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Kinderkreuzzug
04.11.2012, 02:52
Beitrag: #5
RE: Kinderkreuzzug
Es ist richtig, 1212 fand der so genannte Kinderkreuzzug statt. Momentan geht man nur von einem Kinderkreuzzug aus, vor ein paar Jahren war es noch üblich von zwei Kreuzzügen zu sprechen. Diese Auffassung begründete sich darauf, dass 1212 in Frankreich und Deutschland zwei von einander unabhängige Kinderkreuzzüge stattfanden. Heute geht man davon aus, dass sich die Ereignisse gegenseitig beeinflusst haben.

Zum Verständnis des Begriffes „Kinderkreuzzug“ sei erklärt, dass es sich bei den Teilnehmern nicht um „Kinder“ im heutigen Sinn handelte. Vielmehr sollte man davon ausgehen, dass es sich um einen „Volkskreuzzug mit relativ vielen jungen Teilnehmern“ (Peter Milster, Die Kreuzzüge. Krieg im Namen Gottes) handelte. Es waren also Jungen und Mädchen, die mindestens im Pubertätsalter waren, nach unserem heutigen Verständnis also Jugendliche oder „Teenies“. Friedrich II., das „Kind von Apulien“ war 16 bzw. 17 Jahre jung, als er 1211 von Sizilien aufbrach, um nach einer strapaziösen Alpenüberquerung 1212 den Kampf gegen seinen Widersacher Otto IV. zu beginnen.

Ebenso darf man nicht vergessen, dass im 13. Jahrhundert Kinder den gleichen Existenzkampf wie Erwachsene führen mussten. Das traf für einen Stauferspross zu, aber hauptsächlich für tausende Namenlose, die am untersten Ende der gesellschaftlichen Pyramide standen und der Willkür der Erwachsenen schutzlos ausgeliefert waren. Diese jungen Menschen litten oft an Hunger und den daraus entstehenden Mangelkrankheiten, viele starben, ehe sie das Erwachsenenalter erreichten.

Die jungen Kreuzzügler wurden von Menschen begleitet, die oft etwas abfällig als „Strandgut der mittelalterlichen Gesellschaft“ bezeichnet werden. Dazu gehörten z.B. Bettler, Diebe, entflohene Mönche und Nonnen, Prostituierte, unverheiratete Mütter u. a. gesellschaftliche Randgruppen. Diese Bevölkerungsschicht, in ihrem bisherigen Lebensbereich gerade nur geduldet, war stets bereit, ihr Leben radikal zu ändern und wurde somit oft genug leichtgläubiges Opfer diverser Heilsversprecher. Erinnert sei zum Beispiel an Peter den Eremiten (oder Einsiedler), der 1096 unabhängig vom offiziellen Kreuzzug einen Volkskreuzzug ins Verderben führte. Und auch an den unseligen Emich von Leiningen, der Teile dieses Haufens zu den Pogromen an Juden in Speyer, Worms und Mainz anstiftete.

Richtig ist auch, dass die Kirche nach dem 4. Kreuzzug weiter zur Befreiung der heiligen Stätten aufrief. Diese Kreuzzugsaufrufe richteten sich jedoch nicht an Kaiser oder Könige, sondern an das Volk. Quellenmäßig gesichert sind Prozessionen, die infolge eines Aufrufes von Papst Innozenz III. in Nordfrankreich stattfanden. Uneinigkeit herrscht darüber, ob während dieser Prozessionen für die Befreiung Jerusalems gebetet wurde und/oder zum Feldzug gegen die südfranzösischen Albigenser (Katharer) aufgerufen wurde. Ich selbst neige dazu, dass beides stattfand. Auf alle Fälle empfing der französische König Philipp II. August den jugendlichen Anführer der Kreuzzügler, den Hirten Stephan, nicht. Stattdessen schickte er ihn fort mit der Aufforderung, seine bereits entstandene Massenbewegung aufzulösen. Königliche Beamte setzten schließlich auch die Auflösung von Massenveranstaltungen durch.

Daraus ist zu erklären, dass dieser französische Kreuzzug wahrscheinlich nicht stattgefunden hat. Sollten Massen von Menschen nach Marseille gezogen sein, so wie später gestrickte Legenden erzählen, müsste dieses Ereignis in der Chronik der Stadt vermerkt sein. Ebenso tauchen die beiden angeblichen Sklavenhändler Guillaume le Porc (Wilhelm das Schwein) und Gautier Sans-Avoir (Walter Habenichts) in keiner weiteren Quelle auf. Es gibt historisch nachweisbar nur einen Ritter Walter Sans-Avoir als Akteur des Volkskreuzzuges von 1096. Von den angeblich in die Sklaverei nordafrikanischer Despoten verkauften Jugendlichen gibt es weder in den europäischen noch in den nordafrikanischen Quellen weiterführende Angaben.

Teile der Kreuzzügler werden sich aufgelöst haben und nach Hause gegangen. Ein Teil der Menschen wird wohl nach Südfrankreich gezogen sein, um sich am Feldzug gegen die Albigenser zu beteiligen oder dort zu leben. Ein großer Teil der Franzosen soll jedoch ins Rheinland gezogen sein, um sich den deutschen Kreuzzugsheer anzuschließen. Dieses Heer bestand vor allem aus Jugendlichen, die sich gegen dem Willen ihrer Eltern dem Kreuzzugsheer angeschlossen hatten. Dessen Anführer war der Jugendliche Nikolaus aus Köln, dem es nachweislich gelang, im Sommer 1212 seine Gefolgschaft über die Alpen nach Genua zu führen. Jedenfalls vermerkt die Stadtchronik von Genua im August 1212 die Ankunft von ca. 7.000 Pilgern. Es war jedoch kein Schiffseigner bereit, die mittellosen Neuankömmlinge ins Heilige Land zu transportieren. Nachdem sich die von Nikolaus versprochene Öffnung des Meeres zum Übersetzen ins Heilige Land nicht erfüllte, zerfiel das Heer.

Ein Teil der Jugendlichen heuerte auf einem Schiff an, das bei Sardinien unterging. Anderer sollten weiter nach Süden gezogen sein, wo sich ihre Spur verliert. Fest steht, dass von den vielen Tausend (12.000 bis 20.000 ???) nur wenige zurück gekehrt sind. Papst Innozenz III. soll nach den Ereignissen geäußert haben: „Diese Knaben beschämen uns. Sie ziehen aus, um das Heilige Land zu erobern, während wir schlafen.“
Nach dem das Scheitern des Kreuzzuges bekannt wurde, wurden die Eltern des Nikolaus aus Köln von einer aufgebrachten Menge gelyncht.

Auf dem Laterankonzil von 1215 bereitete der Papst einen Kreuzzug unter Leitung der Kirche vor. Eine Reihe von Dekreten regelt die Geldabschöpfung. So muss die Geistlichkeit 5 % ihres Einkommens abführen. Das Konzil verspricht aber auch allen den vollständigen Ablass, die einen Kreuzfahrer auf eigene Kosten entsenden. Damit wurden die kirchenrechtlichen Grundlagen für den Ablasshandel geschaffen, der letztlich zur Reformation führte. Weltliche Herren, die das Kreuzzugsgelübde abgelegt hatten, durften ebenfalls Kreuzzugssteuern fordern. Ob Innozenz III. tatsächlich einen Kreuzzug plante, ist mehr als fraglich. Es wird davon ausgegangen, dass er die Gläubigen mit ihrer Opferbereitschaft an die Amtskirche binden wollte.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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