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Portugal – Ein Land am Rande Europas
25.08.2012, 16:04
Beitrag: #40
RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas
Die Peripherie als Zufluchtsort und Exodus

„Lisboa: prachtvolles Theater der Emigration“ (Schlör, 37). So beginnt Schlör seine Ausführungen zu Lissabon als Tor zur Welt. Auf der einen Seite liegt Afrika, auf der anderen, im Westen, Amerika: ein idealer Platz den Kontinent zu verlassen. Die Seefahrer und Entdecker waren auf der Suche nach Reichtum und neuem Land (vgl. Kap. 3.2. und 3.3.). Zur Zeit des Nationalsozialismus jedoch entzogen sich hier viele Menschen den Fängen der Gestapo, entweder um zu bleiben oder um weiterzureisen.

Fast 100000 Emigranten flohen aus dem Machtbereich der Nationalsozialisten über Frankreich und Spanien nach Portugal beziehungsweise Lissabon. Darunter auch namhafte Intellektuelle wie Heinrich Mann.
Nach dem Aufenthalt in Frankreich, das teilweise besetzt war, und Spanien, das durch den Bürgerkrieg ebenfalls keinen sicheren Aufenthaltsort bot, war Portugal das erste Land, indem sich die Flüchtlinge sicher fühlten. Das Land war nicht durch Kriege gezeichnet und fast nichts erinnerte an Verwüstungen oder Kriegsalltag, wie zum Beispiel Sperrstunden (vgl. von zur Mühlen, 115). Dies führte unweigerlich dazu, dass viele Emigranten Portugal durchweg positiv beurteilten. Die Diktatur Salazars (vgl. Kap. 3.8.) wurde wenig beachtet. Von manchen Emigranten wurde er sogar gegen Angriffe in Schutz genommen (vgl. von zur Mühlen, 115). Ein Grund dafür mag sein, dass sich Salazar anders als die anderen europäischen Diktatoren präsentierte. Portugal war weder stark militärisch geprägt noch gab es Personenkult oder Aufmärsche (vgl. von zur Mühlen, 116). Die schlimmere Gefahr wurde von den Flüchtenden also verständlicherweise jenseits der Grenzen des kleinen Staates gesehen.
Trotz dieser erträglichen Innenpolitik flohen die meisten Emigranten zunächst ins näher gelegene Ausland (Niederlande oder Frankreich). Erst als das faschistische Deutschland in diesen Staaten einmarschierte, rückte das kleine, weit entfernte Land am Atlantik in den Blickpunkt der Auswanderer (vgl. von zur Mühlen, 121). Zunächst emigrierten mehrheitlich jüdische Bürger aus den besetzen Gebieten und Deutschland nach Portugal. Obwohl sich die jüdischen Flüchtlinge sehr gut in den Arbeitsmarkt integrieren konnten und Portugals Wirtschaft wuchs (vgl. Kap. 3.8.), stellten sich mit der zunehmenden Anzahl soziale Probleme ein. Die Flüchtenden wurden von den jüdischen Gemeinden in Lissabon, Faro, Porto und Braganza unterstützt (vgl. von zur Mühlen, 124f.).
Viele Emigranten zogen nach der Ankunft in Portugal weiter in Portugals damalige Kolonien. Außerdem reisten zahlreiche Emigranten in die USA oder nach Südamerika aus. Hier zeigt sich, dass Portugal zu dieser Zeit durchaus ein Tor zur Welt war (vgl. von zur Mühlen, 155).
Der spanische Bürgerkrieg unterbrach in den folgenden Jahren den regen Flüchtlingsstrom, der sich aber bald wieder einstellte und Portugal vor innenpolitische Probleme stellte. Im Jahr 1938 wurden einige Emigranten abgewiesen und mussten zurückkehren. Anders als in anderen Länder, die Flüchtlinge aufnahmen, gab es in Portugal zwar keinen Antisemitismus, da in Portugal seit dem siebzehnten Jahrhundert kaum noch Juden lebten (vgl. Kap. 4.1.), dennoch hatte auch die portugiesische Bevölkerung Angst vor Überfremdung (vgl. von zur Mühlen, 128f.).
Portugals Rolle im Zweiten Weltkrieg war neutral geprägt und die Politik versuchte erfolgreich, sich aus allen Konflikten herauszuhalten (vgl. von zur Mühlen, 130f.).
Dennoch rettete die Regierung alle portugiesischen Juden, die sich im Deutschen Reich aufhielten, und trat später noch als Vermittler bei anderen Nationen auf.

Schlörs Ausspruch, Lissabon sei ein prachtvolles Theater der Emigration, scheint durchaus angebracht. Die Emigranten in ihrer kulturellen Vielfalt und Verschiedenheit müssen manchen der einheimischen Portugiesen teilweise wie Schauspieler in einem Theater oder vielleicht auch wie Figuren in einer Tragödie vorgekommen sein.

Der vernetzte Mensch von heute gerät in Gefahr,
die globalisierte Welt als eine Ansammlung von Zitaten zu erleben.

Doug Mack
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RE: Portugal – Ein Land am Rande Europas - Viriathus - 25.08.2012 16:04

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