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Sine ira et Studio - Geschichtsschreibung bei Tacitus.
04.12.2012, 22:10
Beitrag: #1
Sine ira et Studio - Geschichtsschreibung bei Tacitus.
Geschichte zu schreiben ist ein alter Hut. Und es ist sogar so alt, dass das im alten Rom schon der Fall war. Römische Geschichtsschreibung, so waren sich die römischen Historiker einig, sollten Lehrwerke für kommende Generationen sein. Kommende Generationen sollten als wie aus der Philosophie für das Leben lernen. Dabei wird der Begriff Exemplum benutzt, wie unschwer zu erkennen ist, das Beispiel.

Genaue Rangabfolge, genaue, präzise und bis ins kleinste Detail beschriebene Vorgänge sollten also nutzen, die Geschichte als Gebrauchtsanweisung zu verwenden. Dazu ist es notwendig neutral zu bleiben, um der Nachwelt ein Werk zu überlassen das genau dem entspricht wie es damals war (den Satz mal im Hinterkopf behalten W.S. Wink ).

Soweit die Theorie. Doch was uns römische Geschichtsschreiber überliefern ist nicht das, was wir als saubere Geschichtsschreibung kennen. Spitzzüngige und Spitzfederige Autoren der Antike schreiben in der Regel nicht aus dem Antrieb, den sie vorgeben - sie wollen für ihre Gegenwärtige Situation etwas in die Vergangenheit reflektieren um etwas für die Zukunft zu erreichen. Politisch angeheizte Schriften also.

Doch ist das was uns dann die römischen Historiker überliefert haben alles Markulatur? Wenn sie uns eine solche Reflexion voranbringen, verfälscht das nicht das Geschichtsbild das wir von römischer Geschichte haben? Wie kommen wir dann, wenn überhaupt auf die Wahrheit? Diese Fragen sind hochspannend. Nach den Fakten beginnt die Diskussion.

Lassen wir doch mal die Geschichte doch mal im Jahre 56. mit der Geburt Publius Cornelius Tacitus beginnen. Heute kennen wir ihn als genialen Schriftsteller des Pricipates und als Historiker besonderer Bedeutung für die Antike des ersten Jarhunderts. Tacitus enstammt aus einer alten Familie der Novilität und ist begeisterter Anhänger der römischen Republik, die er nur noch aus der Familientradion kennt. Aber als er aufwächst und heranreift, merkt er wohl, dass er nicht nur aus Familiengebundenheit sonder wohl am eigenen Leibe spürt, was geistige Freiheit bedeutet. Dazu später mehr.

Tacitus, aus eigenem Antrieb Geschichtschreiber, angelehnt an Sallust, den er offenbar gut gekannt und auch studiert hat, kann die Geschichtsschreiberei wohl auch seinen Lieblingsberuf nennen, so wie es Sallust einst getan hat. Aber seis drum.

Uns nimmt Tacitus mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Nein, nicht wie man vielleicht meinen könnte fängt er mitten in der Geschichte an. Er beginnt weit bevor der Principat erschaffen wird. Er beginnt mit der römischen Königszeit. Liest man über seine Annalen könnte man denken, dass eine Vorgeschichte wählt um den Einstieg für den Leser zu vereinfachen. Aber weit gefehlt. Er manipuliert den Leser (und den römischen noch viel mehr als uns) mit Begriffen die zwar eindeutig sind ( libertas = Freiheit moderatio = Mäßigung) aber immer konnotiert sind, und zwar positiv oder auch negativ. Und er erzielt bei einem römischen Leser gleich mit seinem ersten Satz einen Schock, an ein Trauma, das Rom nur schwer überwinden konnte und seit Gaius Caesar wieder mehr Schrecken verbreitete:

Zitat:Urbem Romam a principio reges habuere
Tacitus, Ann. 1.

Also, am Anfang da herrschten Könige. Das erste Grauen läuft dem Leser schon über dem Rücken. Doch das ist nicht alles. Er stellt sie gleich in Kontrast mit der libertas der republikanischen Freiheit. Und gleich wieder in Kontrast zur Diktatur. Er spielt jedoch nur auf Caesar an. Und dann auch auf Augustus. Aber nun wird es für unser Thema interessant:

Tacitus beklagt sich, dass die Rezeption der Kaiser eher verfälscht worden sind. Aus Angst zum Guten in der Lebenszeit der Kaiser, aus Hass und Insznierung zum Schlechten nach deren Tod. Es schimmert durch, von dem Pricipat, was Augustus 14. n. Chr. spätestens schuf, hält er nichts. Seine Vorrede, er würde ohne Parteilichkeit für und wieder schreiben verkommt zu einer geläufigen Formalie, zumal er die fadenscheinige Begründung gibt, dass er dazu keine Beweggründe habe.

Rhetorisch ist Tacitus ein Meister. Er führt den Leser durch die Zeit, die er schrecklich und als wahre Knechtschaft (Servitas) empfindet. Das sagt er in seinen Ausführungen durchaus deutlich. Und er bedient sich Stilmitteln, die ungewöhnlich sind, der Leser aber immer wieder darauf reinfällt. Das sind:

- Vage Behauptungen: Tacitus stellt einen Fakt dar. Und dann streut er Gerüchte in den Text ein, die immer einseitig gegen die Person laufen, gegen die er schreibt. Seine Leserführung gelingt deswegen, weil er durch das bewusste Streuen seiner Handlung immer einen "Beigeschmack" gibt. Vereinfacht nach dem Motto: "der hat ja schonmals... und da dann das Gerücht... wäre ja was wahres dran, wenn man denkt was da schonmals war...).

- Übertreibungen und Untertreibungen: In der Antike nichts neues... Aber Tacitus übertreibt so vornehm, dass man sie kaum wahrnimmt.

- Ausnutzen von Konnotationen: Er spielt mit den Wörtern und weiß, was er einem Leser anhand von Begriffen für Gefühle und Assoziationen hervorrufen kann.

- Bewusstes verbreiten von Unwahrheiten: in der Antike nicht neu. Nur Tacitus macht das so charmant, dass es in das Muster der Vagnis passt aber der Leser soll merken, dass ist eine Untermahlung und zwingt ihm einen Schluss auf.

___

Sine ira et studio. Ohne Zorn und Eifer. Ich würde behauten, Tacitus deutet auf die Warheit hin. Aber wir können uns nur hypothetisch der Warheit annähern. Tacitus legt uns einen Brocken vor, wo wir erst mal filtern sollten, was wir brauchen, um wie mit Ranke zu zeigen, wie es damals eigentlich gewesen.

Also die Fragen für die Diskussion nochmals:

Können wir als Geschichtsschreiber "ohne Zorn und Eifer schreiben"?
Was kann ein Historiker neutral halten und was nicht?
Was kann ein Historiker erreichen und was will er erreichen?
Machen die Fakten Tacitus eher zum Geschichtsschreiber oder Geschichtenschreiber?
Haben wir als Nachwelt einen Anspruch auf damalige Warheiten?

Weiter Fragen dazu gerne her.

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04.12.2012, 22:44
Beitrag: #2
RE: Sine ira et Studio - Geschichtsschreibung bei Tacitus.
Hallo Werner,
ich werde mal versuchen, Deine Fragen zu beantworten.

(04.12.2012 22:10)WernerS schrieb:  Können wir als Geschichtsschreiber "ohne Zorn und Eifer schreiben"?
Du hast schon Recht, ein neutrales Schreiben soll das Ziel jeglicher Geschichtsschreibung sein. Aber man möchte nicht nur eine Anordnung von Daten und Ereignissen. Ich finde, man sollte auch der Standpunkt des Schreibers zu bestimmten Ereignissen kennen. Also ein bisschen Zorn und Eifer ist nicht verkehrt.

(04.12.2012 22:10)WernerS schrieb:  Was kann ein Historiker neutral halten und was nicht?

Leid und Elend seiner Mitmenschen sollten nicht neutral überliefert werden.
Es spricht für einen Historiker, wenn er für die Opfer eines Krieges, einer Seuche usw. Anteilnahme zeigt. Die Fakten sind die eine Sache, aber ein Historiker beschäftigt sich mit Schicksalen von Menschen und das ist eben eine andere Sache als eine Gewinn- und Verlustrechnung.

(04.12.2012 22:10)WernerS schrieb:  Was kann ein Historiker erreichen und was will er erreichen?

Ein Historiker will vergangene Ereignisse möglichst genau ergründen, aufzeichnen und weitervermitteln.

(04.12.2012 22:10)WernerS schrieb:  Machen die Fakten Tacitus eher zum Geschichtsschreiber oder Geschichtenschreiber?

Beides und das finde ich auch nicht schlecht. Gerade die Mischung aus faktenreicher Überlieferung und Tratsch ist doch nicht verkehrt. Wenn man sich über eine Epoche informieren will, sollte man doch nicht nur eine Primärquelle haben, sondern wenn es geht mehrere. Neben den Überlieferungen der Historiker sind auch die Ergebnisse der Archäologie wichtig. Und ein paar verbleibende Geheimnisse sollten wir auch nachkommenden Generationen überlassen.

(04.12.2012 22:10)WernerS schrieb:  Haben wir als Nachwelt einen Anspruch auf damalige Warheiten?

Nein. Wir sollten uns mit dem begnügen, was uns überliefert wurde. Die Menschen sind ja nur aus dem Konsens ihrer Zeit zu verstehen.

VG Sansavoir

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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05.12.2012, 09:43
Beitrag: #3
RE: Sine ira et Studio - Geschichtsschreibung bei Tacitus.
(04.12.2012 22:44)Sansavoir schrieb:  
(04.12.2012 22:10)WernerS schrieb:  Haben wir als Nachwelt einen Anspruch auf damalige Warheiten?

Nein. Wir sollten uns mit dem begnügen, was uns überliefert wurde. Die Menschen sind ja nur aus dem Konsens ihrer Zeit zu verstehen.

VG Sansavoir


Meine Worte.

Beispiel:
Der Schlüssel zum Verständnis der 20erJahre des letzten Jahrhunderts liegt bei Tucholsky, Fallada, Zweig und Remarque mindestens ebenso wie bei den Historikern.

Dem Spätmittelalter komme ich doch über Vogelweide und Eschenbach näher als über Decker-Hauff (der mit den PQs Big Grin)

um nur mal 2 Beispiele zu nennen

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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05.12.2012, 18:38
Beitrag: #4
RE: Sine ira et Studio - Geschichtsschreibung bei Tacitus.
Beziehe das, was Sansavoir geschrieben hat, also mal auf Tacitus.

Zitat:Du hast schon Recht, ein neutrales Schreiben soll das Ziel jeglicher Geschichtsschreibung sein. Aber man möchte nicht nur eine Anordnung von Daten und Ereignissen. Ich finde, man sollte auch der Standpunkt des Schreibers zu bestimmten Ereignissen kennen. Also ein bisschen Zorn und Eifer ist nicht verkehrt.


Dann ergibt sich die Frage: hat Tacitus mit seinen Annalen dann nicht übertrieben? Sind seine Werke dann also mehr Standpunkt und weniger Ansichten? Gut ich gebe zu, das durchzudenken dauert lange. Und man muss ihn gut gelesen haben.

Zitat: Leid und Elend seiner Mitmenschen sollten nicht neutral überliefert werden.
Es spricht für einen Historiker, wenn er für die Opfer eines Krieges, einer Seuche usw. Anteilnahme zeigt. Die Fakten sind die eine Sache, aber ein Historiker beschäftigt sich mit Schicksalen von Menschen und das ist eben eine andere Sache als eine Gewinn- und Verlustrechnung.

Auch hier weiterführende Frage: Ist der Principat in Rom wirklich Leiden oder ist das ein Problem für Tacitus und anderen nicht?

Zitat: Historiker will vergangene Ereignisse möglichst genau ergründen, aufzeichnen und weitervermitteln.

Sagt er meist. Aber ist das dann nicht der Anlass auch Schicksale und Kriege neutral zu behandeln. Immerhin hat er die Absicht der Weitervermittlung. Wenn er also abweicht, ist dann noch eine richtige Weitervermittlung möglich? Ich denke nicht.

Zitat:Beides und das finde ich auch nicht schlecht. Gerade die Mischung aus faktenreicher Überlieferung und Tratsch ist doch nicht verkehrt. Wenn man sich über eine Epoche informieren will, sollte man doch nicht nur eine Primärquelle haben, sondern wenn es geht mehrere. Neben den Überlieferungen der Historiker sind auch die Ergebnisse der Archäologie wichtig. Und ein paar verbleibende Geheimnisse sollten wir auch nachkommenden Generationen überlassen.

Dann hat Tacitus also alles richtig gemacht. Bei dem Thema kommste mit Archeologie nicht weiter.

Zitat: ein. Wir sollten uns mit dem begnügen, was uns überliefert wurde. Die Menschen sind ja nur aus dem Konsens ihrer Zeit zu verstehen.


Kontext meinste, wa?

Also auch hier. Tacitus hat in seinem Kontext alles richtig gemacht und seine persönliche Seite in die Geschichte reflektiert, wobei er in der frühen Kaiserzeit noch nicht einmal gelebt hat. Das würde bedeuten, dass Tacitus also für sein persönliches Anliegen das Problem in der Vergangenheit sieht. Man könnte ihm nun aber auch unterstellen er benutzt die Vergangenheit nur um sie für seine Zwecke auszunutzen.

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11.12.2012, 21:18
Beitrag: #5
RE: Sine ira et Studio - Geschichtsschreibung bei Tacitus.
Argh... Jetzt ist mein ganzer Antworttext futsch. Ich versuche mal, ihn zu rekonstruieren.

Also grundsätzlich stimme ich Sansavoir zu, auch wenn ich ehrlich gesagt Tacitus noch nicht im größeren Maßstab gelesen habe und mein Wissen nur aus einigen Sekundärquellen wie den Ausführungen von WernerS beziehe (danke dafür an dieser Stelle). Einerseits hat Tacitus nach Sansavoirs genannten Kriterien, denen ich ebenfalls zustimme, ein recht gutes Geschichtsbuch geschrieben, also eine interessante wie lehrreiche Mischung aus Geschichte und Geschichten; andererseits kann man ihn nicht als zuverlässige Informationsquelle nutzen, zumindest solange man ihn unreflektiert liest.
Doch übel nehmen kann man dies Tacitus noch lange nicht. Er ist als Mensch wie als Historiker ein Kind seiner Zeit und Produkt seiner aristorkratischen Erziehung, die ja eine Menge ausmacht (*Eine Anspielung auf das aktuelle 'Lebendige Forum' versuch* =D). Diese Einstellung anders ausgedrückt: Würde man ihm vorwerfen, nicht nach den Grundsätzen und Standarts der modernen Geschichtsschreibung gearbeitet zu haben, so müsste man gleichzeitig alle Menschen früherer Jahrhunderte und insbesondere alle Geschichtsschreiber beschuldigen, die wissenschaftliche historische Methode NICHT erfunden zu haben (dies zugegebener Maßen leicht satirisch gemeint).
Diese ist nun aber erst ein Produkt zumindest der Neuzeit, angefangen mit von Ranke und dann bis in die heutige Zeit. Man darf ja insbesondere nicht vergessen, dass die Möglichkeiten zur Erforschung nicht nur der älteren Vergangenheit wie auch die gesamten technischen Möglichkeiten der Menschheit in vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden exponentiell angestiegen sind. Tacitus kann man nicht dafür verurteilen, dass er etwas nicht gemacht hat, was sonst auch keiner gemacht hat. In den erwähnten "Tricks", die die Beeinflussung verstecken, sehe ich im Übrigen in Wahrheit einfach nur schriftstellerisches Talent. Dabei muss ich aber wirklich auf meine relative Unkenntnis hinweisen, doch kann man diese sprachlichen Auffälligkeiten verschieden interpretieren.
Natürlich hat Tacitus als vergleichsweise guter Historiker zwar eine Mitschuld an der propagandistisch verfärbten Überlieferung und dass diese nicht überwunden wurde. Auch sein Werk hätte er an vielen Stellen besser schreiben können. Doch halte ich es für übertrieben, Tacitus deswegen schlecht darzustellen, weil er nicht zum "Held der Geschichtswissenschaften" geworden ist.

VG

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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15.12.2012, 14:21
Beitrag: #6
RE: Sine ira et Studio - Geschichtsschreibung bei Tacitus.
Zitat: ein recht gutes Geschichtsbuch geschrieben

Ich denke, wir sollten gar nicht in den Kategorien "Gut", oder "schlecht" denken, wenn wir Tacitus analysieren. Vielmehr sollten wir doch sehen, wie viel historisches Gut er uns überliefert und das Kulturell rüberbringt. Nur, ist es gegen seinen Selbstanspruch - vor allem seine Leserführung und manipulative Art. Und interessant finde ich die Spannung, die er von Beginn an aufbaut, zwischen seiner eigentlichen Antriebslosigkeit, überhaupt zu schreiben und die spürbare Leidenschaft, mit der den Leser durch seine Sicht in die Vergangenheit führt. Wir dürfen uns also mit Recht - und da bin ich völlig bei dir lieber Maxdorfer - uns darüber freuen, dass wir ihn noch erhalten haben. Letzlich ist es auch historisch nicht wertlos, denn alles wer er schreibt kann er nicht erfinden, dazu will er ja er berichten was geschehen ist. Auch wenn er beklagt, die Zeit , über die er berichtet gäbes nur Unfreie und schlechte Taten, lässt er durchaus durchschimmern wie die Zeit und wie der Zustand Roms in ungefähr gewesen sein kann, das natürlich nur auf einer Ebene, die für uns nur noch hypothetisch nachvollziehbar ist und die uns gewaltig spekulieren lässt. Ja, das macht Geschichte dann zur lebenden Masse, wenn wir sowas haben, wo wir uns ruhig erlauben dürfen auf Grund von Quellen zu spekulieren! Darum zum Beispiel braucht man ein Nirwana, da jeder eine andere Idee hat und jeder anders mit Quellen umgehen kann und sich je ein mögliches Bild von der Vergangenheit zu zeichnen.

Zitat:Würde man ihm vorwerfen, nicht nach den Grundsätzen und Standarts der modernen Geschichtsschreibung gearbeitet zu haben, so müsste man gleichzeitig alle Menschen früherer Jahrhunderte und insbesondere alle Geschichtsschreiber beschuldigen, die wissenschaftliche historische Methode NICHT erfunden zu haben

Diesen Vorwurf finde ich kann man Tacitus nicht machen, weil er im Prolog sowie im Werk oft selbst immer wieder auf seine [vermeintliche] Ziele hinweist. Großer Männer Taten vorstellen, eine Exemlum zu liefern, eine historische Gebrauchtsanweisung - Gewissermaßen. Somit sagt er sich ja von eigener Spekulation los und schreibt auch so - oder scheinbar so. Und ganz ehrlich: wenn ich etwas darstellen will was zurück liegt, wer sagt mir dann dass es objektiv so war?

Hier würde der Warheitsbegriff dann zu Rate gezogen werden, darum ist das durchaus ein Geschichtsphilosophisches Thema ohne auf den Inhalt der Annalen zu pochen zu müssen und eine Lektüre nicht vorraus gesetzt werden muss ( habe mir also schon was dabei gedacht...).

Also Wahrheit. Das ist so eine Sache. Es gibt also eine Wahrheit. Aber wie können wir sie denn finden, wenn es gar nicht möglich ist, sie objektiv aufzunehmen. Ich sehe das wie Maxdorfer, wenn er sagt:

Zitat: Er ist als Mensch wie als Historiker ein Kind seiner Zeit und Produkt seiner aristorkratischen Erziehung, die ja eine Menge ausmacht

So, also keine Objektivität, die er nicht die Subjektivität ausblenden kann. Das führt uns zwangsläufig zum nächsten Schritt: was können wir in politischen Diskussionen und in historischer Darstellung als Wahrheit verkaufen? Wahrheit ist ja nicht beweisbar und oft nur durch Abstrakte Theorien zu erreichen. Also ist es doch ein Denkanstoß, die historische Methode zu reflektieren und fragen uns, ist vielleicht Ranke über das Ziel hinausgestoßen, wenn er sagt, er möge darstellen "wie es damals gewesen"? Und vor allem machen wir uns mit dem Schubladendenken "guter Historiker -schlechter Historiker" nicht eigentlich ein Missfallen? Beziehungsweise und nun wirds unendlich Geschichtsschreibungphilosophisch ist das was wir betreiben eigentlich Geschichtsschreibung so wie sie nützt, oder sollen wir uns vielmehr einfach auf Fragen zu unserer Zeit die Geschichte für uns anlalysieren?

Einen Schritt weiter denke ich, was für ein Bild wirft es auf, wenn man in einer anderen Geschichtsphilosophie vlt. in 500 Jahren unsere Analysen lesen und es dann heißt: "was haben die da gemacht? Damit kann man ja gar nichts anfangen. Argumente, Argumente aber kaum noch Fakten!"

Ihr merkt ich provoziere euch bewusst!

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16.12.2012, 16:20
Beitrag: #7
RE: Sine ira et Studio - Geschichtsschreibung bei Tacitus.
(15.12.2012 14:21)WernerS schrieb:  
Zitat: ein recht gutes Geschichtsbuch geschrieben

Ich denke, wir sollten gar nicht in den Kategorien "Gut", oder "schlecht" denken, wenn wir Tacitus analysieren.

Deswegen habe ich ja auch geschrieben "nach den Kriterien von Sansavoir".

(15.12.2012 14:21)WernerS schrieb:  Vielmehr sollten wir doch sehen, wie viel historisches Gut er uns überliefert und das Kulturell rüberbringt.

Also doch nach "Gut" =D
Nein, im Ernst, ist schon klar.

(15.12.2012 14:21)WernerS schrieb:  Nur, ist es gegen seinen Selbstanspruch - vor allem seine Leserführung und manipulative Art. Und interessant finde ich die Spannung, die er von Beginn an aufbaut, zwischen seiner eigentlichen Antriebslosigkeit, überhaupt zu schreiben und die spürbare Leidenschaft, mit der den Leser durch seine Sicht in die Vergangenheit führt. Wir dürfen uns also mit Recht - und da bin ich völlig bei dir lieber Maxdorfer - uns darüber freuen, dass wir ihn noch erhalten haben. Letzlich ist es auch historisch nicht wertlos, denn alles wer er schreibt kann er nicht erfinden, dazu will er ja er berichten was geschehen ist. Auch wenn er beklagt, die Zeit , über die er berichtet gäbes nur Unfreie und schlechte Taten, lässt er durchaus durchschimmern wie die Zeit und wie der Zustand Roms in ungefähr gewesen sein kann, das natürlich nur auf einer Ebene, die für uns nur noch hypothetisch nachvollziehbar ist und die uns gewaltig spekulieren lässt. Ja, das macht Geschichte dann zur lebenden Masse, wenn wir sowas haben, wo wir uns ruhig erlauben dürfen auf Grund von Quellen zu spekulieren! Darum zum Beispiel braucht man ein Nirwana, da jeder eine andere Idee hat und jeder anders mit Quellen umgehen kann und sich je ein mögliches Bild von der Vergangenheit zu zeichnen.

(15.12.2012 14:21)WernerS schrieb:  
Zitat:Würde man ihm vorwerfen, nicht nach den Grundsätzen und Standarts der modernen Geschichtsschreibung gearbeitet zu haben, so müsste man gleichzeitig alle Menschen früherer Jahrhunderte und insbesondere alle Geschichtsschreiber beschuldigen, die wissenschaftliche historische Methode NICHT erfunden zu haben

Diesen Vorwurf finde ich kann man Tacitus nicht machen, weil er im Prolog sowie im Werk oft selbst immer wieder auf seine [vermeintliche] Ziele hinweist. Großer Männer Taten vorstellen, eine Exemlum zu liefern, eine historische Gebrauchtsanweisung - Gewissermaßen. Somit sagt er sich ja von eigener Spekulation los und schreibt auch so - oder scheinbar so. Und ganz ehrlich: wenn ich etwas darstellen will was zurück liegt, wer sagt mir dann dass es objektiv so war?

Hier würde der Warheitsbegriff dann zu Rate gezogen werden, darum ist das durchaus ein Geschichtsphilosophisches Thema ohne auf den Inhalt der Annalen zu pochen zu müssen und eine Lektüre nicht vorraus gesetzt werden muss ( habe mir also schon was dabei gedacht...).

Also Wahrheit. Das ist so eine Sache. Es gibt also eine Wahrheit. Aber wie können wir sie denn finden, wenn es gar nicht möglich ist, sie objektiv aufzunehmen. Ich sehe das wie Maxdorfer, wenn er sagt:

Zitat: Er ist als Mensch wie als Historiker ein Kind seiner Zeit und Produkt seiner aristorkratischen Erziehung, die ja eine Menge ausmacht

So, also keine Objektivität, die er nicht die Subjektivität ausblenden kann. Das führt uns zwangsläufig zum nächsten Schritt: was können wir in politischen Diskussionen und in historischer Darstellung als Wahrheit verkaufen? Wahrheit ist ja nicht beweisbar und oft nur durch Abstrakte Theorien zu erreichen. Also ist es doch ein Denkanstoß, die historische Methode zu reflektieren und fragen uns, ist vielleicht Ranke über das Ziel hinausgestoßen, wenn er sagt, er möge darstellen "wie es damals gewesen"? Und vor allem machen wir uns mit dem Schubladendenken "guter Historiker -schlechter Historiker" nicht eigentlich ein Missfallen? Beziehungsweise und nun wirds unendlich Geschichtsschreibungphilosophisch ist das was wir betreiben eigentlich Geschichtsschreibung so wie sie nützt, oder sollen wir uns vielmehr einfach auf Fragen zu unserer Zeit die Geschichte für uns anlalysieren?

Einen Schritt weiter denke ich, was für ein Bild wirft es auf, wenn man in einer anderen Geschichtsphilosophie vlt. in 500 Jahren unsere Analysen lesen und es dann heißt: "was haben die da gemacht? Damit kann man ja gar nichts anfangen. Argumente, Argumente aber kaum noch Fakten!"

Ihr merkt ich provoziere euch bewusst!

Na ja, das ist alles so eine Sache mit dem wahr und unwahr und gut und schlecht. Wie du gesagt hast, nun wirds unendlich, man kommt vom Hundertste ins Tausendste. Ziel sollte immer sein, die Wahrheit herauszufinden, aber was ist denn die Wahrheit?

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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28.12.2012, 01:06
Beitrag: #8
RE: Sine ira et Studio - Geschichtsschreibung bei Tacitus.
Zitat:Ziel sollte immer sein, die Wahrheit herauszufinden, aber was ist denn die Wahrheit?

Keine offizielle Definition eher ein Erklärungsversuch von mir: Warheit ist der Gehalt, der durch Bezugung und Rezeption einer Sache oder Ereignis ensteht. Dabei leitet sich der philosophische Gehalt der Wahrheit daraus ab, wie glaubwürdig und authentisch und ungefälscht die Zeugnise sind. Letzlich ist Wahrheit immer subjektive Rezeption, die sich durch das Zusammenwirken mehrerer Subjekte ergibt.

Das bedeutet für uns Hysteriker ääääh Historiker, dass Wahrheit nie in der Gesammtheit betrachtet werden kann. Sagt jemand die Wahrheit, dann kann man letzlich nur seine subjektive Warheit aufnehmen und für uns reflektieren. Das ist dann der Fall, wenn ein Zeuge aus der persönlichen Meinung das sagt, was er damals vernommen hat. Nun schreiben wir heute Geschichte vom Mittelalter. Wir sind also nur auf Meinungen angewiesen. Darum können wir uns nur noch hypothetisch der objektiven Warheit annähern. Das macht Geschichte zur Geisteswissenschaft, da sie die naturgesetze Vorraussetzen muss und das was sie darüber hinaus behauptet nur bedingt beweisen können.

Wer die Vergangheit nicht achtet, dem kann es die Zukunft kosten

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