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Merkwürdiges und denkwürdiges aus Schwaben und Alemannien
22.09.2012, 17:52
Beitrag: #10
Mergentheim 1809
Mergentheim 1809

Zum Jahr 1809 findet sich ein interessanter Satz im Wikipedia Eintrag zur Stadt Bad Mergentheim:
„Seit 1809 gehörte die Stadt zum Königreich Württemberg und wurde zum Sitz eines württembergischen Oberamtes. Ein im Juni 1809 ausbrechender Aufstand gegen die neue Herrschaft, der sich an der Rekrutenaushebung entzündete, wurde von württembergischen Truppen unterdrückt,…“
Das klingt interessant, und der historisch Interessierte schaut nach.



Der Aufstand in Mergentheim steht in der Reihe der 1809 an etlichen Orten ausgebrochenen Freiheitsbewegungen in ganz Deutschland. Er brach kurz vor dem in der Grafschaft Nellenburg aus, (siehe mein Post hierzu) und hatte auch dieselben Ursachen, verlief aber deutlich dramatischer und blutiger.
Am 24. April 1809 hatte Napoleon in Regensburg die Aufhebung des Deutschen Ordens im Gebiet des Rheinbundes verfügt.
Dem Königreich Württemberg hatte Napoleon das Gebiet von Mergentheim zugesagt. Bereits am 12. April und acht Tage vor der
mündlichen Zusage des französischen Kaisers, dass Mergentheim Württemberg
zufalle, hatte König Friedrich I. vollendete Tatsachen durch die militärische Besetzung geschaffen.
Im Mai wurden die Deutschordenswappen entfernt und durch die württembergischen Hoheitszeichen ersetzt.
Am 7.Juni wurde die förmliche Einverleibung in das Königreich Württemberg verkündet.
Als am 13. Juni die Huldigungsformel vorgesprochen wurde, erfolgte fast allgemeines Stillschweigen und keiner erhob die Hand zum Schwur. Zögernd erhobene Hände sollen von Umstehenden mit Stöcken „runtergeschlagen“ worden sein.
Das ganze hat die württ. Regierung, den König, nicht weiter gejuckt. Für sie war das Deutschordens Gebiet rechtmäßig in Besitz genommen.

Inzwischen war der österreichisch-französische Krieg ausgebrochen, und es nahten von Böhmen her österreichische Streiftruppen der Gegend.
Württemberg stand im Krieg, und der König verfügte die Aushebung von Rekruten auch in Mergentheim.
Es war vorhersehbar, dass unter diesen Umständen die Aushebung nicht glatt vor sich gehen konnte.
Ungeachtet der Warnungen seiner Beamten vor Ort, verfügte der König die umgehende Aushebung von 45 Rekruten. Wobei, die Konskription war im Gebiet des Deutschen Ordens
bisher unbekannt
Die Mergentheimer Bürgerschaft widersetzte sich aber dieser Anordnung nicht. Nur in den Dörfern wurde sie zum zündenden Funken des Aufruhrs. (Auch für den Tiroler Aufstand von 1809 ist die Truppenaushebung ja als ein wichtiger Anlass zu sehen.)
Die Bauern rotteten sich zusammen und vereitelten durch Waffengewalt die Aushebung. Sie entwaffneten die wenigen württembergischen Soldaten und Gendarmen in den Dörfern.
Dann zogen sie nach Mergentheim und übernahmen dort für mehrer Tage die
Herrschaft. Vom 26. bis zum 28. Juni herrschte in Mergentheim die Bauernschaft-.
Die städtischen Behörden vermochten die württembergischen Beamten, Soldaten und Polizisten nur mit Mühe durch bewaffnete Bürgerwachen zu schützen und das Schlimmste zu verhindern.


Im Allgäu und Oberschwaben hatte inzwischen der Vorarlberger und Tiroler Aufstand die Grenzen bedroht. König Friedrich hatte rasch einen Teil der mit Grenzsicherungsaufgaben am Bodensee betrauten Truppen abgezogen,
setzte die beiden Landbataillone Stuttgart und Ludwigsburg sowie zwei Schwadronen seines Garde-Regiments zu Pferd nach Mergentheim in Marsch.


Die Niederschlagung des Aufstandes in Mergentheim


Dieses württembergische Truppenkorps kam am 29. Juni in Mergentheim an, und fiel wie ein feindliches Heer über die Stadt her.

In Mergentheim und den Dörfern läuteten die Sturmglocken. Die Bauern hatten sich bewaffnet und waren unter dem Kommando des Ordensritters von Hornstein den Truppen entgegengezogen. Hornstein war anscheinend entschlossen, ein Blutvergießen zu verhindern. Was die Aufständischen aber zumindest zum Teil anders sahen. Als sie auf die Truppen stießen, eröffneten sie aus den Weinbergen heraus ein lebhaftes Feuer auf die Truppen. Die aber ohne Mühe die Aufständischen zerstreuten. Allerdings rechnete die Truppe daher in der Stadt selbst mit einer kräftigen Gegenwehr. Und prompt wurde von den Mauern zumindest von zwei Personen auf die Truppe geschossen. Die Soldaten verschafften sich mit Gewalt Eintritt in die Stadt, sprengten die Stadttore mit Pulversäcken auf (die Torwachen hätten in der Eile die Schlüssel nicht schnell genug gefunden…)und
verbreiteten Angst und Schrecken. Es soll ca. 40 Tote in der Stadt gegeben haben.. Erst nach einigen Stunden ebbten die Gewalttätigkeiten der württembergischen Soldaten ab. Schon davor leisteten die noch in der Stadt weilenden Bauerngruppen keinen Widerstand mehr.
Schlimm erging es den gefangenen Aufständischen. Ein
vom württembergischen Staatsminister Karl Graf von Taube eingesetztes
Kriegsgericht urteilte nach Standrecht.
.In einem mehr als fragwürdigen Schnellverfahren verurteilte es am 2. Juli 1806 sechs Bauern welche als Rädelsführer bekannt waren, teils zum Tode durch den Strang teils zum Tod durch erschießen. Die Urteile wurden sofort vollstreckt. Einer hatte dem württ. Amtmann angedroht, ihn mit der Axt zu erschlagen, ein anderer wollte lediglich ein herumliegendes Gewehr aufgehoben haben.
Viele andere Gefangene erhielten langjährige bis lebenslängliche Festungsstrafen, welche sie auf dem Hohenasperg zu verbüßen hatten.

Der sogenannte Mergentheimer Aufstand und namentlich seine blutige Niederschlagung durch das württembergische Militär erregte weithin Aufsehen und ohnmächtige Empörung.

König Friedrich I. war über die Mergentheimer Ereignisse empört. Eben war er im Begriff durch Aufbietung verabschiedeter Soldaten und durch Einberufung ungeübter Landbataillone dem drohenden Eindringen jenes österreichischen Streifkorps zu begegnen, dessen Kommen die Mergentheimer Bauern erhofften.
Die große Masse der württembergischen Truppen stand zu dem Zeitpunkt mit dem französischen Hauptarmee schon weit im Osten.
Der württembergische König sah deshalb im hohenlohischen eine größere Gefahr als am Bodensee und begab sich persönlich mit seiner Garde auf den Schauplatz. Als er aber am 1. Juli 1809 in Ellwangen eintraf, waren die Österreicher, die schon Nürnberg besetzt hatten, vor den von Würzburg herbeieilenden Franzosen zurückgewichen.

Seinem gegen Mergentheim vorausgeschickten Generaladjutanten Generalmajor Graf von Scheler war es deshalb auch leicht gelungen, den dortigen Unruhen ein Ende zu bereiten.




Das oben angeführte Wiki-Zitat lautet übrigens in voller Länge:

„Seit 1809 gehörte die Stadt zum Königreich Württemberg und wurde zum Sitz eines württembergischen Oberamtes. Ein im Juni 1809 ausbrechender Aufstand gegen die neue Herrschaft, der sich an der Rekrutenaushebung entzündete, wurde von württembergischen Truppen unterdrückt, wobei das Schloss unversehrt blieb und es nur Todesurteile gegen die Rädelsführer gab“

Es ist wirklich wahr, das steht im Jahr 2011 in Wiki über den Mergentheimer Aufstand.
Statt dass man in diesem unserem Lande sich endlich auf unsere demokratischen und freiheitlichen Traditionen besinnt, plappert man auch noch heute die Worte eines der Leibdragonerhistoriker des 19, Jahrhunderts nach, und freut sich, dass das Schloss unversehrt blieb.
Und es nur Todesurteile gegen die Rädelsführer gab.

Der demokratische Unterbau scheint immer noch Lücken zu haben.
Quellen:




Mergentheim 1809 Teil II


Durch weitere Recherchen kann und muss ich oben genanntes um einige Informationen erweitern.
Der Deutsche Orden war 1805 beim Pressburger Frieden an Österreich gefallen. Mit der Maßgabe, dass „der österreichische und deutsche Kaiser über die Besetzung des Hochmeisteramtes mit einem Angehörigen seines Hauses entscheidet“.
Der Deutsche Orden und damit Mergentheim war also Quasi österreichisch geworden.

11 Tage nach Kriegsbeginn am 20. April 1809 besetzte Württemberg das Mergentheimer Deutschordens Gebiet. Am 24. April erklärte Napoleon den Deutschen Orden im Gebiet des Rheinbundes für aufgelöst und ermächtiget Baden, Bayern und Württemberg sich die jeweiligen Gebiete einzuverleiben.

Kriegsdienst-Verweigerungen in Hohenlohe-Neuenstein
In den Wochen zuvor schon hatten sich die Bürger und Bauern des seither hohenlohischen Amtes Neuenstein verweigert allen Auflagen und Forderungen in Verbindung des Krieges mit Österreich nachzukommen. Höhere Steuern, Abgaben für Brücken- und Straßenbau für die Unterbringung der Armee und die Aushebung der Pferde. In den Dörfern zirkulierten anonyme Laufzettel in denen das Volk aufgefordert wurde, Vorspanndienste, die Aushebung von Rekruten und alle Abgaben zu verweigern. Die württembergische Regierung schlug zurück, am 2. Mai 1809 wurden die ehemals hohenlohischen Justizkanzleien von Bartenstein, Langenburg und Öhringen beschlagnahmt. Der Amtsbürgermeister von Westernbach und weitere 7 Organisatoren des Aufstandes auf dem Asperg in Einzelhaft eingekerkert.

Die Mergentheimer werden davon erfahren haben, sind aber anscheinend davon ausgegangen, dass sie als „besetztes Feindesland“ von Kriegsforderungen verschont bleiben würden. Am 13. Juni 1809 nahm ihnen Württemberg die Huldigung ab. Den Vorgang habe ich oben beschrieben. Aber auch jetzt blieb alles ruhig.
Erst als zwei Wochen später Soldaten ausgehoben werden sollen, bricht der Widerstand los. Sie sollen gegen ein Land kämpfen, unter dem sie so schlecht nicht gelebt haben, und erstmals sollen sie Soldat spielen, was ihnen unter dem Deutschen Orden erspart geblieben war.

Württemberg fordert 45 Rekruten bei ca. 9.000 Einwohnern des Mergentheimer Gebiets. Der württembergische Generallandeskommissär Maucler will auf die Maßnahme verzichten, da ihm der Unmut der Bevölkerung nicht verborgen blieb. Die Regierung besteht aber am 21.6. auf dieser Maßnahme.

In der Nacht von Sonntag auf Montag 26. Juni 1809 sollen mit militärischer Gewalt dann die Aushebungen stattfinden.

Das Comité der Bauernschaft im ehemaligen Deutschordensgebiet
Aber man ist vorbereitet. Ein Comité war gegründet worden, aus Deputierten aller betroffenen Dörfer, insgesamt ca. 150 Personen. Die Alarmierung war abgesprochen, und die gegenseitige Hilfeleistung.

Major von Hypedin kommt mit zwei Landdragonern zur Rekrutierung in den frühen Morgenstunden des 26. Juni nach Markelsheim.
Die Glocken werden zur Alarmierung geläutet, und die Bevölkerung aus den umliegenden Dörfern strömt herbei. Der Major reitet mit den beiden Dragonern den heranziehenden Menschen unter Drohungen entgegen. Diese machen aber nicht viel Federlesen, sie zerren ihn vom Pferd, entreißen ihm seinen Säbel und entwaffnen auch die Dragoner.
Inzwischen haben die Aufständischen auch den Oberamtmann Kuhn erwischt.



Sie treiben unter „Schmähungen“ und „Misshandlungen“ die Gefangenen ins nahe Mergentheim.
Dort werden zwar die Tore geschlossen, aber von der inzwischen auf mehrere tausend Menschen angewachsenen Menge gewaltsam geöffnet. Auch die Einwohner vorn Mergentheim haben wohl dabei geholfen.
Der wütende Haufen strömt in die Stadt, entwaffnet die Garnison, 46 Mann vom Landbataillon Ludwigsburg, schnappt sich den Generallandeskommissär v. Maucler und alle in württ. Diensten stehende Personen, soweit sie nicht vorsichtshalber stiften gegangen sind.
Diese werden laut dem damaligen Regierungsbericht „ausgeplündert, beraubt, mißhandelt und zuerst in einem Wirtshaus, dann im Rathaus in gefängliche Verwahrung“ gesetzt.

Insbesondere die Unterschicht Mergentheims soll sich mit den Bauern solidarisiert haben.
Die Menge tobt nun durch die Stadt, ein paar Keller werden eingeschlagen, „berauscht von Wut und Wein, begeht sie alle Ausschweifungen deren eine von aller Aufsicht beraubte Menge fähig ist“ Steht im Regierungebericht. Ganz so war es aber anscheinend doch nicht, denn: „man bemeisterte sich aller herrschaftlichen Kassen, die jedoch dem ehemaligen deutschordensschen Präsidenten übergeben wurden“ geht es im Bericht weiter.
Die noch immer größer werdende Menge verlangt von diesem ehem. Präsidenten, Kommandeur Reuttner von Weil, dass er die Regierung wieder übernehmen soll, wozu sich dieser bereit erklärt.
Daraufhin werden die kgl. württ. Wappen abgerissen und die kaiserl. österreichischen. und deutschmeisterischen Wappen wieder angebracht. Die Menge bricht in lauten Jubel und wiederholte Rufe „Vivat Kaiser Franz und Erzherzog Anton“ aus. Erzherzog Anton war zdZ der Hochmeister des Ordens.
Die ehemaligen Räte des Deutschmeisters, ihnen war unter Zusicherung des Wohlverhaltens von König. Friedrich der Aufenthalt in Mergentheim gestattet worden, nahmen bis auf zwei wieder ihre Funktionen ein. Diese beiden wurden von der aufgebrachten Menge dem Bericht nach recht übel angemacht.
Inzwischen war die Menge immer größer geworden, auch durch bayerische und badische „Untertanen“. Man beachte die Grenzlage Mergentheims.
Maucler, Hypedin und die übrigen württ. Beamten sollen weiter das Ziel von Misshandlungen und Drohungen gewesen sein.

Inzwischen bemühte sich die neuinstallierte Deutschmeisterische Regierung die Masse der bewaffneten Bauern aus der Stadt zu komplimenttieren. Was auch gelingt.
In der Stadt wird eine Stadtmiliz aufgestellt, denen die Gefangenen übergeben werden.



Das Comité der Bauern verlangt die Absendung einer Botschaft nach Stuttgart in der dem König klargemacht werden soll, dass das Leben seiner Beamten entscheidend von seiner Nachgiebigkeit den Forderungen der Mergentheimer gegenüber abhängt.
Landeskommissar v. Maucler wird von den Rebellen gezwungen (missbraucht, steht im Bericht) die Botschaft nach Stuttgart an den König zu verfassen.
Überbracht werden muss sie von dem genannten Major v. Hypedin.

In diesem Bericht an die Regierung kommen einige in der württ. Geschichtsschreibung bisher wenig oder gar nicht gewürdigte Punkte zur Sprache. So ist weder über das Comite der Bauern noch über die Beteiligung Mergentheimer Bürger oder die bayrischen und badener Bauern die sich am Aufstand beteiligt haben groß die Rede.


Edit:
Diese Artikelserie habe ich im G/Geschichte-Forum angefangen, und leider nicht beendet.
soll das jetzt der Anlass sein.
Vielleicht könntest du, liberace, noch das eine oder andere mit zu ihm beitragen.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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