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Großstadt vs Dorf - Unterschiede
07.08.2013, 14:49
Beitrag: #38
RE: Großstadt vs Dorf - Unterschiede
Ich hatte mich zu Beginn des 3nd schon mit einigem befasst, das jetzt wieder angesprochen wird.

(27.06.2013 10:30)Suebe schrieb:  
(26.06.2013 20:09)Suebe schrieb:  Zuerstmal geschichtlich.
Städte sind Gründungen, gezielte der Territorialherren.
Die Stadtgründungen des Hochmittelalters geschahen allüberall auf Kosten der Dörfer, die Wüstungen in der Zeit sind dem geschuldet.
Gegründet als Zentralorte die Handel und Gewerbe an sich ziehen sollten.

Aber auch hier gilt es wohl zu differenzieren.
Vor kurzem las ich bei Osterhammel, dass noch weit ins 19. Jahrhundert hinein die Hafenstädte deutlich engere Beziehungen zu anderen Hafenstädten jenseits der Ozeane hatten, als zu ihrem Umland ein paar Kilometer entfernt. Osterhammel weist dabei auf den Fakt hin, dass die Hansestädte erst in den 1880ern dem deutschen Zollverein beitraten.
Dies aber letztlich auch in China so festzuhalten wäre, lediglich für die USA geringe Abstriche zu machen wären.

Gehört auch ins Thema:
Das Dorf, wie wir das kennen, ist zumindest in Südwestdeutschland ca. 150 Jahre vor den mittelalterlichen Städtegründungen entstanden. Die Besiedelung zuvor bestand aus großen Lehnhöfen mit umgebenden einigen kleineren Gehöften. (1)

Die Städte waren eigentlich immer "Schmelztiegel" während die Dörfer, laut Osterhammel rund um den Planeten, deutlich "beharrlicher" sind.
Wobei einen die "Wanderungen" festzumachen an den über die Jahrhunderte deutlich wechselnden Familiennamen, dann wieder verwundern.(2)
Relativ aktuell ist aber die Integrationskraft auch der Dörfer an den Heimatvertriebenen nachzuweisen. Die "Kinder-Generation" ist voll und ganz integriert.
Vor kurzem erzählte mir einer, so ca. 15 Jahre jünger als ich, er wäre Dreisprachig aufgewachsen. Den örtlichen Dialekt, den städischen, und das Standartdeutsch. Er nimmt also meinen Dialekt bereits als "anders" wahr. Es sind schon Mikrokosmen, die Dörfer.
Meine bevorzugte Probefahrtstrecke (leider zeitlich meist zu lange) geht über ein kleines Dorf, da wartet doch keiner auf den Bus, der geht die Straße entlang, da kommt umgehend einer der ihn mitnimmt. (Im Zweifel ich)

Osterhammel schreibt, dass die Landbevölkerung bei keiner der Revolutionen des 19. Jahrhunderts beteiligt gewesen wäre, (2)was mir mit Blick auf 1848 nicht einleuchtet, und siehe da. auch Treue kommt da schon 1961 zu anderen Schlüssen: Die Landbevölkerung Südwestdeuschlands war 48 überaus erfolgreich, ihre Forderungen haben sie weitgehend durchgesetzt, Verlierer war neben dem "Proletariert", die Landarbeiterschaft Ostdeutschlands. (3)
In Ostdeutschland hat sich dann im Zuge der Industrialisierung durch die zdZ immense Binnenwanderung der soziale Druck vom Land in die Städte verlagert.(4)
In Südwestdeutschland entstand, begünstigt durch die hier übliche Realteilung, der Typus des Arbeiterbauerndorfes, Industriearbeiter die ihre Landwirtschaft im Nebenerwerb betrieben, die sich zB durch ein politisch sehr stabiles Verhalten auszeichneten. (3)
Eine Form des Dorfes, die aber seit den 70-80er Jahren des 20. Jahrhunderts schon im schwinden ist, heute höchstens noch rudimentär vorhanden ist.

(1) 750 Jahre Stadt Balingen, Balingen 2005
(2) Osterhammel, Die Veränderung der Welt, Beck 2011
(3) Treue, Wilhelm, Kulturgeschichte der Neuzeit 1961
(4) Ritter, Tenfelde, Der Arbeiter im Kaiserreich, Dietz 1992

(27.06.2013 12:41)Suebe schrieb:  Nochmals zum Dorf, als Ausblick.

In meiner Jugend hieß es, "überall wo der liebe Gott eine Kirche hingebaut hat, hat der Teufel ein Wirtshaus daneben gesetzt."

Die Wirtshäuser in den Dörfern verschwinden, die Gastronomie hat sich dort überwiegend verabschiedet.
Bei den Kirchen deutet alles in die gleiche Richtung.
Die Schulen, zumindet in BW, sind seit etwa 4 Jahren ebenfalls endgültig am wegfallen.
Was verbleibt als Idenditätsstiftend?
Sportverein und Feuerwehr.

Ich wage die Prognose, dass vom "Mikrokosmos Dorf" in ein paar Jahren nicht mehr viel übrig sein wird.
Lediglich Wohn- und Schlaforte verbleiben.

(28.06.2013 11:43)Suebe schrieb:  
(27.06.2013 22:57)Sansavoir schrieb:  Bei uns ist es so: Entweder werden mehrere Dörfer zu einer Großgemeinde zusammengefasst oder sie werden Ortsteile einer (Klein-)Stadt. Diese Dörfer sind oft geteilt, einerseits in das alte Dorf mit seinen zum Teil noch Landwirtschaft betreibenden Bewohnern, andererseits in einer (oft erst nach 1990 entstandener) neuen, nur aus Fertigteilhäusern bestehenden Siedlung. Das sind regelrechte Schlaforte, in denen praktisch nur (junge) Familien leben. Die Eltern sind meist beide berufstätig, so dass zwei Autos benötigt werden und wenn die Sprösslinge alt genug sind, stehen noch die Mopeds oder Drittwagen vor der Tür. Wie das mal organisiert wird, wenn die heutige Elterngeneration nicht mehr mobil ist, ist fraglich. Der nächste Facharzt praktiziert ja nur noch in Leipzig, um nur ein Beispiel zu nennen.


Das ist vermutlich quer durch die Republik so. Je kleiner ein Ort oder Weiler, desto höher die Fahrzeugdichte. Ich kenne einen Weiler, Wohnplatz nennt man das hier, da gibt es tatsächlich mehr zugelassene! Straßenfahrzeuge als Einwohner.

Der weitgehende "Wegfall" der Arbeiterbauern wurde von folgenden erheblich beschleunigt:
In den 80er Jahren wurde von der EG das "Milchkontingent" eingeführt. Jeder Bauer kann jährlich die Milch zu festen Preisen abliefern, die er im Jahr 83 abgeliefert hat.
Diese Menge kann aber einem anderen Landwirt verkauft werden, der dann entsprechend mehr anliefern kann.
Oftmals ist es inzwischen so, dass es pro Dorf nur noch ein-zwei Vollerwerbsbauern gibt, die gigantische Ställe hingestellt haben, mitten in der Landschaft, Fabrikhallen sind eher kleiner.

(30.06.2013 02:03)zaphodB. schrieb:  
Zitat:In Südwestdeutschland entstand, begünstigt durch die hier übliche Realteilung, der Typus des Arbeiterbauerndorfes, Industriearbeiter die ihre Landwirtschaft im Nebenerwerb betrieben, die sich zB durch ein politisch sehr stabiles Verhalten auszeichneten.

In meinem Heimatort ist diese entwicklung ganz deutlich...früher war das ein reines Bauerndorf mit einer beträchtlichen Anzahl von Vollerwerbsbauern. Mit demBeginn der industriellen Revolution wuren daraus immer mehr Nebenerwerbslandwirte, die sich auf Sonderkulturen,speziell Spargel und Tabak , spezialisierten und hauptberuflich in den Mannheimer Fabriken arbeiteten.
Das ganze zog sich bis Mitte der sechziger jahre. Dann wurden mit steigenden Löhnen die Nebenerwerbslandwirtschaften mehr und mehr aufgegeben Gleiczeitigwurden erhebliche Ackerflächenn Bauland umgewandelt ,die Einwohnerzahl verdreifachte sich und der zwischenzeizlich kleinstädtische Ort .bekam Schlafstattcharakter

(15.07.2013 20:32)Suebe schrieb:  Um mal zur Stadt zu kommen.

Städte sind grundsätzlich Gründungen, gezielte durch örtliche oder auch überörtliche Machthaber. (Wink von Balingen ist sogar das Gründungsdatum urkundlich überliefert, Pfingsten 1255 durch den Zollerngrafen)
Auf allen Kontinenten außer Australien sind Städte entstanden.
Man kann also davon ausgehen, dass es sich um ein Grundbedürfnis in allen Kulturen handelt.
Die Stadt als Dienstleistungs-, Verwaltungs- und Handeslzentrum für das umliegende Land.
Uta hat weiter oben verdeutlicht, dass eine Stadt die keine Marktgerechtigkeit hatte, von vorneherein zum Scheitern verurteilt war.

Nun gibt es bei den Städten von Anfang an auch Sonderentwicklungen, die Hafenstadt soll erwähnt werden, die mit anderen Hafenstädten auf anderen Kontinenten mehr zu tun hat, als mit dem Fischerdorf in ihrer Nähe.
Oder reine Industriestädte wie sie speziell im 19. Jahrhundert entstanden sind. Die nie ein Zentrum für das umliegende Land waren.

Großstädte wie wir sie heute kennen, wurden erst so richtig im 19. Jahrhundert möglich, als mehrere Voraussetzungen zu ihrer Entstehung gegeben waren,
1. für die Masse bezahlbare innerstädtische Verkehrsmittel, zuvor war innerstädtischer Verkehr lediglich zu Fuss möglich, was jedem Wachstum natürliche Grenzen setzte.
2. Versorgungs- (Wasser zB) und Entsorgungs-Einrichtungen (Kanalisation)
mit den entsprechenden Kapazitäten.
Das moderne Paris ist nicht zufällig, oder eben auf Napoleons III Intention Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, sondern weil die beiden Punkte zuvor nicht gelöst waren.

OT: Die Planung des modernen Jerusalems (insbesondere auch dort Entsorgung) geht auf den aus Bitz auf der Schwäbischen Alb gebürtigen Konrad Schick zurück.
http://en.wikipedia.org/wiki/Conrad_Schick
gelernter Mechaniker, alles andere Autodidakt.
Man beachte, er ist lediglich in der englischen Wiki zu finden.
Die Leistungen Deutscher des 19. Jahrhunderts im "Heiligen Land" wurden nach 45 aus nachvollziehbaren Gründen mehr oder weniger vergessen.
Es wird hier keinen groß interessieren, aber ich finde es erwähnenswert.

(16.07.2013 16:09)Suebe schrieb:  
(16.07.2013 15:20)913Chris schrieb:  Die Geographen sprechen von räumlichen Disparitäten, im hier angesprochenen Bereich speziell vom Gegensatz zwischen Peripherie und Zentrum. Wer´s nachlesen will, gerne, hier nur in Kürze: Die Unterschiede zwischen Dorf und Stadt erklären sich für die Geographen primär daraus, dass ein Dorf wenige zentrale Funktionen hat und eine Stadt mehr, eine Großstadt gar alle denkbaren zentralen Funktionen. Großstädte sind also Zentren für Industrie, Handel, Dienstleistungen, Medizinversorgung und Regierung (allerdings in wechselnder Intensität; nur wenige Großstädte sind Regierungssitze, aber alle haben sie regierungsmäßige Funktionen, und sei es nur als Bezirkshauptstadt oder ähnliches).
Ein Dorf dagegen hat nur untergeordnete zentrale Funktionen, heutzutage oft nicht mal mehr einen Arzt oder eine Apotheke, wenn´s gut geht einen Supermarkt. Das erklärt die Unterschiede, das prägt nämlich auch die Mentalität der Leute.

./.
Christian


Keine Regel ohne Ausnahme, es gibt durchaus die quasi aus dem Nichts entstandene Großstadt die sehr wenige bis gar keine zentrale Funktionen hat, Oberhausen zB.

Die Entwicklungen sind überhaupt recht differenziert, Osterhammel, dem ich auch hier folge, verweist zB auf St. Louis und Chicago, das etwas ältere St. Louis fast ohne Industrie mit großem Dienstleistungssektor, Chicago annähernd umgekehrt. Mit Vorteilen über die Jahrzehnte wechselnd mal bei St. Louis mal bei Chicago.


Um nochmals auf das Dorf aus heutiger Sicht AD 2013 zurückzukommen, und in der Vorausschau: hier spreche ich aus eigenem,
Irgendwelche zentrale Funktionen gehen da zunehmend ein.
die Verwaltung ist in BW längst in "Großgemeinden" aufgegangen, es gibt kaum mehr Läden, ja, wie geschrieben, nicht mal mehr Wirtshäuser.
Die Kirchen stehen noch, werden von einem Pfarrer im Rahmen einer Seelsorgeeinheit zusammen mit 6-7 weiteren betreut. Die Schulen sind, wenn es hochkommt noch einzügige Grundschulen.
Der Mikrokosmos ist, obwohl die Einwohnerzahlen durch Zuzug ständig steigt, am "abnippeln".
Die Idenditätsbildung geht lediglich noch über Sportverein oder Feuerwehr.


Es ist mir duchaus bekannt, dass das Thema Großstadt vs Dorf heißt, persönlich halte ich allerdings diesen Gegensatz für zu gewagt.
Die Masse der Menschen lebt auch in Klein- und Mittelstädten, weder in Dorf noch Großstadt.

Nochmals darauf zurück:
Die Großstadt als solche ist erst im 19. Jahrhundert entstanden, konnte erst da entstehen. Abseits von Zentralfunktionen waren die entscheidenden Voraussetzungen für das Größenwachstum (innerstädtischer verkehr, Versorgung und Entsorgung) erst da gegeben. Siehe mein obiger Beitrag. Hier folge ich der Prophyläen Technik Geschichte Band 4, ab Seite 277

Vielleicht ist es in der Zusammenfassung leichter lesbar

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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