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Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Druckversion

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Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Viriathus - 08.06.2012 00:09

Die Zahlen sind erschreckend. Innerhalb Europas sind 5,5 Millionen junge Leute zwischen 14 und 25 arbeitslos. Rechnet man jene hinzu, die aktuell nicht als arbeitssuchend geführt werden noch deutlich mehr. 22,6 % aller Jugendlichen sind das. Eine extrem heftige Zahl. Einzig Deutschland, die Niederlande und Österreich sind davon weniger direkt betroffen. Indirekt natürlich schon. Vermeintliche Musterländer wie Finnland haben dagegen auch Probleme. Von Spanien, Griechenland und Italien gar nicht zu reden.
Trotzdem scheint das niemanden wirklich zu interessieren. In den Medien tauscht zwar immer wieder mal was dazu auf, aber ein echtes Thema ist das nicht. Dabei ist Arbeitslosigkeit doch eigentlich ein Thema das alle beschäftigt und betrifft. Ein Artikel der Zeit (Link s. unten) fragt sich warum dies so ist. Eventuell weil wir durch diese Krise größere Zahlen gewohnt sind? Millionen, Millarden...

Aber was bedeutet eine derartige Perspektivlosigkeit für Europas Jugend? Man muss bedenken, dass die Alterspyramide keineswegs dazu führt, dass diese Generation weniger Lasten zu schultern hat. Gesellschaftlich (z.B. Pflege), wie auch finanziell (Rente, Schuldentilgung etc.). Wie aber soll das geleistet werden, wenn Jobs fehlen. Die Frage ist doch ganz allgemein: Wo ist da etwas schief gelaufen? Viele der Arbeitslosen sind gut ausgebildet, teilweise studiert. In Österreich gibt es ein Programm, das jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zugesteht, notfalls auf Staatskosten. Sicherlich ein Modell, aber was passiert, wenn auch ausgebildete Jugendliche keinen Job finden?

Aber auch, was bedeutet das für unser Zusammenleben international? Es ist zu erwarten, und passiert schon, dass Menschen in anderen Ländern Arbeit suchen. Das mag positive Effekte haben, aber nicht vergessen sollte man, dass da Potenzial, Steuergeld und vieles mehr aus den Ländern ohne Perspektive abgezogen wird. Im Grund das wertvollste, der Nachwuchs, wird entzogen. Und wird in den Zuwanderungsländern dann die Konkurrenz größer?
Aber auch in Deutschland: Unzählige hangeln sich von befristeter Stelle zu befristeter Stelle. Manchmal muss jährlich verlängert werden. Sicherheit für Familienplanung? Existiert kaum.

Es wird schon ersichtlich, die Krise verschärft das Problem nur, existiert hat es schon vorher.
Kann Europa diese Entwicklung überleben? Liegt hier nicht vielleicht die Gefahr der Krise, dass ein solches Problem unterschätzt, nicht genug beachtet wird?


Einiges Aspekte aufgegriffen aus diesem Artikel:
http://www.zeit.de/2012/23/Analyse-Jugend/seite-1


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Maxdorfer - 08.06.2012 07:35

Keine Ahnung, warum das keinen interessiert. Ist dramatisch genug.

Überleben kann Europa das auf jeden Fall. Die Frage ist, in welchem Zustand und zu welchem Preis.

Dass die Unbeachtetheit dieses Problems (teilweise) an der Krise liegt, erscheint mir plausibel.


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Renegat - 12.06.2012 23:56

(08.06.2012 00:09)Viriathus schrieb:  Die Frage ist doch ganz allgemein: Wo ist da etwas schief gelaufen?
Da ist vieles schiefgelaufen.
Um die Diskussion anzuregen, möchte ich erstmal nur meine Gedanken aufzählen:
1. schiefe Generationenfolge, die Babyboomerjahrgänge der bis Mitte der 60er Geborenen befinden sich überwiegend noch in der Erwerbsphase und besetzen mit ihren erworbenen Besitzständen die "guten" ordentlich bezahlten und abgesicherten Arbeitsplätze. Deren Kinder gehören zur von Arbeitslosigkeit betroffenen Generation, die daher noch relativ größer ist als die folgenden Jahrgänge.
2. Arbeitsmarkt hat sich in den letzten 10 Jahren stark verändert und verdichtet, iW zu Lasten der jüngeren Generation, deren Lebensaufbau durch die extremen Anforderungen erschwert wird. Wer einen Job hat, arbeitet bis zum Umfallen, weil er sich durch die Konkurrenz gezwungen sieht. Die Arbeit ist ungleich und ungerecht verteilt.
3. Konfliktpotential durch Chancenungleichheit bei Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt.
4. BWL-Denke geht vor VWL-Aspekten, eigentlich könnte durch die Technisierung die tägliche Arbeitsleistung des Einzelnen gesenkt werden, da viele körperlich schwere oder geistig monotone Tätigkeiten computergestützt von Maschinen übernommen wurden. Der Markt hat aber dazu geführt, dass weiter Vollzeit gearbeitet wird, aber immer weniger vollzeitangestellte Menschen beschäftigt werden, weil Menschen ein höheres unternehmerisches Risiko bedeuten als Maschinen und EDV-Systeme.


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Bunbury - 13.06.2012 08:24

(12.06.2012 23:56)Renegat schrieb:  4. BWL-Denke geht vor VWL-Aspekten, eigentlich könnte durch die Technisierung die tägliche Arbeitsleistung des Einzelnen gesenkt werden, da viele körperlich schwere oder geistig monotone Tätigkeiten computergestützt von Maschinen übernommen wurden. Der Markt hat aber dazu geführt, dass weiter Vollzeit gearbeitet wird, aber immer weniger vollzeitangestellte Menschen beschäftigt werden, weil Menschen ein höheres unternehmerisches Risiko bedeuten als Maschinen und EDV-Systeme.

Gerade bei dem letzten Satz sollte man einfach mal einen kurzen Moment innehalten und darüber nachdenken.
Er ist richtig, aus unternehmerischer Sicht. Der Mensch ist das größte unternehmerische Risiko.
Und das dürfte die eingangs gestellte Frage beantworten. Warum immer mehr Jugendliche arbeitslos sind. Aber noch viel mehr, warum es keinen mehr interessiert...


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - dieter - 13.06.2012 09:44

(13.06.2012 08:24)Bunbury schrieb:  
(12.06.2012 23:56)Renegat schrieb:  4. BWL-Denke geht vor VWL-Aspekten, eigentlich könnte durch die Technisierung die tägliche Arbeitsleistung des Einzelnen gesenkt werden, da viele körperlich schwere oder geistig monotone Tätigkeiten computergestützt von Maschinen übernommen wurden. Der Markt hat aber dazu geführt, dass weiter Vollzeit gearbeitet wird, aber immer weniger vollzeitangestellte Menschen beschäftigt werden, weil Menschen ein höheres unternehmerisches Risiko bedeuten als Maschinen und EDV-Systeme.
Gerade bei dem letzten Satz sollte man einfach mal einen kurzen Moment innehalten und darüber nachdenken.
Er ist richtig, aus unternehmerischer Sicht. Der Mensch ist das größte unternehmerische Risiko.
Und das dürfte die eingangs gestellte Frage beantworten. Warum immer mehr Jugendliche arbeitslos sind. Aber noch viel mehr, warum es keinen mehr interessiert...
Natürlich lieber Bunbury,
muß das jeden interessieren. Gott sei Dank war ich nie in meinem Leben arbeitslos und unser 38jähriger Sohn auch nicht. Aber ohne Menschen kann keine Wirtschaft funktionieren. Es ist eine Unverschämtheit, wie heute mit jungen Menschen umgegangen wird, die trotz guter Ausbildung keinen Arbeitsplatz finden. Es geht nicht an , dass über 20% der Hauptschüler noch keinen Hauptschulabschluß haben.Angry Unser Bildungssystem hat versagt, es müßte zentralisiert und ein Zentralabitur eingeführt werden und nicht in 16 Bundesländern 16 verschiedne Schulpolitik. Es geht nicht an, Vater wird versetzt und Sohn bleibt sitzen.Rolleyes


Es gibt keine gesamte Statistik der Jugendarbeitslosigkeit Europas - Gotthelf - 13.06.2012 10:05

.

Es gibt keine gesamte Statistik der Jugendarbeitslosigkeit Europas, auch nicht aller 52 europäischen Staaten. Es gibt keine solchen Zahlen, wie du sie aufführst. Man darf aber auch ohne Zahlen nicht sagen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Europa 'erschreckend' sei; das ist sie in afrikanischen Staaten.

Als 'Jugendlicher' wird gemäß der Definition der Vereinten Nationen bezeichnet, wer mindestens 15 und höchstens 24 Jahre alt ist. Für die Frage, wer arbeitslos ist, wird im folgenden die Standarddefinition des International Labour Office (ILO) verwendet.

Arbeitslosigkeit in 15 von 52 Staaten Europas:
http://de.wikipedia.org/wiki/Jugendarbeitslosigkeit#Jugendarbeitslosigkeit_im_internationalen_Vergleich

Österreich im Jahr 2000: 3,2%

.


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Renegat - 13.06.2012 12:57

(13.06.2012 08:24)Bunbury schrieb:  
(12.06.2012 23:56)Renegat schrieb:  4. BWL-Denke geht vor VWL-Aspekten, eigentlich könnte durch die Technisierung die tägliche Arbeitsleistung des Einzelnen gesenkt werden, da viele körperlich schwere oder geistig monotone Tätigkeiten computergestützt von Maschinen übernommen wurden. Der Markt hat aber dazu geführt, dass weiter Vollzeit gearbeitet wird, aber immer weniger vollzeitangestellte Menschen beschäftigt werden, weil Menschen ein höheres unternehmerisches Risiko bedeuten als Maschinen und EDV-Systeme.

Gerade bei dem letzten Satz sollte man einfach mal einen kurzen Moment innehalten und darüber nachdenken.
Er ist richtig, aus unternehmerischer Sicht. Der Mensch ist das größte unternehmerische Risiko.
Ok, diskutieren wir Punkt 4 zuerst. Aus unternehmerischer Sicht (BWL-Denke) ist der Mensch ein Produktionsfaktor wie eine Maschine oder eine neue Software. Wenn man, mit den gleichen Kosten, mehr an seiner Arbeitskraft gewinnen kann, macht das der gewinnstrebende Unternehmer und das mindestens seit der frühen Industriealisierung, auch schon vorher aber das wäre ein anderes, geschichtliches Thema. Ganz so einfach ist es zwar nicht, denn die Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters ist eine verlorene Investition bei einem hire-and-fire-Arbeitsmarkt. Die auf Arbeitnehmerseite entwickelten Gegengewichte, die während der Phase der sozialen Marktwirtschaft politisch gefördert wurden, wie betriebliche Mitbestimmung, Betriebsräte, Gewerkschaften sind in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen.

(13.06.2012 08:24)Bunbury schrieb:  Und das dürfte die eingangs gestellte Frage beantworten. Warum immer mehr Jugendliche arbeitslos sind. Aber noch viel mehr, warum es keinen mehr interessiert...
Dass es keinen mehr interessiert, liegt u.a. daran, dass BWL-Denke auf den Egoismus des Einzelnen setzt und glaubt, wenn jeder alles dafür tut, dass es ihm gut geht, geht es auch der gesamten Volkswirtschaft gut. In großen, unübersichtlichen Volkswirtschaften ist das aber ein Trugschluß, da die wirtschaftlichen Machtverhältnisse ungleich sind und Arbeitnehmer ihre Rechte meist nur in Solidarität durchsetzen können, es sei denn, sie verfügen über gesuchtes Fachwissen.


RE: Es gibt keine gesamte Statistik der Jugendarbeitslosigkeit Europas - Renegat - 13.06.2012 14:35

(13.06.2012 10:05)Gotthelf schrieb:  .

Es gibt keine gesamte Statistik der Jugendarbeitslosigkeit Europas, auch nicht aller 52 europäischen Staaten. Es gibt keine solchen Zahlen, wie du sie aufführst. Man darf aber auch ohne Zahlen nicht sagen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Europa 'erschreckend' sei; das ist sie in afrikanischen Staaten.

Als 'Jugendlicher' wird gemäß der Definition der Vereinten Nationen bezeichnet, wer mindestens 15 und höchstens 24 Jahre alt ist. Für die Frage, wer arbeitslos ist, wird im folgenden die Standarddefinition des International Labour Office (ILO) verwendet.

Arbeitslosigkeit in 15 von 52 Staaten Europas:
http://de.wikipedia.org/wiki/Jugendarbeitslosigkeit#Jugendarbeitslosigkeit_im_internationalen_Vergleich

Österreich im Jahr 2000: 3,2%

.

Mit Statistik ist der Sache nicht richtig beizukommen, obwohl ich sonst ordentlich belegte Zahlen schätze.
Dazu müßten die Arbeitslosenzahlen in allen europäischen Ländern nach den gleichen objektiven Kriterien ermittelt werden und wir wissen ja aus D, dass diese durch diverse Maßnahmen politisch geschönt werden.
Mir geht es bei diesem Thema auch nicht um reine Arbeitslosigkeit sondern um die Diskrepanz von Lebensperspektiven beim Vergleich der heute ca. unter 35-jährigen mit den Älteren, als diese in diesem, für den Lebensaufbau wichtigen Alter waren.
Da gibt es schon subjektiv eklatante Unterschiede, über die man diskutieren könnte.


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Annatar - 14.06.2012 20:51

(13.06.2012 12:57)Renegat schrieb:  Dass es keinen mehr interessiert, liegt u.a. daran, dass BWL-Denke auf den Egoismus des Einzelnen setzt und glaubt, wenn jeder alles dafür tut, dass es ihm gut geht, geht es auch der gesamten Volkswirtschaft gut.
Adam Smith lässt grüßen. Angry
(13.06.2012 12:57)Renegat schrieb:  In großen, unübersichtlichen Volkswirtschaften ist das aber ein Trugschluß, da die wirtschaftlichen Machtverhältnisse ungleich sind und Arbeitnehmer ihre Rechte meist nur in Solidarität durchsetzen können, es sei denn, sie verfügen über gesuchtes Fachwissen.
Stimmt.


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Bunbury - 15.06.2012 09:32

(13.06.2012 12:57)Renegat schrieb:  Ok, diskutieren wir Punkt 4 zuerst. Aus unternehmerischer Sicht (BWL-Denke) ist der Mensch ein Produktionsfaktor wie eine Maschine oder eine neue Software. Wenn man, mit den gleichen Kosten, mehr an seiner Arbeitskraft gewinnen kann, macht das der gewinnstrebende Unternehmer und das mindestens seit der frühen Industriealisierung, auch schon vorher aber das wäre ein anderes, geschichtliches Thema. Ganz so einfach ist es zwar nicht, denn die Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters ist eine verlorene Investition bei einem hire-and-fire-Arbeitsmarkt. Die auf Arbeitnehmerseite entwickelten Gegengewichte, die während der Phase der sozialen Marktwirtschaft politisch gefördert wurden, wie betriebliche Mitbestimmung, Betriebsräte, Gewerkschaften sind in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen.

Die sind nicht aus der Mode gekommen, sondern wurden regelrecht zerschossen. Ich habe damals nicht recht verstanden, was z.B. die Gewerkschaften gegen Flexibilisierung der Arbeitszeiten hatten. Als BWLer war das doch toll, wenn es Gleitzeit und dergleichen gab.
Aber Maßnahmen wie diese stören natürlich die Solidarität. Wenn in einer Abteilung das Büro von 7.00 bis 18.00 besetzt sein muss, bedeutet das eigentlich automatisch, daß die einzelnen Mitarbeiter sich untereinander absprechen müssen. Das ist für den einzelnen zwar idealer, schafft aber Konflikte innerhalb des Teams, die sich vorher allgemein gegen den Arbeitgeber gerichtet habe.

Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist die ultimative Waffe der Arbeitgeber im Kampf gegen die Solidarität der Arbeitnehmer.

(13.06.2012 12:57)Renegat schrieb:  Dass es keinen mehr interessiert, liegt u.a. daran, dass BWL-Denke auf den Egoismus des Einzelnen setzt und glaubt, wenn jeder alles dafür tut, dass es ihm gut geht, geht es auch der gesamten Volkswirtschaft gut. In großen, unübersichtlichen Volkswirtschaften ist das aber ein Trugschluß, da die wirtschaftlichen Machtverhältnisse ungleich sind und Arbeitnehmer ihre Rechte meist nur in Solidarität durchsetzen können, es sei denn, sie verfügen über gesuchtes Fachwissen.

Nicht nur das- es gibt in jeder Volkswirtschaft eben auch Menschen, die aus dem einen oder anderen Grund eben nicht im Stande sind, alleine und selbstständig für sich selbst zu sorgen bzw solche, die nicht nur für sich selbst zu sorgen haben.
Das ist vielleicht auch ein Grund für die steigende Jugendarbeitslosigkeit. Arbeitnehmer, die Familie haben, sind leichter erpressbar als junge Menschen, die nur für sich selbst verantwortlich sind und eventuell die Möglichkeit haben, mit weniger und Hilfe ihrer Eltern durchzukommen...

Und dem stehen in einer globalisierten Welt häufig Arbeitgeber gegenüber, denen so Dinge wie sozialer Frieden, langfristige Gesunderhaltung der Bevölkerung und dergleichen völlig egal ist. Wenn sich an einem Standort eben die Bedingungen verschlechtern- dann macht man eben zu und geht wo anders hin, wo es besser ist.


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Renegat - 15.06.2012 10:44

(15.06.2012 09:32)Bunbury schrieb:  
(13.06.2012 12:57)Renegat schrieb:  Ok, diskutieren wir Punkt 4 zuerst. Aus unternehmerischer Sicht (BWL-Denke) ist der Mensch ein Produktionsfaktor wie eine Maschine oder eine neue Software. Wenn man, mit den gleichen Kosten, mehr an seiner Arbeitskraft gewinnen kann, macht das der gewinnstrebende Unternehmer und das mindestens seit der frühen Industriealisierung, auch schon vorher aber das wäre ein anderes, geschichtliches Thema. Ganz so einfach ist es zwar nicht, denn die Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters ist eine verlorene Investition bei einem hire-and-fire-Arbeitsmarkt. Die auf Arbeitnehmerseite entwickelten Gegengewichte, die während der Phase der sozialen Marktwirtschaft politisch gefördert wurden, wie betriebliche Mitbestimmung, Betriebsräte, Gewerkschaften sind in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen.

Die sind nicht aus der Mode gekommen, sondern wurden regelrecht zerschossen. Ich habe damals nicht recht verstanden, was z.B. die Gewerkschaften gegen Flexibilisierung der Arbeitszeiten hatten. Als BWLer war das doch toll, wenn es Gleitzeit und dergleichen gab.
Aber Maßnahmen wie diese stören natürlich die Solidarität. Wenn in einer Abteilung das Büro von 7.00 bis 18.00 besetzt sein muss, bedeutet das eigentlich automatisch, daß die einzelnen Mitarbeiter sich untereinander absprechen müssen. Das ist für den einzelnen zwar idealer, schafft aber Konflikte innerhalb des Teams, die sich vorher allgemein gegen den Arbeitgeber gerichtet habe.

Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist die ultimative Waffe der Arbeitgeber im Kampf gegen die Solidarität der Arbeitnehmer.
Es ist das alte Prinzip "Divide et impera" (teile und herrsche).
Flexibilisierung ist auch so ein Schlagwort, das verbrämt, um was es eigentlich geht. Der Unternehmer hat das betriebswirtschaftliche Ziel, möglichst viel Output aus dem einzelnen Mitarbeiter zu bekommen und zwar mit möglichst kleinem Risiko. Wenn er seine Ziele ordentlich kalkuliert, geht das am besten mit Vertrauensarbeitszeit, auch so ein schönes Wort.
Damit kann er das Risiko der Leistungsunterschiede der einzelnen Mitarbeiter auf diese übertragen. Den Hauptprofit streicht aber der Unternehmer ein, die Mitarbeiter erhalten Anreizpeanuts und beuten sich dafür selber aus. Dafür sind die jüngeren Arbeitnehmer idR empfänglicher, weil sie 1. wegen ihrer Lebensphase müssen und 2. können, eben weil sie jünger und leistungsfähiger sind.



(13.06.2012 12:57)Renegat schrieb:  Dass es keinen mehr interessiert, liegt u.a. daran, dass BWL-Denke auf den Egoismus des Einzelnen setzt und glaubt, wenn jeder alles dafür tut, dass es ihm gut geht, geht es auch der gesamten Volkswirtschaft gut. In großen, unübersichtlichen Volkswirtschaften ist das aber ein Trugschluß, da die wirtschaftlichen Machtverhältnisse ungleich sind und Arbeitnehmer ihre Rechte meist nur in Solidarität durchsetzen können, es sei denn, sie verfügen über gesuchtes Fachwissen.

(15.06.2012 09:32)Bunbury schrieb:  Nicht nur das- es gibt in jeder Volkswirtschaft eben auch Menschen, die aus dem einen oder anderen Grund eben nicht im Stande sind, alleine und selbstständig für sich selbst zu sorgen bzw solche, die nicht nur für sich selbst zu sorgen haben.
Das ist vielleicht auch ein Grund für die steigende Jugendarbeitslosigkeit. Arbeitnehmer, die Familie haben, sind leichter erpressbar als junge Menschen, die nur für sich selbst verantwortlich sind und eventuell die Möglichkeit haben, mit weniger und Hilfe ihrer Eltern durchzukommen...

Und dem stehen in einer globalisierten Welt häufig Arbeitgeber gegenüber, denen so Dinge wie sozialer Frieden, langfristige Gesunderhaltung der Bevölkerung und dergleichen völlig egal ist. Wenn sich an einem Standort eben die Bedingungen verschlechtern- dann macht man eben zu und geht wo anders hin, wo es besser ist.
Ja und da das alle wissen und es ständig durch sämtliche Medien verbreitet wird, wird zusätzlich zur Unsicherheit gegenüber der inneren Konkurrenz noch die Angst vor den globalen Gefahren geschürt. Dabei "kocht man überall nur mit Wasser", alle Menschen überall auf der Welt brauchen Arbeitsmöglichkeiten und ein gewisses Mehreinkommen über den reinen Lebensunterhalt hinaus, sonst können sie nämlich die vielen Güter nicht nachfragen.
Und um zum Thema Jugendarbeitslosigkeit zurückzufinden, die jüngere Generation hat den höheren Güterbedarf, da sie sich in der Aufbauphase befindet aber meist das niedrigere Einkommen, wenn sie überhaupt einen (befristeten) Arbeitsplatz hat.


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Viriathus - 15.06.2012 11:10

(15.06.2012 09:32)Bunbury schrieb:  Aber Maßnahmen wie diese stören natürlich die Solidarität. Wenn in einer Abteilung das Büro von 7.00 bis 18.00 besetzt sein muss, bedeutet das eigentlich automatisch, daß die einzelnen Mitarbeiter sich untereinander absprechen müssen. Das ist für den einzelnen zwar idealer, schafft aber Konflikte innerhalb des Teams, die sich vorher allgemein gegen den Arbeitgeber gerichtet habe.
Ein krasses Phänomen habe ich selbst in diesem Zusammenhang selbst erlebt: Gleitzeit gab es dort ab sechs Uhr morgens. Erst ab neun machte es aber Sinn das Büro überhaupt zu besetzen. Was tat der findige, faule Chef? Er kam täglich um sechs, vertrödelte drei Stunden und ging um drei nachmittags nach Hause. Vollen 8-Stunden-Arbeitstag gehabt. Die Kollegen durften dann den ganzen Nachmittagsbetrieb alleine managen.


Die verlorene Generation - Luki - 21.09.2012 18:53

.
Servus .

Das ist ein Thema mit Sprengkraft .

Es dreht sich mir der Magen um wenn ich in den Medien demonstrierende
Jugendliche sehe oder gar schon Resignierende .

Da wird eine ganze Generation um ihre Zukunft beschissen .

Jugendarbeitslosigkeit in unterschiedlichen Prozentpunkten gab es
in den Euroländern schon vor 2008.
Z.B.: die 1000,- € Akademiker in Italien , die mit 30. Jahren noch zuhause lebten .
Da sie sich mit ihren schlecht dotierten Zeitverträgen keine der teuren kleinen
Wohnungen leisten konnten .

Als sich die Staaten 2008/9 eklatant verschuldeten um die systemrelevanten Banken
zu retten , die 2010/11 munter so weitermachten fiel dem internationalen Kapital
spontan ein daß jetzt die Staaten , auch zum Teil wegen ihrer Machenschaften ,
zu hoch verschuldet seien .
Um ja nicht die Souveränitäten der Mitgliedsstaaten anzutasten sah man zu
wie in Irland und Spanien der Bauboom das Brutonationlprodukt raufhob .
Heute stehen die Bauruinen unverkäuflich in der Landschaft herum .
Und wieder mußten die Baukreditgeber ( Systembanken ) um zig Milliarden
vom Staat gestützt werden .
Dadurch taten sich neue Staatsschulden in bisher unbekanntem Ausmaß auf .

Als Allheilmittel dagegen bot sich ein rigoroser Sparzwang an .

Das schon vorher in manchen südlichen EU Ländern die Staatsverwaltung
etwas eigenartig war , z.B.: Italien ( Eu-Gelder wurden mittels maffiöser Strukturen
in Luft aufgelöst ) .
Oder Griechenland , ohne Bestechung bekam man nicht einmal ein Spitalbett oder die ruinöse Klientelpolitik der großen Parteien .
Das Alles kam , in der Verschuldungskrise verstärkt zum Tragen .
Aber so eingeschleifte , sozialferne Angewohnheiten lassen sich nicht von Heute
auf Morgen ändern .
Noch dazu wo die besser Ausgebildeten fluchtartig die Länder verlassen .
Gerade Jene , die man gerade am Nötigsten zur Umgestaltung der Gesellschaften
brauchen würde .

Aber warum es gerade die Jugend so trifft ?
Meine Gedanken dazu im nächsten Beitrag .

luki


Jugendarbeitslosigkeit - Luki - 21.09.2012 20:38

Servus .

Österreich hatte immer einen relativ geringen Akademikeranteil
an der arbeitenden Bevölkerung .
Seit wir EU-Mitglied sind wurden wir desshalb immer gerügt , als wären
wir ein Entwicklungsland und ein Volk von berufsfernen Arbeitslosen .
Andererseits werden wir jedes Jahr , von einer anderen EU-Abteilung ,
gelobt , wegen unseres Dualen Ausbildungssystems und unserer ,
in den letzten Jahren , niedriegsten Arbeitslosen -und Jugendarbeitslosikeitsquote
( EU weit ) .

In der Eu gibt es eine gesetzliche Berufsausbildung ( Berufsschule und Lehre )
nur in Deutschland und Österreich .
Bei Holland bin ich mir nicht sicher, es gibt sie aber so ähnlich .
Überall anderswo , nitschewo .

In der Zwischenkriegszeit mußte man dem Lehrherr ( Meister )
noch Geld für die Ausbildung bezahlen .
Von der rechtlosen Situation des Lehrlings mal abgesehen .

Nach dem Krieg bildeten die großen Betriebe und Firmen , europaweit ,
sich ihren Arbeitskräftenachwuchs selbst aus ( stark verallgemeinert ) .

Als sich mit den großen international tätigen Konzernen die Gewinnmaximierung
( Shareholder value ) durchsetzte und nicht mehr als sehr anrüchig gehalten wurde ,
entdeckten kluge Wirtschaftsleute daß ja die Ausbildung anfänglich
ein Kostenfaktor sei und man daher darauf verzichten könne .
Es kommt doch billiger ausgebildete Fachkräfte von anderen Firmen abzuwerben .

Dann verglichen die bestens vollkommen falsch ausgebildeten Wirtschaftsweisen
noch die europäischen Stundenlöhne mit den ostasiatischen , die noch dazu
mit keinerlei Sozialabgaben belastet sind .
Das mag vielleicht bei billigem Plastikspielzeug Gültigkeit haben .
Aber nicht bei komplexen technischen Apperaten .

Denn da zählen nicht die Stundenlöhne , sondern die Lohnstückkosten ,
beziehungsweise der Preis und die Anwendbarkeit des Produktes .
( Handys , Computer u. Fernseher ausgenommen , aber da stiegen die Erzeuger
mangels guter Ideen , eigener guter Mitarbeiter freiwillig aus ).

Also beschlossen die Wirtschaftsweisen daß der Standort Europa wegen
der hohen Löhne als Produktionsstandort nicht mehr konkurenzfähig sei .
Und daher in einen Dienstleisterkontinent umgewandelt werden müßte .

Faßt wäre es ihnen gelungen .
Und obwohl in einigen Branchen Ingenieure oder ausgebildete Fachkräfte
mit dem selben Wissen und Können händeringend gesucht werden haben
viele Studierende ein Fach aus der angekündigten Dienstleistungsbranche
gewählt .
Und da auch die Dienstleister schrumpfen ( Banken kündigen eine Verkleinerung
des Mitarbeiterstandes bis zu 50% an ) fallen auch dort viele Stellen weg und
zugleich zerplatzen eine Menge abgeschlossener Studien wie Seifenblasen .

Auch sagt ein hoher Akademikeranteil nichts über die Leistungsgesellschaft aus .

Ein HTL-Maturant ist bei uns zwar kei EU.-Ingenieur aber erst 18/19. Jahre alt
und bringt schon die Praxis von 6. Monaten in mehreren Firmen mit und muß
daher nicht erst langwierig in die neue Firmenstruktur eingearbeitet werden .
Er erfüllt die selben Anforderungen die auch an einen 24. jährigen Spanier
mit UNIversitätsabschluß gestellt werden .
Der zwar ein Akademiker ist aber noch keine Praxis vorweisen kann und
gegen dem HTL Abgänger schon 4/5 Arbeitsjahre verloren hatt .

Obwohl wir uns noch an den relativ günstigen Arbeitsmarktdaten sonnen
gibt es manches zu verbessern .

Ersten schon die Schulausbildung , wird bei Euch ähnlich sein .
Fragt mal die Jugendlichen aus Eurem Bekanntenkreis um das Ergebniss kleiner Kopfrechnungen .
Oder stellt ihnen eine kleine Dreisatzaufgabe .
Ihr werdet überascht sein , wie Wenige sofort das Ergebniss wissen .
In den Schulen wird viel Wissen vermittelt aber ob es auch richtig gelehrt wird ?
Logisches Denken und Schlußfolgern wird leider nicht vermittelt .
Erschreckend mit wiewenig Wissen oder logischen Fähigkeiten so Mancher
von der Schule abgeht und dann endtäuscht ist daß er sogar für eine Lehre
zu unqualifiziert ist .
Wo doch bei Rab ( oder unzähligen Andere ) sucht den Superstar ,
man nur etwas hüpfen und grölen muß um Geld und Anerkennung zu erlangen .

Meiner Meinung kann man da nur mit einer Ganztagsschule gegensteuern .
Aber es dauert immer Alles so lange bis man etwas ändert .

Bei uns im Kremstal gibt es mehrere Kunststoff und Metallfirmen .
Klein und Mittelbetriebe aber keine HTL .
Diese wünschten sich aber eine für ihren Nachwuchs .

Regierungsseitig sah man das nicht ein , um eine Neue zu gründen .
Da die Firmen untereinander mittels Kluster einen guten Kontakt
hatten , beschlossen Sie selbst etwas auf die Beine zu stellen .
Sie suchten sich eine HTL aus der Landeshauptstadt aus ,
die LITEC unter deren Lehrplan
die KTLA Kremstaler technische Lehranstalt , österreichweit einzigartig , läuft .
Finanziert von den Mitgliedsfirmen .
In den dreieinhalb Jahren Ausbildung sind die Lehrlinge wöchenlich
zwei Tage in der Firma als Lehrlinge tätig .
Drei Tage in der KTLA als HTL Schüler und nur unterbrochen von 35. Wochen Berufsschule ( Internat ) , aufgeteilt auf die dreieinhalb Jahre .
Nach ihrem Abschluß haben sie den Facharbeiterabschluß ( Gesellenbrief )
sowie eine HTL Matura ( Abitur ) die sie auch zum Studium qualifiziert
( UNI oder Fachhochschule ) .

[Bild: 355171_m0msw380h285q80v55334_xio-fcmsima...1298050331]
Denise Weidinger (l.) und Lisa Zeller lernen Werkzeugbauer
und machen zusätzlich die HTL Bild: Werk

http://www.nachrichten.at/ratgeber/beruf_bildung/art121,557471

Mittlerweile gibt es auch für andere Lehrlinge das System Lehre mit Matura .
Da aber die Maturagegenstände in einer Schule in den Zentren
von Freitag mittags bis Abends und den ganzen Samstag ,
in der Freizeit erfolgt , ist es für Lehrlinge am Land und
von kleineren Firmen faßt unmöglich daran bis zum Ende teilzunehmen .
Da müßte noch eine Verbesserung erfolgen .

Das Alles sind europaweit nur Tropfen auf den heißen Stein .

Ich wollte mit diesen Beispielen nur aufzeigen daß nicht immer nur die EU
oder die Regierungen , nach langem Abwägen , etwas beschließen muß .

Ausbildung und Unterstützung geht uns Alle etwas an .
Wir Alle müßen wieder etwas sozialer Denken und fühlen .
Es muß sich nicht Alles sofort rechnen und der Gewinn in Euros messbar sein .

Eine Jugend die das Gefühl hat das ihre Zukunft auch uns Älteren wichtig ist
und daß wir ihre Ängste verstehen aber auch ihre Zukunftswünsche unterstützen
wird auch optimistischer sein .
Wir müßen es ihnen ermöglichen und vorzeigen daß Lernen auch Spaß machen kann .
Aber wir sollten ihnen aber auch zeigen daß man nicht für Alles
einen Taschenrechner braucht .

Wir sollten auch unseren Politikern begreiflich machen daß Sparen
bei den Ausgaben zwar akzeptabel ist .
Aber nur nicht bei der Ausbildung unserer Kinder ( schon ab dem Kindergarten ) .
Denn jeder Euro der in die Ausbildung unseres Nachwuchses investiert wird
kommt vielfach vermehrt von Ihnen wieder an die Gesellschaft zurück .

luki


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - WDPG - 09.04.2014 23:01

Eigentlich traurig, der Tread ist ca. 2 Jahre alt, die damals angesprochene Lage ist jedoch so mein Eindruck nicht besser, eher sogar schlechter geworden.

Frage an das Forum: Was könnte die Politik Europas tun um die Lage der Jugend in Europa (in dieser Hinsicht) zu verbessern?


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Marek1964 - 09.04.2014 23:17

Hat mit der globalen Konkurrenzfähigkeit zu tun. Wird schwierig. Aber ich war im letzten Jahr an einer Konferenz der Schweizerischen Handelskammer hier im Prag, und die Zahlen waren in einer Hinsicht eindrücklich: Die Staaten, die ein Lehrlingssystem haben, haben eine wesentlich tiefere Jugendarbeitslosigkeit als die ohne.

Man muss die Jungen an harte Arbeit, fleissiges Lernen, und Wettbewerbsfähigkeit heranführen.


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Renegat - 10.04.2014 09:26

(09.04.2014 23:17)Marek1964 schrieb:  Hat mit der globalen Konkurrenzfähigkeit zu tun. Wir schwierig. Aber ich war im letzten Jahr an einer Konferenz der Schweizerischen Handelskammer hier im Prag, und die Zahlen waren in einer Hinsicht eindrücklich: Die Staaten, die ein Lehrlingssystem haben, haben eine wesentlich tiefere Jugendarbeitslosigkeit als die ohne.
Die duale Ausbildung ist sicher ein positiver Punkt, funktioniert aber nur, wenn es Firmen gibt, die ausbilden.



(09.04.2014 23:17)Marek1964 schrieb:  Man muss die Jungen an harte Arbeit, fleissiges Lernen, und Wettbewerbsfähigkeit heranführen.
Und du meinst, fast die Hälfte der jüngeren Menschen in z.B. Spanien ist nicht an hartes Arbeiten gewöhnt und lernt nicht fleißig genug?

OT:Vom Anfang dieses Themas im Jahr 2012 erinnere ich mich an eine gute Diskussion und interessante Beiträge. Warum liest man von den damals noch aktiven Usern kaum noch was? Annatar, Viriathus, Bunbury, Luki habt ihr aufgegeben?


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Bunbury - 10.04.2014 09:29

(09.04.2014 23:17)Marek1964 schrieb:  Hat mit der globalen Konkurrenzfähigkeit zu tun. Wir schwierig. Aber ich war im letzten Jahr an einer Konferenz der Schweizerischen Handelskammer hier im Prag, und die Zahlen waren in einer Hinsicht eindrücklich: Die Staaten, die ein Lehrlingssystem haben, haben eine wesentlich tiefere Jugendarbeitslosigkeit als die ohne.

Man muss die Jungen an harte Arbeit, fleissiges Lernen, und Wettbewerbsfähigkeit heranführen.

Da rollen sich mir schon wieder die Fußnägel hoch....Wink

Es muss doch irgendwann mal Schluss damit sein, alles nur auf mangelnde Leistungsberetischaft der Jugendlichen zurückzuführen.

Es handelt sich hier letztendlich um strukturelle Probleme in der modernen Arbeitswelt. Immer mehr Arbeitsprozesse werden durch Computer und Roboter ersetzt, bei denen es reicht, wenn man weiß, wie man sie zum Laufen bringt. Dafür braucht man keine teure Ausbildung, nur eine Einweisung. So eine Arbeit wird nicht gut entlohnt.
Auf der anderen Seite braucht man natürlich Leute, die Computer und Roboter wieder zum Laufen bringen, wenn sie mal nicht so funktionieren. Die werden gut bezahlt und müssen sehr gut ausgebildet sein.
von welcher Sorte Arbeiter braucht man letztendlich mehr?
Ist zwar jetzt sehr grob vereinfacht, aber letztendlich läuft es darauf hinaus.
Es ist nicht im Interesse der großen Konzerne, viele gut ausgebildete junge Menschen zu haben. Es ist nicht nur so, daß Ausbildung geld kostet, sondern die ausgebildeten wollen auch mehr Geld haben als ungelernte.

Was natürlich zunehmend wegfällt bei immer kurzlebigeren Produktlebenszyklen ist die Reparaturfähigkeit von Produkten. Viele Geräte enthalten einen eingebauten Verschleiß- man soll keinen Mixer mehr 25 Jahre haben, sondern nach 5 Jahren bitte einen neuen kaufen, der irgendwo in einem Niedriglohnland günstig zusammengeschraubt wird. Wozu braucht es also noch Leute, die so etwas reparieren können?

Man braucht hier keine Schuster und Schneider mehr- das Zeug kommt irgendwo anders her- und was brauchen Leute, die Pakete auspacken schon für eine Ausbildung?

Und in den reicheren Ländern wird Jugendlichen nun mal vermittelt, daß man, um sich al die schönen Dinge leisten zu können, die es so gibt, eben viel Geld verdienen muss. Das verdient man aber nicht in jedem Ausbildungsberuf...

Beispiel Pflege. In Deutschland fehlen Pfleger. Nur- wer ist schon so bescheuert, einen Beruf zu lernen, der es einem später nicht mal ermöglicht eine Familie zu ernähren und in dem man unmöglich bis 63 durchhalten kann?

Das alles will natürlich keiner hören. Da ist es einfacher zu sagen, die Jugendlichen wollen nicht.
Aber- wo bleibt ihre Perspektive?
Wofür sollen sie sich denn anstrengen?


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Marek1964 - 10.04.2014 20:00

(10.04.2014 09:26)Renegat schrieb:  
(09.04.2014 23:17)Marek1964 schrieb:  Man muss die Jungen an harte Arbeit, fleissiges Lernen, und Wettbewerbsfähigkeit heranführen.

Und du meinst, fast die Hälfte der jüngeren Menschen in z.B. Spanien ist nicht an hartes Arbeiten gewöhnt und lernt nicht fleißig genug?

Habe ich so nicht behauptet - nur - wenn Wettbewerbsfähigkeit fehlt, ist man auch für die beiden anderen Tugenden schwer zu gewinnen. Will man fleissig lernen wenn man weiss, dass eh kein Job zu kriegen ist? Und hart arbeiten kann man auch nicht, wenn man keinen Job hat.

(10.04.2014 09:26)Renegat schrieb:  Die duale Ausbildung ist sicher ein positiver Punkt, funktioniert aber nur, wenn es Firmen gibt, die ausbilden.

Und ein Staat, der das sinnvoll unterstützt und Kosten mitträgt, und Schulen und Firmen zusammenarbeiten. Womit wir in gewisser Weise am Anfang dieses Threads uns wiederfinden.


RE: Warum interessiert niemanden die extreme Jugendarbeitslosigkeit in Europa? - Marek1964 - 10.04.2014 20:40

(10.04.2014 09:29)Bunbury schrieb:  
(09.04.2014 23:17)Marek1964 schrieb:  Hat mit der globalen Konkurrenzfähigkeit zu tun. Wir schwierig. Aber ich war im letzten Jahr an einer Konferenz der Schweizerischen Handelskammer hier im Prag, und die Zahlen waren in einer Hinsicht eindrücklich: Die Staaten, die ein Lehrlingssystem haben, haben eine wesentlich tiefere Jugendarbeitslosigkeit als die ohne.

Man muss die Jungen an harte Arbeit, fleissiges Lernen, und Wettbewerbsfähigkeit heranführen.

Da rollen sich mir schon wieder die Fußnägel hoch....Wink

Es muss doch irgendwann mal Schluss damit sein, alles nur auf mangelnde Leistungsberetischaft der Jugendlichen zurückzuführen.

Ich kritisierte nicht die Leistungsbereitschaft, allenfalls die Leistungsfähigkeit (wobei auch das eine voreilige Interpretation Deinerseits wäre) - und das ist sowohl das Bildungssystem wie auch das Firmenumfeld und die Rahmenbedingungen verantwortlich.

(10.04.2014 09:29)Bunbury schrieb:  Das alles will natürlich keiner hören. Da ist es einfacher zu sagen, die Jugendlichen wollen nicht.
Ist Deine linkspopulistische Interpretation meiner Forderung. Meine Forderung, nüchtern interpretiert, nimmt eher den Staat und die Firmen in die Pflicht, dann vielleicht noch die Elterngeneration und allenfalls zu guter letzt auch die Jugend selbst. Die Jungen sind so gut, wie wir sie machen.

(10.04.2014 09:29)Bunbury schrieb:  Aber- wo bleibt ihre Perspektive?
Wofür sollen sie sich denn anstrengen?
Genau in diesem Sinne mein Post von vorher. All Deine Ausführungen zum Stukturwandel und zur gefährdeten Konkurrenzfähigkeit West- und Mitteleuropas bestätigen nur meine Forderung: Staat und Europa verbundene Firmen müssen Hand in Hand mit dem Rest der Gesellschaft für gemeinsame Perspektiven zusammenarbeiten.

Und schon wieder sind wir bei der Ausgangsfrage. Wenn sie nicht widersprochen wird, ja - dann haben wir die Erklärung. Wenn sich Politik wirklich zuwenig interessiert für die JAL*, dann macht sie was falsch. Wobei ja die JAL* auch nur ein Folgeproblem ist.

Mir fällt da ein offener Brief der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer an den Ministerpräsidenten Nečas hierzulande vor gut zwei Jahren.

Man kann sich jetz fragen, was will die DTIHK hier mit dem Bildungssystem. Die soll Interessen deutscher Firmen in Tschechien wahren. Nun, das tut auch, aber noch mehr: Ein Grossteil der Deutschen Automobilindustrie wie auch weiterer Firmen hängt dran, die viele Zulieferer hierzulande hat. An deren Funktionieren ist man schon interessiert. Es geht also schon um was.

Es thematisiert die Ausbildungsplätze und Technikermangel. Mittlerweile wurde daraufhin schon reagiert. Details sieh Links.

http://tschechien.ahk.de/fileadmin/ahk_tschechien/Presse/PM_2012/Offener_Brief_Website_2012-06-04.pdf
http://tschechien.ahk.de/fileadmin/ahk_tschechien/Jahresthema_2012__2013/MPO_TZ_2013_DE.pdf

Zugegeben - hier war nicht die Sorge um die arbeitslosen Jugendlichen, sondern die um die Konkurrenzfähigkeit eigener Firmen der Auslöser. Aber auch nicht die Sorge der Politiker um die Jugend...
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*JAL = Jugendarbeitslosigkeit, nicht Japan Air Lines