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Stadtgeschichte
22.06.2012, 18:55
Beitrag: #1
Stadtgeschichte
Hier können die Beiträge zur Geschichte von Städte hinein.

Es gab im G/Geschichte Forum mal ein Forumtreffen zu dem Thema, von daher denke ich, dass ihr noch einige Beiträge dazu in petto habt.

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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22.06.2012, 18:57
Beitrag: #2
RE: Stadtgeschichte
Zur Geschichte von Recklinghausen

Recklinghausen ist eine Großstadt im Ruhrgebiet (Nordrhein – Westfalen) und hat etwas über 118.000 Einwohner.
Die Entstehung der Stadt liegt im Dunkel der Geschichte. Im Jahre 1017 wurde sie erstmals genannt, damals als „Ricoldinchuson“, in der Mitte des zwölften Jahrhundert Hauptstadt des Gerichts- und Verwaltungsbezirkes „Vest Reck¬linghausen“, der zum Kurfürstentum Köln gehörte. Die vollen Stadtrechte er¬langte die Siedlung erst 1236.
Die Entwicklung der Stadt verlief ähnlich wie die vieler Städte im Mittelalter und der Neuzeit. Man weiß von über 100 Hexenprozessen, die ihren Höhepunkt in den achtziger Jahren des sechzigsten Jahrhunderts hatten. Als in der napo¬leonischen Zeit das Kurfürstentum Köln aufgelöst wurde, ging das Vest mit Recklinghausen erst zum Herzogtum Arenberg, dann zum Großherzogtum Berg.
Nach dem Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons übernahm Preußen die Gegend und gliederte sie in die Provinz Westfalen ein. Es entstand die Bürger¬meisterei Recklinghausen, die sich später in die Stadt und das Amt Reckling¬hausen aufteilte. Sehr viel später, am 1. April 1901 wurde Recklinghausen end¬gültig eine kreisfreie Stadt, verwaltete aber weiterhin das Amt. 1926 löste sich dieses auf. Einige Gemeinden wurden eingemeindet. Es entstand ein Landkreis und ein Stadtkreis Recklinghausen.
Im zweiten Weltkrieg wurde Recklinghausen nicht besonders geschädigt, laut Statistik waren nur 15 % der Stadt zerstört, 300 von über 86.000 Menschen waren durch Bombenabwürfe ums Leben gekommen. 1975 schließlich wurde Recklinghausen in den Kreis Recklinghausen eingegliedert, der heute der größte Deutschlands ist. Recklinghausen selbst ist seit 1949 Großstadt.

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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22.06.2012, 22:56
Beitrag: #3
RE: Stadtgeschichte
DAnn stell ich mal meinen alten Artikel aus dem G-Forum hier noch mal ein:

Ingolstadt taucht zum ersten Mal 806 in den Urkunden auf, aber gleichals Knaller: Im (politischen) Testament Karls des Großen. Dort verfügt er extra, dass zwar Bayern an einen seiner Söhne gehen soll, dass aber der Nachfolger als Kaiser die Königshöfe Lauterhofen (in Franken) und Ingolstadt bekommen soll. Ingolstadt ist aber bestimmt älter als 1202 Jahre: Schon Karl schreibt, dass Ingolstadt "so, wie wir es von Tassilo übernommen haben" an den Königssohn Karl gehen sollte. Gründer war also mindestens Tassilo III., wenn der Herzogshof (und spätere Königshof) nicht noch älter ist.

Zeitweise hatte Ingolstadt eine sehr große Bedeutung. Nachdem der Enkel Karls des Großen Ingolstadt an das Kloster Niederaltaich gegeben hatte (zumindest einen Großteil des ehemaligen Königshofs), gibt es zwar bis kurz vor der Stadtwerdung Ingolstadts um 1250 keinerlei Nachrichten mehr, ab 1250 ist Ingolstadt aber für einige Jahrhunderte Haupt- und Nebenresidenz der bayerischen Herzöge, zeitweise sogar Hauptstadt eines eigenen Herzogstums Bayern-Ingolstadt. Aus dieser Zeit stammen auch die größten Bauwerke der Altstadt, der Herzogskasten (= das Alte Schloss), das Neue Schloss (architektonisch wertvoll, weil der am Hof seiner Schwester in Paris grossgewordene Herzog Ludwig der Gebartete neueste französische Architektur ins Bayernland brachte) und das Münster (als herzogliche Grabstätte geplant, die Kirche mit dem höchsten Dachstuhl Süddeutschlands).
Nachdem die Vettern aus Bayern-Landshut das Ingolstädter Herzotum übernommen hatten, wurde in der Stadt (quasi als Trost für die verlorene Hauptstadtwürde) eine Universität gegründet, die dann bis 1800 bayerische Landesuniversität war.
Johannes Eck wetterte von der Uni Ingolstadt aus gegen Luther und war sein wichtigster Gegenspieler. Überhaupt war Ingolstadt eines der Zentren der Gegenreformation.
Christoph Scheiner entdeckte von hier aus die Sonnenflecken.
Daneben spielte Ingolstadt eine herausragende Rolle als Festung - sie war z.B. die einzige Festung, an der sich die protestantischen Heere im Schmalkaldischen Krieg und dann auch Gustav Adolf im 30jährigen Krieg die Zähne ausbissen...allerdings auch nur, weil Gustav Adolf es eilig hatte und katholische Truppen die Gegend unsicher machten...
Es gibt aber auch noch eine andere - für Ingolstadt ehrenhaftere VErsion dieser Geschichte:
Danach zog Gustav Adolf nach wenigen Tagen Belagerung wieder ab, weil ihm sein Schimmel von einer Kanonenkugel unter dem Hintern weggeschossen wurde...Glück muss der Mensch haben...der Schimmel steht heute noch als (allerdings traurig aussehendes) Präparat im Stadtmuseum.

Nach der Schlacht von Rain am Lech (und während der Belagerung Ingolstadts durch die Schweden) starb Graf Tilly in Ingolstadt.

Das 19.Jh. war dann die dunkle Zeit Ingolstadts - die Uni kam erst nach Landshut, dann nach München, nur das Militär blieb in Ingolstadt, weswegen die Stadt bis nach 1945 eine eher traurige Existenz als Militärstadt fristete. Ausnahme: Um 1850 wurde hier der Bayerische Defiliermarsch geschrieben (!)
Erst nach 1945, als die aus Sachsen vertriebene Auto Union hier aus einem Ersatzteillager das westdeutsche Hauptquartier machte, ging´s wieder bergauf - und wie!
Heute ist Audi als Nachfolger der Auto Union nicht nur wichtigster Arbeitgeber für die ganze Region, sondern auch der Finanzier, der es ermöglichte, dass Ingolstadt innerhalb Bayerns eine Art Leuchtturm darstellt.
Audi dominiert via Sponsoring den hiesigen Sport (Eishockey, Fußball, Leichtathletik, Halbmarathon) und die Kultur (Sommerkonzerte zwischen Donau und Altmühl, Jazztage...). Mit dem Geld, das Ingolstadt mit Audi verdient, wurde in den 60ern ein damals sensationelles Stadttheater gebaut (ein eher hässlicher Betonklotz mit kläglicher Akustik, aber was soll´s).Sollte es Audi allerdings mal schlecht gehen, sieht´s um die ganze Region düster aus ("Wenn Audi hustet, hat Ingolstadt eine Erkältung").

Ebenfalls auf Veranlassung von Audi wurde Ingolstadt auch wieder Universitätsstadt: Neben der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Uni Eichstätt (neuerdings "Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt") gibt es seit ein paar Jahren eine FH, deren Absolventen hauptsächlich zu Audi gehen...

Auch in Zukunft will sich Audi um Ingolstadt kümmern: Generell kümmert sich Audi jetzt auch um die Regionalentwicklung, weil man gemerkt hat, dass man fähige Ingenieure und Manager nur dann in die - immer noch - Provinzstadt Ingolstadt bringt, wenn die sog. "weichen Standortfaktoren" auch stimmen.
Der Bahnhof soll neu gestaltet werden, was aber schwierig ist, weil die Stadt nun doch nicht so viel Geld hat und die Bahn darauf hinweist, man habe doch schon in den ICE-Halt Ingolstadt soooo viel Geld gesteckt... (aber es wird immerhin seit Jahren dran rumgebaut)
Tourismus soll´s in Ingolstadt künftig auch mehr geben - solchen, der über "ich kauf mir einen Audi und schau mir dabei mal kurz die Stadt an" hinaus geht.
Der FC 04 hat ein bundesligataugliches Stadion, und auch für Tagungen will man in Zukunft besser gerüstet sein als bisher (es steht eigentlich nur das Stadttheater für grössere Events zur Verfügung, und auch die Hotels sind nicht wirklich auf sowas eingerichtet...). Wie Ingolstadt allerdings zum Tagungszentrum werden soll, das hat uns unser lieber Rekord-OB (gemessen in Prozentzahlen bei der letzten Kommunalwahl) bisher verschwiegen...

An interessanten Bauten hat Ingolstadt v.a. aufgrund seiner Geschichte schon auch was zu bieten:
Wie schon erwähnt die herzoglichen Prachtbauten Münster und Altes bzw. Neues Schloss. Aus dem Mittelalter noch die "Alte Pfarr" von St.Moritz - wahrscheinlich (!) die Nachfolgekirche der karolingischen Kirche, die zum Königshof gehörte.
Dazu die Stadtmauer aus dem 14.Jh., Reste der Rennaissancebefestigung und der klassizistische Festungsgürtel.
Die Altstadt ist gründerzeitlich geprägt mit Resten mittelalterlicher Bebauung. Wirkt irgendwie italienisch (behauptete zumindest ein Studienfreund aus Hamm mit einschlägiger Südtirolerfahrung...)
Die Alte Anatomie, in der heute das Deutsche Medizinhistorische Museum ist, ist ein Uni-Bau aus dem 18.Jh. Daran sollten sich moderne Uni-Architekten mal ein Vorbild nehmen...
Das Stadttheater ist nach wie für Zielpunkt architektonischer Exkursionen, und das Audi Forum wurde es in den letzten Jahren, vor allem nach dem Bau des Audi-Werksmuseums.

Weitere Informationen über Ingolstadt gibt´s auf wikipedia (ich weiß...aber an dem Artikel hab ich selber mitgeschrieben), dazu noch auf den Seiten von Kurt Scheuerer und des Historischen Vereins Ingolstadt.
Diverse Bücher wurden auch schon geschrieben (v.a. Siegfried Hofmann ist zu empfehlen).

Wichtige Persönlichkeiten der Stadtgeschichte:
- Philipp Apian (einer der Väter der modernen Kartographie)
- Adam Weishaupt (Gründer des Illuminatenordens)
- Ludwig Fronhofer (einer der Väter der Realschule)
- Marieluise Fleißer (bedeutende Schriftstellerin des 20.Jhs., Freundin von Bertold Brecht)
und nicht zu vergessen:
- Horst Seehofer (...)
- Günther Grünwald (Kabarettist und Ex-OB-Kandidat der Ingolstädter Grünen)

VG
Christian
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24.06.2012, 01:46
Beitrag: #4
RE: Stadtgeschichte
Die Bedeutung der Standorte Freiberg und Chemnitz für die Industrieentwicklung in Sachsen

Geographische Lage

Die heute von 41.700 Einwohnern bewohnte Stadt Freiberg liegt zwischen Chemnitz und Dresden am nördlichen Rand des Erzgebirges. Durch die Stadt fließt die Freiberger Mulde, der Münzbach und der Goldbach. Das Stadtzentrum befindet sich auf 412 m NN Höhe, der höchste Punkt der Stadt ist bei 491 m NN Höhe, der tiefste Punkt wurde bei 340 m NN Höhe gemessen. Die Stadt liegt innerhalb einer seit Jahrhunderten, durch den Bergbau genutzten und von ihm geprägten Rodungslandschaft. Sie ist im Norden, Südosten und Südwesten von Wäldern umgeben. Westlich und östlich der Stadt befinden sich weitflächige Wiesen.

Das am Nordrand des Erzgebirges im Erzgebirgsbecken liegende Chemnitz ist heute mit 243.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Sachsens. Die Stadt wird im Süden umrahmt von den Ausläufern des Erzgebirges und im Norden von den Höhen des Mittelsächsischen Berglandes. Durch Chemnitz fließt der gleichnamige Fluss, der aus dem Zusammenfluss der beiden Gebirgsflüsse Zwönitz und Würschnitz in Altchemnitz hervorgegangen ist. Das Stadtgebiet befindet sich im Durchschnitt auf 300 m NN Höhe, das Umland verzeichnet oft Höhen von über 500 m NN.

Beide Orte wurden und werden vor allem durch die unmittelbare Nähe zum Erzgebirge und dessen reichen Vorkommen an Bodenschätzen (Silber, Zinn, Zink, Blei, Kobalt, Uran) sowie den über Jahrhunderten entstandenen Traditionen des Bergbaus geprägt. Ebenso profitierten beide Orte von der Nachbarschaft zu Böhmen / Tschechien.

Vorindustrielle Entwicklung (12. bis 18. Jahrhundert)

Seit 1168 wurde bei Freiberg Silber abgebaut. Der Silberboom führte zum raschen Reichtum Freibergs, das im Mittelalter zur reichsten Stadt Sachsens aufstieg und zeitweise als Nebenresidenz der sächsischen Kurfürsten diente. Freiberg war die wichtigste Münzprägestätte Sachsens, den durch den Silberabbau erwirtschafteten Reichtum nutzten die sächsischen Herrscher zum Aufbau ihrer Territorialmacht in den heutigen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Freiberger Bergleute galten europaweit als Fachleute für Geologie, Hydrologie und Mineralogie, militärisch wurden ihre Kenntnisse häufig bei Belagerungen von Burgen und Städten genutzt. Seit dem 16. Jahrhundert verblieb das wichtige Amt des den gesamten kursächsischen Bergbau kontrollierenden Freiberger Oberberghauptmanns in der einflussreichen Familie von Schönberg, deren Seitenlinie Schombergk sogar in den französischen Hochadel aufstieg. Der wirtschaftliche Niedergang Freibergs setzte während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) ein. 1765 erfolgte die Gründung der Freiberger Bergakademie, an der z.B. Alexander von Humboldt studierte.

Der wirtschaftliche Aufstieg des 1143 erstmals urkundlich erwähnten Chemnitz begann 1357 mit der Erteilung des Bleichprivilegs, welches die Stadt zu einem Zentrum der Leinenweberei und des Leinenhandels werden ließ. Chemnitz galt seit dem 16. Jahrhundert als der wichtigste Standort der Baumwollverarbeitung und der Textilproduktion Sachsens. Ebenfalls seit dem 16. Jahrhundert profilierte sich die Stadt als Bergbaustandort. Der Humanist und Naturforscher Georg Agricola (1494–1553) verfasste hier sein Hauptwerk „De re metallica Libri XII“ („Vom Bergwerk 12 Bücher“), eine umfangreiche Enzyklopädie über das damalige technische Wissen in den Bereichen Bergbau, Hüttenwesen; Mineralogie und Geologie. Seit 1728 entwickelte sich die Strumpfwirkerei zu einem bedeutenden Industriezweig der Stadt.

Industrielle Revolution und Entwicklung in Sachsen von ca. 1800 bis 1914

Im Gegensatz zu den sächsischen Industriezentren Leipzig, Dresden oder Chemnitz, konnte Freiberg im 19. Jahrhundert lange seine Provinzialität bewahren. Erst 1844 wurde die erste Dampfmaschine in Betrieb genommen, in den 1860er Jahren entstanden Eisenbahnverbindungen nach Dresden und Chemnitz. 1884 wurde die höchste – je erreichte – Silberproduktion (ca. 35 t) der Freiberger Gruben erreicht. Bedeutend für die weitere Entwicklung Freibergs wurde jedoch die seit 1860 einsetzende Reorganisation der Bergakademie. Hier entdeckten 1863 die Professoren Reich und Richter das chemische Element Indium, Clemens Winkler (1838–1904) entwickelte ein Verfahren zur Herstellung von Schwefelsäure und wies 1886 das Element Germanium nach. Adolf Ledebur (1837–1907) konnte das Wissen auf dem Gebiet des Eisenhüttenwesens und der Metallurgie revolutionieren. Bestimmte kristalline Strukturen des nicht legierten Stahls werden nach ihm "Ledeburit" genannt.

In Chemnitz begann um 1800 ein rasanter Aufschwung. Während um 1800 hier nur 10.500 Menschen lebten, erreichte Chemnitz im Jahr 1883 mit 103.000 Einwohnern den Status einer Großstadt. Aus der 1836 gegründeten Königlichen Gewerbeschule ging die Technische Universität Chemnitz hervor. Als Protagonisten der Industriellen Revolution im „sächsischen Manchester“ seien stellvertretend nur der aus England stammende Evan Evans (1765–1844) oder der aus dem Elsass zugewanderte Richard Hartmann (1809–1878) genannt.

Der Maschinenbauer und Spinnmeister Evan Evans folgte 1798 einem Angebot der Gebrüder Bernhardt, die ihre Spinnerei in Harthau bei Chemnitz betrieben. Er baute diese Spinnerei zur größten mechanischen Spinnerei aus und gilt heute als der Begründer der industriellen Spinnerei in Sachsen. Bald folgten weitere Gründungen von Baumwollspinnereien rund um Chemnitz. Neben seinen unternehmerischen Aktivitäten entwickelte Evans technische Neuerungen, wie die Garnspulmaschine oder die Spindelschleifmaschine. Außerdem betrieb er seit 1809 in Geyer/Erzgebirge den Abbau von Zinn. Evans Lebenswerk setzte dessen Sohn Eli Evans (1805–1882) fort, der ebenso innovativ wie sein Vater die Technik der Textilindustrie in Sachsen weiter entwickelte. So wurden zum Beispiel Ende des 19. Jahrhundert 80 % der Weltproduktion an Damenstrümpfen in Chemnitz hergestellt.

Der gelernte Schmied Richard Hartmann begann 1832, angeblich mit nur 2 Talern in der Tasche, seine Arbeit in der Maschinenfabrik von Carl Gottlieb Haubold (1783–1856), dem „Vater“ des Chemnitzer Maschinenbaus, dessen Karriere ebenfalls bei den Gebrüder Bernhardt in Harthau begann. 1837 stieg Richard Hartmann zum Meister auf, er erwarb das Chemnitzer Stadtrecht und gründete sein erstes Unternehmen. 1839 gründete er mit dem Kaufmann August Götze (1804–1881) die Firma „Götze & Hartmann“, die schon ein Jahr später 76 Arbeiter beschäftigte. Hartmann gelang es, mittellosen Erfindern ihre Rechte abzukaufen, so dass sein Unternehmen bereits in den 1840er Jahren eine weit über die Grenzen Sachsens bekannte Maschinenfabrik wurde. 1848 gelang der Bau der ersten sächsischen Lokomotive. Hartmanns Lokomotiven bestanden gegenüber der Konkurrenz der englischen Lokomotiven und wurden bald weltweit exportiert. In den 1850er Jahren erweiterte Hartmann sein Sortiment um die Herstellung von Turbinen- und Mühleneinrichtungen, Bergwerksmaschinen und Werkzeugmaschinen. Um 1857 beschäftigten die Hartmannwerke 1.500 Mitarbeiter, 1870 wurden in der Sächsischen Maschinenfabrik, ehemals Richard Hartmann AG, bereits 2.700 Mitarbeiter beschäftigt. Hartmanns Unternehmen wurden von dessen Sohn Gustav Hartmann (1842–1910) fortgeführt, der seit 1881 in der „Villa Hartmann“ in Dresden residierte und 1903 zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Friedrich Krupp AG aufstieg.

Infolge der „Industriellen Revolution“ stieg Sachsen zu einem bedeutenden Industriestandort Deutschlands bzw. der Welt auf. Der mitteldeutsche Raum war nach dem Ruhrgebiet der meist industrialisierte Standort in Deutschland. Dresden, Leipzig und Chemnitz wurden Großstädte und tausende Menschen zogen vom Land in die Städte. Um Chemnitz entstand ein Konglomerat von Industriestädten wie z. B. Limbach-Oberfrohna, Hartmannsdorf, Burgstädt oder Hohenstein-Ernstthal. Die Schattenseiten dieser Entwicklung waren einerseits der akkumulierte Reichtum der sächsischen Industriellen wie zum Beispiel Richard Hartmann, andererseits die beginnende Verschmutzung und Zerstörung der Umwelt sowie die bittere Armut und das soziale Elend der Arbeiter. So erreichte um 1850 ein Chemnitzer Weber im Durchschnitt nur ein Lebensalter von 32 Jahren. Ursache dafür waren oft Arbeitsunfälle oder Tuberkulose, aber auch Alkoholismus und Totschlag. Die Kinderarbeit war weit verbreitet, ein „Fabrikmädchen“ verdiente pro Woche nur 16 Groschen bei schwerer Arbeit, wobei 4 Groschen ein Brot kostete. Allerdings konnten dank des sächsischen Schulgesetzes vom 6. Juni 1835 diese Kinder vier Stunden pro Woche (meist sonnabends Nachmittag) eine Schule besuchen. Das soziale Elend und die „doppelte Ausbeutung“ der Chemnitzer Arbeiterinnen inspirierten den Arbeiterführer August Bebel (SPD) zum Schreiben seines Werkes „Die Frau und der Sozialismus“.

Bis 1913 setzte sich die prosperierende Entwicklung in Chemnitz und Freiberg fort.

Industrielle Entwicklung von 1914 bis 1945

Zwischen 1913 und 1937 wurden die Bergwerke in Freiberg nicht betrieben. Die Freiberger Hüttenwerke verarbeiteten nur fremdes Erz. Die Stagnation Freibergs nach dem Ersten Weltkrieg fand am 27. Oktober 1923 mit der Niederschlagung des „Mitteldeutschen Aufstands“ durch die Reichswehr ihren blutigen Höhepunkt (29 Tote). Erst zu Beginn des Zweiten Weltkrieges erreichten die Freiberger Wirtschaft – vor allem die Berg- und Hüttenwerke – das wirtschaftliche Niveau von 1913.

In Gegensatz zu Freiberg behauptete sich die Wirtschaft in Chemnitz, wobei auch hier während der Nachkriegsjahre (1918–1923) und der Weltwirtschaftskrise (1929–1933) heftige soziale Erschütterungen stattfanden. 1919 lebten 300.000 Menschen in Chemnitz. Neben den traditionellen Chemnitzer Industriezweigen Maschinenbau (hier blieb Chemnitz die Nr. 1 in Deutschland) und Textilproduktion siedelte sich der Fahrzeugbau an. 1936 nahm die 1932 gebildete Auto-Union ihren Sitz in Chemnitz. Während des Ersten und des Zweiten Weltkriegs wurden die Chemnitzer Industriebetriebe auf Kriegsproduktion umgestellt. So wurden 1944/45 in Chemnitz die Motoren für den Panzer Tiger VI gebaut.

Industrielle Entwicklung von 1945 bis 1989/90

Zwischen 1945 und 1989/90 wurde in Freiberg weiter der Bergbau betrieben. Bis 1969 wurden sogar Blei und Zink abgebaut. Anfang der 1950er Jahre unternahm die SDAG Wismut erfolglose Versuche im Freiberger Bergbaugebiet Uranerz zu finden. Bedeutendester Arbeitgeber Freibergs war während der DDR-Zeit das Bergbau- und Hüttenkombinat „Albert Funk“, das sich als eines der Zentren der Nicht-Eisen-Metallurgie im RGW (Rat der gegenseitigen Wirtschaftshilfe – überstaatliche Wirtschaftsorganisation des Ostblocks) profilierte. Freiberg entwickelte sich als ein bedeutender Standort der Siliziumverarbeitung. Die TU Bergakademie Freiberg forschte vor allem auf dem Gebiet der Verfahrenstechnik zur Braunkohleverarbeitung und musste sich zunehmend den ungelösten Problemen der Abgas- und Abwasserreinigung stellen. Es entstanden in und um Freiberg enorme Umweltschäden.

In Chemnitz, das zwischen 1953 und 1990 den Namen Karl-Marx-Stadt führte, florierte der Maschinenbau, insbesondere der Werkzeugmaschinenbau. Ein bedeutender Arbeitgeber der Stadt war der VEB Werkzeugmaschinenbau „Fritz Heckert“, benannt nach einem ehemaligen Chemnitzer KPD-Funktionär. Ebenso waren viele Menschen im Automobilbau und dessen Zuliefererindustrie beschäftigt. So hatte der VEB IFA-Kombinat in Karl-Marx-Stadt seinen Sitz und im nahen Frankenberg wurde der Transporter Barkas B 1000 und im nahen Zschopau wurden die weltweit beliebten Motorräder (MZ) gebaut. Der Textilingenieur Heinrich Mauersberger entwickelte Nähwirkmaschinen, die einen besonders belastbaren Textilstoff herstellten. Sowohl die Maschinen als auch der Stoff wurden „Malimo“ (Mauersberger, Limbach-Oberfrohna) genannt. Während der DDR-Zeit erfolgte ein Zusammenwachsen von Siedlungen, einerseits innerhalb des Raumes Chemnitz-Zwickau, andererseits auch innerhalb des Raumes Chemnitz-Freiberg. Das Gebiet wird seitdem geprägt von tristen, industriellen oder verkehrstechnischen Zweckbauten und hässlichen Neubauten bzw. Neubausiedlungen und erlitt enorme Umweltzerstörungen (sterbende Wälder, verschmutzte Flüsse, verseuchte Böden).

Industrielle Entwicklung seit 1990

Nach der Währungsunion vom 1. Juli 1990 brachen viele Bereiche der Freiberger und Chemnitzer Wirtschaft zusammen. Beide Städte hatten und haben mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen.

Inzwischen behauptet sich in Freiberg als wichtigster Arbeitgeber die Technische Universität Bergakademie Freiberg (TUBAF), die sich in Deutschland als eine wichtige Universität für Montan- und Geowissenschaften durchgesetzt hat. Es werden neue Wege mit Technologien in der Energiewirtschaft (Solarenergie, Windkraftenergie) gegangen und es entstanden neue Unternehmen auf dem Gebiet der Hochtechnologie wie z.B. “Die Deutsche Solar AG“.

Außerdem erlangte der Tourismus eine zunehmende für die an der „Silberstraße“ liegende Stadt, deren historischer Stadtkern unter Denkmalschutz steht. Inzwischen gehört die historische Freiberger Altstadt zum UNESCO-Welterbe. Freiberg erlangte außerdem eine größeren Bekanntheitsgrad durch die historischen Romane von Sabine Ebert, deren bekannteste die im Freiberg des späten 12. Jahrhundert handelnde "Hebammen-Reihe" ist.

Das „Freiberger Bier“ konnte durch geschicktes Marketing auf neuen Märkten außerhalb der Region Freiberg erschließen.

Nach dem Zusammenbruch der DDR-Industriebetriebe in Chemnitz, errichteten namhafte deutsche oder ausländische Unternehmen wie Volkswagen, ThyssenKrupp, der Reifenhersteller Continental, IBM oder die Union Werkzeugmaschinen GmbH Niederlassungen im "sächsischen Manchester". 2008 belegte Chemnitz in einem innerdeutschen Ranking den dritten Platz hinsichtlich der Wirtschaftsfreundlichkeit. Der Maschinenbau (Werkzeugmaschinen, Textilmaschinen, Sondermaschinen) und die Automobil- und deren Zuliefererindustrie verzeichnen positive Wachstumsdaten. Neben diesen traditionellen Industriezweigen erlangt die Mikrosystemtechnik eine immer wichtigere Rolle in der Chemnitzer Wirtschaft. Die Textilindustrie konnte allerdings sich nicht gegenüber der Konkurrenz aus China und anderen asiatischen Ländern durchsetzen.

2008 wurden in Chemnitz 50 Patente auf 100.000 Einwohner ausgestellt.

Chemnitz wird als Oberzentrum, Freiberg wird als Mittelzentrum der Metropolregion Sachsendreieck geführt.

Quellen

Literatur
* Roland Kanz; Sachsen; Artemis & Winkler Verlag, München 1992
* Baedeker Deutschland; Verlag Karl Baedeker; Redaktionsschluss: 2002
* Historischer Führer – Stätten und Denkmale der Geschichte in den Bezirken Leipzig, Karl-Marx-Stadt;
Urania Verlag Leipzig Jena Berlin, 1. Auflage 1981
* Lexikon der Technik; herausgegeben von Bernd Rohr und Herbert Wiele; VEB Bibliographisches Institut Leipzig; 1. Auflage 1982

Weblinks
* http://www.freiberg.de
* http://www.chemnitz.de

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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10.03.2013, 13:39
Beitrag: #5
RE: Stadtgeschichte
In einem gesonderten Thread befindet sich auch noch Werners Geschichte von Kürzell

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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20.03.2013, 12:57
Beitrag: #6
RE: Stadtgeschichte
(10.03.2013 13:39)Maxdorfer schrieb:  In einem gesonderten Thread befindet sich auch noch Werners Geschichte von Kürzell

Wobei Kürzell auch keine Stadt ist. Wink

Wer die Vergangheit nicht achtet, dem kann es die Zukunft kosten

"Im übrigen, mein Sohn, lass dich warnen! Es nimmt kein Ende mit dem vielem Bücherschreiben und viel studieren ermüdet den Leib!" Kohelet 12,12
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20.03.2013, 18:06
Beitrag: #7
RE: Stadtgeschichte
(20.03.2013 12:57)WernerS schrieb:  
(10.03.2013 13:39)Maxdorfer schrieb:  In einem gesonderten Thread befindet sich auch noch Werners Geschichte von Kürzell

Wobei Kürzell auch keine Stadt ist. Wink

Ich habe es im weiteren Sinne als "Ort" gefasst.

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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