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Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Druckversion

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Wittelsbacher als Fast-Großmacht - 913Chris - 28.12.2013 11:35

Servus!
Auf Anregung von Suebe hab ich mich mal aufgerafft und, da es die Wittelsbacher ja nie über die regionale Großmacht hinausgeschafft haben, hier ein neues Thema erstellt:
(28.12.2013 09:44)Suebe schrieb:  
(28.12.2013 02:10)zaphodB. schrieb:  das heißt wenn die diversen Wittelbacher Linien sich einig gewesen wären,hätten sie damals an der Schwelle zur Großmacht gestanden.

Vom Spätmittelalter bis in die Barockzeit stand Wittelsbach eigentlich immer auf der Schwelle.
Mit manchen sehr interessanten Begebenheiten.
Aus der Hand: Agnes Bernauer aber auch der Vetternmordversuch beim Konstanzer Konzil fällt mir da so kurz ein.

Schreib doch mal einer was dazu.
Ich kenne dies leider nur rudimentär.

VG
Christian


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - 913Chris - 28.12.2013 12:28

Zu mehreren Zeitpunkten standen die Wittelsbacher kurz davor, zu einer der wirklich mächtigen europäischen Dynastien zu werden.
Im Mittelalter: Gleich der zweite bayerische Herzog aus der Familie der Wittelsbacher, Ludwig I. und auch noch seine Nachfolger Otto II. und Ludwig II. spielten während der Regierungszeit von Kaiser Friedrich II. und danach im Konzert der europäischen Mächte in vorderster Linie mit.
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Ludwig_I._der_Kelheimer
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Otto_II._%28Herzog_von_Bayern%29
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Ludwig_II._%28Pfalzgraf_bei_Rhein%29

Ludwig IV., Nachfolger Ludwigs II. in der Pfalz und in Oberbayern, erreichte dann einen ersten Machthöhepunkt der Wittelsbacher, als er der erste von nur drei Kaisern aus dem Haus Wittelsbach wurde. Da er viele Söhne hatte und sich gegen die versammelte Konkurrenz der Luxemburger, Habsburger und des Papstes kaum durchsetzen konnte, stattdessen die Sammlung von Territorien für seine Söhne als oberstes Ziel seiner Herrschaft hatte, diese Söhne ihm aber als Politiker nicht das Wasser reichen konnten, versank Wittelsbach erst mal wieder in der Mittelmäßigkeit, auch wenn Otto III. von Niederbayern in der ungarischen Reichspolitik ein gehöriges Wort mitzureden hatte; die ungarische Königin Gisela war Ottos Schwester, Ottos Mutter war ebenfalls Königin von Ungarn gewesen, Otto selber wurde als Bela IV. König von Ungarn, allerdings nur für zwei Jahre, bevor er Karl-Robert von Anjou unterlag, der daraufhin Ungarn beherrschte.
http://www.monacensis.de/tipps/mensch/Kaiser_Ludwig_der_Bayer/print.php?title=Kaiser_Ludwig_der_Bayer
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Otto_III._%28Herzog_von_Niederbayern%29

Seit dieser Zeit aber gehörten die Wittelsbacher endgültig zum Kreis der anerkannt bedeutenden Dynastien. Neben den Habsburgern (deren Hausmacht den Wittelsbachern aber fehlte) waren die Wittelsbacher immer diejenige deutsche Dynastie, die als für die bedeutendste angesehen wurde. Heiraten mit anderen europäischen Königsdynastien zeigten dies auch deutlich.

In der frühen Neuzeit: Herzog und später Kurfürst Maximilian I. hatte von seinem Vater ein völlig verschuldetes Herzogtum übernommen. Er war ein Finanzgenie und ein fast schon fanatischer Katholik. Es gelang ihm , die Finanzmittel zu beschaffen (unter anderem durch ein Monopol auf das Weißbierbrauen in Bayern; die Einnahmen aus diesem Monopol überstiegen schon bald die Einnahmen aus der bisherigen Hautpeinnahmequelle, der Salzsteuer, und flossen komplett in Maximilians Privatschatulle (!)), um als einziger Fürst den 30jährigen Krieg von Anfang bis Ende nicht nur mitzukämpfen, sondern auch noch die ganze Zeit ein eigenes Heer zu unterhalten. Als Maximilian drei Jahre nach Ende des Krieges starb, war Bayern nicht nur nicht mehr pleite, sondern sogar schon wieder derart auf dem Weg zur Erholung und zum Aufbau einer erneuten Großmachtrolle, dass sein Enkel Max Emanuel schon wieder in ganz Europa auf Territorienjagd gehen konnte und kurz davor stand, den spanischen (!) Thron zu erwerben. Das scheiterte nur daran, dass der Sohn von Max Emanuel, der spanischer König werden sollte, zu früh starb. Allerdings hatten sich die europäischen Dynasten nur deswegen auf den Bayern geeinigt, weil er nicht mächtig genug war, Frankreich, Habsburg oder England gefährlich zu werden...
http://www.deutsche-biographie.de/sfz70660.html
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Maximilian_II._Emanuel

Karl Albrecht, ein weiterer Sohn von Max Emanuel, schaffte es dann als dritter Wittelsbacher nach Ludwig IV. und Ruprecht von der Pfalz auf den römisch-deutschen Kaiserthron, allerdings wurde er da nicht glücklich, musste vielmehr mit der Gegnerschaft der Habsburger kämpfen, denen er letztendlich unterlag; Bayern litt in dieser Zeit unter der Besetzung durch die Österreicher, Karl Albrecht saß krank und gebrochen in Frankfurt und verlieh in dieser Zeit z.B. einem gewissen Johann Caspar Goethe den Titel eines Kaiserlichen Rates. Besagter Goethe war Vater von Johann Wolfgang (von) Goethe...
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Karl_VII.

In der Neuzeit: Keine Großmachtambitionen Bayerns mehr möglich, Habsburg, Preußen und Frankreich hatten Bayern bei weitem überholt, aber als Mittelmacht spielte Bayern nach wie vor eine europäische Rolle.

Nach Karl Albrechts Kaiserabenteuer war Bayern mal wieder ziemlich pleite. Max III. Joseph hatte damit zu tun, die zerrütteten Finanzen seines Vaters wieder in Ordnung zu bringe, dessen Nachfolger Karl Theodor und Max IV Joseph taten desgleichen, wobei hier zu beachten ist, dass die drei Letztgenannten drei verschiedenen Zweigen des Hauses Witteslbach entstammten. Das alte Münchner Haus war mit Max III. Joseph ausgestorben, aber auch Karl Theodor hatte keine männlichen Nachkommen, sodass die kleine Nebenlinie Pfalz-Zweibrücken Bayern und die Pfalz übernahm. Und erst einmal - wieder mal - finanzielle Probleme hatte. Immerhin schaffte es Max IV. Joseph, in den napoleonischen Wirren die Königswürde für Bayern zu erlangen.
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Maximilian_III._Joseph
http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Maximilian_I._%28K%C3%B6nig_von_Bayern%29

Unter Ludwig I. schaffte Bayern so etwas wie einen Wiederaufstieg. Kulturell wurde München so etwas wie eine heimliche Hauptstadt Deutschlands, Ludwigs Sohn Otto kam auf den neugeschaffenen griechischen Königsthron.
http://www.deutsche-biographie.de/sfz70572.html

Max II. und Ludwig II. mischten sich nicht mehr groß in die europäische Politik ein, nach dem Ende der wittelsbachischen Herrschaft in Bayern war das Land zwar innerhalb der Weimarer Republik eine Art zweiter Führungsstaat nach Preußen, v.a. in der Anfangszeit mit Räterepublik etc., aber fest in den deutschen Staat eingebunden. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in Bayern zwar das Grundgesetz erarbeitet und kamen aus Bayern immer wieder wichtige Bundespolitiker, aber Bayern war im Laufe des 19.Jhs. in derart hohem Maße ein deutscher Teilstaat geworden, dass Ambitionen etwa auf ein unabhängiges Bayern zwischen einer deutschen und einer österreichischen Republik zwar theoretisch möglich waren, aber praktisch undurchführbar.


So, eine erste Faktengrundlage hoffe ich hiermit geschaffen zu haben. Auf dieser Grundlage müssten wir eigentlich diskutieren können, wie kurz Bayern bzw. Wittelsbach zu bestimmten Zeitpunkten davor stand, zur europäischen Großmacht aufzusteigen und was das jeweils verhindert hat.

Wohlan denn: Lasset uns diskutieren! Wink

VG
Christian


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Suebe - 28.12.2013 12:39

Der Ludwig,
den sein Vetter in Konstanz meucheln wollte, war doch zeitweilig "Regent" Frankreichs,
das war ebenso eigentlich schon der Schritt über die Schwelle.

Aber ich habe da nur "Wissen" aus einem Ganghofer-Roman, Ochsenkrieg?


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - 913Chris - 28.12.2013 20:54

Das war der Ludwig VII. "der Gebartete", der dann Herzog des Teilherzogtums Bayern-Ingolstadt geworden ist und dort Münster und Neues Schloß erbauen ließ bzw. damit beginnen ließ.
Dessen Schwester war Königin von Frankreich, er ist in seiner Jugend dort gewesen und hat dann französischen Chic nach Bayern importiert, u.a. in Gestalt des sog. "Goldenen Rössls", eines Kunstwerkes aus Frankreich, aber auch in Form der Architektur der genannten Ingolstädter Bauwerke (Türme über Eck!).
Über die Schwelle war Ludwig nur in dem Sinne, dass Regenten meist aus der Familie des Königs stammten. Als Schwager des Königs war dies bei Ludwig zumindest indirekt der Fall. Dass er sich gegen die direkten Verwandten des Königs durchsetzen konnte, war mehr der Macht seiner Schwester Isabeau zu verdanken. Tatsächlich Macht über das Königreich konnte Ludwig im Grunde nie erlangen, dazu war z.B. der Zweig Orleans der Königsfamilie zu stark. Auch das Bündnis mit Burgunds Johann Ohnefurcht brachte Ludwig wenig, im Gegenteil, damit machte er sich am Hof in Paris vollends unmöglich.

Ludwig war dazu noch ein Visconti über seine Mutter, eine Tochter von Bernabo Visconti, und natürlich Wittelsbacher; er war Urenkel von Kaiser Ludwig dem Bayern, dazu noch nach dem Aussterben der Generation seines Vaters der älteste der in Bayern regierenden Herzöge, mithin das Familienoberhaupt der bayerischen Wittelsbacher. Seinen pfälzischen Verwandten Ruprecht von der Pfalz brachte er in Zusammenarbeit mit seinem damals noch lebenden Vater Stephan dem Kneißl (= dem Prächtigen) auf den deutschen Königsthron; so mächtig war er immerhin. Seine Rolle in Frankreich dürfte diese Position noch verstärkt haben, ebenso sein Eingreifen in Oberitalien, wo er Gian Galeazzo Visconti heftig bekämpfte, allerdings erfolglos.
Echte Macht brachte ihm das alles nichts, es fehlte die Hausmacht. So war und blieb Ludwig nicht mehr, aber auch nicht weniger als einer der am höchsten angesehen Adligen Europas, der allerdings relativ wenig tatsächliche Macht hatte. Ludwigs hochfahrendes und jähzorniges Wesen dürfte zusätzlich verhindert haben, dass er Freunde - auch politische Freunde - gewann. Ein "Prozesshansel" war er außerdem, der - weil er es militärisch nicht erreichen konnte - Gott, die Welt und seine Familie verklagte, um sein zerstückeltes Herzogtum Ingolstadt zu arrondieren. Wieder und wieder erfolglos. Dank dieser Art begegneten ihm die meisten Standesgenossen eher mit Vorsicht.

VG
Christian


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Sansavoir - 28.12.2013 21:46

Die Wittelsbacher erlangten auch Bedeutung durch nachfolgende Persönlichkeiten:

Die Herzöge von Pfalz-Zweibrücken herrschten als Karl X., Karl XI. und Karl XII. in Schweden von 1654 bis 1718. Sie führten die Großmachtpolitik Gustavs II. Adolf fort.

Christoph III. herrschte von 1439 bis 1448 als König von Dänemark, Norwegen und Schweden. Er war ein Wittelsbacher aus der Linie Pfalz-Neumarkt.

Die österreichische Kaiserin Elisabeth (Sisi) war eine Wittelsbacherin.

Die bekannte Briefeschreiberin Lieselotte von der Pfalz, Herzogin von Orleans und ihre Tante Sophie von der Pfalz, Kurfürstin von Hannover waren Wittelsbacherinnen. Letztere war über ihre Mutter eine Nachfahrin der Stuart-Könige, ihr Sohn Georg I. konnte deshalb die Herrschaft des Hauses HAnnover in England, Schottland und Irland begründen.

Weitere bedeutende Wittelsbacher waren die Renaissancefürsten Ottheinrich von Pfalzgraf von Neuburg und Kurfürst von der Pfalz, sowie Albrecht IV. und Wilhelm IV., Herzöge von Bayern-München.

Kaiser Ludwig IV. ist wohl der bedeutendste Wittelsbacher gewesen.

Zu den oben genannten Ludwig VIII. und seiner Schwester Isabeau de Bavière und ihrer Mutter aus dem Hause Visconti sei gesagt, dass Isabeaus Schwager Louis (Ludwig), Herzog von Orleans mit Valentina Visconti verheiratet war. Deren Enkel Ludwig XII. von Frankreich nutzte die Abstammung von den Visconti zielgerichtet, um die Sforza aus Mailand zu vertreiben. Und weil wir bei Isabeau schon sind, es gab schon (nicht seriöse) Versuche, Jeanne d'Arc als ihre (uneheliche) Tochter auszugeben. Big Grin


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - 913Chris - 28.12.2013 22:54

Der Haken dabei war, dass all die von dir erwähnten Wittelsbacher sich nicht primär als Wittelsbacher, sondern eben als Pfälzer oder Zweibrückener sahen und unabhängig von den bayerischen oder pfälzische Wittelsbachern agierten. Sie hätten aus Sicht der Pfälzer oder Bayern genauso gut Habsburger oder Wettiner sein können.
So kam es nie zu einer "konzertierten Aktion" aller Zweige der Witteslbacher. Das wäre aber Voraussetzung gewesen für einen Aufstieg der Wittelsbacher an die absolute Spitze, eben dahin, wo sich die Valois/Orleans/Borubonen, die Stuart, die Welfen/Hannoveraner, die Habsburger, die Hohenzollern befanden.

VG
Christian


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Teresa C. - 14.02.2016 18:16

(28.12.2013 22:54)913Chris schrieb:  Der Haken dabei war, dass all die von dir erwähnten Wittelsbacher sich nicht primär als Wittelsbacher, sondern eben als Pfälzer oder Zweibrückener sahen und unabhängig von den bayerischen oder pfälzische Wittelsbachern agierten. Sie hätten aus Sicht der Pfälzer oder Bayern genauso gut Habsburger oder Wettiner sein können.

...
VG
Christian

Ich habe vor einiger Zeit in einem Fachbuch gelesen, dass die Bezeichnung Wittelsbacher erst im 18. Jahrhundert üblich war. Zuvor sollen sie sich als Bayern bezeichnet haben.
Dazu Evemarie Clemens: Luxemburg-Böhmen, Wittelsbach-Bayern, Habsburg-Österreich und ihre genealogischen Mythen im Vergleich, 2001, S. 1f.
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(28.12.2013 20:54)913Chris schrieb:  Das war der Ludwig VII. "der Gebartete", der dann Herzog des Teilherzogtums Bayern-Ingolstadt geworden ist und dort Münster und Neues Schloß erbauen ließ bzw. damit beginnen ließ.
...

Ludwigs hochfahrendes und jähzorniges Wesen dürfte zusätzlich verhindert haben, dass er Freunde - auch politische Freunde - gewann. Ein "Prozesshansel" war er außerdem, der - weil er es militärisch nicht erreichen konnte - Gott, die Welt und seine Familie verklagte, um sein zerstückeltes Herzogtum Ingolstadt zu arrondieren. Wieder und wieder erfolglos. Dank dieser Art begegneten ihm die meisten Standesgenossen eher mit Vorsicht.

VG
Christian

Ludwig VII. "der Gebartete" hatte also auch ein "hochfahrendes und jähzorniges Wesen" - der Grund dafür, dass er als politischer Verlierer (Gefangener seines eigenen Sohnes bzw. Cousins) endete, oder vielleicht doch, weil er letztlich als politischer Verlierer endete. Auffallend aber, dass dies ein Merkmal von "politischen" Verlierern in dieser Zeit überhaupt zu sein scheint. Sceptical


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - 913Chris - 20.02.2016 11:59

(14.02.2016 18:16)Teresa C. schrieb:  Ich habe vor einiger Zeit in einem Fachbuch gelesen, dass die Bezeichnung Wittelsbacher erst im 18. Jahrhundert üblich war. Zuvor sollen sie sich als Bayern bezeichnet haben.
Dazu Evemarie Clemens: Luxemburg-Böhmen, Wittelsbach-Bayern, Habsburg-Österreich und ihre genealogischen Mythen im Vergleich, 2001, S. 1f.
--------------------

Präzise gesagt, die bayerischen Wittelsbacher haben sich als "Haus Bayern" bezeichnet und verstanden. Deswegen auch die "Eigenart" Ludwigs des Gebarteten, sich als Oberhaupt des Hauses Bayern zu bezeichnen - er war schlicht der älteste unter den seinerzeit herrschenden bayerischen Herzögen

(14.02.2016 18:16)Teresa C. schrieb:  Ludwig VII. "der Gebartete" hatte also auch ein "hochfahrendes und jähzorniges Wesen" - der Grund dafür, dass er als politischer Verlierer (Gefangener seines eigenen Sohnes bzw. Cousins) endete, oder vielleicht doch, weil er letztlich als politischer Verlierer endete. Auffallend aber, dass dies ein Merkmal von "politischen" Verlierern in dieser Zeit überhaupt zu sein scheint. Sceptical

Ein jähzorniger Mensch ist eben oft im Nachteil gegenüber einem kühl kalkulierenden Menschen, weil der jähzornige viel weniger zu Kompromissen bereit sein wird wie der kühle Rechner. Ludwig der Gebartete war in voller Überzeugung, im Recht zu sein, umso wütender, wenn er sein "Recht" nicht bekam, aufgrund des Anschlages in Konstanz auch voller Wut auf die Feiglinge, die ihn nicht offen angriffen - so handelte kein Ritter und Herrscher, so handelte ein Räuber, der nach Ludwigs Überzeugung damit eben kein Fürst mehr sein konnte. Ludwigs Pech war, dass er mit Bayern-Ingolstadt ein schwaches Teilherzogtum bekommen hatte, das zu wenig Einnahmen lieferte, um seine Politik finanzieren zu können. Außerdem war er ein Mensch, der keine Macht abgeben konnte, damit hat er sich - wie viele andere Fürstenväter auch - seinen Nachwuchs zum Feind gemacht. Da dieser Nachwuchs aber viel weniger jähzornig war als der Vater, hatte der Nachwuchs letzten Endes die besseren Karten, auch wenn Ludwig der Bucklige davon letzten Endes nichts hatte, sondern der kühle und rationale Onkel aus Landshut zusammen mit den kühlen und rationalen Rechner-Onkels aus München den Profit einstrich...Wink


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Teresa C. - 20.02.2016 19:26

(20.02.2016 11:59)913Chris schrieb:  ...

Ein jähzorniger Mensch ist eben oft im Nachteil gegenüber einem kühl kalkulierenden Menschen, weil der jähzornige viel weniger zu Kompromissen bereit sein wird wie der kühle Rechner. Ludwig der Gebartete war in voller Überzeugung, im Recht zu sein, umso wütender, wenn er sein "Recht" nicht bekam, aufgrund des Anschlages in Konstanz auch voller Wut auf die Feiglinge, die ihn nicht offen angriffen - so handelte kein Ritter und Herrscher, so handelte ein Räuber, der nach Ludwigs Überzeugung damit eben kein Fürst mehr sein konnte. Ludwigs Pech war, dass er mit Bayern-Ingolstadt ein schwaches Teilherzogtum bekommen hatte, das zu wenig Einnahmen lieferte, um seine Politik finanzieren zu können. Außerdem war er ein Mensch, der keine Macht abgeben konnte, damit hat er sich - wie viele andere Fürstenväter auch - seinen Nachwuchs zum Feind gemacht. Da dieser Nachwuchs aber viel weniger jähzornig war als der Vater, hatte der Nachwuchs letzten Endes die besseren Karten, auch wenn Ludwig der Bucklige davon letzten Endes nichts hatte, sondern der kühle und rationale Onkel aus Landshut zusammen mit den kühlen und rationalen Rechner-Onkels aus München den Profit einstrich...Wink

Ein jähzorniger Mensch mag bei einer Auseinandersetzung im Nachteil sein - aber können wir wirklich sicher sein, dass Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt jähzornig, Ludwig VIII. "der Bucklige" weniger jähzornig und Heinrich XVI. von Bayern-Landshut ein kühler und rationaler Rechner war?

So ist z. B. eine beleidigende Bemerkung von Ludwig VII. auf dem Konzil von Kostanz über Heinrich XVI. überliefert und soll diesen zu einem Mordanschlag verleitet haben. Aber abgesehen davon, dass dieser Vorfall zwar gut dokumentiert, aber die Hintergründe etwas undurchsichtig wirken, gibt es über das Konzil von Konstanz doch sehr viele Informationen, die eine gewisse Frag-Würdigkeit haben, da sie durch weitere Quellen nicht bestätigt sind (in vielen Fällen auch widerlegt werden).

Abgesehen davon - auch aus dem Umstand, das ein Vorfall überliefert ist, dass Ludwig VII. sich einmal aufgeregt und jemanden beschimpft hat, lässt sich doch kaum schließen, dass dies geschah, weil er ohnehin ein jähzorniger Mensch war. Heinrichs Mordanschlag soll dann eine spontane Reaktion auf diese Beleidigung gewesen sein, wie passt das aber zu einem kühlen und rationalen Rechner?

Der Konflikt, den Ludwig VII. später z. B. mit seinem Sohn hatte, dürfte, soweit sich das beurteilen lässt, nicht mit seinem angeblichen Jähzorn zusammenhängen.

Dass es Heinrich erfolgreich gelang, Allianzen gegen Ludwig VII. zustandezubringen, muss auch keineswegs mit charakterlichen Defiziten Ludwigs zu tun haben, bei solchen Allianzen fällt auf, dass sich die Bündnispartner davon gewöhnlich Vorteile versprachen und damit auch persönliche Ziele verfolgten.

Natürlich kann Ludwig VII. "der Gebartete" ein "hochfahrendes und jähzorniges Wesen" gehabt haben, aber in der Biographie auf Wikipedia (mein Eindruck - es dürfte in diesem Fall ein relativ kompetenter Artikel sein) erscheint er doch als relativ mehrschichtiger Charakter, und abgesehen von diesem Mordanschlag auf ihn lässt sich nichts, was das angeführt ist, mit Jähzorn motivieren.

Mag sein, dass sich neben dem Umstand, dass die Linie Bayern-Ingolstadt mit Ludwigs Sohn ausstarb und er wie auch dieser letztlich im Konflikt mit der Familie die Verlierer waren, auch seine enge Beziehungen zu Frankreich zumindest bei der Beurteilung der späteren Generationen negativ ausgewirkt haben, da er sowohl aus deutscher, als auch aus französischer Sicht schlecht wegkommt. (Seiner Schwester ist übrigens letztlich auch als Negativfigur in die Geschichte eingegangen ist.)

Aber auffallend ist halt, dass die Verlierer/innen gar nicht selten ein "hochfahrendes und jähzorniges Wesen" im Spätmittelalter hatten, das wird z. B. auch einem Herzog Karl dem Kühnen nachgesagt, dem mit König Ludwig XI. von Frankreich ein weiterer kühler und rationaler Rechner gegenüber steht. So ein Zufall!Huh


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - zaphodB. - 21.02.2016 14:32

Nun vergesst mir mal meinen Pfälzer Fritz nicht
.Friedrich I. der Siegreiche (* 1. August 1425 † 12. Dezember 1476 ) war 1451–1476 Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz und zu seiner Zeit sicherlich einer der einflussreichsten Reichsfürsten und ein ernst zu nehmender Antipode des Habsburger Kaisers Friedrich III.
Seine engen Verbindungen zu Ludwig IX. von Bayern-Landshut und Albrecht IV. von Bayern-München sowie zu seinem Bruder Ruprecht von der Pfalz der ab 1463 Erzbischof von Köln. war war zumindest der Ansatz zu einer gemeinsamen Hausmachtpolitik der Wittelbacher und sein 1465 geschlossenes Bündnis mit Karl dem Kühnen von Burgund stärkte seine Position weiter.
Es gelang ihm ,seine Gegner Kaiser Friedrich III. Bischof Georg von Metz, Markgraf Karl I. von Baden ,Graf Ulrich V. von Württemberg , Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg und Herzog Ludwig von Veldenz in die Schranken zu weisen und selbst die 1474 von Kaiser Friedrich III. ausgesprochene Reichsacht über Friedrich I. blieb ohne Wirkung.- Die damals begonnene Konfrontation mit den Habsburgern führte dazu ,dass die pfälzischen Wittelsbacher bis zur Niederlage Friedrichs V. im 30jährigen Krieg 1620 eine führende Rolle in der antihabsburgischen Koalition im Reich und in Europa spielten.


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - zaphodB. - 21.02.2016 15:13

Und dann hätte ich da noch einen, nämlich den Monsieur des cinq églises:
Clemens August Ferdinand Maria Hyazinth von Bayern (* 16. August 1700 † 6. Februar 1761 ) war Kurfürst und Erzbischof von Köln Landesherr des zugehörigen Erzstifts sowie der Nebenländer Vest Recklinghausen und Herzogtum Westfalen,Hochmeister des Deutschen Ordens, Fürstbischof von Regensburg, Münster, Osnabrück, Paderborn und Hildesheim und beherrschte damit den größten Teil Nordwestdeutschlands.
Sein Bruder war Karl Albrecht, Herzog von Bayern und als Karl VII. römisch-deutscher Kaiser.
Clemens August war auch an der Wittelsbacher Hausunion von 1724 beteiligt die im Kriegsfall vorsah. Beteiligt waren neben ihm Maximilian II. Emanuel von Bayern, der Erzbischof Trier Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, der pfälzische Erbprinz Joseph Karl von Pfalz-Sulzbach , Herzog Ferdinand von Bayern und der Bischof von Regensburg Johann Theodor von Bayern. Diese Allianz, die insgesamt vier Kurstimmen vertrat, bildete zeitweise ein süddeutsches Gegengewicht zu Habsburg.
Wäre bei dieser Konstellation nicht der von Karl II. von Spanien zum Universalerben des spanischen Weltreichs eingesetzte weitere Sohn Max Emanuels, Kurprinz Joseph Ferdinand noch am Leben gewesen und hätte sein Erbe antreten können, wäre es zu einer wittelsbacher Großmachtstellung gekommen.


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - 913Chris - 21.02.2016 19:46

Vergiss dabei aber nicht, dass Max Emanuels Sohn ein Kompromisskandidat war, und dass der Kompromiss zustande kam, weil Bayern eben KEINE Großmacht war. Die Großmachtpolitik Max Emanuels überforderte Bayern bei weitem, entsprechend nachhaltig wäre eine eventuelle Großmachtposition Bayerns unter Max Emanuel auch gewesen. Deutliches Anzeichen dafür, dass Max Emanuel das auch selber so sah, waren seine Bemühungen, Bayern gegen die (spanischen) Niederlande einzutauschen...Wink Immerhin war Bayern zu diesem Zeitpunkt gerade von den Österreichern besetzt, die also auf alle Fälle ein Gegner der imaginären Großmacht Bayern gewesen wären...Wink


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - 913Chris - 21.02.2016 20:03

(20.02.2016 19:26)Teresa C. schrieb:  Natürlich kann Ludwig VII. "der Gebartete" ein "hochfahrendes und jähzorniges Wesen" gehabt haben, aber in der Biographie auf Wikipedia (mein Eindruck - es dürfte in diesem Fall ein relativ kompetenter Artikel sein) erscheint er doch als relativ mehrschichtiger Charakter, und abgesehen von diesem Mordanschlag auf ihn lässt sich nichts, was das angeführt ist, mit Jähzorn motivieren.

Dann schau mal nach unter "Eichstätter Schied". Auch sein Vater, Stephan der Kneißl" (= "der Prächtige") war schon einer, der sich nicht das Geringste gefallen ließ, wenn er den Verdacht hatte, seine Rolle als "Vorstand" des "Hauses Bayern" sei irgendwie in Frage gestellt worden...Wink nicht zuletzt der eigene Sohn griff Stephans Stellung an, als er den Vater quasi entmachtete mit dem Argument, dessen Ausgaben überstiegen die Möglichkeiten des Herzogtums Bayern-Ingolstadt. Dass Ludwig quasi Regent Frankreichs war, dürfte seine von mir jetzt einfach mal als Überheblichkeit charakterisierte Einstellung zur eigenen Rolle nur unterstützt haben...
Der Konflikt mit Heinrich von Niederbayern dürfte nicht zuletzt darauf zurückzugehen, dass Heinrich viel reicher war als Ludwig, jedoch einst ein Mündel von Ludwigs Vater gewesen war. Ludwig als der noch dazu Ältere sah sich, das erkennt man auch aus den Quellen, als höherrangig als Heinrich an, was Heinrich naturgemäß ganz anders gesehen haben dürfte. Heinrichs Auftreten verstand Ludwig als anmaßend, was ihn zu dem Ausspruch verleitet ahben dürfte, Heinrich sei "der Sohn eines Kochs" - also illegitim. So einen Frontalangriff auf seine Legitimität konnte Heinrich nicht hinnehmen und er griff Ludwig in Konstanz an, was Ludwig wiederum dazu brachte, hinterher von Heinrich als einem "Bluthund" zu sprechen und andere fiese Schimpfwörter mehr zu gebrauchen...Wink
Beim Streit um das "Straubinger Ländchen", den bayerischen Herrschaftsbereich der vierten bayerischen Teildynastie Bayern-Holland-Straubing, die als erste der vier Zweige der Wittelsbacher ausstarb, bringt noch mehr das Selbstverständnis Ludwigs zu Tage: Er bezeichnete sich als der "eltist und wirdigst fürst von Bayrn" und beansprucht den ganzen Straubinger Anteil an Bayern für sich - kein Wunder, dass seine Vettern das verhindern wollten.
Als später Ludwig VIII. (der Bucklige) sich im Aufstand gegen den Vater befand (was Wikipedia da von "gutgemeinten Ratschlägen" des Vaters an den Sohn verzopft, stimmt nicht, diese Ratschläge waren gespickt mit Vorwürfen, dass Ludwig sich einfach nicht wie ein Herrscher benehmen könne, er solle sich mal ein Vorbild nehmen an seinem noch dazu illegitimen Halbbruder Wieland, den Favoriten Ludwigs VII. und Grund für den Aufstand Ludwigs VIII. gegen den Vater), versuchte der Eichstätter Bischof auf Geheiß des Königs (!) zu vermitteln, aber die Verhandlungen in Eichstätt fanden keinen befriedigenden Abschluss, und zwar deswegen, weil es Ludwig VII. war, der keinerlei Kompromisse eingehen wollte, obwohl Ludwig VIII. sowie die Münchner und Landshuter Vettern Ludwigs VII. sehr wohl zu Eingeständnissen bereit waren.

Wie man aus all dem sieht:
Ludwig VII. war sehr wohl jähzornig, hochfahrend, überheblich und schlicht stur, denke ich.


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Teresa C. - 21.02.2016 22:18

Hi Chris, irgendwie scheint es für dich doch sehr wichtig zu sein, dass du uns davon überzeugen kannst, dass Ludwig VII. jähzornig, hochfahrend und mit einer Reihe weiterer Charaktermängel behaftet war. "Zwinkern"

Nun, ich gebe zu, dass ich mit diesem Wittelsbacher mich nicht direkt beschäftigt habe, sondern er ist immer wieder bei Themen, die mich interessieren, aufgetaucht. Insofern kann ich wohl kaum selbst beurteilen, inwiefern deine Beschreibung von ihm tatsächlich zutrifft.

Nichts desto weniger ist mir aufgefallen, das kommt vielleicht daher, dass mein Fokus eben nicht nur auf diesem Herrn liegt, dass die Charakteristik von diesem Wittelsbacher, die du gibst, erstaunliche Parallelen zu anderen Figuren des Mittelalters und darunter mehreren Zeitgenossen zeigt, deren Lebenslauf durchaus Parallelen haben. (Karl der Kühne habe ich deswegen als Beispiel genommen, weil er sehr bekannt ist, aber er ist nicht der einzige Zeitgenosse, der als hochfahrend und jähzornig gilt.)

Zunächst einmal - welcher Reichsfürst ließ sich in dieser Zeit etwas gefallen, noch dazu, wenn er die Möglichkeit hatte, sich dagegen wehren zu können. Nehmen wir z. B. Herzog Albrecht III. von Bayern-München, der auf die böhmische Krone verzichtete und offensichtlich auf wesentliche Teile an der Erbschaft Bayern-Ingolstadt. In der Arbeit, die ich neulich zu Heinrich XVI. gelesen habe, ist sehr deutlich herausgearbeitet, dass Herzog Albrecht das nicht tat, weil er eben ein friedfertiger oder nachgiebiger Mensch war, sondern weil er Heinrich XVI. und seine Machenschaften in dieser Erbschaftangelegenheit nichts entgegensetzen konnte. Fazit: Das lag nicht an Albrechts noblen Charakter, sondern er hatte schlicht keine wirkungsvollen Möglichkeiten, um sich da gegen Heinrich XVI. durchzusetzen.

Bereits Ludwigs Vater, Stephan der Kneißl" ließ sich nicht das Geringste gefallen, wenn er den Verdacht hatte, seine Rolle als "Vorstand" des "Hauses Bayern" sei irgendwie in Frage gestellt worden. Nun, soweit ich das beurteilen kann, war er da nicht der einzige, der als "Vorstand" einer Familie so reagiert hat. (Da gibt es bei den Habsburgern zum Beispiel auch einige Fälle, nur mit dem Unterschied, dass es dort keine Vater-Sohn-Konflikte gab, da die Väter (von Kaiser Friedrich III. abgesehen), gewöhnlich relativ jung gestorben sind. Die meisten Herrschaftsteilungen innerhalb von Familien im 15. Jahrhundert dürften damit zusammenhängen, dass es den Mitgliedern nicht möglich war, gemeinsam eine Herrschaft zu führen und die Rechte von jüngeren Brüdern z. B. nicht einfach links liegen gelassen werden konnten.)

Warum aber wird dann eigentlich nur Ludwig VII. oder seinem Vater Überheblichkeit vorgeworfen?

Auf der anderen Seite wäre sicher nicht uninteressant auch einmal die zeitgenössischen Quellen und Mitteilungen zu überprüfen.

Nehmen wir z. B. den Mordanschlag auf dem Konzil von Konstanz. Soweit ich es beurteilen kann, dürfte Heinrich XVI. den besseren Draht zu König Sig(is)mund gehabt haben und in den beiden wichtigsten Chroniken über das Konzil (Richental und Windecke, das Werk von letzterem ist uns allerdings nur in späteren Fassungen aus den 1460er Jahren überliefert, die durchaus Bearbeitungen sein dürften) ist eindeutig eine Parteinahme für Sigmund auszumachen. Das könnte sich durchwegs auf eine Darstellung Ludwigs zuungunsten Heinrichs ausgewirkt haben.

Ganz aufschlussreich ist für mich jedenfalls, dass der "Mordanschlag" für Heinrich XVI. keineswegs irgendwelche schwerwiegende Konsequenzen hatte. Etwas merkwürdig kommt mir das schon vor.

Könnte es nicht sein, dass die Bemerkungen, die Ludwig VII. zuvor und danach gemacht haben soll, vielleicht aufgebauscht wurden, weil sich die Zeitgenossen, die keinen Einblick in die politischen Zusammenhänge hatte, doch irgendwie erklären mussten, wie es zu so etwas kommen konnte und warum dieser "Mordanschlag" offensichtlich keine richtigen Folgen für den Täter hatte.

Wie gesagt, mir persönlich ist schon egal, ob Ludwig VII. seinen "schlechten" Ruf zu Recht hatte oder nicht, aber als Historikerin finde ich halt, dass eine gewisse Hinterfragung doch nicht ganz unangebracht ist. (Siehe dazu auch meine Signatur, die das ganz gut ausdrückt.)


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - 913Chris - 24.02.2016 18:18

Stimmt schon, die Wittelsbacher scheinen immer wieder jähzornige Exponenten gehabt zu haben, man denke nur an Ludwig den Strengen, der, wenn er weniger erfolgreich geherrscht hätte, sicher auch eher "Ludwig der Blindwütige" oder so geheißen hätte...Wink
Aber ich hab mich auch als Historiker mit Ludwig VII. beschäftigt und muss deshalb schon auch sagen, dass gerade die Geschichten rund um den Eichstätter Schiedsspruch ein Bild von dem Herzog von Ingolstadt zeichnen, das auch den Zeitgenossen, die ja jähzornige (nach heutigem Maßstab jedenfalls) Fürsten gewohnt waren, ein Bild von besonderem Starrsinn und Hoffahrt vermittelte...Aber wir waren ja eigentlich bei Wittelsbach als Fast-Großmacht.
Ludwig VII. als Regent von Frankreich hatte es sich zum Ziel gesetzt, Bayern (und zwar da wieder in erster Linie sein Teilherzogtum) als Basis für eine Machtpolitik zu nutzen, wie sie auch die ersten beiden Ludwige als bayerische Herzöge gepflegt haben: Die Machtbasis war zwar schmal, aber der Einfluss groß. Nur, dass Ludwig VII. in Heinrich XVI. einen gewieften Gegenspieler hate, der auch noch viel reicher war als er und sich keinen Deut darum scherte, dass der ältere auch der höherrangige sein sollte.
Ich habs jetzt grade nicht greifbar, aber nach Konstanz nutzte Ludwig VII. seine Verbindungen zum Ritterbund "vom Georgenschild", um Heinrich doch noch irgendwie an den Karren fahren zu können. Heinrich gründete daraufhin die "Kelheimer Sittichgesellschaft" (laut Wiki eine Anspielung auf Ludwigs persönlichen Wappenvogel, den Raben), der alle Fürsten aneghörten, die Ludwig die Ehre hatte, sie zu seinen Gegnern zählen zu dürfen - in Kürze: Es waren alle anderen bayerischen und in Bayern engagierten Fürsten...allesamt Wittelsbacher. Dass unter diesen Umständen aus dem eigentlich recht machtvollen Bayern nichts großartiges werden konnte, war erst mal klar. Erst mit dem Aussterben erst der Ingolstädter und dann der Landshuter Linie konnten alle Teilgherzogtümer wieder vereint werden und Bayern wieder zu einer Macht aufsteigen, die zwar keine ausdrückliche Großmacht war, mit der man aber im Spiel der Großmächte rechnen musste...


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Suebe - 25.02.2016 19:28

Ich habe mal ein bißchen in die frühe Wittelsbacher Historie geschaut.

Die Wittelsbacher sind Nachfahren der Grafen von Scheyern. Ist das wirklich gesichert?
Warum nehmen die denn recht früh den Namen eines ihrer Ministerialen?

Sorry, wenn ich hier nachfrage.
Der Doyen der Staufer-Forschung der 70er Jahre hat sich da ja einiges geleistet

Zitat:Erst nach seinem Tod wurde in Historikerkreisen bekannt, in welchem Umfang seine bereits zu seinen Lebenszeiten umstrittenen genealogischen Studien auf eigenen Quellenfälschungen beruhten.[1]
aus wiki

In der neueren Forschung abgelehnt werden die von Decker-Hauff im Katalog zur Stuttgarter Stauferausstellung 1977 aufgestellten genealogischen Hypothesen, die mit den gefälschten Quellenstellen belegt werden sollten.[2] Der Bonner Historiker Tobias Weller kommt zu dem Schluss, dass es die angeblichen Heiratsverbindungen nie gegeben hat.[3]

Klaus Graf und Gerhard Lubich[4] konnten unabhängig voneinander durch Auswertung der erhaltenen Reste des 1944 im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten Roten Buchs des Klosters Lorch zeigen, dass die von Decker-Hauff aus dieser Quelle mitgeteilten Exzerpte dort nicht gestanden haben können. Dieses Ergebnis, das auf den Vorwurf einer Quellenfälschung an die Adresse Decker-Hauffs hinausläuft, wurde in der Forschung akzeptiert.[5]

Auch das von Decker-Hauff wiederholt angeführte Hauff'sche Epitaphienbüchlein ist allem Anschein nach eine Erfindung Decker-Hauffs.[6] Eine fachwissenschaftliche Verteidigung, die Decker-Hauff gegen diese Vorwürfe in Schutz nimmt, existiert nicht

und man kommt da schon auf weitere Ideen.


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Teresa C. - 25.02.2016 21:40

Könnte es nicht sein, dass Decker-Hauff vielleicht seine Zusatzergebnisse aus Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert hat, deren Aussagen er unkritisch übernahm, und sich vielleicht das Fehlen in den Originalquellen damit erklärt, dass diese Teile halt inzwischen verloren gegangen waren? (Vielleicht waren ihm auch nicht alle Quellen zugänglich.)

In dem Buch, was ich zurzeit lese, wird übrigens der Umstand, dass die Wittelsbacher diese Bezeichnung schon im Mittelalter nicht mehr verwendeten, darauf zurückgeführt, dass der Name durch Otto von Wittelsbach, der als Schuldiger an der Ermordung des Stauferkönigs Philipp (von Schwaben, Bruder von Kaiser Heinrich VI.) gilt, schwer belastet war.
(Quelle: Evemarie Clemens: Luxemburg-Böhmen, Wittelsbach-Bayern, Habsburg-Österreich und ihre genealogischen Mythen im Vergleich (Zugl. Bonn, Univ., Diss, 2001), Trier 2001


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Suebe - 26.02.2016 10:16

(25.02.2016 21:40)Teresa C. schrieb:  Könnte es nicht sein, dass Decker-Hauff vielleicht seine Zusatzergebnisse aus Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert hat, deren Aussagen er unkritisch übernahm, und sich vielleicht das Fehlen in den Originalquellen damit erklärt, dass diese Teile halt inzwischen verloren gegangen waren? (Vielleicht waren ihm auch nicht alle Quellen zugänglich.)

./.

Ja, genau so hat es Decker-Hauff dargestellt.
Er war der letzte, der das unbeschädigte "Rote Buch" des Klosters Lorch wissenschaftlich bearbeitete.
Das Buch ist im 2.WK schwer beschädigt worden. War vermeitnlich für immer verloren.
Und zur großen Staufer Ausstellung 1977 hat der Hansmartin seine "Alleinstellung" zu einem größeren Fantasieprodukt genutzt.
Schon damals gab es erhebliche Zweifel, aber wer wollte diesem Schwergewicht widersprechen.
Inzwischen wurden relevante Teile des "Roten Buches" wieder lesbar gemacht, und es gibt keinen Zweifel mehr.
Er hat halt den technologischen Fortschritt nicht einkalkuliert.... Thumbs_down
Dass er dann noch seine Familiengeschichte an Hand selbst gefälschter Quellen powerte, ist da nur noch lustig, passt aber ins Bild.

Aber was schreibe ich da, chris wird bei ihm studiert haben, der kennt das ganze noch viel besser.


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Suebe - 26.02.2016 10:42

Tja, die Quelle vergessen.
Sorry

https://www.freidok.uni-freiburg.de/data/5266/

Zitat:Der Beitrag thematisiert anhand der im Benediktinerkloster Lorch bei Schwäbisch Gmünd, des staufischen Hausklosters, entstandenen Traditionsbildung die Dialektik von Überlieferungsbildung und Überlieferungsverlust. Er zeigt, dass die von Hansmartin Decker-Hauff angeblich aus dem von Augustin Seiz um 1500 angelegten "Roten Buch" (schwer beschädigt im Hauptstaatsarchiv Stuttgart) exzerpierten und 1977 mitgeteilten Quellen zur frühen staufischen Genealogie dort gar nicht vorhanden waren. Gliederung: Die Gründungserzählung im 'Roten Buch'; Die Texte über die Lorcher Staufergräber; Zur Genealogie der Staufer - Bemerkungen zur Forschungsgeschichte

Was den Freiburgern ein "gmäthes Wiesle" gewesen sein wird.
Es sind zwei ähnlich renommierte Unis, Freiburg und Tübingen die interessaterweise auch die selbe Gründerin haben.


RE: Wittelsbacher als Fast-Großmacht - Teresa C. - 26.02.2016 11:28

(26.02.2016 10:42)Suebe schrieb:  Was den Freiburgern ein "gmäthes Wiesle" gewesen sein wird.
Es sind zwei ähnlich renommierte Unis, Freiburg und Tübingen die interessaterweise auch die selbe Gründerin haben.

Wobei in neueren Arbeiten zur Forschung der "armen" Mechthild von der Pfalz (einer weiteren Wittelsbacherin) ihre Beteiligung an der Gründung Freiburg inzwischen doch stark relativiert oder sogar in Frage gestellt wurde.

Einerseits ist sie in den Schriftquellen zur Gründung nicht präsent, zum anderen hat sie später sogar mit der Universität noch um Einkünfte aus einer Kirchenpfründe gestritten, was für eine Stifterin bzw. Universitätsförderin doch ein etwas seltsames Verhalten ist.

Quelle:
- Heiko Haumann - Hans Schadek: Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau, 2001, Bd. 1
- Konstantin Moritz A. Langmaier: Erzherzog Albrecht VI. von Österreich (1418–1463). Ein Fürst im Spannungsfeld von Dynastie, Regionen und Reich. Köln u.a. 2015