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"Wunder an der Weichsel " ?
05.09.2012, 16:57
Beitrag: #1
"Wunder an der Weichsel " ?
„Wunder an der Weichsel ? „
360.000 Mann widerstehen 2.5 Mio ?
Sehen wir uns doch einmal die Realität an.

Unreflektiert wird auch heute noch vom „Wunder an der Weichsel“ gesprochen.

Wie hatte denn der Feldzug Pilsudskis gegen Russland real ausgesehen ?
.
Lebensziel des polnischen Führers Pilsudski war die Wiederherstellung eines Groß-Polens wie vor 1792 durch Abtrennung der Ukraine, Weißrusslands und Litauens von Russland und die enge Verbindung mit Polen, wobei Pilsudski ihnen vielleicht eine nominelle Unabhängigkeit gelassen hätte.
Eine Wiederherstellung der vollen polnischen Souveränität über urpolnische Gebiete nach 120 Jahren., wie es in Polen romantisch hieß., der Gedanke einer Union , besser noch eines einheitlichen Landes „zwischen den Meeren“ Ostsee und Schwarzes Meer die Triebfeder. .

Da aber in Russland der gegen die Rote Armee kämpfende Denikin die Restauration des kaiserlichen Russlands anstrebte, war eine Zusammenarbeit Pilsudskis mit Deniken nicht möglich.

Ende 1919 bot die Sowjetunion Polen einen endgültigen Friedensschluss an, unter Beibehaltung der damaligen, aktuellen Linien des polnischen und des russischen Heeres.

Pilsudski fragte in London und Paris an: Würde England und Frankreich Polen helfen, Frieden zu schließen ? Würde England und Frankreich Polen helfen, Krieg gegen Russland zu führen ?

Die Antwort Englands und Frankreichs war unklar. Die Alliierten würde Polen nicht abraten, Frieden zu schließen , sie würden ihrerseits keine diplomatischen Beziehungen zur UdSSR anknüpfen, sie würden Polen nicht raten, die UdSSR anzugreifen, falls aber die UdSSR Polen innerhalb seiner „rechtmäßigen Grenzen“ angriffe, würden sie Polen helfen.

All das und die aggressiven Forderungen Pilsudski waren der UdSSR nicht verborgen geblieben. Angesichts der wachsenden sowjetischen Truppenkonzentration zum Schutz des Landes vor einem polnischen Angriff beschloss Pilsudski loszuschlagen und die polnische Offensive begann Ende April 1920.

Am 8. Mai 1920 wurde Kiew genommen, Anfang Juni führte die Rote Armee einen Gegenangriff durch und zwang die Polen, binnen 1 Woche Kiew zu räumen.

In den kommenden 2 Monaten trieb die Rote Armee die polnische Armee vor sich her und der Untergang Polens schien nur eine Frage der Zeit. Und damit natürlich auch der Zusammenbruch des Friedens von Paris/ St. German en Laye (und vielleicht, später auch der Umsturz der kapitalistischen Gesellschaft in Deutschland und Europa)
.
Mitte August schlug Pilsudski vor Warschau zurück, die Rote Armee musste sich in etwa wieder auf die Linie vor Beginn des Konfliktes zurückziehen.

Angesichts der Hungersnot im Innern und der Notwendigkeit der UdSSR sich mit Wrangel , dem letzten Kriegführenden Weißen in Russland auseinander zu setzen, war die UdSSR kompromissbereit. Pilsudski selber hielt einen weiteren polnischen Vormarsch nach Osten an, „weil es der Nation an moralischer Stärke fehle“

Auf Anraten Frankreichs und Englands wurde darum der Friede von Riga geschlossen.

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Wie kam es zur sowjetischen Niederlage und ist diese Niederlage als Wunder an der Weichsel zu bezeichnen ?

Der Begriff selber wurde durch ein frommes Sejm-Mitglied benutzt, war dann sofort in aller Munde und wurde in Polen als ein Beispiel dafür angesehen, wie Gott persönlich seine schützende Hand über Polen hält.

Nüchterner betrachtet war die sowjetische Niederlage vor allem eine Folge unzureichender Ausrüstung ( Polen hatte seinerseits aus England erhebliche Militärhilfen bekommen, um sie im Bedarfsfall, auch als Bollwerk gegen das, was als die kommunistische Bedrohung Europas von Frankreich und England dargestellt wurde, einzusetzen ) , sowie der mangelhaften Nachschubwege der Russen.

Russland hatte im Krieg gegen Polen nach der Räumung Kievs ca. 360.000 Mann aufgestellt, von denen an der entscheidenden Schlacht vor Warschau lediglich 50.000 Mann teilnahmen, obwohl im Oktober die Rote Armee eine Gesamtstärke von über 5 Mio Mann hatte.

Außerdem waren die beiden Linien, auf denen die Rote Armee in Polen eingerückt war, zu weit voneinander entfernt, als daß es eine gegenseitige Hilfe geben konnten., die Südarmee arbeitete strategisch nicht mit der auf Warschau marschierenden Nordarmee zusammen.

Ferner erwies sich der Gedanke, die Revolution auf den Bajonetten zu exportieren, als trügerisch, die Revolution blieb in Polen aus.

Der Sieg Pilsudskis vor Warschau war das Ergebnis stategischer Fehler der Russen, er erfocht ihn mit militärischer Unterstützung der Engländer, gegen einen in etwa gleichstarken Gegner wärend der entscheidenden Schlacht, aber bei überlegener Ausrüstung...
Von einem Wunder an der Weichsel kann also nicht die Rede sein.

Als der französiche General Weygand, einer der früheren Berater Pilsudskis in militärischen Fragen, in der offiziellen Siegesfeier in Warschau teilnahm, wurde er von Pilsudski öffentlich „vorgeführt“ weil Weygand kein polnisch konnte und er, Pilsudski, die Glückwünsche zum Sieg in seiner Sprache wünschte, geboren aus nationalem Hochmut.
.
Diese, für Polen wohl eher nebensächliche Sache, sorgte in Frankreich für helle Empörung und beeinflusste sicherlich in nicht geringem Maße die öffentliche Meinung Frankreichs über dieses Land an der Weichsel und der späteren Frage, ob man für Danzig sterben soll. .
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"Wunder an der Weichsel " ? - krasnaja - 05.09.2012 16:57

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