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Zünfte, Innungen und Ordnungen
13.06.2013, 16:22
Beitrag: #14
RE: Zünfte, Innungen und Ordnungen
OMG - hast du wieder viel geschrieben und ich komme kaum hinterher zu lesen, geschweige denn zu antworten Blush

Aber mal einigermaßen der Reihe nach.



(12.06.2013 20:31)Suebe schrieb:  Ich habe Probleme, mit dem "eigenartig verschobenen Frauenbild".

Doch ich finde schon, dass sich gerade zum ausgehenden Mittelalter da etwas verschiebt. Damit meine ich nicht nur die Sicht der Männer auf die Frauen, auch im Selbstverständnis der Frauen tritt da ein Wandel ein. Dieser Wandel äußert sich in vielen Bereichen, nicht nur im Zunftwesen. Beispielsweise fallen ja die ganzen Beginen-Gründungen in diese Zeit. Frauen, die es verstanden, aus der Not eine Tugend zu machen - könnte man aus heutiger Sicht vermuten.

Ich kann mir aber keinen Reim auf die Mechanismen machen, die dazu führten, noch kann ich ahnen, ob sich dieser Wandel gewollt oder aufgezwungen, langsam oder abrupt, von innen aus dem Volk heraus oder von einer Instanz wie z.B. Kirche aufoktruiert vollzogen hat. Deshalb will ich das auch so wenig wie möglich werten, bemerke aber eine Verschiebung, die ich mangels schlüssiger Erklärungen bislang eben eigenartig finde.

Im Grunde erleben wir zur Zeit doch wieder eine eigenartige Verschiebung des Frauen(selbst-)bildes. Noch vor wenigen Jahren stand eine berufstätige Mutter eines Kleinkindes (unter 3 Jahren) unter dem Generalverdacht eine Rabenmutter zu sein. Heute gilt die Mutter, die sich für die (Eigen-)erziehung ihres Kindes entscheidet als Rabenmutter, weil sie nicht genügend Fachkompetenz zur Kleinkinderziehung hat und deswegen lieber was fürs Bruttosozialprodukt tun soll. (sorry fürs OT - brauchte ich aber zur Erklärung meiner Gedanken Blush)

Zitat:Zu den Heiratsverboten von Gesellen muss ich mal nachschauen, habe ich irgendwo etwas.
Heiratsverbote für Gesellen wurden in einigen Zunftordnungen ausgesprochen. Dazu muss man aber beachten, dass die Ordnungen ja in aller Regel nicht überregional galten, sondern nur in der jeweiligen Stadt.
Und im speziellen für das "geschenkte Handwerk" häufen sich in einigen Regionen die Heiratsverbote. Im Zusammenhang mit der Straßburger Tuchschererordnung habe ich zum ersten Mal diese Begründung so eindeutig formuliert gelesen. Angeklungen ist es bei anderen aber auch.

Zitat:Man beachte aber, wir haben es mit dem HRR zu tun, ein Riesenraum, und 14.- 19. Jahrhundert! ein sehr sehr langer Zeitraum.
"Globale" Aussagen werden da schwer möglich sein
Stimmt, aber so global möchte ich es gar nicht betrachten. Im Grunde geht es im Kern um das 14. - 16. Jahrhundert und am Rande das 12. und eventuell noch das 17. Jh. , wobei dieses Jahrhundert seine ganz eigene (Kriegs-)dynamik hatte.

(13.06.2013 10:41)Suebe schrieb:  Ohne aus dem Handgelenk konkret werden zu können.
Von meiner Urgroßmutter, Meistersgattin, ist überliefert, dass sie zwischen neun und halbzehn mit Kochen angefangen hat.
Die Tischgemeinschaft mit den Gesellen und Lehrlingen ist erst im und nach dem 1. WK aufgelöst worden. Ergo, hungrige Mäuler die Menge am Tisch.
Auf dem Herd wurde auch erst ab Mitte 19. Jahrhundert gekocht, zuvor auf dem offenen Feuer, was nochmals deutlich mehr Arbeit macht.
Soll heißen, wann wäre da Zeit zu handwerklichen Tätigkeiten gewesen?
Es gab ja nicht nur Meisterfrauen, es gab ja auch noch Mägde und Töchter...
Aber es stimmt, die Tage waren völlig anders strukturiert als wir es heute immer so bedenken.

Zitat:Wobei ich zusätzlich unterstellen würde, dass es das "Witwen-Privileg" im heutigen Handwerk durchaus auch in vergangenen "Zunft-Zeiten" gab.
Nicht durchgängig. Das waren nur sehr wenige Zünfte, die das Privileg einräumten. Und das - wie mir zunehmend scheint - auch nur auf Zeit geduldet. Wollte die Witwe auf Dauer den Laden nicht aufgeben, blieb ihr nur die Heirat mit einem anderen Meister. Da hat dann wohl schon die Zunft Druck gemacht, außer die Gute war so 'schiach', dass keiner sie haben wollte. Dann hat man dafür gesorgt, dass das Geschäft den Berg runter geht und billigst aufgekauft werden konnte.

(13.06.2013 15:15)Suebe schrieb:  Nachdem ich, nichts ist so sicher, zu 50% weiblicher Herkunft bin, Angel
habe ich, es ist hier schon angeklungen, große Probleme damit die Rolle der Frau in vergangenen Jahrhunderten mehr oder weniger als "kindergebärendes Hascherl" zu sehen.
So sehe ich die Frauen auch nicht, keineswegs. Verschreckte Hascherl waren sie wohl seltenst. Aber sie waren offensichtlich vielen Beschränkungen unterworfen. Woher die rührten und ob die Frauen das auch als Beschränkung empfanden oder als Normalität wahrnahmen sind für mich dabei spannende Fragen.

Zitat:Da habe ich mal in Arno Borsts "Lebensformen des Mittelalters" von 1973 ISBN 3-933203-87-2 geschaut.
Er schreibt auf Seite 690
"die bürgerliche Lebensform blühte in den mittelalterlichen Kreisen der tüchtigen Handwerker, der redlichen Kaufmänner und der über Handschriften gebeugten Gelehrten. Sie sorgten für Stabilität und ständische Ordnung: Alles Menschenleben, vom Kaiser bis zum fahrenden Bettler, von der Geburt bis zum Tode, vom Morgen bis zur Nacht ist durch feststehendes Zeremoniell, sinnvollen Brauch, stehende Formeln eingehegt."
Dann weiter:
"Jedenfalls ist ihre Blütezeit mit der Revolution beendet. Jetzt wird das Bürgertum aus einer Kast zum Volk; das Leben der Kleinen verwandelt sich zum bloßen Bild und Ausschnitt eines unsichtbaren größeren Ganzen. Das Volk besitzt Seele, Herzschlag, höhere geistige Persönlichkeit und baut sich nun als höchstes irdisches Besitztum sein eigenes Haus, den Staat.
Geschichte spielt sich nicht mehr in kleinen sozialen Gruppen ab, sondern in leitenden Ideen, politischen Potenzen und industriellen Prozessen. Historische Lebensformen aber werden für den engagierten Publizisten zweitrangig, weil er das Recht des Lebenden behauptet, alle Vergangenheit nach dem Bedürfnis und den Forderungen seiner eigenen Zeit zu deuten."
Dieses Bekenntnis, schreibt Borst, würde von Freytag stammen, wäre aber inzwischen veraltet, da die Geschichte als Wissenschaft den revolutionären Bruch mit der Vergangenheit vollendet hätte.

muss ich mal darüber nachdenken.Huh

Aber mir scheint da steckt eine Erklärung drin, für so manches, das wir uns heute nicht so ohne weiteres erklären können. Idea

Hört sich erstmals ganz spannend an, wenn ich im Moment auch noch nicht ganz verstehe, was Herr Borst mir damit sagen möchte. Blush
Muss ich auch erst mal drüber nachdenken... Wink

nicht ärgern, nur wundern...
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Zünfte, Innungen und Ordnungen - Uta - 24.05.2013, 19:31
RE: Zünfte, Innungen und Ordnungen - Uta - 13.06.2013 16:22

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