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Irak - Geschichte und Entwicklung
20.06.2014, 00:52
Beitrag: #5
RE: Irak - Geschichte und Entwicklung
Nach Chris, Harald und Renegat möchte ich mich zu möglichen Ursachen der Krise im Nahen Osten äußern.

Eine Ursache der heutigen Situation der arabischen Welt ist die US-amerikanische Politik seit 1990. Besonders unter der Präsidentschaft von George W. Bush wurde der Nahe Osten massiv destabilisiert. Ich denke da an solche unsinnigen Behauptungen der Bush-Administration, wie z.B. dass der Irak mit al-Quaida zusammengearbeitet hat. Ebenso unsinnig, wie dem Irak als einen gefährlichen Feind der USA hoch zu stilisieren und gegen ihn Krieg zu führen, waren die ideologischen Kampagnen gegen den Iran, gegen Syrien und gegen Libyen oder der Black-Hawk-Krieg in Somalia.

Aus welchem Grund geschah das? Die fehlende Demokratie in diesen Staaten kann nicht der wirkliche Grund gewesen sein. Denn bis 1989 wurde z.B. die Diktatur in Somalia von der USA unterstützt, in den 80-er Jahren wurde Saddam Hussein im Irak-Iran-Krieg mit wohlwollender Neutralität behandelt und die Hilfe des Assad-Regimes wurde 1991 und seit 2003 im Golf-Krieg auch gern angenommen. Und wenn auch kein einziger dieser Staaten demokratisch (nach westlichen Vorstellungen) gewesen war, so sollte man beachten, dass z.B. in Libyen, im Irak oder in Syrien Frauen Schulen und Universitäten besuchen durften. Und der Iran ist nach dem Tod Khomeinis auch nicht mehr die klassische Diktatur, es gibt durchaus Gewaltenteilung und Möglichkeiten die Macht Einzelner einzudämmen und zeitlich zu begrenzen. Dies alles gibt es nicht in Saudi-Arabien, Kuwait, Katar oder im Jemen.

Deshalb bin ich der Meinung, dass die USA im Nahen Osten keine Politik zur Demokratisierung der Region betrieben hat, sondern eine Politik im Interesse ihrer Verbündeten. Das politische Bündnis zwischen den USA und den islamisch-konservativen Monarchien ist aus den Partnerschaften verschiedener und miteinander konkurrierender US-amerikanischer Ölkonzerne mit regionalen Clans wie den al-Saud, den al-Sabah oder den al-Thani entstanden. Diesen Monarchien standen seit den 1950/60er Jahren die arabischen Militärdiktaturen gegenüber, die häufig im Bündnis mit ursprünglich sozialistischen Bewegungen wie der Bath-Partei standen und im ägyptischen Präsidenten Nasser ihr Vorbild sahen. Da diese Staaten im Kalten Krieg mehr oder weniger Verbündete der Sowjetunion waren, könnte das in den USA bestehende Feindbild noch ein Relikt aus dem Kalten Krieg sein. Welche politischen Möglichkeiten bzw. Lösungen es nach 1990 gegeben hat, ist wohl nicht eindeutig und wäre wohl ein „Jonglieren mit fünf(zig) Bällen“.

Neben Gründen aus der jüngeren Zeitgeschichte sehe ich weitere Ursachen der heutigen politischen Situation in den Ereignissen von 1916 bis 1924. Das wichtigste Ereignis ist der Zerfall des Osmanischen Reiches. Neue Staaten entstanden, entweder aus ehemaligen osmanischen Provinzen oder aufgrund der Grenzfestlegungen des Sykes-Picot-Abkommen. Obwohl die Herrschaft des Sultans in Arabien, aber auch im Maghreb de facto nur nominell war, so regulierte die osmanische Herrschaft oft in regionalen Konflikten der Clans. Diese Clans herrschten tatsächlich in diesen Gebieten, sie bezahlten Steuern oder Tribute an den Sultan, der die Clans wiederum gewähren ließ. Wie gesagt nur bei Konflikten, egal ob die Clans gegeneinander kämpften oder sich gegen den Sultan erhoben, reagierte Konstantinopel. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass der Sultan nicht nur als weltliches Oberhaupt handelte, sondern auch als geistliches Oberhaupt. Immerhin fungierten die osmanischen Sultane bis 1924 auch als Kalif. Die Absetzung des letzten Sultans als Kalif bedeutet deswegen auch, dass seitdem dem (sunnitischen) Islam eine anerkannte oberste religiöse Instanz fehlt. Dies ist meiner Meinung eine Ursache dafür, dass der Islam sich radikalisierte, da sich viele Kleriker (und Laien) die Rolle des Kalifen angemaßt haben.

Die Radikalisierung des Islams begründet sich auch im Zustand der saudi-arabischen Gesellschaft. Als offizielle Religion gilt die wahhabitische Auslegung des Korans. Al-Wahhab begründete im 18. Jahrhundert den Wahhabismus, eine strenge, asketische und rigorose Form des sunnitischen Islam. Ganz grob und unwissenschaftlich: Der Wahhabismus ist so etwas wie die islamische Variante des Calvinismus. Das Bündnis der beiden Familien al-Saud und al-Wahhab brachte beiden Vorteile und es besteht bis heute, praktisch teilen sie sich die Herrschaft über Saudi-Arabien, wobei die al-Saud aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke präsenter sind. Dabei steht ihr Leben im Luxus völlig im Gegensatz zu den wahhabitischen Idealen. Andere Familien sind von der politischen Macht ausgeschlossen, auch wenn sie bestimmte Branchen wirtschaftlich dominieren, wie die Bin Laden, die als Bauunternehmer (möglicherweise) zum drittreichsten Clan Saudi-Arabiens aufgestiegen sind. Auch hier liegt sicher ein Grund für die Destabilisierung des Nahen Osten durch radikale Islamisten.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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