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Irak - Geschichte und Entwicklung
19.06.2014, 11:41
Beitrag: #1
Irak - Geschichte und Entwicklung
Servus!
Angesichts der Tatsache, dass der Staat Irak zu zerfallen droht und dass dabei verschiedene Ursachen genannt werden - Fehler der USA nach und bei dem Sturz Saddam Husseins, die kolonialen Grenzziehungen, konfessionelle Streitigkeiten - stellt sich mir die Frage, wo denn nun die eigentlichen Ursachen für den innerirakischen Konflikt liegen.
Höchstwahrscheinlich gibt es - mal wieder - nicht eine einzige Ursache, sondern mehrere, die ineinander greifen. Denzufolge gibt es auch mehrere Lösungen, von denen wiederum nicht eine einzige zum Frieden im Irak führen kann, sondern nur eine Kombination aus mehreren Lösungsansätzen.

Die erste Frage, die beantwortet werden muss: Wo liegen die Grundlagen für die aktuellen Konflikte?
Wenn diese Konflikte nämlich schon älter sind als der Sturz Saddam Husseins, oder die Herrschaft Saddam Husseins, oder das koloniale Königreich Irak oder überhaupt der Staat Irak in seinen heutigen Grenzen, dann muss man auch ganz anders ansetzen, um die Konflikte zu lösen.

Kurze Recherche bei Tante Wiki: Oha!!
Den Irak in seinen heutigen Grenzen gibt es schon seit Jahrhunderten! 1704 gründete der Mamelucke Hasan Pascha eine Dynastie von Paschas, die von Bagdad aus bis 1831 den heutigen Irak beherrschten. Dieses Herrschaftsgebiet wurde unter dem von den Osmanen entsandten Midhat Pascha um 1870 herum in die drei Provinzen Basra, Bagdad und Mossul aufgespalten, womit aber "nur" der (noch?) heute gültigen Aufteilung des Landes in einen kurdischen Norden, eine sunnitische bzw. gemischte Mitte (Bagdad war multiethnisch, mit großen jüdischen und christlichen Bevölkerungsanteilen) und einen schiitischen Süden Rechenschaft getragen wurde.

Wenn die heutigen Islamisten und Sunniten von der ISIS damit drohen, die schiitischen Heiligtümer in Kerbela und Nadschaf zu zerstören, dann treten sie auch da in ganz große historische Fußstapfen: Schon 1802 gelang es einem der Stammväter der heutigen Dynastie Saud, beide Heiligtümer zu zerstören (was von einem sunnitisch (!) - irakischen Historiker und Zeitgenossen heftigst verurteilt wurde!).
Dieser wahhabitische Anführer war Abd el-Aziz ibn Saud. Dessen Vater Muhammad war Emir von Diriyya (heute ein Vorort von Riad) und der hatte sich zusammen mit seinem Sohn vom Gründer des Wahhabismus missionieren lassen und anschließend ein erstes Saud- bzw.Wahhabiten-Reich eroberte.
Noch heute herrschen in Riad die Dynastie Saud und der Wahhabismus, also eine extreme Form des Islam, im Grunde eine Form des Islamismus. Die Einflussnahme des anti-schiitischen Islamismus im Irak ist also auch schon 200 Jahre alt.

Als die Osmanen den Irak im 16.Jh. eroberten, taten sie dies im Kampf mit den Persern. Der Irak wurde danach von Persien zurückerobert und von den Osmanen zurück-zurückerobert und blieb danach osmanisch. Wenn sich heute der Iran im Irak einmischt, hat dies also auch schon eine lange Tradition und der Iran beruft sich möglicherweise nicht nur darauf, die irakischen Schiiten schützen zu müssen, sondern auch auf historische Rechtfertigungen. Davon hab ich zwar noch nichts gehört, das liegt aber eventuell "nur" an den Informationen, die die westlichen Medien publizieren.

Alles in allem haben wir es im Irak also mit Strukturen zu tun, die in den vergangenen 300, vielleicht sogar 400 Jahren gewachsen sind!

Das hat natürlich Einfluss darauf, wie eine Lösung für die heutigen Konflikte in der Region gefunden werden kann. Nämlich SEHR schwer!!

Nur um die Schwere der Problematik mal zu verdeutlichen:

Man überlege sich, in Europa die Strukturen, die hier in den letzten 300 Jahren - also seit Ludwig XIV., Friedrich dem Großen und Maria Theresia - gewachsen sind, zu verändern.

Man überlege sich, das Wirken Napoelons (Zeitgenosse des wahhabitischen Überfalls auf den Irak) rückgängig zu machen.

Man überlege sich, was es bedeutet hätte, die Kriege, die aufgrund dieser Strukturen und Entwicklungen ausgebrochen sind (zuletzt waren das zwei Weltkriege, und noch die Jugoslawienkriege und der aktuelle Konflikt in der Ukraine lassen sich auf diese Strukturen zurückführen), von außen zu verhindern oder zu beenden. (man versetze sich also im Grunde z.B. in die Lage der USA während der Weltkriege oder auch Chinas zur Zeit Napoleons oder Ludwigs XIV.!).

Dann erst wird man in Ansätzen (!) eine Idee davon bekommen, was es bedeutet, von Europa aus oder von den USA aus die Konflikte im Nahen Osten (denn auch der Bürgerkrieg in Syrien hat eine ähnlich lange Vorgeschichte wie der im Irak und andere Konflikte in der Region) zu "bearbeiten". Und - nicht zu vergessen - alles, was im 20.Jh. im Nahen Osten passiert ist und sich entwickelt hat, muss natürlich auch noch in Rechnung gestellt werden.

Wer wohlfeile Ratschläge bereit hat, wie man den Irak (oder Syrien) befrieden könnte, möge sich die historischen (und aktuellen) Hintergründe vor Augen halten! Meines Erachtens ist der Sturz Saddam Husseins und die Demokratisierung des Irak durch die USA eben daran gescheitert, wie auch schon die "Neustrukturierung" des Nahen Ostens durch die Briten und Franzosen zuvor: Dass man eben nicht auf dem Bildschirm hatte, dass man es hier mit jahrhundertealten politischen und gesellschaftlichen Strukturen zu tun hat, die genauso schwer zu verändern und zu beherrschen sind wie die gleichalten Strukturen in Europa, Asien und sonstwo.

So. Punkt. Erst Mal. Wink
Dies alles ist natürlich nur MEINE Sicht der Dinge. Inwieweit liege ich richtig? Inwieweit falsch? Wie könnten Lösungen aussehen?
Einfach raushalten darf sich der Westen nämlich nicht (was angesichts der von mir skizzierten Komplexität der Situation - sofern diese Skizze zutreffend ist - allerdings verführerisch wäre; und Obama hat ja auch erkennbar die Schn... voll von der Region...). Aus humanitären Gründen, aber auch aus politischen Gründen. Wenn sich nämlich die (EU-)Europäer oder die USA nicht einmischen, tun das andere - Russland, China, Saudi-Arabien, Katar, die Türkei... und das könnte gegen die Interessen der USA und/oder der (EU-)Europäer sein...

Ich freue mich auf konstruktive Kritik eurerseits!

VG
Christian
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