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Fundleere Schichten, Krisengründe
23.06.2012, 12:19
Beitrag: #21
RE: Fundleere Schichten, Krisengründe
Heute morgen habe ich mich an den Bevölkerungsrückgang in Italien gesetzt, bildlich gesagt. Eigentlich wollt ich nur ein paar Argumente finden, aber nun ist ein längerer Text draus geworden.

Zuerst einmal muss man sagen, dass man über die Bevölkerung Italiens aus den Zensuslisten nicht viel erfahren kann. Deren umfang ändert sich in kürzester Zeit gewaltig, sodass zu vermuten ist, dass sich die Aufnahmekriterien oder die Art der Zusammenstellung änderten. Trotzdem stimmen alle Quellen darin überein, dass Italien ab dem Ende der Republik in der Zeit der römischen Revolution demographisch enorm schrumpfte. Man sucht nach Belegen und Beweisen dafür, aber man ist sich nicht sicher, wie die Fakten zu interpretieren sind. Doch die Gesetzgebung liefert deutliche Hinweise: Caesar verbot, als er Diktator war, allen römischen Bürgern zwischen 20 und 60 Jahren, Italien länger als drei Jahre am Stück zu verlassen (die einzige Ausnahme bildet Sizilien, weil dort riesige Landgüter der Senatoren lagen). Immer wieder wurden Kolonisten in Städten angesiedelt, und nach einigen Jahren war das erneut möglich, weil die Siedler wieder abgewandert waren. So erging es unter anderem den Ortschaften Tarent und Antium. Ein weiterer Gesichtspunkt sind die alimenta – Institute des Kaisers Trajan (98 – 117), die armen Bauern Kredite mit sehr niedrigen Zinsen anboten. Die moderne Forschung ist der Ansicht, diese Hilfsmaßnahmen seien als Förderung des Kinderkriegens anzusehen, die einem Bevölkerungswachstum dienen sollten.
Auch die Archäologie zeigt in gewissen Maßen eine zunehmende Entvölkerung der italienschen Halbinsel. Um nur ein Beispiel zu nennen: Nachdem der ager cosianus, ein Stück land im südlichen Etrurien, unter den flavischen Kaisern (69 – 98) eine Phase intensivster Bewirtschaftung erfuhr, ging es mit der Gegend im zweiten nachchristlichen Jahrhundert stark bergab. Die Produktion landwirtschaftlicher Güter ging zurück, Höfe und Villen wurden aufgegeben. Der Rückgang der Todesfälle lässt auf einen Rückgang der Bevölkerung schließen. Der Archäologe P. Arthur verzeichnet in einem seiner Schriften zu den Funden im südlichen Latium für das 1. Jahrhundert nach Christus 138 Fundstellen von Keramik, für das zweite und dritte Jahrhundert insgesamt 80. Im vierten Jahrhundert sind es nur noch 27 und für die Zeit zwischen 400 und 500 sind nur noch fünf Keramikfunde verzeichnet.
Die beschriebene Entwicklung lag möglicherweise an den großen Villen der stadtrömischen Elite, die mit ihren riesigen Domänen und Unmengen von Sklaven bald eine monopolartige Stellung in der Landwirtschaft erlangten. Die Kolonie Lucus Feroniae zum Beispiel geriet nachvollziehbar immer stärker unter den Einfluss der Villa der Volusii Saturnini. Aber nicht nur die Existenz großer Villen oder das verlockende Rom waren Grund für den Niedergang der ländlichen Gegenden Italiens. Auch einige Kriegszüge verwüsteten die Gebiete, besonders in der römischen Revolution und dann wieder ab der Zeit der Soldatenkaiser.
Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche (Ätna, Vesuv etc.), Überschwemmungen und Erdbeben konnten Gegenden in Schutt und Asche legen. Veränderungen des Klimas konnten aus nicht so guten Äckern unbrauchbare Äcker machen. Das Räuberunwesen florierte zwischenzeitlich ebenfalls, und der aufständische Sklave Spartakus musste sein riesiges Sklavenheer durch Plünderung versorgen. Wenn durch einen dieser Gründe ein Landstrich Zerstörungen erlitt, dann wirkte das staatlich subventionierte und vom Kaiser immer mehr unterstützte Rom umso verlockender. Auch dann war ein deutlicher Bevölkerungsrückgang die Folge. Und schließlich ist in der zunehmenden Modernisierung Roms ein Grund für die Verschlechterung der Bedingungen – nicht nur in Italien. Noch in Grönland sind für die Zeit von Kaiser Hadrian (117 – 138) Spuren einer globalen Klimaerwärmung nachweisbar. Der Grund liegt in den unheimlichen Ausmaßen der Metallindustrie, die große Mengen (Holz) Kohle benötigte. Um etwas Holzkohle zu produzieren, mussten aber so enorme Mengen Wald gerodet werden, dass sich das in diesem Maße nicht wieder nachpflanzen ließ. Auch die intensive Bodennutzung sorgte für die Verschlechterung der Äcker, Überbewirtschaftung führte zu Erosion. Heute aktuelle Probleme waren auch schon im römischen Italien Mitverursacher einer Krise der Landwirtschaft zugunsten großer Betriebe.
Die Bewohner der Gegenden wanderten in ihrer Existenznot vermutlich nach Rom ab, wo sie das besitzlose Proletariat bildeten, dass sich entweder als Handwerker bzw. Arbeiter eine kleine Existenz aufbaute oder aber dies nicht schaffte und in die Sklaverei gehen musste. Die arbeitsfähige Aktivbevölkerung wanderte ab, während die Passivbevölkerung einen immer höheren prozentualen Anteil der Bewohner ausmachte. Dies waren Menschen, die zum Reisen unfähig waren und deshalb geblieben waren. Doch auch zum Arbeiten waren diese Menschen unfähig. Es waren werdende oder junge Mütter, Waisen und Witwen und alte Menschen. Wer arbeitsfähig war und nicht nach Rom ging, konnte sich nicht halten und geriet in starke Abhängigkeit der großen Domänenbesitzer.
Und schließlich muss man noch die Seuchen erwähnen wie diejenige, die von Mark Aurels Soldaten aus dem Norden eingeschleppt wurde, und der dieser Kaiser auch zum Opfer fiel. Es gibt einige Theorien, die die Gesamtbevölkerung Italiens und ihr Auf und Ab erklärt. Auf diese will ich nicht weiter eingehen, denn das würde vom Thema weg führen. Denn die Stadt Rom erlebte in der Kaiserzeit im Gegensatz zu den ländlichen Gegenden einen enormen Bevölkerungszuwachs, aus Gründen, die schon erwähnt wurden.

Deshalb möchte ich nur noch die Gründe für den Bevölkerungsrückgang in den ländlichen Gegenden zusammenfassen:
1) Naturkatastrophen, Plünderungen, Verwüstungen durch Kriegszüge
2) Der Einfluss der großen Sklavenvillen
3) klimatische Veränderungen
4) das verlockende Rom
5) Umweltverschmutzung und Bodenabnutzung
Interessant sind auch die heutigen Bezüge
1) Die Umweltverschmutzung durch Waldrodung kennen auch wir aus den tropischen Gegenden, aber auch in unseren Breitengraden.
2) Die Bodenerosion ist ebenfalls ein Thema, mit dem wir heute zu kämpfen haben.
3) Die Verdrängung kleiner Betriebe zugunsten großer Höfe mit Unfreien (heute Maschinen, damals Sklaven) hat sich nach dem Untergang des römischen Reiches im zwanzigsten Jahrhundert wiederholt.
4) Die Verstädterung, die in den Wirren der Völkerwanderung und des Mittelalters teilweise rückgängig gemacht wurde, begann in der frühen Neuzeit erneut und ist bis heute noch nicht abgeschlossen.
An diesen Punkten sieht man besonders die unheimliche Modernität Roms, der meist unterschätzte Entwicklungsstand und im Kontrast dazu der Rückfall Europas im Mittelalter.

Soweit meine Ausführungen.

Die veranschaulichenden Beispiele wurden übernommen aus: Michael Tarpin: Italien, Sizilien und Sardinien. In: Claude Lepelley (Hg.): Rom und das Reich. Die Regionen des Reiches. S. 1 – 78.
besonders das Kapitel 1.1.5.2 (Gab es eine Bevölkerungskrise?), S. 33 ff.

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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RE: Fundleere Schichten, Krisengründe - Maxdorfer - 23.06.2012 12:19
Angeln , Sachsen und Jüten . - Luki - 26.06.2012, 19:43

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