen von einem Forscherteam um Özlem Çevik und Çiler Çilingiroğlu. Man hatte es sich bei diesen neuerlichen Grabungen zur Aufgabe gemacht, etwas mehr Licht in die chronologische Abfolge der neolithischen Phasen Westanatoliens zu bringen und der Erstellung einer konsistenten regionalen Chronologie näherzukommen, sowie diese sinnvoll in den Prozess des allgemeinen Fortschreitens der neolithischen Lebensweise in Richtung Europa einzubinden. Der näher untersuchte Zeithorizont bewegte sich dabei insgesamt zwischen ca. 5750 und 7000 v.Chr.

[Bild: Cilingiroglu_Fig5-1024x553.jpg]
(feine brünierte Keramik, ca. 6400/6200 v.Chr)

Neben einer Vielzahl von Fundstücken aus präkeramischer u. keramischer Zeit, wurden in der ältesten Siedlungsschicht auch Überreste von verschiedenen Nutzhaustieren (Schaf, Schwein, Ziege, Rind) gefunden, die mittels AMS an den Anfang des 7. Jahrtausends v.Chr datiert werden konnten und somit auch die Zeit der ersten Besiedlung markieren, gleichzeitig aber auch genügend zeitlichen Abstand (>2000 J.) lassen zu der Zeit, in der die primäre Domestizierungsphase dieser Tiere vermutet wird.

[Bild: Cilingiroglu_Fig4.jpg]
(Gebäudeboden mit roten Pflasterböden, 1. Siedlungsphase, noch keine Keramik)

Über weiterführende archäozoologische Analysen oder paläoethnobotanische Untersuchungen, bei dieser oder anderen Grabungen in Westanatolien, kann ich noch nichts weiter sagen, vermute aber, dass auch hier, genau wie bei den neolithischen Keramiküberresten und siedlungstechnischen Architekturrelikten, noch keine relativ- u. absolutchronologisch übereinstimmenden Ergebnisse vorliegen.

Was mich z.B. auch interessieren würde, wäre ein möglicher Einfluss, der auf der These von Pitman und Ryan beruhenden, zeitlich sehr nahe liegenden Flutung des schwarzen Meeres und der daraus resultierenden Wanderungsbewegung der damaligen Anwohner.


Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.
Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!

Eduard F. Mörike (1804-1875)
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22.09.2014, 14:41
Beitrag: #3
RE: Ulucak Höyük
Ulucac liegt 7 km nördlich von Kemelpascha, demnach nicht mehr in der Provinz Izmir, richtig?
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22.09.2014, 20:18
Beitrag: #4
RE: Ulucak Höyük
(22.09.2014 14:41)Harald schrieb:  Ulucac liegt 7 km nördlich von Kemelpascha, demnach nicht mehr in der Provinz Izmir, richtig?

Es ist zwar nicht so wichtig, aber ich glaube, deine Vermutung ist falsch.

Ulucac ist eine von fünf Verwaltungseinheiten+der Ort Kemalpaşa im Bezirk Kemalpaşa, wobei dieser wiederum, Teil der Provinz Izmir ist.

Hier eine kleine Karte über Google-Maps erzeugt. Darauf sind auch ganz schwach die Provinzgrenzen eingezeichnet. Die Entfernungsangabe (Ulucac) von 7 km nordwestlich von Kemalpaşa, kommt auch ungefähr hin.
   
(Bild aus Google-Maps)

Leider habe ich keine exakte Position des Grabungsfeldes, nur eine Fotografie mit einem Verweis, wo nun der Siedlungshügel ungefähr zu finden ist. Aber vielleicht findest du noch ein paar brauchbare GPS-Angaben.

   
(Bild aus Diss. Çiler Çilingiroğlu, Uni Tübingen 2009)

Und wie es aussieht, liegt der mitten in besiedeltem bzw. bewirtschaftetem Gebiet, wahrscheinlich irgendwo zwischen Ulucac und Kemalpaşa. Hierzu noch eine Maps-Graphik mit einer ganz groben Vermutung, aus welcher Richtung das Foto gemacht wurde...Confused
   
(Bild aus Google-Maps)


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Eduard F. Mörike (1804-1875)
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23.09.2014, 11:56
Beitrag: #5
RE: Ulucak Höyük
Nach der google-Karte liegt Ulucac nicht nördlich von Kemalpascha, sondern in west-nord-westlicher Richtung, also sicherlich in der Provinz Izmir (das türkische sch habe ich leider nicht auf meinem primitiven i-pad, aber damit kann ich leben).
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24.09.2014, 18:44
Beitrag: #6
RE: Ulucak Höyük
(23.09.2014 11:56)Harald schrieb:  Nach der google-Karte liegt Ulucac nicht nördlich von Kemalpascha, sondern in west-nord-westlicher Richtung, also sicherlich in der Provinz Izmir (das türkische sch habe ich leider nicht auf meinem primitiven i-pad, aber damit kann ich leben).

In Wiki steht nordwestlich.
Aber ob nun ein paar km östlicher oder nördlicher, ist letztlich ziemlich unerheblich.

Das Interessante und Herausfordernde an der ganzen Sache ist was anderes, und zwar, das umfangreiche Datenmaterial , was in den letzten Jahren bei den verschiedenen Grabungen an verschiedenen Orten Westanatoliens zusammengetragen wurde, so auszuwerten und miteinander abzugleichen, dass daraus eine plausible chronologische Abfolge der neolithischen Phasen, in eben dieser Schlüsselregion, erstellt werden kann.
Ich kann das, was die gängige archäologische Praxis betrifft, kaum mal in Ansätzen nachvollziehen. Da sind zwischenzeitlich so viele Daten und Befunde aufgelaufen, eben auch z.T. sich widersprechende, dass es manchmal fast unmöglich erscheint, hier die Spreu vom Weizen zu trennen bzw. eine sinnvolle Zuordnung vorzunehmen.
Die Daten werden daher mit speziellen Algorithmen softwaremäßig bearbeitet, um daraus letztlich eine klare Linie zu extrahieren und zu plausiblen Erklärungen zu gelangen.

Über Nacht wird man wohl kaum mit "sensationell" Neuem rechnen können, aber es bleibt zumindest spannend.


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