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Wie die Menschen früher lebten
17.05.2016, 16:02
Beitrag: #18
RE: Wie die Menschen früher lebten
(16.05.2016 18:22)Suebe schrieb:  Auch mir ist es irgendwie unverständlich, wieso die Menschen im 19. Jahrhundert zu 100tausenden in die Industriezentren zogen, wo doch das Leben auf dem Lande, zumindest für uns Jetztmenschen zweifellos gesünder und vermeintlich angenehmer war.
Hierzu habe ich auch noch keine so richtig überzeugende These gelesen, aber es kann eigentlich nur am pekuiären gelegen haben.
Oder aber, die haben die Umstände deutlich anders bewertet, wie wir.

Vielleicht kommen wir da gemeinsam weiter.

Der Wegzug vom Land in die Industriestädte war sicher durch finanzielle Anreize begünstigt, hatte aber sicher auch andere Ursachen. Ein Grund dafür war die Bevölkerungsentwicklung - es gab auf dem Land nicht mehr genügend Stellen, dass jeder junge Mann oder jede junge Frau eine Stelle auf einem Hof fand. Es gab zusätzlich Einwanderer aus Osteuropa, Polen arbeiteten nicht nur im Bergbau, sondern auch auf dem Land - die polnische Schnitterin war halt genügsamer und wohl auch gefügsamer...

Ein weiterer Grund waren sicher die verkrusteten Strukturen und die damit verbundenen Wert- und Moralvorstellungen. Die Dorfobrigkeit, bestehend aus Junker, einigen Großbauern und Pastoren/Priestern führten ein konservatives Regime, den sich der Rest fügen musste. Wer das nicht aushielt, wanderte seit dem 18. Jahrhundert nach Amerika, Russland usw. aus, seit den 1860er Jahren boten sich zusätzlich die rasant wachsenden Industriezentren in Deutschland an. Ich will damit sagen, dass die Industrialisierung den Menschen den Ausbruch aus der dörflichen Enge ermöglichte.

Dass die einzelnen Hoffnungen oft brutal ernüchtert wurden, ist eine andere Frage. Leipzig erlebte zwischen 1860 und 1900 einen Bauboom.
Neuangekommene Arbeiter bekamen Wohnungen, entweder mietfrei oder für wenig Miete, die sie trocken wohnen mussten. Die Frage "Du hast wohl eine feuchte Wohnung?" hat hier einen realen Bezug. Der häufige Umzug der Arbeiter hatte aber auch mit dem Bauboom und den unstetigen, einer Fieberkurve gleichenden Mietpreisen zu tun. Eine typische Erscheinung dieser Zeit war der Schlafgast, der für viele Familien der Zweitversorger war und so manches Kuckuckskind zeugte.

Viele Menschen haben sich letztlich mit den Lebensbedingungen arrangiert.
Eine Sehnsucht nach dem Land wird wohl geblieben sein, es entstanden ja nicht nur Industriegebiete und Arbeiterwohngegenden, sondern auch Schrebergärten, Kaninchen- oder Taubenzüchtervereine usw. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes konnten sich die Arbeiter und Arbeiterinnen versammeln, sie konnten in politischen Organisationen mitwirken, sie konnten sich in Vereinen sportlich betätigen, es entstanden Arbeiterchöre, Lesezirkel usw. Diese selbstgewählten Gemeinschaften, die Möglichkeiten, vielfältige Kontakte zu pflegen und Freundschaften aufzubauen und somit (theoretisch) ein selbst bestimmtes Leben zu führen, war sicher nach 1890 auch ein Grund das Dorf zu verlassen. Zumindest für die, die sich nicht den Lebensentwürfen der Eltern unterordnen wollten.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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RE: Wie die Menschen früher lebten - Sansavoir - 17.05.2016 16:02

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