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Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Druckversion

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RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - 913Chris - 21.11.2015 11:14

@Marek: Ich habe bewusst weder vom Diktatfrieden noch von Maßlosigkeit geschrieben, sondern, dass, hätte Brest-Litowsk Bestand gehabt, dieser Vertrag für die Russen eine ähnliche Rolle gespielt hätte wie Versailles für die Deutschen. Nämlich die, dass der Vertrag als Diktatfrieden und als maßlos WAHRGENOMMEN worden wäre (und das ist ja auf russischer Seite zumindest bis heute auch der Fall), ebenso wie Versailles bei den Deutschen als maßlos WAHRGENOMMEN wurde.
Diese Wahrnehmung wurde auf deutscher Seite dann politisch relevant, weil es die Demokratie bei den Deutschen diskreditierte und den revanchistischen und nationalistischen Kräften in Deutschland Aufwind gab, bis hin zu Hitler.
@Paul: Der alte Mommsen hat noch von "Deutschen" geschrieben, wenn er Germanen meinte. Das ist aber lange her. Versailles hatte sich die Bildung von Nationalstaaten auf die Fahne geschrieben, letztendlich gelungen ist das glaub ich nirgendwo. Weder Die CSFR noch Polen noch Deutschland noch Dänemark noch Belgien wurden zu echten Nationalstaaten, immer waren es mindestens zwei Nationalitäten, die unter dem Dach eines Staates lebten/leben mussten. Nicht einmal Österreich war ein Staat, in dem nur eine Nation lebte, im Burgenland hatte man eine ungarische Minderheit. Außerdem EMPFANDEN sich die Österreich quasi als "gekappter Nationalstaat", denn einerseits waren nicht alle deutsch besiedelten Gebiete der k.u.k.-Monarchie in dem neuen Staat vereint - dem späteren Sudetenland war von den Alliierten ausdrücklich verboten worden, Teil des von den Österreichern angestrebten "Deutsch-Österreich" (= Österreich plus Sudetenland) zu werden. Andererseits gab es in Österreich eine bedeutende (aber m.W. nicht die Mehrheit der Bevölkerung vertretende) Strömung, die die Österreicher als Deutsche ansah und den Beitritt Österreichs zum Deutschen Reich vorantreiben wollte.


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Triton - 21.11.2015 11:57

Das große Manko der Versailler Nachkriegsordnung war, dass man auf vorhersehbar instabile neue Staatsgebilde setzte, wobei ich darin keinen "Unfall" sondern Methode annehme. "Divide et impera" war britische Handlungsmaxime seit Jahrhunderten und auch die Franzosen fühlten sich ohne kontinentaleuropäische Hegemonialmacht sicherer.

Das eilig zusammengenagelte Jugoslawien, das nach 200 Jahren wiederauferstandene Polen oder das osmanische Reich . alles tickende Zeitbomben in einer Zeit, als Kriege als Mittel der Politik noch durchaus en vogue waren.
Von den Kolonien braucht man gar nicht erst anzufangen.

Brest-Litowsk war wenigstens auf Stabilität ausgerichtet, einfach durch das dominierende Kaiserreich.

Selbstbestimmung der "Eingeborenen" war im Zweifel völlig nebensächlich, oder wie ist Südtirol sonst zu erklären?


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Suebe - 21.11.2015 14:18

(21.11.2015 11:57)Triton schrieb:  Selbstbestimmung der "Eingeborenen" war im Zweifel völlig nebensächlich, oder wie ist Südtirol sonst zu erklären?


Ganz einfach.
Als Wilson da lediglich "und" sagte, hat man ihm seine Zustimmung zu den Londoner Verträgen vom April 1915 vorgehalten, die er Anfang 1917 abgab, und die Sache hat sich gehabt....


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Suebe - 21.11.2015 17:46

Soweit man das, es gab ja keine Ö-weite Abstimmung, sagen kann, war es aber 1918/19 doch so.
In Salzburg und Tirol gab es ja die Abstimmungen 1919 mit um die 99% für den "Anschluss". Die Vorarlberger (Alemannen) waren die Klügsten, die wollten zur Schweiz. Idea
Ohne Witz!
Aber die Schweizer wollten sie nicht... sie hätten den eidgenössischen Religionsproporz durcheinandergebracht.... Huh


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Triton - 29.11.2015 22:58

(21.11.2015 17:46)Suebe schrieb:  Die Vorarlberger (Alemannen) waren die Klügsten, die wollten zur Schweiz. Idea
Ohne Witz!
Aber die Schweizer wollten sie nicht... sie hätten den eidgenössischen Religionsproporz durcheinandergebracht.... Huh
Zu Vorarlberg gehört die (schmale aber bevölkerungsreiche) Bodenseeregion um Bregenz und die beiden Walsertäler, das Rätikon, Verwall, Montafon.
Die Walser sind ausgewanderte Walliser, also mit schweizer Wurzeln. Die Gebirgsregionen sind so oder so näher an der Schweiz als an Österreich, man darf nicht vergessen, dass an Vorarlberg das ebenso gebirgige Tirol angrenzt und es weit ist bis zu den flachen, fruchtbaren Regionen Österreichs, aber sehr nah an die Schweizer Großstädte.

Ein Anschluß an die Schweiz hätte Sinn gemacht, wundert mich ehrlich gesagt, dass die Schweizer sie nicht wollten. Vielleicht spielte auch die relative Armut Vorarlbergs eine Rolle.


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Suebe - 30.11.2015 17:38

Ich denke mal, es ist hier deutlich herausgearbeitet worden, dass Brest-Litowks eben nicht das Muster für Versailles war.

Die Gebiets- und Bevölkerungsverlsute sind durch "Wilsons-Selbstbestimmungsrecht der Völker" gut abgedeckt, und die Reparationen betrugen gegen Versailles höchstens homöopathische Dosen.


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - 913Chris - 30.11.2015 21:24

(21.11.2015 11:57)Triton schrieb:  Brest-Litowsk war wenigstens auf Stabilität ausgerichtet, einfach durch das dominierende Kaiserreich.

Das Kaiserreich (das deutsche) krachte 1917 schon in allen Fugen...die Ukraine stand auf tönernen Füßen, und zu den Friedensbedingungen von Brest-Litowsk zitiere ich mal Tante Wiki:
" Russland verlor durch diesen Friedensvertrag 26 % des damaligen europäischen Territoriums, 27 % des anbaufähigen Landes, 26 % des Eisenbahnnetzes, 33 % der Textil- und 73 % der Eisenindustrie sowie 73 % der Kohlegruben. Die Randvölker des ehemaligen russischen Kaiserreiches tauschten die russische Herrschaft mit dem Protektorat der Mittelmächte. Alle abzutretenden Gebiete umfassten insgesamt 1,42 Millionen km², auf denen rund 60 Millionen Menschen, mehr als 1/3 der Gesamtbevölkerung des einstigen Russischen Reiches, lebten."
Die Verluste für Russland waren also sehr wohl enorm. Das Baltikum und die Ukraine hatten große russische Minderheiten im Land, waren also auch nicht sonderlich stabil, besonders für die Ukraine trifft das zu. Sie wurde folgerichtig in den jahren nach Brest-Litowsk erst einmal in drei Teilstaaten zerrissen, erlebte einen blutigen Bürgerkrieg und wurde dann von den Sowjets zurück erobert.

Worauf es mir aber vor allem ankommt, ist, wie der Vertrag WAHRGENOMMEN wurde von den Russen - und zwar als Diktatfriede der Deutschen, dioe die Schwäche Sowjetrusslands (in den Augen der Russen gnadenlos) ausnutzten...

VG
Christian


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Sansavoir - 30.11.2015 22:53

Die Bolschewiki hatten aber von vornherein die Absicht gehabt, nach wenigen Monaten den Frieden aufzukündigen. Im März 1918 galt aber die Devise, um jeden Preis mit dem Deutschen Reich Frieden zu schließen. Ob der Frieden von der sowjetrussischen Bevölkerung schon 1918 als Diktatfriede wahr genommen wurde, ist sicher nicht so eindeutig, wie die Zahlen sprechen. Stalin nutzte natürlich diese Fakten propagandistisch in seinem Machtkampf gegen Trotzki, der ja im Auftrag Lenins die Verhandlungen führte und den Vertrag schließlich unterschrieb.

In der Ukraine entstanden neben der Sowjetukraine, die Ukrainische Volksrepublik und die Westukrainische Republik. Alle drei Staaten existierten nur kurze Zeit. Ebenso gab es Pläne Wilhelm von Habsburg als König der Ukraine einzusetzen. Inwieweit das noch realistisch war, ist eine andere Frage. Auch der Bauernaufstand unter Führung des Anarchisten Nestor Machno scheiterte. D.h. um 1921 haben sich die Bolschewiki in der Ukraine durchgesetzt. Bedeutenden Anteil daran hatten Trotzki als Chef der Roten Armee und der Marschall Tuchatschewski, der die militärischen Operationen leitete. Dass Trotzki und Tuchatschewski später Opfer des Stalinischen Terror wurden, ist eine andere Geschichte. Um 1920 waren beide wichtige Stützen des Leninischen Regimes.


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Suebe - 01.12.2015 10:43

(30.11.2015 21:24)913Chris schrieb:  ./.

Worauf es mir aber vor allem ankommt, ist, wie der Vertrag WAHRGENOMMEN wurde von den Russen - und zwar als Diktatfriede der Deutschen, dioe die Schwäche Sowjetrusslands (in den Augen der Russen gnadenlos) ausnutzten...

VG
Christian

Na ja,
so sicher bin ich mir nicht.
Baltikum, Litauen, Finnland waren keine besonders instabilen Staaten die daraus entstanden waren. Finnland hat seine Freiheit im Winterkrieg dann auch überzeugend verteidigt.
Dass Polen klar zu gross geschnitten war, kann man Brest-Litowks weniger anlasten.

Ein Friedensschluss mit schmerzlichen Verlusten schreit immer nach Revision.

Der einstige Konsens, dass DR und ÖU für Versailles und St. Germain in Brest-Litowks sozusagen die Vorlage lieferten, ist aber mMn nicht zu halten.
Gehört in die ülichen überzogenen Aussagen zum 1. WK der "Fischer-Ara"
und bedarf der Richtigstellung.


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - 913Chris - 02.12.2015 18:37

Nein, Brest-Litwosk als Vorlage für Versailles und St.Germain halt ich auch für einen falschen Ansatz. Wie gesagt, mir kommts nur auf den Eindruck an, den die verschiedenen Vertragswerke bei den jeweils unterlegenen Kriegsparteien hinterlassen haben, nicht auf die Vertragsbestimmungen im Einzelnen.


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Triton - 02.12.2015 21:10

(30.11.2015 21:24)913Chris schrieb:  Das Kaiserreich (das deutsche) krachte 1917 schon in allen Fugen..
Wegen der Kriegsmüdigkeit. Aber die Verfasser des Vertragswerks hatten sicher die Hoffnung, dass sich das Kaiserreich nach einem gewonnenen Krieg schnell wieder stabilisieren würde, wirtschaftlich und politisch.

Brest-Litowsk wurde Lenin/Trotzki bekanntlich damals gerne als Dummheit vorgehalten oder - noch schlimmer - als Verlust der Nerven. Aber letzten Endes legte er doch mit dem bedingungslosen Willen zur Beendigung des Krieges erst die Lunte an die Revolution 1918 mit ihren Arbeiter- und Soldatenräten. Und am Schluß stand die SU besser da als vorher.
War das eigentlich Lenins Strategie?


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Suebe - 03.12.2015 09:57

1917 krachten alle.
Hätte man in Berlin nicht im Januar beschlossen, den Alliierten ihren großen Hoffnungsträger USA frei Haus zu liefern.
Wer weiß, ob man nicht 1917 sonst zu einem für alle erträglichen Kriegsende gekommen wäre.


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Sansavoir - 03.12.2015 23:08

(03.12.2015 09:57)Suebe schrieb:  1917 krachten alle.
Hätte man in Berlin nicht im Januar beschlossen, den Alliierten ihren großen Hoffnungsträger USA frei Haus zu liefern.
Wer weiß, ob man nicht 1917 sonst zu einem für alle erträglichen Kriegsende gekommen wäre.

Welches Ereignis wog schwerer? Der Beschuss der "Laconia" durch ein deutsches U-Boot, der den Tod zweier Amerikanerinnen verursachte oder die Zimmermann-Depesche? Anfang 1917 sprach Woodrow Wilson noch von Frieden ohne Sieg, drei Monate erklärten die USA Deutschland den Krieg...
Hätte das Deutsche Reich tatsächlich die Ressourcen, Mexiko gegen die USA zu unterstützen?


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Suebe - 04.12.2015 15:43

Was hätte man den Mexikanern an Ressourcen bieten können?
Ein Handels U-Boot voller Gewehren 98?
Der Hintergrund der Zimmermann-Depesche sollte man hier mal unbedingt diskutieren. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man (=Zimmermann) so blöd war.

Aber entscheidend für den Kriegseintritt der USA war zu 100% der unbeschränkte U-Boot-Krieg, wie es für diesen Fall von Lansing ja auch angekündigt war.


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Köbis17 - 04.12.2015 16:02

(03.12.2015 23:08)Sansavoir schrieb:  Hätte das Deutsche Reich tatsächlich die Ressourcen, Mexiko gegen die USA zu unterstützen?

Rein geographisch und auch durch den Krieg strategisch unmöglich! Selbst wenn es noch wirtschaftliche Ressourcen frei bekommen hätte, durch die Fernblockade der Briten, war der Weg über die Meere abgeschnitten.


RE: Brest-Litowsk Muster für Versailles? - Suebe - 04.12.2015 17:49

(04.12.2015 15:43)Suebe schrieb:  Was hätte man den Mexikanern an Ressourcen bieten können?
Ein Handels U-Boot voller Gewehren 98?
Der Hintergrund der Zimmermann-Depesche sollte man hier mal unbedingt diskutieren. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man (=Zimmermann) so blöd war.

Aber entscheidend für den Kriegseintritt der USA war zu 100% der unbeschränkte U-Boot-Krieg, wie es für diesen Fall von Lansing ja auch angekündigt war.

Hier ein interessanter Link zur Zimmermann-Depesche
kru zusammengefasst die Entzifferungsgeschichte
http://wwws.phil.uni-passau.de/histhw/TutKrypto/tutorien/zimmermann-depesche.htm