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17. Juni 1953 - Druckversion

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17. Juni 1953 - Suebe - 01.02.2016 16:13

Der 17, Juni war bis 1990 "West"-Deutscher Nationalfeiertag.
Zur Erinnerung an den volksaufstand in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone an diesem Tag.
SBZ habe ich hier absichtlich gewählt, denn erst durch den 17. Juni erhielt die SBZ-Staats- und Parteiführung soviel Bewegungsfreiheit von der Besatzungsmacht, dass daraus die DDR entstehen konnte.
Zuvor war es, wenn man so will, die 13. Sowjetrepublik.
Schon dieser Punkt ist heute mehr oder weniger aus dem Gedächtnis entschwunden. In Ost und West.

Ich will hier auch nicht die Ereignisse an jenem Tag diskutieren, das ist mehrfach in erheblicher Breite geschehen.
Was aber mMn nur wenig wahrgenommen wird, es war ein Volksaufstand mit demokratischen Zielen. Und so viele haben wir davon seit 1848 nicht vorzuweisen.
In der DDR war er "vergessen" im Ostblock ähnlich, in der BRD sah man ihn als Ostdeutsches Ereignis ohne Relevanz für die Bundesrepublik.
Aber dies stimmt so auf gar keinen Fall.

Er hatte Folgen für die Bevölkerung in der DDR, aber auch in der BRD. und zog Europaweit eine Spur bis ins Jahr 1990.
Und diese Punkte würde ich gerne mit den Mitstreiterinnen und Mitstreitern diskutieren.


RE: 17. Juni 1953 - Sansavoir - 01.02.2016 23:50

Gut, dass Du dieses Thema bringst. Leider wird dieses historische Ereignis in der bundesdeutschen Öffentlichkeit stiefmütterlich behandelt. Vor allem konzentriert man sich meistens nur auf die Ereignisse, die in Berlin stattfanden.

Es ist vor allem richtig, dass demokratische Forderungen verkündet wurden sind. Dies geht leider oft unter, meistens wird der 17. Juni nur als ein Widerstand gegen die höheren Normen bzw. die faktischen Lohnsenkungen. Auch hat der Aufstand des 17. Juni nicht nur an einen Tag stattgefunden, er begann bereits am 16. Juni in Berlin und breitete sich dann über die gesamte DDR. So kam es in einigen Städten auch noch am 18. und 19. Juni zu Aufständen. Offiziell galt er am 22. Juni als niedergeschlagen, tatsächlich war bereits spätestens am 20. Juni der Aufstand zu Ende. Die Aufstände waren mehr oder weniger autark, zum Teil nur auf die Betriebe einer Stadt beschränkt. Es fehlte an einer überregionale Leitung. Auf dem Land am es auch zu Aufständen, dieser Punkt ist praktisch nicht erforscht.

Interessant ist auch, dass sich die Wismut-Arbeiter am 17. Juni nicht am Aufstand beteiligten. Das lag daran, dass sie in internen Auseinandersetzungen mit den Sowjets wussten, wie diese Rebellionen niederschlagen würden. Ebenso interessant ist auch, dass die SED-Führung unterschiedlich handelte.
Während in Berlin, Leipzig oder Magdeburg geschossen wurde, verhandelte die Karl-Marx-Städter SED mit den Aufständischen. In Halle und Dresden warteten SED-Chefs auf personelle Unterstützung aus Berlin. Die Forderungen der Aufständischen waren z.T. auch unterschiedlich. In einigen Städten ging es "nur" gegen diue Abschaffung der Normen, in anderen Städten standen Forderungen wie freie Wahlen oder die VEreinigung Deutschlands. In Görlitz wurde massiv gegen den Oder-Neiße-Vertrag von 1950 demostriert. Das lag vor allem daran, dass dort viele Flüchtlinge aus Sclesien unter prekären Wohn- und Arbeitsverhältnissen litten.

Es hat zwar keine überregionale Führungspersönlichkeiten gegeben, aber es hat an vielen Orten Streik-, Arbeiter- oder Volksführer gegeben, die den Aufstand lokal koordinierten. Dies waren häufig ältere Arbeiter um die 60, die inzwischen eine Stellung als Meister, Polier, technischer Kaufmann u.ä. erreicht hatten. Einige waren bereits Rentner und verdienten sich in den Betrieben z.B. als Buchhalter dazu. Diese Menschen hatten durch ihre Persönlichkeit und ihren Erfahrungen aus den Arbeits- und Klassenkämpfen eine Autorität gehabt, die sie für die Leitung des Aufstand prädestinierten. Eine zweite Gruppe, aus der sich die Führungspersönlichkeiten bildeten waren ehemalige Kommunisten, die aus verschiedenen Gründen zwischen 1945 und 1950 kalt gestellt wurden. Die Behauptung der SED, dass diese Führungspersönlichkeiten meistens Nazis / Faschisten waren stimmt nicht, wobei ein kleiner Teil von ihnen tatsächlich in der SA oder anderen nationalsozialistischen Organisationen war. Hierzu sei die Person Erna Dorn genannt, die als angebliche SS-Kommandeuse den Hallenser Aufstand geführt haben soll. Neben den beiden o.g. Gruppen hat es in Kleinstädten noch ein dritte Gruppe des Führungspersonals gegeben: kleine Unternehmer (Werkstätten, private Dienstleister usw.)

Die meisten Opfer des Aufstands waren Jugendliche / junge Menschen.

Eine Folge des 17. Juni 1953 war, dass nach der Niederschlagung des Aufstands Arbeiter in der Schwerindustrie zulasten des Rests begünstigt wurden.


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 02.02.2016 09:13

Zitat:Interessant ist auch, dass sich die Wismut-Arbeiter am 17. Juni nicht am Aufstand beteiligten. Das lag daran, dass sie in internen Auseinandersetzungen mit den Sowjets wussten, wie diese Rebellionen niederschlagen würden.

Das ist sogar sehr interessant.
Ich glaube gelesen zu haben, dass Wismut-Arbeiter per LKWs durch die Lande fuhren, an der Straße liegende Betriebe aufforderten sich anzuschließen, zu weiter entfernt liegenden Betrieben Abordnungen schickten.
In mehreren Städten den kurzfristigen Erfolg des Aufstandes herbeigeführt hätten, und sich mit erbeuteten Vopo-Waffen dann noch Schießereien mit den MfS-Leuten und KVP geliefert hätten.


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 02.02.2016 16:30

Mal kurz:
Ca. 40 LKWs und Busse der Wismut waren unterwegs nach Karl Marx Stadt, wa sie sich an Demonstrationen beteiligen wollten.
An der Bezirksgrenze wurden sie von Sowjetsoldaten aufgehalten. Sie fuhren daraufhin nach Gera, wo sie begeistert empfangen wurden. Auf dem Marktplatz dort hätten sie sofort die KVP Einheit angegriffen und entwaffnet. Die Waffen zum größten Teil zerstört, aber nicht alle. Um 17.30 Uhr kam es zu ersten Schießereien auf dem Platz der Republik, wo Wismut-Kumpel mit erbeuteten Waffen zurückschossen. Die Rote Armee nahm dies zum Anlass Gera hermetisch von der Umwelt abzuschließen, es kehrte aber erst in den späten Abendstunden Ruhe ein.
Die Masse der Wismut-Kumpel waren aber schon um 16.00 Uhr abgefahren, nach Weida. Wo sie zuerst mehrere HO-Gaststätten demolierten. Dann wurde die Polizeistation angeriffen, wo es zu förmlichen Feuergefechten kam.
Bis Sowjetisches Militär die Schießereien beendete.

Insgesamt fuhren in dieser Nacht 52 LKWs und Busse der Wismut durch Ost-Thüringen, wobei es zu weiteren Kämpfen zB in Ronneburg und Berga kam. In Berga wurde um Mitternacht das Polizeirevier gestürmt.

In den eigenen Betrieben der Wismut gab es allerdings keine nennenswerten Ereignisse!

Quelle: Kowalczuk, 17. Juni 1953, Band 1335 der Schriftenreihe der bpb
Bonn 2013


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 05.02.2016 20:42

Die Wahrnehmung des 17. Juni in der BRD:
Jahrzehntelang diente er zusätzlich zur Legitimation der BRD. "Geh doch rüber in die Zone" konnte man ca. 1970 als politisch brennend Interessierter und natürlich Linksorientierter (das war "man" damals eben, gehörte dazu wie die Jeans und BW-Parka) tagtäglich hören. oft noch unterlegt mit "ich habs 10 Jahre mitgemacht" oh hat einen das "gefreut".....
Selbst hat man sich den 17. Juni auch anders zurecht gelegt, "das war ein Streik, sonst gar nichts, und die Russen haben da halt überreagiert..."

In der DDR war der 17. Juni allem nach aus dem Bewusstsein der Bevölkerung völlig verschwunden.
Die gescheiterten Revolutionäre des Jahres 53, die ein ungleich größeres Risiko eingegangen waren, müssen auch fast ein Jahrzehnt gebraucht haben, bis sie mit den erfolgreichen des Jahres 89 ihren Frieden machten. Die 89er haben praktisch nichts mehr von den 53ern gewusst. Auch da wurde der 17. Juni mehr oder weniger als Streik, keineswegs als Volksaufstand mit demokratischen Zielen gewürdigt, Und wie geschrieben, es ging fast 10 Jahre, bis dies auf entsprechend gewürdigt wurde.

Erstaunlich wie die SED-Propaganda da die Hirne in Ost und West gleichermaßen vernebelt hat.


RE: 17. Juni 1953 - Köbis17 - 05.02.2016 20:56

(05.02.2016 20:42)Suebe schrieb:  In der DDR war der 17. Juni allem nach aus dem Bewusstsein der Bevölkerung völlig verschwunden.

Das würde ich so nicht stehen lassen wollen. Vordergründig hast du natürlich Recht, der Aufstand von 53 wurde in der DDR bzw. vom Regime nicht thematisiert, wie aber auch alle anderen Dinge, die Ihren Machtanspruch hätten in Frage stellen können.

Aber durch die Medien des Westens und dem Feiertag am 17. Juni, konnte dieser Tag in der DDR bzw. vom Regime nicht totgeschwiegen werden und wer auch immer sich kritisch mit der DDR Geschichte auch in der DDR auseinander gesetzt hat, kam am 17. Juni nicht vorbei.
Somit war der Tag zwar für den Westdeutschen nicht minder mehr nur ein Urlaubstag mehr, aber das Gedächtnis dieses Datums vordergründig zu halten, hat den Sinn erbracht daran zu denken, was im Sommer 53 in der DDR geschah.


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 06.02.2016 16:20

Das wird schon so gewesen sein. Genauer, kann eigentlich gar nicht anders gewesen sein.

Die Aussagen der 53er Revolutionäre, über ihre Wahrnehmung durch die 89'er ist auch ziemlich einhelliog. Die wussten eigentlich nichts mehr von den Vorgängen und Hintergründen, und was sie wussten entsprang der DDR-Propaganda-Sichtweise vom "Streik".

Und ähnlich sah es, wie geschrieben, meine Generation in der BRD, sogar der Stefan Heym Roman war da der Wahrheit schon näher.

Hier der Stefan Heym
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41651364.html


RE: 17. Juni 1953 - Lucifer43 - 07.02.2016 12:27

Die 53- Revolutionäre gab es 1989 so gut wie nicht mehr.
Fürs Erste sollte man die Zeitdauer zwischen 1953 und 1989 sehen.
Da war nicht mehr viel da, was man aus eigener Kenntnis noch wusste.
Desweiteren ist zu beachten, das es damals nicht allzuschwer war, sich der DDR-
Justiz zu entziehen.
Eine Fahrt nach Berlin (West ) und schon war man in Sicherheit.
Dort und in Westdeutschland ließ die revolutionäre Gesinnung infolge des Wirtschaftswunders
sehr schnell nach.
Den 89-zigern ging es nur noch marginal um die Ziele der 53- ziger.


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 07.02.2016 22:25

(07.02.2016 12:27)Lucifer43 schrieb:  Die 53- Revolutionäre gab es 1989 so gut wie nicht mehr.
Fürs Erste sollte man die Zeitdauer zwischen 1953 und 1989 sehen.
Da war nicht mehr viel da, was man aus eigener Kenntnis noch wusste.
Desweiteren ist zu beachten, das es damals nicht allzuschwer war, sich der DDR-
Justiz zu entziehen.
Eine Fahrt nach Berlin (West ) und schon war man in Sicherheit.
Dort und in Westdeutschland ließ die revolutionäre Gesinnung infolge des Wirtschaftswunders
sehr schnell nach.
Den 89-zigern ging es nur noch marginal um die Ziele der 53- ziger.


Nein, kompletter Widerspruch.

36 Jahre sind nicht sooo viele.
und leicht war es keineswegs sich der DDR-Justiz zu entziehen.
soooo einfach war es keineswegs sich der SBZ-Justiz zu entziehen.
Schon Berlin zu erreichen war für den Nicht-Berliner alles andere als einfach. Mussten der Vopo im Zug gute Argumente genannt werden, warum man nach Berlin wollte.
Und ein gutes Dutzend der 53er hat die Stasi aus Westberlin entführt, noch Jahre nach dem 17. Juni um ihnen den Prozess zu machen.

Bis zum 5. Juli 53 wurden circa 10.000 Personen wurden verhaftet, darunter 226 Westberliner und 2 Westdeutsche.
'Die Sowjets verhafteten weitere c. 1.000 Personen. Insgesant wurden ca. 15.000 insgesamt wurden verhaftet.
Schon in den Vormittagsstunden des 17. Juni waren Stasi-Greifkommandos unterwegs die ständig verhafteten.
Es war an jenem Tag mit Sicherheit "leichter" für nichts 10-12 Jahre im Zuchthaus zu verschwinden,
als nach irgendwelchen Aktionen der SBZ-Justiz zu entkommen.
Und die Strafen waren alles andere als "einfach" Moskau hat die standrechtliche Erschießung von 12 Menschen angeordnet, zZ sind 5 nachzuweisen.
Die Justiz hat noch weitere Todesurteile verhängt und vollziehen lassen.

Die am 17. Juni erhobenen Forderungen, freie Wahlen und Wiedervereinigung unterschieden sich nicht sooo wesentlich von denen der 89er.


RE: 17. Juni 1953 - Lucifer43 - 08.02.2016 11:47

Werte Suebe !
Wenn ich dieses schreibe, so schreibe ich das als Augenzeuge, der damals in der DDR (für dich noch SBZ )
lebte.
Auch in späterer Zeit, als ich erwachsen wurde und 1 und 1 zusammenzählen konnte wussten es Außenstehende immer besser.
Im Detail hast du nicht unrecht, doch spiegelt dein Wissensstand nicht das wider, was vor Ort abgespielt hat.

Ich habe 1989 aktiv erlebt und wundere mich heute noch. daß alles so gut (unblutig) abgelaufen ist.
(Nach den Prügelattaken Oktober 89 Berlin und Dresden, Prag und Bukarestu.s.w. wäre es nicht verwunderlich gewesen)


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 08.02.2016 19:04

Nun, Augenzeuge bin ich keineswegs.
Und ich will Dir dann auch gar nicht weiter widersprechen.

Die von mir geschriebenen Fakten habe ich aus belastbarer Quelle, sie stellen den derzeitigen Stand der Wissenschaft dar.
Quelle: Kowalczuk, "17. Juni 1953", Band 1335 der Schriftenreihe der bpb
Bonn 2013

Dass Zeitzeugenberichte und solche Ausarbeitungen, sie müssen pauschal und allgemein gehalten sein, sich nie völlig decken, ist klar. Ohne dass eines von beiden falsch sein muss.

Also, nix für ungut.


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 08.02.2016 19:15

Ein weniger bekannter Punkt in der Folge des 17. Juni:

Es lief zu der Zeit in der Sowjetunion ein Ausbildungsprogramm für DDR-Piloten mit der Mig 15, zdZ der beste Düsenjäger überhaupt.
Was die Mig über Korea nachhaltig bestätigt hatte.

Die für die KVP bestimmten Mig waren zu der Zeit schon in der DDR, noch in Kisten verpackt.

Nach dem 17. Juni wurde dieses Ausbildungsprogramm abgebrochen, und die Migs kamen wieder in die Sowjetunion.
Nicht weil die Sowjets plötzlich den KVP-Piloten mißtraut hätte, sondern weil man in Moskau inzwischen der zweifellos richtigen Meinung war, dass die SBZ zu der Zeit andere Dinge dringender benötigte als Hightech Jagdflugzeuge.

Die DDR hatte zu der Zeit in Moskau um einen zusätzlichen Kredit in Höhe von ca. 500 Millionen Rubel nachgefragt. Genehmigt wurden dann 233 Millionen.


RE: 17. Juni 1953 - Köbis17 - 08.02.2016 20:05

(08.02.2016 11:47)Lucifer43 schrieb:  Ich habe 1989 aktiv erlebt und wundere mich heute noch. daß alles so gut (unblutig) abgelaufen ist.
(Nach den Prügelattaken Oktober 89 Berlin und Dresden, Prag und Bukarestu.s.w. wäre es nicht verwunderlich gewesen)

Na das kann doch einfach erklärt werden, 1953 war der Aufstand niedergeschlagen worden, um sich die neuen Macht in der DDR zu sichern. Für die Sowjets spielte die Ostzone eine wichtige Rolle wiederum für ihren Machterhalt im Kalten Krieg. Der Ostzone wurde ab den 50iger Jahren eine wichtige Rolle innerhalb des neuen militärischen Bündnis (Warschauer Pakt) von den Sowjets zugedacht.
So und 1989 konnte sich die alten grauen Herren die Macht in der Ostzone nicht mehr sichern, weil eben auch das Umfeld des Kalten Krieges keinen stabilen Pakt der "sozialistischen Länder" mehr darstellte, allen voran der Wandel bei den Sowjets.


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 09.02.2016 16:00

Der 17. Juni kam für den Westen, in dem Fall die Westalliierten, völlig überraschend.

Interessant ist zB die Reaktion Churchills, er hielt ein Neutrales wiedervereinigtes Deutschland für die beste Lösung.
Und hat deshalb nicht nur Verständnis für die sowjetische Reaktion gezeigt, sondern dieselbe offiziell gelobt!
Um mit dem Kreml weiterhin im Gespräch zu bleiben.
Woraus dann nichts wurde. Wie wir heute wissen.


RE: 17. Juni 1953 - Lucifer43 - 11.02.2016 19:25

Der Unterschied zwischen den Ereignissen zwischen dem Juni 1953 und dem Herbst 1989 bestand meiner Ansicht nach, daß der 17. Juni eine spontane Reaktion war. Die Besatzungsmacht reagierte, entsprechend ihrer Doktrin, brutal. Mit diesem Wissen und der nachfolgenden Verfolgung der Beteiligten, verfiel das Volk in eine Art Schockstarre. Es gab , außer der Flucht in die Bundesrepublik, nur noch den Weg der Verweigerung.
Die berühmten "Blockparteien" dienten nur als Feigenblatt des absoluten Machtanspruches der SED. In sie konnte man sich nur zurückziehen, wenn man sich dem Werbungsdruck entziehen wollte.

Erst die Friedensbewegung , Anfang der 80-ziger , bot Gelegenheit Kritik, wenn auch versteckt, zu äußern. Von anfänglicher Förderung, bis Duldung, bis zur Verfolgung war die Bandbreite. Zur Erinnerung "Schwerter zu Pflugscharen".
Die nicht mehr zu verheimlichenden Botschaftsbesetzungen, die Gewerkschaftsbewegung in Polen, die Charta 77 , die Papstwahl und nicht zu letzt Gorbatschow mit seiner Politik, erzeugten ein Klima der Unbehaglichkeit unter den "führenden " Genossen.
Die wirtschaftlichen Glanzleistungen taten ihr übriges.
(Milliardenkredit , vermittelt vom Erzfeind F.-J Strauß ) um schlimmeres zu verhüten, mit gleichzeitiger und erfüllter Forderung, die Selbstschussanlagen an der deutsch-deutschen Grenze abzubauen.
So war das Regime nur noch getrieben, von einem Tiefschlag zum Anderen.
Das umstrittene Reisegesetz und die "Gewährung" des Demonstrationsrechtes (es wurde sich sowieso nicht mehr darum geschert ) führten halt zwangsläufig zur Implosion dieses Staatsgebildes von Gnaden der Sowjetunion.


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 11.02.2016 19:54

Die Besatzungsmacht hat heutigen Forschungen nach für ihre Verhältnisse recht "zurückhaltend" interveniert.
Auch die Urteile der DDR-Gerichte sollen deutlich zurückhaltender als Anfang des Jahres 1953 ausgefallen sein.
Wozu vermutlich auch die Pressekonferenz Fechners geführt hat.
Fechner (zdZ DDR-Justizminister) wird vermutlich das prominenteste DDR-Opfer des 17. Juni gewesen sein.
Verurteilt allerdings erst 1955, aber seit Oktober 53 in Haft.

Fechners Interview aus wiki:
Zitat:Max Fechner verkündete zu den Verhaftungen und Prozessen im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 in einem Interview des Neuen Deutschlands am 30. Juni 1953, dass nur eine Bestrafung solcher Personen, „die sich eines schweren Verbrechens schuldig machten“ stattfinden werde. Hingegen erfolge ohne Nachweis von Verbrechen keine Bestrafung von Angehörigen der Streikleitung und Rädelsführern „auf bloßen Verdacht oder schweren Verdacht hin“.[2] Fechner wurde als „Feind des Staates und der Partei“ seines Amtes enthoben, aus der SED ausgeschlossen und verhaftet. Nach zweijähriger Untersuchungshaft vom 14. Juli 1953 bis 24. Mai 1955 im Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen[3] erfolgte vom Obersten Gericht eine Verurteilung zu acht Jahren Zuchthaus[4], dabei wurden Fechner auch homosexuelle Vergehen vorgeworfen
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Fechner


RE: 17. Juni 1953 - Sansavoir - 12.02.2016 04:27

Nach dem 17. Juni 1953 fand eine "Säuberung" in der SED und in den Staats- und Regierungsorganen statt. Max Fechner war ursprünglich Sozialdemokrat, der bereits vor 1933 in der Berliner Stadtpolitik aktiv war. Von 1949 bis 1953 war er erster Justizminister der DDR. Um 1950 galt er als stalinistischer Hardliner, so z.B. während der Waldheim-Prozesse. Später zeigte er sich moderater, vor allem in den Tagen nach dem 17. Juni 1953.

Seine Nachfolgerin wurde Hilde Benjamin, die berüchtigte "rote Hilde" - eine sehr widersprüchliche Politikerin. Um 1930 in der "Roten Hilfe" aktiv, personifiziert Benjamin in den Jahren von 1953 bis etwa 1962/63 die stalinistische Justiz der DDR. Danach wirkte sie im DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschland) für die Gleichberechtigung der Frau. U.a. regelte sie die gesetzliche Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern in der DDR.

Max Fechner wurde Ende der 1950er Jahre wieder in die SED aufgenommen. Er bekam reichlich Orden (Karl-Marx-Orden, Verdienstorden der DDR usw.) Seine homosexuellen Neigungen waren ein offenes Geheimnis. Als Justizminister ließ er sich durch die DDR chauffieren und übernachtete dann mit seinem Chauffeur im selben Zimmer. Aus Sparsamkeit, erklärte er allzu neugierig fragenden Wirtsleuten die Situation. Man kann davon ausgehen, dass ihm dies niemand so richtig abnahm.
Ich selbst halte Fechner nicht als prominentestes Opfer. Ich denke, dass der durch Zufall in die Ereignisse geratene Ernst Jennrich aus Magdeburg oder die dubiose Erna Dorn prominentere, zumindest auf Lokalebene bekannte Opfer waren.

Die Leipziger Verkehrsbetriebe geben seit einigen Jahren den Straßenbahnzügen Namen - einerseits von Partnerstädten, andereseits von Persönlichkeiten, die irgendwie mit der Stadt im Zusammenhang stehen. So gibt es auch einen Straßenbahnzug, der den Namen "Dieter Teich" trägt. Die meisten Leute fragen dann, wer Dieter Teich war? Und fast niemand kann diese Frage beantworten. Er war ein Neunzehnjähriger, der sein Leben am 17. Juni 1953 ließ, nicht weit von der Polizeistation in der Dimitroffstraße (die heute noch so heißt). Soweit ich weiß, gab es noch ein zweites Opfer, eine Rentnerin, deren Namen der Öffentlichkeit nicht bekannt ist. Der Schießbefehl kam vom damaligen 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig, Paul Fröhlich, der trotz Weisung, sich bis zum Eintreffen der Sowjetarmee um 16 Uhr, zwischen 13 und 14 Uhr den Schießbefehl herausgab. Der Leichnam von Teich soll dann bis zum Hauptbahnhof unter großer Anteilnahme der Bevölkerung gebracht worden sein. Einen Teil der Strecke auf dem "Ring" entsprach dem der Leipziger Montagsdemos von 1989.

Paul Fröhlich stieg nach dem 17. Juni zum mächtigsten Mann des Bezirks Leipzig auf. Er ist einer der Hauptverantwortlichen für die Sprengung der Leipziger Paulskirche. Fröhlichs Karriere war typisch für einen mittleren Apparatschik. Seine Karriere zeigt auch, dass die Verwaltungsreform vom 23. Juli 1952 maßgeblich die SED Macht festigte. 1970 starb Fröhlich und einer der größten Leipziger Betriebe - der VEB Verlade- und Transportanlagen (VTA) erhielt die zweifelhafte Ehre den Namen Paul Fröhlich zu führen. VTA war derr Stammbetrieb von TAKRAF, einem aus unterschiedlichen Betrieben gebildetes Kombinat, das nach 1990 unter Federführung des ehemaligen Hamburger Regierenden Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi abgewickelt wurde. An TAKRAF erinnern noch einige, weltweit stehende Kräne, u.a. in der Danziger Werft.

Und an Dieter Teich, dem Leipziger Opfer des 17. Juni 1953, erinnert ein Straßenbahnzug... keine Straße, keine Schule, kein Denkmal. Sollte irgendwann der Straßenbahnzug außer Dienst gehen und ein Opfer der SChrottpresse werden - dann wird wohl Dieter Teich bald vergessen sein!


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 18.02.2016 18:06

Der Fall "Erna Dorn"

http://www.17juni53.de/tote/dorn.html

man weiß eigentlich nichts.


RE: 17. Juni 1953 - Suebe - 18.02.2016 19:39

Das prominenteste Opfer des 17. Juni 1953 , nicht SBZ-zentrisch, sondern Weltweit war Berija.

Die Lockerung des politischen Kurses in der DDR, sie geschah auf Befehl Moskaus im Mai 1953, und wurde von der völlig geschockten SED-Partei und Staatsführung total chaotisch umgesetzt.
Diese Lockerung war zweifellos dann Anlass für den Ausbruch der Rebellion am 17. Juni.
Im Nachhinein wurde sie dann Berija in die Schuhe geschoben.

Berija soll zu der Zeit auch angedacht haben, die DDR gegen ein paar Milliarden Dollar an den "Westen" sprich die Bundesrepublik zu verscheuern.


RE: 17. Juni 1953 - Sansavoir - 18.02.2016 23:26

(18.02.2016 19:39)Suebe schrieb:  Das prominenteste Opfer des 17. Juni 1953 , nicht SBZ-zentrisch, sondern Weltweit war Berija.

Die Lockerung des politischen Kurses in der DDR, sie geschah auf Befehl Moskaus im Mai 1953, und wurde von der völlig geschockten SED-Partei und Staatsführung total chaotisch umgesetzt.
Diese Lockerung war zweifellos dann Anlass für den Ausbruch der Rebellion am 17. Juni.
Im Nachhinein wurde sie dann Berija in die Schuhe geschoben.

Berija soll zu der Zeit auch angedacht haben, die DDR gegen ein paar Milliarden Dollar an den "Westen" sprich die Bundesrepublik zu verscheuern.

Das stimmt. Berija wurden die Ereignisse um den 17. Juni 1953 zum Verhängnis. Er unterlag im Machtkampf gegen seinen Konkurrenten Chrutschow. Zu den Gewinnern zählt Walter Ulbricht. Ihm wurde am 30. Juni 1953, seinem 60. Geburtstag, mitgeteilt, dass die neuen sowjetischen Machthaber auf ihn setzen.