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Biographien ungeordnet, wie sie geschrieben werden .
19.06.2012, 23:05
Beitrag: #7
RE: Biographien ungeordnet, wie sie geschrieben werden .
Agnes von Courtenay oder Agnes von Edessa

Agnes von Courtenay oder Agnes von Edessa – * um 1130 in Edessa (?), † 1184/85 in Jerusalem (?) – war während der selbstständigen Herrschaft ihres Sohnes König Balduin IV. (* 1161, König 1174–1185) eine einflussreiche Persönlichkeit im Königreich Jerusalem.

Über das frühe Leben der Agnes von Courtenay gibt es kaum Quellen. Sie wird erstmalig 1151 erwähnt, nachdem sie gemeinsam mit ihrem Bruder Joscelin III. von Courtenay, Titulargraf von Edessa (* um 1140; † 1190/1200) und ihrer Mutter Beatrice nach Jerusalem kam. Agnes war bereits seit 1149 verwitwet, ihr erster Mann Rainald von Marasch fiel bei den Kämpfen um die Grafschaft Edessa. Ihr Vater Joscelin II. von Courtenay (1113–1159), seit 1131 Graf von Edessa, geriet 1150 in Gefangenschaft des Emirs Nur ad-Din (1118–1174), der ihn blenden ließ und danach bis zu seinem Tod in Aleppo in strenger Kerkerhaft hielt.

Große strategische Bedeutung besaß in der Antike und im Mittelalter die Stadt Edessa, die als zentraler Punkt der Handelsrouten von Anatolien nach Mesopotamien kontrollierte. Nach der Herrschaft der Araber von 639 bis 1032 befand sich die Stadt – das heutige Urfa in der südöstlichen Türkei – in den Händen der Armenier, die 1097/98 dankbar die Hilfe der Kreuzfahrer zur Abwehr türkischer Angriffe annahmen. Die fränkische Herrschaft im Gebiet bis zum oberen Euphrat basierte auf eine Anzahl von Burgen, von denen aus Raubzüge über die Grenzen hinaus unternommen und auch Steuern und Abgaben eingetrieben wurden. Die Grafschaft Edessa diente außerdem als Schutzschild und Puffer für die südlich gelegenen Kreuzfahrerstaaten, ehe 1144 der Eroberungsfeldzug des Emirs von Mossul und Aleppo, Imad ad-Din Zengi (1087–1146), die Existenz dieses Staates beendete.

Zengi eroberte nach einer vierwöchigen Belagerung zu Weihnachten 1144 die Stadt Edessa und die überlebenden Franken wurden nach dem Fall der Stadt alle umgebracht. Diese Ereignisse gaben geistlichen Autoritäten, wie Eugen III. (Papst 1145–1153) und Bernhard von Clairvaux (1090–1153) den Anlass, zum Zweiten Kreuzzug (1147–1149) aufzurufen. Zwar gelang es Joscelin II., im Herbst 1146 Grafschaft und Stadt zurück zu erobern, doch bereits 1150 vernichteten die Truppen von Zengis Sohn Nur ad-Din das Heer des Grafen von Edessa. Nur ad-Din vollzog daraufhin ein blutiges Strafgericht an sämtlichen Einwohnern der Stadt Edessa – egal ob Franken, Armenier, Griechen, Juden oder Araber – sie wurden alle Opfer der aufgehetzten und enthemmten Soldateska, wer den Massenmord überlebte, fiel der Verschleppung in die Sklaverei zum Opfer. Die Stadt Edessa erholte sich nie wieder von den Folgen des Massakers.

Nach ihrer Ankunft in Jerusalem begann die wohl rechtzeitig geflüchtete Agnes zielstrebig ihre Karriere aufzubauen. Sie nutzte dabei geschickt die Gunst einflussreicher Männer, was ihr allerdings schnell einen schlechten Ruf einbrachte, den sie auch nicht nach der Bekanntgabe ihrer Verlobung mit ihrem damaligen Geliebten Hugo von Ibelin verlor. Als dieser jedoch nach einer Schlacht mit den Muslimen in Gefangenschaft geriet, beendete sie das Verlöbnis und ehelichte im Jahr 1157 oder 1158 den damaligen Grafen von Jaffa und Askalon, Amalrich (* 1136, König von Jerusalem 1162–1174), dem jüngeren Bruder Balduins III. (* 1130, König von Jerusalem 1143–1162). Diese Heirat stieß auf öffentliche Ablehnung, einerseits aufgrund des berüchtigt-anrüchigen Lebenswandels der Braut, andererseits wegen des Altersunterschiedes des Paares. Agnes war einige Jahre älter als Amalrich und hatte als Mitt- bzw. Endzwanzigerin noch keine Kinder geboren. Dies änderte sich bald, 1159 wurde die Tochter Sybille und 1161 der Sohn Balduin geboren.

1162 wurde ihre Ehe geschieden. Als offizieller Grund wurde die nahe Verwandtschaft des Paares – Amalrich und Agnes waren Cousin und Cousine dritten Grades – angegeben. Tatsächlich waren die Adligen des Königreiches Jerusalem aber nicht bereit, nach dem Tod Balduins III., eine habgierige und rachsüchtige Frau wie Agnes von Edessa als Königin zu akzeptieren. Fulko, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, verweigerte deshalb Amalrich die Krönung zum König von Jerusalem. Erst nach dem Zugeständnis des Geistlichen, dass seine Kinder Sybille und Balduin ehelich und demnach zur Thronfolge berechtigt blieben, war Amalrich I. bereit, seine Ehe mit Agnes zu annullieren. Diese heiratete 1163 ihren aus der muslimischen Gefangenschaft zurückgekehrten Ex-Verlobten Hugo von Ibelin (1130–1169) und verschwand für ein Jahrzehnt aus dem öffentlichen Leben. 1171 heiratete sie Rainald von Sidon, dessen Familie ebenfalls die Verbindung mit Agnes von Courtenay ablehnte.

Deren politisches Comeback begann 1174 mit der Thronbesteigung Balduins IV. (König 1174–1185). „Verderbt, bösartig und habgierig und unersättlich auf Männer und Geld erpicht“, so das vernichtende Urteil des britischen Historikers Steven Runciman (1903–2000), avancierte sie zum Oberhaupt einer Hofkamarilla, die dem umsichtigen Regenten Raimund III. von Tripolis (1140–1187, Bailli von Jerusalem 1174–1177 und 1185/86) das Leben erschwerte und das Land an den Rand eines Bürgerkriegs hievte. Skrupellos förderte sie ihre Günstlinge, so erreichte sie 1176 die Befreiung ihres Bruders Joscelin III. aus der Gefangenschaft der Zengiden und beförderte ihn zum Seneschall von Jerusalem. 1180 verhinderte sie die Wahl Wilhelms von Tyrus (1130–1186) zum Lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Da dieser ein bedeutender Chronist der Kreuzfahrerstaaten war, wird wohl Agnes ihren überlieferten, schlechten Leumund zum Teil auch ihm zu verdanken haben. Statt Wilhelm von Tyrus wurde Heraclius von Caesarea († 1191) zum Patriarchen ernannt, dessen kirchliche und politische Karriere vor allem durch die Gunst seiner kurzzeitigen Geliebten Agnes von Courtenay gefördert wurde.

Noch bedeutender für die Politik des Königreiches wurde die von ihr 1179 initiierte Ernennung des aus Aquitanien stammenden Amalrich von Lusignan (1145/60–1205) zum Konnetabel des Reiches, also zum Oberbefehlshaber des Heeres. Amalrich von Lusignan begründete den Aufstieg seiner Familie im Ostmittelmeerraum, er selbst wurde 1195 König von Zypern bzw. 1197 König von Jerusalem und seine Nachkommen herrschten in Zypern und Armenien. Ihr politisches Bündnis festigten Agnes und Amalrich 1180 mit der Hochzeit von Agnes’ Tochter Sibylle (1159–1190) und Amalrichs Bruder Guido († 1194). Unter dem Einfluss seiner Schwiegermutter und seines Bruders begann Guido von Lusignan bald gegen den ihn ursprünglich günstig gesinnten Balduin IV. zu intrigrieren. Aber auch der kinderlose und an Lepra schwer erkrankte König konnte sich zeitlebens nicht dem Einfluss seiner Mutter entziehen, so stimmte er wider besserem Wissens der Thronfolge seines Neffen Balduin V. (1177–1186) zu, der aus Sibylles erster Ehe mit Wilhelm „Langschwert“ von Montferrat (1135/45–1177) stammte.

Das genaue Todesdatum der Agnes von Courtenay ist nicht überliefert. Es wird angenommen, dass sie 1184 oder zumindest vor dem 1. Februar 1185 verstarb. Demnach brauchte sie die Folgen der von ihr eingeleiteten und begünstigten Politik nicht mehr zu verantworten. Im März 1185 verstarb Balduin IV., ihm folgte sein minderjähriger Neffe Balduin V., in dessen Namen Raimund III. von Tripolis die Regentschaft führte. Doch bereits im August 1186 verstarb der junge König, nun gelang es der von der verstorbenen Königinmutter begünstigten Hofkamarilla, einerseits Raimund III. von Tripolis zu entmachten und zu verbannen, andererseits Sibylle zur Königin von Jerusalem zu krönen. Die als romantisch und politisch ahnungslos geltende Sibylle, so lautete jedenfalls das Urteil der französischen Historikerin Regine Pernoud (1909–1998), veranlasste sofort die Erhebung ihres Mannes Guido zum König von Jerusalem, der schließlich 1187 den Einflüsterungen von Kriegstreibern wie Rainald de Châtillon (1120–1187) folgte, die zur katastrophalen Niederlage in der Schlacht von Hattin (Juli 1187) und zur Eroberung Jerusalems (Oktober 1187) durch Saladin (1138–1193) führten. Der darauf folgende Dritte Kreuzzug (1189–1192) ist dann eine andere Geschichte, die den Rahmen dieser Kurzbiografie sprengen würde.

Literatur

* Reinhard Barth, Taschenlexikon Kreuzzüge, Piper Verlag GmbH, München 1999, ISBN 3-492-22794-5

* Agnes von Courtenay (Wikipedia)

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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Xanthippe - Luki - 12.06.2012, 15:52
RE: Biographien ungeordnet, wie sie geschrieben werden . - Sansavoir - 19.06.2012 23:05
Etwas Bilder - Luki - 22.06.2012, 19:39
RE: Etwas Bilder - Maxdorfer - 22.06.2012, 20:43
Etwas Bilder - Luki - 22.06.2012, 21:31
RE: Etwas Bilder - Harald - 23.06.2012, 12:07
Don Juan de Austria I. - Luki - 23.06.2012, 15:04
RE: Don Juan de Austria I. - Dietrich - 23.06.2012, 15:41
RE: Don Juan de Austria I. - Luki - 23.06.2012, 15:47
RE: Don Juan de Austria I. - Dietrich - 23.06.2012, 16:49
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