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Die ideologisierte Wehrmacht Presseschau
11.10.2012, 09:58
Beitrag: #1
Die ideologisierte Wehrmacht Presseschau
Zitat:Hitlers willige Landser

Unpolitisch, aber zutiefst ideologisiert: Neue Recherchen in amerikanischen Archiven ergeben erstmals ein differenziertes Bild der "Wehrmacht von innen".


[Bild: s23-wehrmacht-540x304.jpg]
Wehrmachtsoldaten beim Einmarsch in Polen im September 1939

Zitat:Wie nationalsozialistisch war der Krieg der Wehrmacht? Wie fest war die NS-Ideologie in den Köpfen der Soldaten verankert? Und wie wirkten sich ihre Überzeugungen auf ihr Handeln aus?

Verlässliche Quellen, um diese Fragen zu beantworten, waren lange Zeit rar. Tagebücher gab es nicht genug, um repräsentative Schlüsse zu ziehen, die Feldpost wurde zensiert, und Erinnerungen verraten mehr über die Strategien der Vergangenheitsbewältigung als über das Geschehen im Kriegsallta
g.

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Zitat:Nachdem Neitzel und Welzer bereits im vergangenen Jahr mit ihrem Buch Soldaten – Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben Aufsehen erregt haben, legt Römer nun das Ergebnis seiner Recherchen vor: Kameraden – Die Wehrmacht von innen. Doch die beiden Bücher unterscheidet mehr, als sie verbindet.

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Zitat:Auffällig ist, wie viel besonnener er dabei vorgeht. Das Soldaten-Buch, das es im Frühjahr 2011 sogar in die Bild-Zeitung schaffte, war eine Provokation. Das Resümee von Neitzel und Welzer lautete zugespitzt: Die NS-Ideologie spielte für das Handeln der Soldaten keine Rolle. Man musste weder Antisemit sein, um an den Erschießungsgruben Juden zu ermorden, noch bewahrte fehlender Judenhass davor, zum Massenmörder zu werden. Um Gräueltaten zu begehen, habe es nicht einmal der Gewöhnung bedurft. Manche »ganz normalen Männer« hätten binnen weniger Wochen sogar Gefallen am Töten gefunden. Kurzum: In jedem Menschen stecke eine Bestie, die zuschlägt, sobald Umstände herrschen, in denen sie von der Leine darf. Nicht die Intentionen der Soldaten seien daher ausschlaggebend gewesen, sondern die Kriegssituation.

Zitat:Nationalsozialismus Hitlers willige Landser
Seite 2/2:
Truppenführer als Herren über Leben und Tod

Dieses Fazit war beunruhigend und beruhigend zugleich. Beunruhigend, weil es offenbarte, dass auch die grässlichste Gewalt jederzeit zur Normalität werden kann, wenn es erforderlich, möglich oder erlaubt ist. Beruhigend, weil es am Ende beinahe so wirkte, als habe der durchschnittliche Landser mit dem Nationalsozialismus im Grunde nichts zu schaffen gehabt, als sei er gleichsam schuldlos schuldig geworden. Ideologie und Tat waren voneinander entkoppelt.

Römer zeigt nun, wie situative Zwänge und ideologische Ziele im Krieg zusammenwirkten. Vor allem eine Gruppe nimmt er dazu ausführlich in den Blick: die Truppenführer. »Es war ein Erfolgsgeheimnis der Wehrmacht«, sagt Römer im Gespräch, »dass militärische Führer auch auf den unteren Ebenen sehr eigenständig agieren konnten« – und damit oft jene Situationen erst schufen, in denen die Soldaten handelten. Truppenführer konnten, wie Römer an den Protokollen nachweist, Verbrechen verhindern oder forcieren, Gewalt entfesseln oder einhegen. Sie waren Herren über Leben und Tod.

Ein überdurchschnittlicher Anteil von ihnen gehörte dabei zu einer Gruppe, die Römer »intrinsische Krieger« nennt – Männer, die Hitlers Krieg zu ihrem gemacht hatten und sich den Strukturen des Militärs nicht nur einfügten, weil Befehl und Gehorsam oder der soziale Zwang es verlangten. Unter ihnen befanden sich viele glühende Nazis. »In Gestalt solcher ideologisierter Truppenführer«, schreibt Römer, »erhielt die deutsche Kriegführung einen nationalsozialistischen Einschlag. Es mussten nicht alle Landser Nationalsozialisten sein, um den Kampf als Weltanschauungskrieg zu führen.«

Was aber ist ein Nationalsozialist? Oder anders gefragt: Wie prägte die NS-Weltanschauung die 17 Millionen Männer, welche die Wehrmacht während des Krieges durchliefen?

Zitat:Ein deutscher Soldat, zurück von einer Vernehmung, zu seinem Zellengenossen: »Der fing mit dem Hitlersystem an usw. Ich denk: Leck mich doch am Allerwertesten [...]. Von den Systemen habe ich keine Ahnung, kümmert mich auch nicht.« Darauf sein Kamerad: »Ich weiß, wenn du nach Hause kommst und eine Flasche Bier, deine Arbeit und deine Familie hast, dann ist alle Politik Scheibenkleister.«

Zitat:ie meisten Soldaten in Fort Hunt gaben sich unpolitisch. Diese Indifferenz aber, argumentiert Römer, »bedeutete keine Neutralität, sondern begünstigte den Konformismus«: »Wer keine eigene Meinung besaß, orientierte sich umso mehr an dem, was sozial vorgegeben war.« Unpolitisch zu denken schützte daher nicht davor, nationalsozialistisch überformte Wertvorstellungen zu verinnerlichen, auch wenn man diese nicht im NS-Jargon herunterbeten konnte: »Dass die Soldaten nicht beständig von ›Herrenmenschen‹ oder ›Untermenschen‹ fabulierten und eher von ›Russen‹ als von ›Bolschewisten‹ sprachen, bedeutet [...] keineswegs, dass sie sich nicht an ideologisch imprägnierten Feindbildern orientiert hätten.« In einer Befragung aus Fort Hunt, die Römer zitiert, äußerten sich denn auch 90 Prozent der Soldaten negativ über die Sowjetunion, während nur ein Viertel abfällig über Großbritannien sprach. »Die Masse der Männer war nur oberflächlich politisiert, aber mitunter tief ideologisiert«, resümiert Römer. Selbst die »Autosuggestion des Eigensinns« (»Leck mich am Allerwertesten [...]. Von den Systemen hab ich keine Ahnung«) habe eher geholfen, sich im Konformismus einzurichten, als sich zu entziehen.

Zitat:Die leidige Diskussion, ob nun Situation oder Intention, Handlungszwang oder -absicht, wichtiger war, löst Römer, indem er ein dynamisches Modell vorschlägt. »Auch die einfachen Soldaten«, sagt er im Gespräch, »wechselten ständig zwischen automatisiertem und reflektiertem Handeln hin und her.« Auch sie mussten, konnten oder durften immer wieder Entscheidungen treffen: Soll ich diesen gefangenen Rotarmisten laufen lassen? Soll ich ihn erschießen? Und da jede Wahrnehmung den Filter aus Gewissheiten durchläuft, durch den der Einzelne die Welt betrachtet, können in solchen Momenten auch unbewusste Rassismen die Hand leiten – und seien sie Teil eines noch so inkonsistenten, flüchtigen Weltbildes.

Der Krieg der Wehrmacht, lautet Römers Fazit, war durchaus bis in die Mikrostrukturen hinein nationalsozialistisch. Was nicht bedeutet, dass die Ideologie nach einem simplen Ursache-Wirkung-Schema zur Tat führte. Stattdessen habe der Rückgriff auf ideologische Versatzstücke mitunter eher zur Selbstbeschwichtigung gedient, sodass viele Täter nicht aus nazistischer Überzeugung zu Mördern geworden seien, sondern umgekehrt durch ihre Mordtaten ihr Weltbild im Sinne der Nazi-Ideologie verfestigt hätten. Römer verfällt bei seiner »Suche nach dem Individuellen im Krieg« denn auch nicht dem naiven Glauben, der Einzelne habe autonom gehandelt. Aber er kann darlegen, dass die Dynamik des vieltausendköpfigen Militärapparates dadurch mitbestimmt wurde, wie einzelne Akteure ihre mal geringeren, mal größeren Spielräume ausschöpften.

Zitat:Ganz nebenbei stützt seine Untersuchung auch eine ganze Reihe in der jüngeren NS-Forschung bereits etablierter Annahmen. Die These etwa, dass die Soldaten, die an der Ostfront waren, von »dieser Judensache«, vom Holocaust gewusst haben müssen . Die Erkenntnis, dass in allen Einheiten die verbrecherischen Wehrmachtbefehle befolgt wurden. Aber auch die Vermutung der Täterforschung, dass es in der Regel einer Phase der »Gewaltsozialisation« bedurfte, um Männer hervorzubringen, die stur, gefühllos oder sogar mit Lust mordeten.

Eine Absage hingegen erteilt Römer Theorien, die allzu abstrakte Kräfte hinter dem Kriegsgeschehen vermuten. Ohne dass der Name des US-Historikers Timothy Snyder und der Titel seines Buches Bloodlands fallen, ist deutlich, wogegen sich Römer wendet, wenn er kritisiert, dass die Rede von »ominösen Ermöglichungsräumen« mehr verneble als kläre: »Nicht der Raum an sich«, sondern »die deutsche Wahrnehmung dieses Raums« sei entscheidend gewesen für die »maximale Gewaltanwendung« im Ostfeldzug.

So werden wohl auch in Zukunft nicht verstiegene Spekulationen und Theorien zum Verständnis des Krieges beitragen, sondern Studien wie diese. Noch ist das Material aus Fort Hunt nicht ausgeforscht. Schon jetzt aber kann Römers Arbeit als Meilenstein gelten. Sie hat das Bild vom Krieg der Wehrmacht schärfer gestellt, als man es lange Zeit für möglich gehalten hätte.


Der Relevanz wegen fast kpl. kopiert.

http://www.zeit.de/2012/41/Wehrmacht-Sol...-Kameraden
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