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Einfluss von Kindheit und Jugend auf die Persönlichkeitsbildung
21.12.2012, 11:12
Beitrag: #15
RE: Einfluss von Kindheit und Jugend auf die Persönlichkeitsbildung
(10.12.2012 23:34)Titus Feuerfuchs schrieb:  
(10.12.2012 22:14)Bunbury schrieb:  [...]Was aber vermutlich keine Frage der Intelligenz ist, ist die Art und Weise zu denken. Nimmt man alles , oder hitnerfragt man kritisch? Schließt man sich aus Bequemlichkeit der vergegebenen Meinung an oder bildet man sich ein eigenes Urteil?[...]

Im Gegenteil, das ist ein Hauptmerkmal von Intelligenz.

Vgl. dazu auch Kants Definition der Aufklärung.

Das ist ein wichtiger Aspekt für diesen Thread:

"Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar liebgewonnen und ist vorderhand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalesten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit herauszuwickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun."

Aus: Immanuel Kant: Beantwortung der Frage "Was ist Aufklärung" (Kernaussagen fett markiert).

Anders ausgedrückt: Die Erziehung zu einem obrigkeitshörigen Menschen ist ein wichtiger Schritt, um unterwürfige und unkritische Personen zu schaffen, also solche, die ein Regime braucht. Dazu gehören mehr oder weniger auch die "Satzungen und Formeln", also das Auswendiglernen, besonders aber die Propaganda.
Heutzutage gibt es das in aktualisierter Form in der Werbung. Wer zu faul ist, seinen Verstand zu benutzen, und zu feige, um sich von dem antrainierten Konsumverhalten abzuwenden, gerät in die besagte Unmündigkeit und unter die Diktatur der Wirtschaft. Das ist jetzt etwas pathetisch formuliert, aber nicht völlig aus dem Wind gegriffen.

Die Frage sowohl bei der wirtschaftlichen als auch bei der politischen Unmündigkeit ist die, in wie weit das selbstverschuldet ist. Kants Definition von Aufklärung ist, dass diese der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit sei. "Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen." Und das liege, wie bereits zitiert, an Faulheit und Feigheit.
Nun, und ist diese selbstverschuldet, sind die Menschen freiwillig unterwürfig. Ich würde das nicht so sehen: Die Faulheit ist dem Menschen angeboren (Steinzeitverhalten: nächste Mahlzeit ungewiss --> Energie sparen); die Feigheit wiederum wird im antrainiert, von Kindesbeinen an. Politische oder wirtschaftliche Mächte versuchen, sich seiner zu "bemächtigen". Hier setzen Diktaturen und Machthungrige den Hebel an, sie nehmen subtil Einfluss auf seine Denkweise. Formeln und Instuktionen sind da sicher eine der Möglichkeiten.
Es ist also nicht schwer, obrigkeitshörige Menschen zu erzeugen.

Um wieder auf den geschichtlichen Aspekt zurückzukommen: Mir fällt da als ein bemerkenswerter Sonderfall die römische Republik ein. Die Oberschicht war intelligent genug, um nicht ein Regime zu errichten, wie es schon schnell wieder gestürzt hätte werden können, wenn Menschen mit Denken anfangen und sich nach Freiheit sehnen. Nein, die Römer, Patrizier wie Plebejer lernten, dass sie in Freiheit lebten, eine Menge Rechte hatten, der Staat eine gemeinsame Sache (res publica) sei. Darüber bemerkten sie erst sehr spät, dass sie in Wirklichkeit gar keine Macht hatten; dass dieser anerzogene Begriff von Freiheit auch eine Art Diktatur war. Das hat dann wieder mit Kants Definition von Revolution etc. zu tun, doch das führt zu weit vom Thema weg.
Ich werde mir in den Weihnachtsferien auch noch einmal die römische Kindheit und Erziehung anschauen.

VG
Der Maxdorfer

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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RE: Einfluss von Kindheit und Jugend auf die Persönlichkeitsbildung - Maxdorfer - 21.12.2012 11:12

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