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Entwicklung von Territorialherrschaften im Spätmittelalter
27.08.2020, 22:25
Beitrag: #55
RE: Entwicklung von Territorialherrschaften im Spätmittelalter
Hi Sansavoir,

herzliche Dank für Deine Rückmeldung, die recht interessant ist.

In zwei Punkten sehe ich die Dinge jedoch anders beziehungsweise denke, dass ein gewisser Unsicherheitsfaktor zu bedenken ist.

(26.08.2020 02:28)Sansavoir schrieb:  Otto VIII. von Wittelsbach war ein impulsiver, cholerischer Mensch, der sich offensichtlich durch die erneute Zurücksetzung persönlich beleidigt fühlte und in seiner Wut Philipp ermordete.

War Otto VIII. tatsächlich ein impulsiver, cholerischer Mensch oder ist das vielleicht doch eine Annahme späterer Generationen? Immerhin scheint der Königsmord nach derzeitiger Forschung und gesicherten Fakten das Einzige über ihn zu sein, was wir mit Sicherheit wissen.

Angesichts dessen, dass er als privat motivierter Einzeltäter gilt, wäre sehr gut vorstellbar, dass erst spätere Generationen aus diesem sinnlosen Mord, der ihm offensichtlich nichts als einen frühen Tod brachte, die Vorstellung entwickelten, dass er impulsiv und cholerisch gewesen sein muss, um für die Tat eine Erklärung zu bieten.

Zum Vergleich:
Mehreren Herrschern, die einmal etwas getan hatten, was nachträglich aufgrund der Folgen als Fehler / Versagen gedeutet wurde und dennoch weiterhin in der Politik / Geschichte mitwirken konnten, wird nachgesagt, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Fehlentscheidung jung und unreif gewesen wären, was mit Blick auf ihr tatsächliches Alter aus heutiger Sicht nicht sehr überzeugend ist.

Beispiele:

- Der Chronist Otto von Freising schreibt über seinen älteren Bruder Heinrich Jasomirgott in Bezug auf eine Niederlage gegen die Ungarn, dass daran sein "jugendlicher Ungestüm" schuld gewesen wäre. Der "jugendliche" Heinrich war zu diesem Zeitpunkt etwa 37 Jahre. In der neueren Forschung findet sich die Vermutung, dass Heinrich den offensichtlich schief gegangenen Angriff unternahm, um eine Auflösung seines Heeres zu vermeiden und dass die Niederlage zwar sicher nicht harmlos war, aber zumindest keine wirkliche Katastrophe.

- Dem späteren König Johann wurde von König Richard Löwenherz nach dessen Rückkehr vom Kreuzzug offiziell verziehen, mit der Erklärung, er wäre noch ein Kind. Johann dürfte damals etwa 27 Jahre alt gewesen sein.

Was wissen wir tatsächlich über Otto VIII.?
Mein Eindruck: Bekannt ist nur, dass er König Philipp ermordete. (Nur diesem Umstand verdankt er sogar, dass es zu ihm ein paar Gedenkstätten gibt.)
Allem Anschein nach war er zu diesem Zeitpunkt noch relativ jung, nicht einmal ein Jahr später wurde er getötet, nachdem er geächtet worden war, was in diesem Kontext plausibel wirkt.
Otto war ein Verwandter von Ludwig dem Kelheimer, trotz dieser Verwandtschaft wurde Ludwig nicht verdächtigt, mit ihm gemeinsame Sache gemacht zu haben. Ludwig versuchte zudem von der Ächtung einige der als Mitverschwörer vermutlich zu Unrecht verdächtigten Andechs-Meranier zu profitieren.

Obwohl Wittelsbacher entsteht nicht der Eindruck, dass Otto ein besonders einflussreiches Mitglied dieser Familie war, weswegen es etwas merkwürdig wirkt. dass Philipp ihn ursprünglich mit einer seiner Töchter verlobt hatte. Was versprach sich Philipp ursprünglich von dieser Ehe?

Entweder war Otto VIII. doch ursprünglich bedeutender, vorstellbar, dass die Hauptlinie der Wittelsbacher um Ludwig dem Kelheimer und dessen Nachkommen oder andere Zeitgenossen seine Bedeutung mit Absicht etwas heruntergespielt haben ...

Oder die Verlobung ist vielleicht sogar eine Erfindung, um dem Mord ein privates Motiv zu geben. Sei es, weil dahinter in Wirklichkeit mehr steckte und daher so von den tatsächlichen Umständen abgelenkt werden sollte (in diesem Fall hätten die Hintermänner langfristig Erfolg gehabt) oder weil um der scheinbar sinnlose Mordtat an einem, spätestens nach seiner Ermordung, offensichtlich positiv besetzten Fürsten nachträglich eine Erklärung zu geben.

Gibt es eigentlich Belege, dass diese Verlobung tatsächlich bestanden hat?

(26.08.2020 02:28)Sansavoir schrieb:  Obwohl die beiden Königsmorde von 1208 und 1308 einige Parallelen haben, war die politische Lage bei der Ermordung Albrechts anders. 1308 war Albrecht I. politisch angeschlagen. Seine Politik in Böhmen und in Mitteldeutschland war gescheitert. Und so wie sich 1298 eine Partei gegen Adolf von Nassau sich bildete, die ihn absetzte, musste Albrecht 1308 zumindest mit stärkeren Gegenwind rechnen.

Albrecht war angeschlagen, aber bereits Anfang des 13. Jahrhunderts hatten die Kurfürsten versucht, ihn zu entmachten, was ihnen nicht gelungen war. Fakt ist, dass Albrecht nicht erst um 1308 mit stärkerem Gegenwind rechnen musste. Zumindest, was Albrechts Politik in Böhmen betrifft, war zwar der Tod seines Sohnes Rudolf ein schwerer Rückschlag, aber die Auseinandersetzung um den böhmische Krone war zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht eindeutig entschieden.

Ein Nachteil war sicher, dass durch die Ehe der älteren Schwester von Wenzel III. mit Albrechts Schwager Heinrich eine gefährliche Opposition bestand, zudem Heinrichs Vater Meinhard und Albrecht bis zu Meinhards Tod Verbündete gewesen waren. Der Umstand, dass Heinrich nur wenige Monate nach Albrechts Ermordung, aber noch ehe ein weiterer Heinrich zu Albrechts Nachfolger gewählt worden war, mit Albrechts Sohn Friedrich zu einer Einigung gelangte, wobei er den Söhnen Albrechts ihre Ansprüche auf die Nachfolge Rudolfs in Böhmen finanziell abgalt, zeigt doch, dass der Kampf um die böhmische Krone noch nicht entschieden war. (Dass Heinrich sich dann letztlich nicht auf Dauer durchsetzen konnte und die Luxemburger zum Zug kamen, ist eine andere Sache.)

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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