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Der Absolutismus - Die Staatsform die es nie gab?
28.10.2013, 15:18
Beitrag: #4
RE: Der Absolutismus - Die Staatsform die es nie gab?
Hallo zusammen,

Erstmal vielen Dank für die Antworten. Ich möchte gern auf ein paar Punkte genauer eingehen.

Zitat:Nunja. Selbst wenn Höflinge den Herrscher in ihrem Sinne beeinflussen können und der natürlich auch auf einen Staats- und Beamtenapparat angewiesen ist, damit seine Entscheidungen um- und durchgesetzt werden - letzten Endes trifft doch immer der absolutistische Herrscher die Entscheidungen, zumindest steht immer seine Unterschrift oder die eines von ihm Beauftragten unter den Gesetzen, Befehlen, etc.

Genau an diesem Punkt glaube ich gibt man dem absolutistischen Herrscher zuviel Kredit. Es dürfte für einen absolutistischen Herrscher eines Imperiums schlicht nicht möglich gewesen sein jede Entscheidung selbst zu treffen. Gehen wir jetzt mal nicht von absolutistischen Fürsten in kleinen Reichsgrafenschaften oder so aus, sondern nehmen wir die Könige von Frankreich oder Spanien als Beispiel. Die Aufgaben die jeden Tag in einem Reich anfallen in dem die Sonne nie untergeht sind so vielfältig, dass der Monarch gar nicht alles entscheiden kann. Der Historiker Arndt Brendecke hat dieses Phänomen in seinem Buch "Imperium und Empirie" mit der Überschrift "Korridore der Macht" versehen. Der Monarch war darauf angewiesen, dass ihm seine Berater oder Beauftragten vorformulierte Entscheidungen vorgelegt haben, die er dann nur noch abnicken musste. Natürlich fand jede Entscheidung im Namen des Königs statt, aber das ist ja der Form halber heute in England noch so, trotzdem würde niemand die Queen als absolutistische Herrscherin bezeichnen. Die Autorität des Königs ist einfach eine rechtliche Fiktion der Macht, die zur Legitimation von Entscheidung gebraucht wird. Die tatsächliche Rolle der Person des Königs - nicht seines Amts - kann dabei extrem schwanken.

Zitat:Ich denke, es ist richtig, dass Absolutismus eine Staatsform ist, „die von der Regierung eines aus eigener Machtvollkommenheit handelnden Herrschers ohne politische Mitwirkung ständischer oder demokratischer Institutionen bestimmt war". (Zitat Wikipedia)

Diese Aussage gehört in diese Kategorie von Aussagen die ich mal an anderer Stelle schön als "Lügen für Kinder" bezeichnet gefunden habe. Die Aussage ist nicht falsch, sie ist sogar richtig auf einer sehr hohen Abstraktionsebene, aber sobald man etwas tiefer in die Komplexität geht, ist sie eben nicht mehr zutreffend. Man findet solche Aussagen zu diesem Thema ja in variierter Form an vielen Stellen. Nur als Beispiel: " Der berühmteste Vertreter des höfischen Absolutismus war der französische König Ludwig XIV. Besonders kennzeichnend für seine Herrschaft war sein eigenes Verständnis von einer vollkommenen Macht, losgelöst von jeglichem Einfluss der einzelnen Stände." (Quelle: http://absolutismus.org/ ) Auf den ersten Blick mag das ja stimmen, da die Stände keine formelle Vertretung hatten nachdem die Generalstände nicht mehr einberufen worden waren. Andererseits wird aber wohl niemand behaupten, dass Ludwig XIV ohne die Hilfe des Adels regieren konnte. Ohne eine Basis von loyalen Klienten und die Kooperation des erwähnten Robenadels war in Frankreich im 17. Jahrhundert kein Staat zu machen. Man sollte diese informelle Bedeutung des Adels nicht unterschätzen. Genau das ist mein Punkt. Selbst in der Wikipedia findet man ja inzwischen die von namhaften Historikern wie Gerd Oestreich (http://de.wikipedia.org/wiki/Absolutismu....E2.80.9C) vorgebrachte Kritik an dem Begriff. Oestreich tut das beispielsweise indem er nach der Bedeutung des informellen im Absolutismus fragt.

Zitat:Nicht selten war, dass statt des Herrschers oder der Herrscherin ein Verwandter oder ein leitender Minister die Regierung ausführte. Das ändert aber nichts am System. Mangelnde staatsmännische Fähigkeiten der Herrscher oder ihrer Regenten waren jedoch die Achillesfersen des Systems. Man denke nur an Ludwig XVI. von Frankreich, Gustav III. von Schweden oder an den sächsischen Minister Brühl.

Ich finde auch nicht, dass es etwas an der staatsphilosophischen oder staatstheoretischen Bezeichnung ändert, sehr wohl aber an der Bedeutung in der Praxis des Systems. Das ändert natürlich nichts daran, dass ein inkompetenter aber geltungsbedürftiger König mit seinen gesamten Prärogativrechten das informelle Balncesystem nicht völlig zerschießen konnte. Beispiele für inkompetente Absolutisten finden sich zu Hauf.

Zitat:Ich finde, dass der Begriff „Absolutismus“ zutreffend ist, da der Begriff „Zentralismus“ belegt ist und der Begriff „Diktatur“ nicht zutreffend wäre. Absolutistische Tendenzen waren meiner Meinung in allen europäischen Staaten des 17. und 18. Jahrhundert zu erkennen. Der „klassische“ Absolutismus entstand in Frankreich, setzte sich aber auch in den deutschen Territorialstaaten, den Habsburger Ländern, Spanien, Portugal, in den italienischen Staaten, in Russland oder in anderen Staaten durch.

Dagegen scheiterte Karl I. von England mit dieser Staatsform bereits 1640/41, Kaiser Ferdinand II. konnte das Restitutionsedikt von 1629 nicht im Reich durchsetzen und in Schweden wird die so genannte Freiheitszeit von 1719 bis 1772 nicht dem Absolutismus zugerechnet. Dagegen setzte sich infolge des „Liberum Veto“ in Polen kein Absolutismus durch. Dies ist auch eine, aber nicht die einzige Ursache des Zerfalls dieses Staates zum Ende des 18. Jahrhunderts.

Ich finde - ausgehend von meinen vorherigen Argumenten - nicht das man den Begriff Absolutismus so benutzen sollte. Ich stimme vollkommen mit dir überein, dass Begriffe wie Zentralismus oder Diktatur nicht angemessen sind, aber ggf. sollte man zusätzliche Beschreibungen dazu setzen. In der Forschung werden ja Begriffe wie "höfischer Absolutismus" (Betonung des Hofkontextes) oder "bürokratischer Absolutismus" diskutiert. Ich würde mich solchen Verfeinerungen durchaus anschließen, weil die Assoziationen mit dem Begriff Absolutismus an sich meiner Meinung nach in die falsche Richtung gehen. Ich denke, dass die von fürstlichen/königlichen Theoretiker propagierte Realität des allein auf sich gestellten Monarchen nach modernen Erkenntnissen nicht haltbar ist und deshalb heute nicht mehr benutzt werden sollte.
Was die absolutistischen Tendenzen angeht: Ja, das kann man wohl feststellen, aber auch hier wird man festhalten müssen, dass es herausragende Gegenbeispiele gibt. Die polnische Adelsrepublik wurde von dir völlig richtig erwähnt. Dann wären da noch die niederländischen Generalstände - immerhin bis 1666 die maritime Großmacht Europas -, die oberitalienischen Republiken, die englische Republik bis zur Protektorenschaft von Cromwell, das notorisch komplizierte Reich, die Eidgenossenschaft der Schweiz etc. . .
Abschließend möchte ich sagen : Ego censeo "Absolutismus" esse delendam ;-)
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RE: Der Absolutismus - Die Staatsform die es nie gab? - Seine-Klausigkeit - 28.10.2013 15:18

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