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Das Privilegium minus
23.12.2016, 02:49
Beitrag: #1
Das Privilegium minus
Am 8. September 1156 wurde eine politische Auseinandersetzung zwischen den Adelsfamilien, die heute als die Staufer und die Welfen bekannt sind, beigelegt. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Konflikt um das Herzogtum Baiern gelöst.

Auf der Wiese in Barbing bei Regensburg übergab Herzog Heinrich IX. von Baiern (er war zuvor Pfalzgraf bei Rhein gewesen und als Heinrich II. Markgraf von Österreich) sieben Fahnenlanzen an Friedrich I. Barbarossa, womit er offiziell auf das Herzogtum Baiern Verzicht leistete. Friedrich I. reichte die Fahnenlanzen an Herzog Heinrich von Sachsen weiter, besser bekannt als Heinrich der Löwe, womit er diesen mit dem Herzogtum Baiern belehnte. Heinrich der Löwe gab Friedrich I. daraufhin zwei dieser Fahnenlanzen zurück, womit er offiziell auf die Herrschaft über die zu seinem Herzogtum gehörige Markgrafschaft Österreich Verzicht leistete. Friedrich überreichte daraufhin diese beiden Fahnenlanzen dem Markgraen Heinrich und erhob damit die Markgrafschaft Österreich zum selbständigen Herzogtum, das somit aus der Herrschaft des Herzogtum Baierns gelöst wurde.

Schon alleine Details zeigen, wie kompliziert so eine Belehnung, der lange Verhandlung vorangegangen waren, inszeniert wurde. Die Markgrafschaft wurde aber nicht nur aus der Herrschaft des Herzogtums Baiern gelöst und zu einem Herzogtum erhoben, der neue Herzog erhielt auch einige Sonderrechte.

Für die damalige Zeit eher ungewöhnlich war aber der Umstand, dass in der Folge noch eine Urkunde über ausgestellt wurde, das sogenannte "Privilegium minus". (Das Original ist nicht erhalten, es wurde später, vermutlich im 14. Jahrhundert bei der Schaffung des Privilegium maius zerstört, der ursprüngliche Inhalt lässt sich allerdings einigermaßen aus Abschriften erschließen.)

Der Konflikt, der dem Ganzen vorangegangen war, war eine komplizierte Angelegenheit, die Lösung, die letztlich zustandekam, war ein Kompromiss, bei dem versucht wurde, alle Beteiligten so einigermaßen mit Blick auf die für die damalige Zeit geltenden Normen zufrieden zustellen.

Einerseits ging es Friedrich I. um eine Aussöhnung mit Heinrich dem Löwen, und dieser war keineswegs bereit, seine Ansprüche auf das Herzogtum Baiern aufzugeben, das seinem Vater Heinrich dem Stolzen durch Friedrichs Onkel und Vorgänger König Konrad III. als Folge einer politischen Auseinandersetzung aberkannt worden war.

König Konrad III. hatte allerdings mit dem Herzogtum Baiern seinen Halbbruder Markgraf Leopold IV. von Österreich, dem der Historiker Sunthaym später den Beinamen der Freigiebige gab (er war aus einer Adelsfamilie, die damals als die Liutpoldinger und heute als Babenberger bekannt ist) belehnt. Nach dessen Tod versuchte König Konrad offensichtlich eine Lösung, bei der so etwas wie eine Aussöhnung angestrebt wurde. Konrad verlobte Leopolds älteren Bruder Heinrich, der diesem auch als Markgraf von Österreich nachfolgte und dafür seine Würde als Pfalzgraf bei Rhein aufgab, mit der Gertrud, der Tochter von Kaiser Lothar III. und belehnte ihn daraufhin mit dem Herzogtum Baiern. Heinrich der Löwe musste auf Baiern verzichten. Ob diese Lösung auf Dauer funktioniert hätte, ist unsicher, jedenfalls starb Gertrud bereits ein Jahr später.

Heinrich der Löwe wollte das Herzogtum Baiern, aber Heinrich II. bzw. Heinrich IX. war nicht bereit auf Baiern zu verzichten, was aus seiner Sicht und mit Blick auf die damaligen Verhältnisse vollkommen verständlich ist. Das hätte nämlich de facto nicht nur den Verzicht auf Baiern bedeutet, sondern auch eine schwere Degradierung. Heinrich II. wäre damit nicht nur zum Markgrafen degradiert worden, sondern er wäre auch Untertan seines Nachfolgers geworden. Hinzu kam noch, dass er sich nichts zu hatte zu schulden kommen lassen, dass eine solche Entehrung seiner Person und Familie gerechtfertigt hätte.

Ich lasse jetzt einmal offen, ob Friedrich I. zu anständig war, um Heinrich II. unter irgendeinem Vorwand, das Herzogtum wegzunehmen oder ob er sich mit Rücksicht auf die anderen Reichsfürsten ein solches zweifelhaftes Vorgehen nicht leisten konnte. Jedenfalls fand er (oder seine Ratgeber) einen Kompromiss, der letztlich für alle tragbar war.

Heinrich der Löwe bekommt sein Herzogtum Baiern. Aber die Markgrafschaft Österreich wird zum eigenen Herzogtum erhoben, Heinrich wird somit auch die Degradierung erspart und für Verkleinerung seines Herrschaftsgebietes erhält er einige besondere Rechte.

Jahre später, nachdem Heinrich der Löwe zuletzt doch beide Herzogtümer letztlich endgültig aberkannt wurden, kam Baiern an die Wittelsbacher und wurde nebenbei weiter verkleinert, in dem eine bisher zu Baiern gehörige Grafschaften, darunter z. B. die Steiermark ebenfalls zu Herzogtümern erhoben wurden.

Aus der parteiischen bairischen bzw. Bayrischen Geschichtssicht wurde übrigens dieses Privilegium minus nicht unbedingt positiv gewertet. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich dann in Bayern eine jener Legenden, die eine objektive Sicht auf historische Fakten so schwer machen und bei der ohne Rücksicht auf belegte Fakten und Kontext die Geschehnisse zu einem willkürlichen Akt gemacht wurden, bei dem der Kaiser Friedrich I. Barbarossa den Bayern Unrecht antut, indem er ihnen die einfach Gebiete wegnimmt. Heinrich der Löwe ist ein Versager, da er sich das bieten lässt udn Heinrich II. ist der böse Nutznießer, der schon zuvor unrechtmäßig über Bayern herrschen wollte. Bayrische Geschichtssicht hin oder her, die belegten Fakten und der historische Kontext ergeben eine ganz andere Geschichte.

Was die Sonderrechte betraf, die Heinrich II. erhielt:
Zum Zeitpunkt der Ausstellung des Privilegium minus hatte Heinrich I., der inzwischen eine Nichte des byzantinischen Kaisers geheiratet hatte, nur Töchtern. Seine beiden Söhne wurden erst später geboren, zu diesem Zeitpunkt war nicht sicher, ob er noch Söhne haben würde. Die weibliche Erbfolge dürfte damit zusammenhängen. (Nicht wirklich geklärt ist, ob diese weibliche Erbfolge sich nur auf die Töchter von Heinrich II. und Theodora bezogen hat oder auch für die folgenden Generationen Gültigkeit hatte. Nach dem Tod von Heinrichs Urenkel Friedrich II. der Streitbare (nicht zu verwechseln mit Kaiser Friedrich II., den Enkel von Friedrich Barbarossa) erhoben jedenfalls dessen Schwester und Nichte Ansprüche, die der Nichte wurden vom damaligen Papst anerkannt.

Zum Erscheinen bei kaiserlichen Hoftagen, der sogenannten „Hoffahrt“, waren die Herzöge von Österreich nach dem Privilegium minus nur mehr verpflichtet, wenn diese in Bayern stattfanden. Ausserdem mussten sie lediglich an Heerfahrten teilnehmen, die in ihre unmittelbaren Nachbarländer führten, und die Gerichtshoheit im eigenen Land erhielten sie ebenfalls zugesprochen.

Diese Punkte dürften tatsächlich im "Privilegium minus" enthalten gewesen sein.

Heinrich II. gilt heute, wenn gleich es auch zu ihm viele zweifelhafte Legenden gibt, als einer der erfolgreichsten Babenberger und ist in Wien, das er zu seiner Hauptstadt machte, durch mehrere Statuen anzutreffen. Zusammen mit seiner Ehefrau Theodora gründete er das Schottenkloster auf der Freyung. Die Herkunft seines Beinamens Jasomirgott ist übrigens nicht eindeutig geklärt, doch dürfte sie nicht aus einem Ausruf wie "Ja so mir Gott helfe entstanden".

Quelle:
Helmut Hanko: Herzog Heinrich II. Jasomirgott. Pfalzgraf bei Rhein - Herzog von Bayern - Herzog von Österreich. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2012

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Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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