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Alternative Ständesysteme
10.07.2013, 02:01
Beitrag: #1
Alternative Ständesysteme
In fast jeder Quelle über das Europäische Mittelalter lese ich etwas von dem Ständesystem (Bauern, Adel, Klerus). Nun würde mich interessieren nach welchem System die Gesellschaft in den islamischen Staaten und anderen Gegenden (Fernost, Skandinavien etc.) aufgebaut war? Gab es dort ähnliche Ständesysteme? Wenn ja wie waren diese aufgebaut und welche Rechte und Pflichten hatten die einzelnen Stände? Mir geht es speziell um die islamischen Länder (Da ich mich zur Zeit mit den Kreuzzügen beschäftige) Antworten zu den anderen Bereichen sind optional
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12.07.2013, 11:06
Beitrag: #2
Ständesystem im Islam, 1: Einleitung
Oops, den Thread habe ich ja ganz übersehen… Blush Wurde zumindest nicht bei mir in den neuen Beiträgen angezeigt...
Zunächst einmal möchte ich deine Frage beantworten, auf andere Feudalsysteme können wir später eingehen.

Also prinzipiell ist zu sagen, dass es im Islam eine theoretische Gleichheit aller vor dem Gesetz gab, also kein Feudalsystem wie in Mitteleuropa. Praktisch war eine hierarchisch gegliederte Gesellschaft natürlich noch in den Köpfen der Menschen, was sich nicht so leicht ändern lies. Aber dem Koran zufolge gibt es keine Ober- und Unterschicht (der Bibel zufolge ja eigentlich auch nicht…) Ibn Haldun (1322-1406) beschrieb in einem Buch die arabische asabiya, die soziale Solidarität innerhalb der muslimischen Gemeinschaft (der umma). Gerade die Almosen spielen im Islam eine große Rolle, was ein Merkmal dieser Solidarität war, aber gleichzeitig auch zeigt, dass es große soziale Unterschiede gab.
Die Sklaverei war weiterhin in den muslimischen Ländern verbreitet und sollte es noch eine ganze Zeit bleiben. Sie bildete vielfach die Grundlage der Wirtschaft und machte ein Feudalsystem wie in Mitteleuropa unnötig. Hierin liegt meiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen den Herkunftsländern der Kreuzfahrer und ihren muslimischen Gegnern: Bei diesen war die Sklaverei gang und gäbe, während in Europa ein kompliziertes Feudalsystem entwickelt wurde.
Freigelassene Sklaven waren in den arabischen Ländern weiterhin ihrem Herren verpflichtet, bildeten aber trotzdem eine einflussreiche Gesellschaftsschicht. Angehörige anderer Religionen hatten zwar gesellschaftlich wie juristisch einen etwas niedrigeren Status und mussten beispielsweise höhere Steuern zahlen, wurden aber akzeptiert und konnten durchaus wirtschaftlichen Erfolg haben.
Außerdem bildete die mit der Zeit stark angewachsene Familie Mohammeds einen gewissen „Adel“, dem man besondere Rechte zugestand und der ja auch das Herrscherhaus stellte. Die Familienangehörigen, die ihre Abstammung auf den Propheten zurückführen konnten, hatten eine modifizierte Gerichtsbarkeit mit anderen Anwälten und waren von der Almosensteuer (zakat) befreit. Gerade in den Städten Mekka und Medina bildete dieser sarif genannte Personenkreis eine Art Oberschicht.

Den Nachkommen Mohammeds, den Sklaven und Freigelassenen und den Fremden kam also ein besonders hoher oder niedriger Status zu, aber der gesamte Rest der Gesellschaft war nicht in starre Ständegrenzen eingeteilt.
Eine bedeutende gesellschaftliche Unterscheidung gab es allerdings im Islam zu Beginn, nämlich eine Art Patronatsverhältnis zwischen einem Schutzherren (oder einem ganzen Schutzvolk) und einem Klienten, Maula genannt. Die Mawali (Plural von Maula) waren oft im Krieg gefangen genommene Nichtaraber oder auch Araber, die sich einem reicheren und mächtigeren Mann unterstellten. Sie waren fast schon ein Statussymbol für den Araber, der etwas auf sich hielt. Offiziell wurden die Mawali durch den vierten Kalifen Ali rechtlich gleichgestellt, und tatsächlich gingen sie langsam in der Gesellschaft auf.

Wie die Wirtschaft und Gesellschaft in den Städten und auf dem Land dann praktisch aussah, darüber schreibe ich später noch etwas.

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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13.07.2013, 16:11
Beitrag: #3
Ständesystem im Islam, 2: Auf dem Land
Auf dem Land gab es zunächst einmal die Nomadenstämme, wie es sie schon lange auf der Erde gibt und wie sie auch heute noch in einigen Regionen der Erde anzutreffen sind. Sie hatten und haben eine sehr einfache hierarchische Struktur.
Die meisten Bewohner des Landes waren einerseits kleine Bauern und andererseits reichere Großgrundbesitzer, die eben in der finanziellen Lage waren, sich Sklaven halten zu können. Von der wirtschaftlichen Situation her unterschieden sich die Höfe darin, dass einige von Natur aus eine gute Wasserversorgung hatten, während andere künstlich bewässert werden mussten.
Die Bauern waren also frei. Frondienst mussten sie allerdings hin und wieder für den Staat leisten, der Projekte zur Verbesserung der Wasserversorgung durchführte. Eine gesellschaftliche starre Gliederung wie in Europa gab es hingegen nicht. Bauernaufstände kamen selten vor, aber es gab sie. Sie richteten sich allerdings nicht gegen persönliche Unfreiheit, sondern gegen die hohen Steuern und Abgaben an den Staat.
Eher schon unterschied man da zwischen Arabern und Nicht-Arabern. Der Landbesitz außerhalb der arabischen Halbinsel war aufgeteilt in den Besitz von Arabern (der eigentlich theoretisch verboten war, praktisch aber immer wieder vorkam), den Besitz von Nicht-Arabern, den mit Steuern belegt wurde, und der Staatsbesitz, den es ebenfalls in großem Stil gab. Manche dieser Güter in Staatsbesitz wurden von Beamten verwaltet, andere auf unbegrenzte Zeit verpachtet.
Auch konnten Großgrundbesitzer ihr Land für eine begrenzte Zeit an Bauern verpachten, die dafür Teile des Ertrags abtreten mussten. Doch auch das war bei weitem etwas anderes als das europäische Feudalsystem, nämlich einfach nur das Einstellen von Arbeitern, wie es das heute noch gibt. Die Verwalter der Güter waren manchmal Sklaven, doch landwirtschaftliche Arbeit verrichteten die Sklaven nicht im großen Stil.

Letztlich lässt sich die Gesellschaft auf dem Land folgendermaßen zusammenfassen:
  • Ganz unten waren die Sklaven, die für andere arbeiteten, ohne bezahlt zu werden.
  • Über ihnen standen die Tagelöhner und sonstigen Arbeitskräfte, die angeworben werden konnten und gegen Bezahlung arbeiteten.
Schließlich kamen die Landbesitzer, bei denen es wieder vier Gruppen gab:
  • Die Kleinbauern bewirtschafteten ein kleines Stück Land, das für die Selbstversorgung ausreichte, vielleicht auch etwas Überschuss abwarf.
  • Darüber gab es den kleinen Landadel mit größeren Besitzungen, der sein Land weiterverpachtete oder aber Arbeitskräfte anwerben musste. Die Landadeligen waren faktisch oft Oberhäuper eines Dorfes und hatten durchaus etwas zu sagen, die Bewohner gehörten ihnen allerdings nicht und sie konnten auch keinen Zwang auf diese ausüben. Sie entsprechen den europäischen Rittern, hatten aber im Gegensatz zu diesen wie gesagt keine Verfügungsgewalt über die in ihrem Gebiet lebenden Menschen.
  • Als Drittes wäre der Landbesitz von in der Stadt lebenden reichen Personen zu nennen. Er war in der Regel besser organisiert und nicht auf Selbstversorgung ausgelegt, sondern diente der Produktion für den Handelsverkehr. Die Landbesitzer ließen sich dann durch sogenannte Verwalter vertreten.
  • Die Oberschicht schließlich bildeten die wenigen Aristokraten, entweder Prinzen oder hohe Staatsbeamte. Deren riesige Besitztümer bedrohten nicht selten den der anderen drei Gruppen. Ihre Güter ähnelten denen römischer Senatoren - mit dem Unterschied, dass in Rom Sklaven ausgebeutet wurden, während muslimische Adelige ihre Arbeitskräfte bezahlen mussten.

Auf dem Land gab es auch das bereits erwähnte Patronatswesen, bei dem sich eine Person unter den Schutz einer mächtigeren Person begab und praktisch dafür oft materielle Gegenleistung erbringen, also Abgaben an den Schutzherren leisten musste. Auch das ähnelt nicht dem mittelalterlichen Feudalsystem Europas, sondern eher dem römischen Klientenwesen.

Zumindest erwähnen möchte ich auch noch, dass es in ländlichen Regionen der arabischen Welt viele Bodenschätze gab, die in von Städtern verwalteten Bergwerken gefördert wurden.

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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14.07.2013, 15:26
Beitrag: #4
Ständesystem im Islam, 3: In der Stadt
Die Zentren der muslimischen Gesellschaft waren allerdings die Städte, die wuchsen und auch für das kulturelle Leben von einiger Bedeutung waren. Im Vergleich zu denen Europas waren sie riesig und auch in viel größerer Anzahl vorhanden als in den Heimatländern der Kreuzritter. Die Städte waren mit einer großen Moschee und einem Gouverneurspalast, vielen Märkten und Befestigungsanlagen versehen.
Grob kann folgende Gesellschaftsgruppen unterscheiden:
  • Ganz oben standen die Mitglieder des Militärs sowie die wenigen Adeligen (Familienangehörigen und Nachkommen des Propheten Mohammed). Als Vertreter der Regierung hatten sie die Kontrolle über die Städte. In den Hauptstädten befand sich über ihnen natürlich noch der Herrscherhof mit seinen vielen Ämtern und Besonderheiten, in der gewöhnlichen Stadt der arabischen Welt waren diese aus der Hauptstadt entsandten Beamten und die in der ganzen arabischen Welt lebenden Prinzen die Spitze der Gesellschaft.
  • Eine Art Bürgertum, also eine obere Mittelschicht, bildeten die ebenfalls aus der Hauptstadt entsandten Beamten, die Schreiber, die die Stadt verwalteten und den Willen des Herrschers durchsetzten. Dieses Bürgertum war gesellschaftlich von großer Bedeutung, weil es zahlenmäßig größer war als die höheren Schichten der Gesellschaft.
  • Ebenfalls auf dieser Stufe stehen die Vertreter der Religion, die Schriftgelehrten und Theologen und die Richter. Religiös gesehen standen all diese natürlich weit über den Militärs etc., ihr faktischer sozialer Status und ihre gesellschaftliche Position entsprach aber der der Schreiber.
  • Auch zur Mittelschicht gehörten die Händler und Handwerker, bei denen es natürlich in der Praxis enorme Unterschiede gab: Einige lebten am Existenzminimum, andere waren zu riesigem Reichtum gekommen und konnten sich fast schon einen eigenen Hofstaat leisten (natürlich nicht politisch). Im Gegensatz zum mittelalterlichen Christentum stand der Islam irdischem Gewinnstreben nicht ablehnend gegenüber, sodass es einen schnellen technischen Fortschritt gab. Im Handel nahmen die Muslime eine bedeutende Stellung ein, aber auch als Produzenten (z. B. Damaszener-Stahl, Farben- und Seifenproduktion). In den muslimischen Städten gab es bereits eine ausgeprägte Arbeitsteilung. Allerdings nahmen auch staatliche Betriebe, die dann wieder von Beamten geleitet wurden, eine bedeutende Rolle ein.
  • Eine niedrige Stellung in der Gesellschaft hatten einige Berufe, die verachtet wurden. Wer sie ausübte, konnte dadurch vielleicht zu einigem Wohlstand kommen, gesellschaftlich aber nicht aufsteigen. Dazu gehörten zum Beispiel die des Weinhändlers, des Taubenzüchters oder des Webers.
  • Die Unterschicht ist am schlechtesten zu bestimmen. Sie bestand aus den - wie auch auf dem Land für die Wirtschaft sehr wichtigen - Tagelöhnern, aus Bettlern, aus allen möglichen Individuen, die sich auf irgendeine Weise, zum Beispiel durch Gelegenheitsarbeit ernährten. Ich habe schon im Beitrag über die Gesellschaft auf dem Land erwähnt, dass es auch Menschen gab, die sich von einem Reicheren ernähren ließen und ihm dafür für die verschiedensten Dinge zu Diensten standen (Patronatswesen).
  • Sklaven gab es nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Stadt. Sie bildeten durchaus einen wichtigen Faktor in der Wirtschaft, es gab aber nicht so viele wie beispielsweise in Rom.
Eine weitere Gruppe waren die fityan (die Einzahl lautet fata), junge Männer, die ritterliche Ideale verkörperten und Tapferkeit und Brüderlichkeit lebten. Sie hatten keine Frauen und keine Familien, sondern lebten in solidarischen Gemeinschaften zusammen. Einige waren ausgesprochen friedlich, andere jedoch Horte der Rebellion und Gewalt.

Von herausragender Bedeutung für die ganze Gesellschaft war das Amt des muhtasib, einer Art Aufseher über die gesamte Wirtschaft, der darauf achtete, das staatliche Vorgaben eingehalten wurden und der allgemein über einige Macht verfügte.
Von der Gesellschaft nicht völlig isoliert, aber doch abgetrennt lebten die Menschen fremder Herkunft, für die es eigene Stadtviertel gab.

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14.07.2013, 15:45
Beitrag: #5
Ständesystem im Islam, 4: Fazit und Literaturempfehlung
Man kann also sagen, dass die muslimische Gesellschaft kein so starres Feudalsystem kannte wie die Mitteleuropäer. Der Adel war viel kleiner (nur die Nachkommen Mohammeds), dafür gab es einen mächtigeren Staat, der die Bevölkerung kontrollierte und zeitweise auch ausbeutete (Frondienst). Seine Beamten im militärischen und im zivilen Bereich bildeten die Elite.

Bei weiterem Interesse empfehle ich:

Claude Cahen: Fischer Weltgeschichte, Band 14: Der Islam I - Vom Ursprüngen bis zu den Anfängen des Osmanenreiches.
In verschiedenen Auflagen im Fischer Taschenbuch Verlag in Frankfurt a. M. erschienen, später gab es noch einmal eine Sonderausgabe im Weltbild-Verlag Augsburg.
Der Autor gibt auf fast 400 Seiten einen umfassenden und gut verständlichen Einblick, nicht nur in die Entstehung und Entwicklung des muslimischen Glaubens, sondern auch der politischen Entwicklung der ganzen atabischen Welt - und geht auch genau auf die Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur ein (besonders S. 133-196)

Fortgesetzt wird der Band durch:
G. E. von Grunebaum: Fischer Weltgeschichte, Band 15: Der Islam II - Die islamischen Reiche nach dem Fall von Konstantinopel.
Ebenfalls in mehreren Auflagen im Fischer Taschenbuch Verlag in Frankfurt a. M. erschienen, und auch hier gab es später noch mal eine Sonderausgabe im Weltbild-Verlag Augsburg.
Grunebaum behandelt das Thema im Gegensatz zu Cahen nicht chronologisch, sondern behandelt nacheinander das Osmanenreich, den Iran und Afghanistan, das muslimische Indien, China und Südostasien sowie die vorderasiatischen Gegenden und Nordafrika.

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14.01.2018, 05:51
Beitrag: #6
RE: Alternative Ständesysteme
(10.07.2013 02:01)RPGator schrieb:  In fast jeder Quelle über das Europäische Mittelalter lese ich etwas von dem Ständesystem (Bauern, Adel, Klerus). Nun würde mich interessieren nach welchem System die Gesellschaft in den islamischen Staaten und anderen Gegenden (Fernost, Skandinavien etc.) aufgebaut war? Gab es dort ähnliche Ständesysteme? Wenn ja wie waren diese aufgebaut und welche Rechte und Pflichten hatten die einzelnen Stände? Mir geht es speziell um die islamischen Länder (Da ich mich zur Zeit mit den Kreuzzügen beschäftige) Antworten zu den anderen Bereichen sind optional

Die Ständegesellschaft war ja eher gegliedert in Adel, Klerus, Freie, Unfreie. Die Bürger gehörten zu den Freien. Bauern konnten Freie und Unfreie sein.

viele Grüße

Paul

aus dem hessischen Tal der Loganaha (Lahn)
in der Nähe von Wetflaria (Wetzlar) und der ehemaligen Dünsbergstadt
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