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Der Meisterschütze und der "Apfel"
26.05.2016, 06:43
Beitrag: #3
RE: Der Meisterschütze und der "Apfel"
Wobei wir vielleicht nicht übersehen sollten, dass Schillers Drama weniger ein Geschichtsdrama ist (obwohl viele Schweizer Freilichtbühnen Tell-Festspiele veranstalten, in denen Schillers Drama als historisches Spektakel inszeniert ist), sondern ein "Zeitstück": der Kampf gegen Napoleon, der in Schillers historischen Stoff sehr wohl eingeflossen ist. (Nicht uninteressant ist hier übrigens der Vergleich mit berüchtigten "Hermannsschlacht" von Heinrich von Kleist, wo der Widerstandskampf gegen die gar nicht so bösen Römer (Franzosen) als durchaus fragwürdige Angelegenheit gezeigt wird. Ganz anders bei Schiller, wo Gessler und seine Leute (Schillers Franzosen) eindeutig nur das bekommen, was sie verdient haben und alles Mögliche aufgeboten ist, dass Publikum das auch eindeutig kapiert.)

Ich habe das Stück relativ jung (und damals aus persönlichen Interesse) gelesen. Wie Shakespeares Triologie "Henry VIII." meine erste Begegnung mit den "Rosenkriegen" damals war, war der "Tell" damals eben eine spannende Geschichte über tapfere, redliche Bürger, die sich gegen böse Schurken zur Wehr setzen, und das letztlich mit großem Erfolg.

Damals sah ich als Kind noch keineswegs die Brutalität und Grausamkeit, die in der "Apfelschuss-Szene" steckt, dass hier nämlich ein Vater zu einer Probe gezwungen wird, bei der er sein eigenes Kind töten könnte, sondern für mich war Tell der Held, der eine schwierige Aufgaben lösen muss, und es war natürlich klar, dass ein "richtiger" Held das auch schafft. (Sonst wäre er für mich damals kein "richtiger" Held gewesen.)

Die Sicht auf die Tat des Helden, bei der die Gefährdung des eigenen Kindes in den Hintergrund tritt, wird übrigens in einigen anderen "Apfelschuss-Versionen" noch deutlicher vermitteln, ein gutes Beispiel ist z. B. eben von Aguyar so anschaulich beschriebene "Nuss-Schuss".

Eines habe ich allerdings damals auch schon gefühlsmäßig seltsam bei Schiller gefunden. Dass Tell den Hut nicht grüßt, wird in Schillers Drama damit begründet, dass er von dieser Verordnung nichts weiß. Anders als in Schillers Vorlagen gerät Tell also mit dem "bösen" Gessler und seinem Regime aneinander, weil er eine Order nicht erfüllt hat, von der er nicht einmal gewusst hat. Da hat es mich damals schon überrascht, dass Gessler überhaupt keine Chance gibt, das "Versäumnis" mit dem Hut "wiedergutzumachen". Ich war schon erstaunt, dass er nicht erst einmal z. B. meint: "Also gut, Tell, du hast diese Order nicht beachtet, weil sie dir nicht bekannt war. Jetzt weißt du es besser, also grüß den Hut, und für das nächste Mal, sei ein wenig aufmerksamer, was unsere Befehle betrifft."

Dass Schiller hier nur die Absicht hatte, Gessler und sein Regime als besonders böse darzustellen, in dem er Tell hier eben nicht als entschlossenen Freiheitskämpfer zeigt, der mit Absicht demütigende Befehle missachtet, sondern als Opfer präsentiert, dem sogar die Entscheidung zum Widerstand abgenommen wird. (In wie weit hier auch für Schiller ausschlaggebend war, dass er Tell nicht als einen "Rabenvater" rüberbringen wollte, der das Leben seines Sohnes leichtfertig aufs Spiel setzt, um als Widerstandskämpfer zu reüssieren, wäre hier ebenfalls zu überlegen.)

Im Vergleich zu Schillers Vorlagen ist das sehr deutlich zu erkennen, denn da finden wir z. B. eine Version, in welcher der gute Tell mehrmals über den Platz marschiert, ohne den Hut zu grüßen, hier also leistet Tell nicht nur Widerstand gegen aus seiner Sicht demütigende und unsinnige Gesetze, sondern er provoziert Gesslers Leute zusätzlich.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: Der Meisterschütze und der "Apfel" - Teresa C. - 26.05.2016 06:43

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