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Analphabetismus heute bei uns
14.09.2014, 10:34
Beitrag: #21
RE: Analphabetismus heute bei uns
Mal als Beispiel außerhalb Württembergs das einer kleinen bayerischen Landgemeinde:

"Die nicht ganz so ergiebigen Berichte und urkundlichen Belege über das Schulwesen in Ebenhausen lassen dennoch mit den Visitationsprotokollen der protestantischen Zeit ab 1585 beginnen. (...) Obwohl vom Landesherrn ausgebildet und als Pfarrherren eingesetzt, erhielten diese und die Messner ihre Besoldung vom Abt (von Kloster Kaisheim) in Verrechnung mit dem Zehent, der dem Kloster Kaisheim weiterhin zustand. Bezogen auf die schulischen Verhältnisse nahm der Messner von Ebenhausen die Betreuung der Schulkinder zur Zufriedenheit des Pfarrers wahr, wenngleich von dem Messnergehalt noch eine für den Schulunterricht geeignete Person hätte eingestellt werden können.
Unterrichtet wurden hauptsächlich nur in den Fächern Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen. Der Besuch der Schule war mehr freiwillig, da es noch keine Schulpflicht gab. Eine Schule gab es nur in Reichertshofen, wohin auch die Kinder von Ebenhausen gingen, sofern sie überhaupt die Schule besuchten.
Folgende Namen werden in den Visitationsprotokollen genannt:
1575 Messner unbekannt, Pfarrer Peter Knauer
1585 Messner Hans Zeidelmaier von Baar gebürtig
1591 Messner Georg Zeidelmaier, des vorigen Sohn
1610 Messner Hans Henle

In der Folgezeit werden erst wieder von 1771-1848 als Messner und Schulhalter Schelchshorn, Haindl, Lob und Innocenz Haunsberger genannt.

Pfarrer Max Holzmann 1853-1873 schreibt über die damaligen Schulverhältnisse: „Ehedem bestand hier wohl eine Schule, aber kein eigenes Schulhaus. Der Messner, ansässig auf dem Hause Nr. 40 (heute Martinstraße 13) nördlich vom Tyrolerhofe, war zugleich Schulhalter unter spezieller Aufsicht des Pfarrers, und gab den Schulunterricht im eigenen Wohnhause“ (...) Nach der Klosteraufhebung im Jahre 1806 wurde vom Staat die Wohnungsentschädigung, die bisher das Kloster Kaisheim gewährte, nicht mehr ausbezahlt. Die Schullehrer wagten es auch nicht, dieselbe zu reklamieren, weil sie befürchteten, es könnte ihnen wegen des Fehlens der gesetzlichen Befähigung das Schulhalten entzogen und ein ausgebildeter Lehrer angestellt werden. Ein nicht geringes Nebeneinkommen brachte den Schullehrern in jener Zeit neben den Stolgebühren bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen das Aufspielen bei Tanzmusiken.(...)
Im Jahre 1854 konnte das erste gemeindeeigene Schulhaus (heute Anwesen Kirchplatz 9) bezogen werden. (...)
Im Jahre 1891 dachte die Gemeinde wegen ständig steigender Schülerzahlen an einen Erweiterungsbau, der jedoch wegen Platzmangel vom damaligen Bezirksamt Ingolstadt abgelehnt wurde. Daraufhin entschloss sich die Gemeinde für einen Schulhausneubau und kaufte 1892 vom Rauscheranwesen an der Hauptstraße 28 Dezimale hinzu. Bereits 1894 konnte die neuerbaute Schule von den Kindern bezogen werden. Im Jahre 1937 erwarb die Gemeinde weitere 18 Dezimale vom Rauscher Anwesen zur Erweiterung des Schulhauses. Für die drei Schulsäle wurden die alten Schulbänke durch neuzeitliche ersetzt und zehn Jahre später weitere 30 Schulbänke angeschafft. [Die Einwohnerzahlen des Dorfes stiegen entsprechend, die Erweiterungen sind also nicht darauf zurückzuführen, dass zuvor nur Jungen unterrichtet wurden und jetzt die Mädchen dazukamen). (...)"

Ich halte fest: Bis etwa 1848 wurde der Unterricht vom Messner gehalten, und zwar auf freiwilliger Basis. Der Weg zur regulären Schule im Nachbarort war zu Fuß etwa eine halbe Stunde. Naheliegend, dass die Dorfjugend eher ungebildet war, aber Lesen, Schreiben und die Grundzüge des Rechnens dürften geläufig gewesen sein, zumindest bei den Jungen.

Danach übernahm die Gemeinde den Unterhalt der Schule und bestallte dazu auch eigene Lehrer. Wird zwar in der Darstellung nicht extra erwähnt, war aber so. Die Qualifikation dieser Lehrer dürfte heutigen pädagogischen und inhaltlichen Maßstäben kaum einmal Stand gehalten haben...wer´s am billigsten machte, bekam den Job. Oft waren das verhinderte Pfarrer oder Invaliden, die irgendwie ein Auskommen suchten.

Bis 1891/94 stiegen die Schülerzahlen deswegen, weil erstens die Bevölkerung zunahm und weil zweitens mittlerweile die Schulpflicht eingeführt wurde, auch wenn sie noch schlecht kontrolliert werden konnte. Schlagendes Indiz dafür ist die Tatsache, dass in Ebenhausen erst 20 Jahre nach Reichsgründung ein neues Schulgebäude nötig wurde; das Schulhaus, das von 1854 bis 1891/94 in Gebrauch war, steht noch, es ist ein zweizimmriges Häuschen mit Anbau und zusätzlichen Wohnräumen für den Lehrer. In den Nachbargemeinde war das unisono ähnlich.

Erst nach 1894 waren also überhaupt erst einmal die räumlichen Voraussetzungen gegeben, einen einigermaßen vernünftigen Unterricht abzuhalten. Was das für das Bildungsniveau der damaligen - bayerischen - Landjugend aussagt, überlasse ich eurer Phantasie...

VG
Christian
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RE: Analphabetismus heute bei uns - 913Chris - 14.09.2014 10:34

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