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Goldhagen- These
07.06.2014, 14:10
Beitrag: #18
RE: Goldhagen- These
Goldhagens These ist insoweit nur richtig, dass der Holocaust nur mit den am radikalsten Antisemiten, den Nationalsozialisten, möglich war. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten den Staat bzw. schufen neue staatliche (polizeiliche) Strukturen zur Vernichtung der Juden.

Das hat aber nichts mit mittelalterlichen Judenverfolgungen zu tun. Diese wurden nicht von staatlichen Institutionen angeordnet, sondern erfolgten infolge von Aufhetzungen des Mobs (vgl. 1096, 1349). Sehr oft wurden diese Pogrome von den örtlichen weltlichen und/oder kirchlichen Machthabern unterbunden. Der König bzw. der Landesherr war der Schutzherr der Juden und er bemühte sich oft, sie auch zu schützen. Bekannt geworden sind eben die Fälle des Versagens des Königtums, 1096 war Heinrich IV. aufgrund seiner Kämpfe gegen die Kirche, gegen seine Söhne oder gegen andere politische Rivalen so geschwächt, dass er diese Schutzfunktion nicht ausüben konnte. 1349 standen die weltlichen und kirchlichen Machthaber den Auswirkungen der Pest hilflos gegenüber, diese Hilflosigkeit den Ereignissen gegenüber führte zu Pogromen gegen die Juden, die von der Obrigkeit geduldet wurden.

All dies sind keine deutschen Besonderheiten, es hat in England, Frankreich u.a. Ländern ebenfalls Judenverfolgungen gegeben. Oft mussten sie das Land innerhalb kürzester Zeit verlassen, so um 1190 aus England. 1494 initiierten die katholischen Könige Ferdinand und Isabella mit Hilfe des Großinquisators Torquamada die Vertreibung der Juden aus Spanien, 1495/96 folgte die Vertreibung der Juden aus Portugal. Der Chmelnizki-Aufstand von 1649/54, der zur Loslösung der Ukraine von Polen führte, war begleitet von Massakern gegenüber der jüdischen Bevölkerung.

In den 1890er Jahren wurde Frankreich von der Dreyfus-Affäre erschüttert, die ihre Grundlage im Antisemitismus großer Teile des Militärs hatte. In Russland fanden 1905 mehrere Pogrome statt. In Wien sorgten Karl Lueger und Georg von Schönerer für eine antisemitische Stimmung. In Großbritannien konnte zwar ein Mann jüdischer Herkunft wie Disraeli Premier werden, d.h. aber nicht das Großbritannien frei von antisemtischen Vorurteilen war. Als nach den Morden des Serientäters "Jack the Ripper" ein psychisch kranker polnischer Jude verdächtigt wurde, wurde dies der Öffentlichkeit verschwiegen, da man antisemitische Ausschreitungen befürchtete. Im Deutschen Reich gab es in den 1880er Jahren antisemitisch geprägte Karikaturen und Schriften gegen den Bankier Gerson von Bleichröder, wobei diese Angriffe nicht nur Bleichröder galten, sondern auch Bismarck, den man aber nicht zu beschimpfen wagte.

Man kann zur Goldhagens Behauptung sagen, dass seine Fokussierung auf die deutsche Geschichte nicht wissenschaftlich ist. Der Antisemitismus ist ein Teil der Geschichte vieler europäischer Staaten. Ein weiterer Makel Goldhagens ist, dass er nicht den Einfluss von Hitlers ideologischen Vorläufern wie Stewart Houston Chamberlain oder Gobineau hervorhebt.

Ebenfalls ist es nicht richtig, die Staatsform der Diktatur als Voraussetzung für den Holocaust zu sehen. Der dominikanische Diktator Trujillo gewährte Juden Asyl. Juden, die es nach Portugal und Spanien geschafft hatten, brauchten keine Ausweisung nach Deutschland zu befürchten, im faschistischen Italien konnten Juden bis 1939 noch Mitglied des großfaschistischen Rates sein. Der Holocaust war nur möglich, weil es radikalen Antisemiten gelang, eine Diktatur zu schaffen und diese dann für wenige Jahre auf große Teile Europas zu erstrecken. Als entscheidend für die Umsetzung des Holocaust muss man die so genannte Wannensee-Konferenz vom 8. Dezember 1941 bis zum 20. Januar 1942 sehen.

Voraussetzung war aber auch, dass die einheimische Bevölkerung aufgrund ihres Antisemitismus bereit war, mit den nationalsozialistischen Machthabern zusammenarbeiten. Hierzu sei z.B. Frankreich, Polen, die Niederlande oder Ungarn zu nennen. In Ungarn wurde deshalb von deutscher Seite im Oktober 1944 der Wechsel von Horthy auf Szalasi unterstützt, da dessen Pfeilkreuzler ihre deutschen Vorbilder zu übertreffen bemühten. Nicht vergessen sollte man auch, dass bereits am 4. Juli 1946 vom polnischen Mob in Kielce das erste antisemitische Pogrom nach dem Holocaust ausgeführt wurde.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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Goldhagen- These - Regenbogensonne - 05.06.2014, 18:34
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