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Handelsrouten und Handelsorte des Mittelalters:
31.08.2015, 12:15
Beitrag: #47
RE: Handelsrouten und Handelsorte des Mittelalters:
Da bisher niemand auf meine Anfrage geantwortet hat hier mein Beitrag zu Karlheinz Blaschke

K. Blaschke hat sich mit den Nikolaikirchen bereits 1965 beschäftigt und 1967 eine erste Veröffentlichung - allerdings an schwer zugänglicher Stelle -getätigt :
Nikolaipatrozinium und städtische Frühgeschichte,
Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonische Abteilung, 84. Band, 1967, S. 273 -337

Die Tatsache, dass eine große Zahl von Nikolaikirchen außerhalb der Stadtmauer zu finden sind, wertet Blaschke diesen Umstand als Entstehung vorstädtischer Kaufmannssiedlungen (vorstädtisch im zeitlichen Sinn), welche sich genossenschaftlich (Gilde) organisierten und in den Nikolaikirchen ihren Niederschlag fanden. Blaschke geht damit in der Stadtentwicklung in die Zeit, von der meist keine schriftlichen Nachrichten vorliegen. Auch wertet er mittelalterliche Stadtpläne als "Urkunden" für die stufenweise sich entwickelnden Städte anhand der noch heute existierenden Flurnamen und ihrer Grundstücksbelastung je nach Steuerart falls die Steuerverzeichnisse soweit zurück reichen.
Für Blaschke ergibt sich folgende sich häufig wiederkehrende Situation bei der Entwicklung der Städte aus dem Fernhandel östlich der Saale:
1. Existenz einer Fernhandelsverbindung
2. Entstehung einer Händlersiedlung häufig an einem Flussübergang und Bau einer Nikolauskapelle oder -kirche und Entstehung eines Marktes königsfreier Kaufleute
3. Entstehung einer Burg nahe der Händlersiedlung
4. Entstehung einer Burgmannensiedlung unterhalb der Burg
5. Gründung einer Stadt mit Neuanlage des Marktes, neuer Kirche, Umzug der Händlersiedlung in den Stadtbereich mit Aufgabe der Nikolaikirche als Organisationszentrum, Verbleib des "alten Marktes"(meist) innerhalb der Stadtmauer - allerdings mit geringerer Bedeutung

"Wenn in Hunderten von Einzelfällen in Mittel-, Nord- und Osteuropa am Flußübergang einer Fernstraße eine Nikolaikirche anzutreffen ist, dann kann es sich dabei nicht um einen bloßen Zufall handeln, es muß dahinter vielmehr ein System stehen. Die stets wiederholte analoge topographische Lage läßt den Schluß auf eine funktionale Gleichartigkeit zu, die sich aus der Bedeutung des Patroziniums in seiner Festlegung auf den Stand der Fernhändler ergibt. Nikolaikirchen in dieser topographischen Situation können als Kaufmannskirchen, d.h. als Gemeindekirchen für Kaufmanns-siedlungen angesehen werden.
Ihre Zeitstellung wird absolut durch einige wenige urkundliche Quellen ermöglicht, ihre Einordnung in eine relative Chronologie der städtischen Patrozinien zeigt eine Festlegung auf die Zeit vor der Entstehung der Rechtsstadt, so daß diese Kirchen in die vor- und frühstädtischen Abschnitte der Stadtentstehung gehören. da sich die Stadtentwicklung in Europa vom Westen nach Osten und Norden fortbewegt hat, liegt dieser Abschnitt im Westen früher als in den anderen Teilen Europas. Die vorhandenen urkundlichen Quellen sprechen für einen Beginn am Anfang des 12. Jh.
Da die Fernhändler des 12. Jh. königsfreie Leute waren und die Fernstraßen als ihr Wirkungs- und Lebensraum unter Königsrecht standen, fielen die Kaufmannssiedlungen nicht unter die Botmäßigkeit der örtlichen Inhaber feudaler Herrschaft, sondern organisierten sich als Fahrmänner-Gemeinschaften. Auch im Zustand der Seßhaftigkeit bildeten sie Gemeinden auf genossenschaft-licher Grundlage in bewußtem Abstand zur herrschaftlichen Gewalt, d.h. in topographischer Hinsicht zur Burg.
Besonders zu beachten ist die Aufreihung der Nikolaikirchen an den großen Fernstraßen des hohen Mittelalters oft in lückenloser Folge. Das Nikolauspatrozinium schafft somit einen funktionalen Zusammenhang über beträchtliche Entfernungen hinweg und zeigt die Weite des Raumes an, in dem der Fernhändler des 12. Jh. sich bewegt hat. die Ostseeküstenstraße von Flensburg bis Reval, die via regia von Bautzen über Breslau bis Krakau, die Straße von Leipzig über Frankfurt/oder nach Königsberg und jene von Nürnberg über Leipzig nach Berlin deuten die Dimensionen an, mit denen zu rechnen ist; an ihnen reihen sich die Nikolaikirchen wie Perlen an einer Schnur auf..."(aus unten stehendem Werk zitiert S. 360)
Eine Zusammenfassung der Schriften von K. Blaschke sind erschienen in
Stadtgrundriss und Stadtentwicklung
Forschungen zur Entstehung mitteleuropäischer Städte - Ausgewählte Aufsätze von Karlheinz Blaschke, Hrg. Peter Johanek, 1997, Böhlau Verlag Köln, (z.Z. vergriffen)
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RE: Handelsrouten und Handelsorte des Mittelalters: - Rainer - 31.08.2015 12:15

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