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Zu Tode gespart? - Presseschau - Druckversion

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Zu Tode gespart? - Presseschau - Suebe - 12.03.2018 17:07

Spiegel online zu den Zusammenhängen zwischen Steuererhöhungen, Senkung der Staatsausgaben und dem Wählerrechtsruck

http://www.spiegel.de/wirtschaft/handelskrieg-und-populismus-in-italien-zurueck-in-die-dreissigerjahre-kolumne-a-1197182.html

aus dem link

Zitat:Das beeindruckende Ergebnis: Den größten Zulauf bekamen die Nazis gar nicht dort, wo es als Folge von Finanzcrash und Rezession per se etwa besonders viele Arbeitslose gab. Die wählten damals vor allem die Kommunisten. Die Stimmenzuwächse gab es vor allem dort, wo besonders brachial Austerität durchgezogen wurde, die Steuern besonders deutlich angehoben und Ausgaben etwa für Rente oder Gesundheit gekürzt worden waren. Das betraf oft Leute aus der Mittelschicht - kommt uns bekannt vor, oder?

aber so brandneue Erkenntnisse können das eigentlich auch nicht sein.
Zumindest meine Mutter (Jahrgang 1903) hat die Wahlerfolge Hitlers und die schließliche "Machtergreifung" immer damit begründet.
Originalton: "Als dann noch den Beamten die Gehälter gekürzt wurden, ist überhaupt nichts mehr gelaufen"


RE: Zu Tode gespart? - Presseschau - Sansavoir - 12.03.2018 19:09

Einer meiner Urgroßväter, er lebte von 1869 bis 1939, war bis 1918 königlich-sächsischer Beamter. Lt. Erzählungen meiner Oma hatte er Pensionsmarken gesammelt. Dies war eine Begünstigung für Beamte.
Diese Pensionsmarken waren nach der Inflation bzw. nach der Währungsreform von 1923 wertlos.
Mein Urgroßvater war 54 Jahre alt und verarmte. Erst nach 1933 ging es ihm finanziell etwas besser.

Ich denke, dass die Sparpolitik in der Weimarer Republik die Beamten und staatlichen Angestellten in die Arme Hitlers trieb. Nicht aus ideologischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Viele ehemalige Beamte fühlten sich deklassiert und hofften, ihren ehemaligen Status aus der Zeit Wilhelms II. zurückzuerlangen. Vom Wahlverhalten wechselten dieser Bevölkerungsteil von den bürgerlichen Parteien DDP/DSP oder DVP zur NSDAP - einige wohl auch zur DNVP. Nur das Zentrum konnte seiner Wähler binden.


RE: Zu Tode gespart? - Presseschau - Suebe - 12.03.2018 20:39

Genau so war es.

Mein erster Klassenlehrer am Gymie, promoviert, hat einfach keine Stelle bekommen.
Da hat er zwei Jahre in einer Fabrik als Trikotweber gearbeitet. Und war froh überhaupt Arbeit und insbesondere Lohn zu haben.
Der Hitler kam und ruckizucki war er verbeamtet.
Und das war kein Einzelfall!
Dass so zumindest latente Nazis entstanden, darf keinen wundern.

Der berühmte Amtsrichter Dodel, Gerbersohn, (die Gerber waren vermutlich die wohlhabendsten Handwerker) sein Frau stammte aus einer gut situierten Wirtsfamilie.
Man hat geerbt, in Staatspapieren angelegt, 1913 ging man vorzeitig in Pension, zog nach Ulm, damit der einzige Sohn nicht zu große Umstände beim Besuch des Gymnasiums hatte.
Krieg und Kriegsanleihen haben das Vermögen schon gehörig gerupft. Die Inflation ihm den Rest gegeben.
Nur noch mit größter Mühe konnte das Medizinstudium des einzigen! Sohnes finanziert werden.

Mir ist nicht bekannt, wie Dodel darauf reagierte.

Aber die (im Innenverhältnis) völlige Entschuldung des Staates auf Kosten seiner Bürger ist schon eine gewaltige Sauerei und Dummheit.
Anno 33 kam dann die Quittung.

OT: Hätte sich das woanders auch so abspielen können?
Oder ist der deutsche Michel besonders "blöd"?


RE: Zu Tode gespart? - Presseschau - Titus Feuerfuchs - 13.03.2018 22:12

(12.03.2018 19:09)Sansavoir schrieb:  [...]

Ich denke, dass die Sparpolitik in der Weimarer Republik die Beamten und staatlichen Angestellten in die Arme Hitlers trieb. Nicht aus ideologischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen. Viele ehemalige Beamte fühlten sich deklassiert und hofften, ihren ehemaligen Status aus der Zeit Wilhelms II. zurückzuerlangen. Vom Wahlverhalten wechselten dieser Bevölkerungsteil von den bürgerlichen Parteien DDP/DSP oder DVP zur NSDAP - einige wohl auch zur DNVP. Nur das Zentrum konnte seiner Wähler binden.


Die Faktenlage stützt deine Ansicht aber nicht. Denn in der Zeit Brünings Austeritätspolitik war der Zulauf zu den Nazis sehr endenwollend. Der setzte erst nach der Weltwirschaftkrise im großen Stil ein, als die Hyperinflation schon einige Jahre Geschichte war.