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Fürstliche Besuche im Frauenhaus
09.04.2021, 18:19
Beitrag: #1
Fürstliche Besuche im Frauenhaus
(09.04.2021 13:31)Aguyar schrieb:  
(17.03.2021 21:02)Teresa C. schrieb:  Was König Sigismund (damals war er noch nicht gekrönter Kaiser) betrifft, wäre zu überlegen, ob diese Geschichte nicht eine Erfindung ist, um Sigismund je nach Absicht des Chronisten (oder seiner Auftraggeber) als unmoralischen oder lebenslustig-leutseligen Herrn zu zeigen, also gar nicht historisch, auch wenn sie im Zusammenhang mit einem historischen belegten Aufenthalt spielt. Eine Rolle mag außerdem gespielt haben, dass Sigismunds Besuch solo erfolgte, das heißt, ohne Ehefrau. Die Ehefrau wurde also nicht vor Ort durch diesen Bordellbesuch gedemütigt.

Wieso sollte sie eine Erfindung sein ? Im Spätmittelter gehörte der fereierliche Einzug in das städtischen Freudenhaus beim Besuch des Königs/Kaisers oftmals zum Protokoll - und zwar mit Gefolge. Das ist nicht nur aus Bern sondern beispielsweise auch aus Ulm und einigen weiteren Städten (und nicht nur im HRR) überliefert. Und nicht nur für Sigismund. Und es sind auch nicht immer dieselben Chronisten und Zeitgenossen, die darüber bereichten. Es gibt sogar einige städtische Abrechnungen, die erhalten geblieben sind.

Die Ehefrau wurde durch den offiziellen Bordellbesuch des Herrschers bestimmt nicht gedemütigt - die mittelalterliche und besonders die spätmittelalterliche Mentalität entspricht weder victorianischen noch heutigen Vorstellungen. Die mittelalterliche Kirche dachte natürlich ganz anders darüber - aber auch sie dachte in diesem Zusammenhang bestimmt nicht an eine Demütigung der Ehefrau.

Wenn Sigismund die "gelütstigen" Frauen des städtischen Brodells lobte, so liess er dies öffentlich (manchmal sogar persönlich) verkünden. Es gehörte dies zum allgemeinen Städtelob, zur diplomatischen Würdigung seiner Gastgeber, wenn der König seine Reichsstädte besuchte und hatte überhaupt nichts schlüpfriges oder entehrendes. Jede geschichtliche Epoche hatt andere Wertvorstellungen, insbesonders die mittelalterliche. Natürlich darf man - wenn man will - mittelalterliche Wertvorstellungen nach unseren Moralverstellungen beurteilen und sogar kritisieren, aber man darf sie nicht der mittelalter. Gesellschaft unterstellen, denn das gibt ganz sicher eine falsches Bild der Epoche.

(09.04.2021 14:59)Suebe schrieb:  Zitat Aguyar:
"Die mittelalterliche Kirche dachte natürlich ganz anders darüber - aber auch sie dachte in diesem Zusammenhang bestimmt nicht an eine Demütigung der Ehefrau."

mW hat die Mittelalterliche Kirche die Ehe lediglich akzeptiert, da so der "Unzucht", gegen die man leider leider nicht ankam, gewisse Regeln und Einschränkungen vorgeschoben wurden.

Die Ehe als Sakrament ist eine viel jüngere "Einrichtung",
die im 19. Jahrhundert peu a peu eingeführte Zivilehe ist lediglich die Wiederherstellung eines vorigen Zustandes,
keine Neuerung.

Ich denke, dass es nicht reicht, das damit zu begründen, dass im Mittelalter angeblich sehr lockere Moralvorstellungen vorherrschten, sondern dass hier auch der Kontext zu berücksichtigen ist. Daneben habe ich auch den Eindruck, dass die Frage nach der "Moral" je nach Region und Reich durchaus unterschiedlich gehandhabt wurde, wobei auch wieder zwischen Ständen zu unterscheiden ist.

Am besten ist natürlich die Oberschicht erforscht, zumindest die Herrscherhöfe, und da finden wir im Mittelalter im heutigen Europa doch sehr unterschiedliche Varianten. Herzog Philipp der Guten, Herrscher des Burgundischen Reiches , ließ seine unehelichen Söhne an seinem Hof aufwachsen, in anderen Ländern ist die Forschung eher auf Indizien angewiesen, um die unehelichen Kinder einer Herrscherfamilie zu entdecken, so das Auftauchen einer plötzlichen neuen adeligen Familie, Gerüchte oder Rechnungen oder auch Testamente.

Zunächst einmal habe ich inzwischen entdeckt, dass im Mittelalter sehr wohl zwischen Badehaus, Frauenhaus und Badebordell unterschieden wurde.

Mit Blick auf Sigismunds Itinerar ergibt sich für jenen Aufenthalt in Bern, auf den sein Frauenhausbesuch stattgefunden hat (oder stattgefunden haben soll), dass Sigismund damals ohne seine Barbara dort war. In diesem Zusammenhang wäre sicher sehr aufschlussreich, ob bei Herrscherbesuchen, wo ein Frauenhausbesuch belegt oder Programm war, die Besuche mit oder ohne Ehefrau erfolgten. Noch interessanter ist, welche Herrscher laut Überlieferung beziehungsweise Chronisten ein Frauenhaus besucht haben oder bei welchen Herrschern das nur zufällig entdeckt wurde, zum Beispiel aufgrund einem Hinweis im Rechnungsbuch.

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OT: Die Beiträge, auf die sich meine Antwort beziehen, befinden sich in folgendem, Thread: http://www.forum-geschichte.at/Forum/sho...?tid=13111
Da sie mit dem ursprünglichen Thema dort eigentlich nichts mehr zu tun haben, habe ich mir erlaubt diesen neuen Thread dafür zu eröffnen.Innocent

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09.04.2021, 23:47
Beitrag: #2
RE: Fürstliche Besuche im Frauenhaus
(09.04.2021 18:19)Teresa C. schrieb:  Mit Blick auf Sigismunds Itinerar ergibt sich für jenen Aufenthalt in Bern, auf den sein Frauenhausbesuch stattgefunden hat (oder stattgefunden haben soll), dass Sigismund damals ohne seine Barbara dort war. In diesem Zusammenhang wäre sicher sehr aufschlussreich, ob bei Herrscherbesuchen, wo ein Frauenhausbesuch belegt oder Programm war, die Besuche mit oder ohne Ehefrau erfolgten. Noch interessanter ist, welche Herrscher laut Überlieferung beziehungsweise Chronisten ein Frauenhaus besucht haben oder bei welchen Herrschern das nur zufällig entdeckt wurde, zum Beispiel aufgrund einem Hinweis im Rechnungsbuch.

Wie gesagt - beim "Staatsempfang" in einer Reichsstadt gehörte es häufig (nicht immer) zum Protokoll. Bern und Ulm sind nur Beispiele.
In den Chroniken sind solche Besuche eher selten vermerkt - die Chronisten fanden eine solche Alltäglichkeit wohl nicht erwähnenswert.
Und es war in allen Regionen so - Florenz, Bordeaux , Bern, Ulm, Konstanz ... und auch in Wien
https://wiengeschichten.files.wordpress....alter1.pdf
Ich zitiere Seite 10/11: "Die freien Töchter nahmen durchaus am sozialen Leben in Wien teil. Im Jahr 1435 wurde König Sigmund in Wien empfangen, wobei die Frauen aus beiden Häusern vom Rat mit Samt eingekleidet wurden, um bei den Feierlichkeiten zu glänzen. Diese Ausgabe betrug für '10 ellen Sammed pr 5 Pfd. die man beiden Häusern geschenkt'. Auch zu Festen, die zu Ehren hoher Gäste veranstaltet wurden, lud man sie ein. War ein hoher Gast in der Stadt, mussten sie für ihn bereit sein.

Die sexuellen Moralvorstellungen (nicht die anderen) waren im Spätmittelalter (und auch im Hochmittelalter wie man beispielsweise an den Minne-Gerichtshöfen ablesen kann) nicht unbedingt lockerer als heute aber doch lockerer als in den Epochen vor und nach dem Mittelalter - trotz Kirche. Ich verstehe nicht, wieso man das anzweifeln kann - stolpert man doch an jeder Ecken über entsprechende Quellen und dies nicht nur in Chroniken. Man braucht nicht einmal die mühsamen Schriftquellen zu bemühen, auch Bildquellen tehamtisieren das zur Genüge, ob es nun Miniaturen, Gemälde oder Holzschnitte sind. Und sogar die zeitgenössichen Romane lassen das erkennen - Jean de Meung (Rosenroman), Giovanni Boccaccio (Decamerone), Oswald von Wolkenstein (versch. Lieder), Heinrich Wittenwiler (Der Ring) etc.

Quellen oder nur Indizien dass die lockere Sexualmoral nur "angeblich" eine solche gewesen sein soll, finden sich hingegen kaum - wo soll man da suchen ? Im Hexenhammer, in Bernard Guis Inquisitionshandbuch, in den Predigten von Berthold von Regensburg oder bei der Kastration von Petrus Abaelard ?
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10.04.2021, 01:08
Beitrag: #3
RE: Fürstliche Besuche im Frauenhaus
(09.04.2021 23:47)Aguyar schrieb:  Ich zitiere Seite 10/11: "Die freien Töchter nahmen durchaus am sozialen Leben in Wien teil. Im Jahr 1435 wurde König Sigmund in Wien empfangen, wobei die Frauen aus beiden Häusern vom Rat mit Samt eingekleidet wurden, um bei den Feierlichkeiten zu glänzen. Diese Ausgabe betrug für '10 ellen Sammed pr 5 Pfd. die man beiden Häusern geschenkt'. Auch zu Festen, die zu Ehren hoher Gäste veranstaltet wurden, lud man sie ein. War ein hoher Gast in der Stadt, mussten sie für ihn bereit sein.

Wo steht denn in deinem zitierten Text, daß die Frauen irgendwem sexuell zu Gange gehen sollten oder mussten?

Nie darf man so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken....
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10.04.2021, 11:41
Beitrag: #4
RE: Fürstliche Besuche im Frauenhaus
(10.04.2021 01:08)Flora_Sommerfeld schrieb:  
(09.04.2021 23:47)Aguyar schrieb:  Ich zitiere Seite 10/11: "Die freien Töchter nahmen durchaus am sozialen Leben in Wien teil. Im Jahr 1435 wurde König Sigmund in Wien empfangen, wobei die Frauen aus beiden Häusern vom Rat mit Samt eingekleidet wurden, um bei den Feierlichkeiten zu glänzen. Diese Ausgabe betrug für '10 ellen Sammed pr 5 Pfd. die man beiden Häusern geschenkt'. Auch zu Festen, die zu Ehren hoher Gäste veranstaltet wurden, lud man sie ein. War ein hoher Gast in der Stadt, mussten sie für ihn bereit sein.

Wo steht denn in deinem zitierten Text, daß die Frauen irgendwem sexuell zu Gange gehen sollten oder mussten?
Ist ja wohl klar ersichtlich. Wenn nicht, hätte man auch damals (wie bei anderen Empfängen auch) die Patrizierfrauen genommen.
Die meisten Freudenhäuser gehörten der Stadt und wurden von ihnen an den "Hurenwirt" (oft ein Bader oder Henker) verpachtet, der die Häuser betrieb.
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10.04.2021, 13:23
Beitrag: #5
RE: Fürstliche Besuche im Frauenhaus
In diesem Kontext ist aber nicht klar ersichtlich, dass die "freien Töchter" nur als "freie Dienstleisterinnen für Sexuelles" an diesen Feierlichkeiten teilnehmen durften oder wohl eher mussten, denn im Text wird jedenfalls nicht ausdrücklich angeführt, dass diese Feierlichkeiten in Wirklichkeit Sexorgien waren. Glänzen bei Festlichkeiten und diesen so etwas wie "weiblichen" Glanz, vielleicht auch mehr Gemütlichkeit zu verleihen. Die Prostituierten wurden wohl nicht ausdrücklich engagiert, um den Anwesenden sexuelle Dienste zu leisten, es dürfte aber erwartet worden sein, dass sie, wenn es zu sexuellen Übergriffen oder gar Schlimmeren kam, das zu ertragen hatten und den anwesenden Männern auch sexuell zur Verfügung standen, wenn diese es wollten.

Dass für diese Festlichkeiten und Feierlichkeiten auf "freie Töchter" zurückgegriffen wurde, dürfte in erster Linie eine Vorsichtsmaßnahme des Stadtrates gewesen sein, um die eigenen "ehrbaren" Ehefrauen und Töchter bei diesen Veranstaltungen zu schützen und heikle Situationen, die zu befürchten oder zu erwarten waren, von vornherein auszuschließen, falls sich der König und seine Begleitung nicht "anständig" benehmen sollten.

Davon, dass ausdrücklich dabei auch erwartet wurde, dass Sigismund und seine Begleitung die beiden Wiener Bordelle besuchen würden, finden wir hier nichts, auch wenn das durchaus glaubwürdig ist. Die Frauen wurden aber nicht dafür mit Samt eingekleidet, dass sie den König und seine Begleitung im Bordell begrüßten, sondern für Festlichkeit, die außerhalb der Bordelle stattfanden.

Offensichtlich haben wir aber wieder den Fall, dass Sigismund damals ohne seine Barbara in Wien weilte, und seine Gefolgsleute dürften ebenfalls nicht ihre Ehefrauen mitgehabt haben.

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10.04.2021, 16:13
Beitrag: #6
RE: Fürstliche Besuche im Frauenhaus
(10.04.2021 13:23)Teresa C. schrieb:  In diesem Kontext ist aber nicht klar ersichtlich, dass die "freien Töchter" nur als "freie Dienstleisterinnen für Sexuelles" an diesen Feierlichkeiten teilnehmen durften oder wohl eher mussten, denn im Text wird jedenfalls nicht ausdrücklich angeführt, dass diese Feierlichkeiten in Wirklichkeit Sexorgien waren.

Nun ja, da spielt dann wohl auch viel Fantasie der männlichen Hobbyhistorikern mit rein ... Lol

Nie darf man so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken....
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13.04.2021, 06:34
Beitrag: #7
RE: Fürstliche Besuche im Frauenhaus
Das Problem ist eher - nachdem zunächst die Vorstellung des 19. Jahrhunderts als die "allein gültigen" angesehen wurden (Schlagwort: "Prüdes Mittelalter"), wird das von den Historikerinnen und Historiker des 21. Jahrhunderts nicht nur relativiert, was durchaus gut ist, sondern sie bevorzugen es, gleich ins gegenteilige Extrem zu fallen (Schlagwort: "Lockeres, freizügiges Mittelalter für Männer"). Das Lustige daran ist übrigens, dass sich in unserem konkreten Fall, die Historikerinnen und Historiker des 19. und 21. Jahrhunderts beide eine frauenfeindliche Sichtweise als das einzig Richtige verständigt werden.

Ich persönlich halte als private Historikerin nicht viel davon, dass von einem Extrem ins nächste Extrem gewechselt wird, sondern bin gehe davon aus, dass die Chancen an die Annäherung von dem, was damals tatsächlich stattgefunden haben dürfte oder üblich war, bei einer Überprüfung und Beachtung der näheren Umstände und des Hintergrundes eher erzielt werden kann.

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