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Phryger = Seevölker in Anatolien? - Druckversion

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RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Harald1 - 25.03.2013 18:24

(25.03.2013 17:20)Bunbury schrieb:  
(25.03.2013 12:17)Paul schrieb:  Die Karer sind ein gutes Stichwort. So etwas wie den Trojanischen Krieg muß es gegeben haben, denn die Griechen haben die dann jonische Küste besiedelt. Vorher lebten da die Karer. Es ist plausiebel, das ein Teil der Karer vor den Griechen z.B. als Folge der Enteignungen und aus Furcht vor Versklavung floh.

Erstaunlich, aber wahr- wir beide stimmen mal in einer Sache überein.Wink

Toll, ihr stimmt beide überein und ihr liegt beide falsch.
Die Besiedlung der jonischen Küste durch die Ionier hat mit dem Trojanischen Krieg überhaupt nichts zu tun, sondern war etliches später und die Folge des Eindringens der Dorer von Norden her. Hier könnte man eine Verbindung zu den Seevölkern suchen. Die Jonier besiedelten die gleichnamigen Inseln und die kleinasiatische Küste. Auf den Inseln lebten vorher nur Pelasger, die möglicherweise auswanderten. Auf dem Festland verdrängten sie niemanden. Die Karer zu unterwerfen und versklaven waren die Jonier schon zahlenmäßig nicht in der Lage.


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Bunbury - 25.03.2013 18:37

Lies doch einfach mal genauer. Niemand hat behauptet, die Ionier hätten die Karer unterworfen oder vertrieben. Im Gegenteil wurde behauptet, daß die Ioner Bereiche besiedelten, die zuvor von den Karern verlassen wurde.

Eigentlich sollte klar sein, daß beide Aussagen nicht deckungsgleich sind...


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Bunbury - 25.03.2013 18:55

(25.03.2013 11:01)913Chris schrieb:  Troja war einfach strategisch zu wichtig, um nach dem Trojanischen Krieg als Ödnis dazulegen (sofern es den Trojanischen Krieg als solchen überhaupt gegeben hat, aber das ist ein anderes Thema; gehen wir mal davon aus, es hat ihn gegeben).
Der Trojanische Krieg á la Homer passt ins Szenario rund um die Seevölker, denn warum sollten die Mykener plötzlich Troja angreifen, das ihnen sicher schon lang ein Dorn im Auge war, wenn nicht die Mykener selbst in einer Situation waren, die einen Angriff auf die Macht am Bosporus als notwendig erscheinen ließ? In der allgemeinen Umbruchsituation gegen Ende der Bronzezeit (in der ja in einigen mykenischen Städten schon Zeichen des Niedergangs von der Archäologie belegt sind, lange bevor die Städte dann tatsächlich untergingen bzw. verlassen wurden) brachen den Mykenern offenbar ältere Handelsverbindungen weg, sie brauchten neue Handelsziele, die den Verlust der alten wett machen konnten, und da bot sich das von Troja quasi "bewachte" Schwarze Meer an.
Andere Völker, die sich nicht auf diese Weise "Luft" verschaffen konnten, machten sich auf die Wanderschaft und wurden zu den von den Ägyptern (!) so genannten "Seevölkern".
Vermutlich schlossen sich auf dem Zug der Seevölker immer wieder andere Völker an, die quasi "auf dem Weg" lagen und ebenfalls lieber auswanderten als mit der Situaiton zu Hause klar zu kommen.
Der Wegfall der nordwestanatolischen Macht, die wir mit Troja identifizieren, dürfte dort auch zu Verwerfungen geführt haben. Die Vorfahren der Phryger und Lydier stammten offensichtlich aus diesem Raum und stellten also quasi "Wirtschafts-" oder "Kriegsflüchtlinge" dar, die im Innern Anatoliens ihr Heil suchten.
Nachdem die Hethiter als Machtfaktor weggefallen waren - und angesichts der Fragilität des Hethiterreiches am Ende der Bronzezeit (Stichwort Machtkämpfe um den Thron) reichte eine Niederlage in einer Seeschlacht, um den ganzen Staat zu Fall zu bringen. Zogen dazu noch einige Völker auf dem Landweg durchs Land (und konnten nicht aufgehalten werden), war das Ansehen der Hethiter bei den beherrschten anatolischen Völkern dahin und damit ihre Macht. Reich zerstört. Von Ugarit wissen wir, dass zuerst die lebenswichtige Flotte vernichtet wurde (in einer Seeschlacht mit den Seevölkern, bei der auch gleich die ganzen anderen "Hilfsflotten" in hethitischen Diensten drauf gingen) und dann die Stadt erobert wurde. Da haben wir also einen Doppelschlag, der durchaus auch anderswo passiert sein könnte, nicht jedoch in Hattuscha, das offenbar planmäßig verlassen wurde und später von Trägern einer ganz anderen, viel primitiveren Kultur wieder besiedelt wurde, wenn auch in viel geringerem Umfang als zuvor.

Sehr schön zusammengefaßt.

(25.03.2013 11:01)913Chris schrieb:  Kurz: Das Auftauchen der Phryger und Lydier steht sicher in irgendeinem Zusammenhang mit dem Seevölkerzug, aber ob sie wirklich zu den Seevölkern gehörten, wage ich zu bezweifeln. Eher zähle ich sie zu den unter dem Seevölkerzug Leidenden, die nach dem Durchzug der Seevölker irgendwie wieder zurecht kamen. Und zwar in neuen Siedlungsplätzen.

VG
Christian

Ich denke, daß das, was als "Seevölker" in Ägypten ankam, nicht unbedingt auch im Norden der Ägäis als "Seevölker" angefangen hat.
Vielleicht gehe ich auch ein wenig zu salopp mit dem Begriff "Seevölker" um- für mich steht am Ende der Bronzezeit um 1200 v. Chr. ein regelrechter Kulturumbruch im östlichen Mittelmeer fest. Vermutlich war dieser Umbruch zwangsläufig, denn die Strukturen der Bronzezeit hatten ihre Blüte eigentlich überschritten. Städte und Königreiche zerfielen, Bündnisse brachen auseinander, Volksstämme gingen auf die Wanderschaft.
Von daher sind die Phryger vielleicht nicht unbedingt unter denen gewesen, die in Ägypten ankamen, aber sie gehörten zu den Völkern, die am Ende der Bronzezeit in Bewegung gerieten und in neue Gebiete vordrangen- wo sie möglicherweise in einer Art Dominoeffekt wieder andere Gruppen vertrieben.

Fraglich ist jetzt nur, was den Kulturumbruch ausgelöst hat.

Wenn ich dich richtig verstehe, gehst du davon aus, daß von außerhalb des Kulturraumes Druck auf die Mykener ausgeübt wurden, die daraufhin z.B. troja angriffen. Dieser Druck wurde dann gewisser maßen als Seevölkersturm auf das ganze östliche Mittelmeer weitergegeben.

Was ist aber, wenn es anders war? Wenn das System der späten Bronzezeit seinen zenit überschritten hatte und keine Expansion und Weiterentwicklung mehr erlaubte? Wenn es Konflikte gab um das, was bereits da war? Was, wenn der Kulturumbruch am Ende der Bronzezeit dadurch ausgelöst wurde, daß einer der Beteiligten auf Kosten der anderen wachsen wollte? (Wobei ich nicht zwangsläufig davon ausgehe, daß die Mykener die Agressoren waren. ) Was passiert, wenn ein Markt gesättigt ist? Übernahmeschlachten beginnen. Der Reichtum der späten Bronzezeit beruhte auf Handel. Also warum sollte es hier nicht um die Sicherung des eigenen Wohlstandes gegangen sein? Dort, wo keine Expansion mehr möglich ist, greift man die Konkurrenten an...

Was ist, wenn der Krieg zwischen Troja und Mykene zu einem machtvakuum führte, in das dann Völkerschaften von Außen eindringen konnten?


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Harald1 - 25.03.2013 18:56

Dann lies doch mal was Paul schreibz. Ihr seid euch doch so einig.


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Harald1 - 26.03.2013 14:15

Das Machtvakuum in der Troas nach dem kompletten Sieg der Achäer wurde von diesen gleich oder bald ausgefüllt und Troja wieder aufgebaut. Vertrieben wurde dabei niemand von Bedeutung, denn es war niemand da.
Mit den Seevölkern hat das überhaupt nichts zu tun.

Die Jonier wurden vertrieben auf die gleichnamigen Inseln und die kleinasiatische Küste durch das Eindringen der aus Nordwestgriechenland kommenden Dorer, der griechischen Sage nach die "Söhne des Herkules", die fast den gesamten Peloponnes einschl. Mykene eroberten. Über den genauen Zeitpunkt ist sich die Wissenschaft nicht einig, zwischen 1.200 und 1.000 vor. An der kleinasiatischen Küste vertrieben die Jonier niemanden, denn sie besiedelten unbewohnte Gebiete.
Auf den jonischen Inseln lebten vorher Pelasger. Es ist möglich, daß diese flüchteten und damit die Seevölkerwanderung auslösten.


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - 913Chris - 26.03.2013 15:37

(25.03.2013 18:55)Bunbury schrieb:  Wenn ich dich richtig verstehe, gehst du davon aus, daß von außerhalb des Kulturraumes Druck auf die Mykener ausgeübt wurden, die daraufhin z.B. troja angriffen. Dieser Druck wurde dann gewisser maßen als Seevölkersturm auf das ganze östliche Mittelmeer weitergegeben.

Was ist aber, wenn es anders war?

War es auch; ich hab mich wohl missverständlich ausgedrückt.
Es kann auch gar nicht anders gewesen sein, als dass es schon vor den Seevölkern - und eventuell sogar als Auslöser auch der Seevölkerwanderung - einen wirtschaftlichen Zusammenbruch im gesamten Nahen Osten gegeben hat; eventuell bestärkt durch natürliche Missgunstfaktoren, aber hauptsächlich wohl wirtschaftlich begründet und im Gefolge dessen dann auch außenpolitisch bedeutsam (siehe Trojakrieg).

Warum es nicht anders gewesen sein kann? Weil auch Kulturen zusammenbrachen, die mit den Seevölkern gar nicht in Kontakt kamen, und das teilweise auch schon vor den Seevölkern (z.B. mykenisches Griechenland; das brach zwar noch nicht ganz zusammen, aber einzelne Städte zeigen schon relativ früh Anzeichen eines Fast-Zusammenbruchs, wohl durch massiven Verlust von Ansehen der Führungskaste verursacht, der wiederum den wirtschaftlichen Niedergang und/oder Naturkatastrophen - Erdbeben etwa, die nachgewiesen sind - als Auslöser hatte). Direkt durch die Seevölker beeinträchtigt - aber nicht direkt angegriffen - wurde das mittelassyrische Reich, das sich - wie Ägypten auch - nur mühsam behaupten konnte. Kein Wunder, so wichtige Handelspartner wie die Mykener, Ugarit oder Kanaan und die Hethiter waren plötzlich nicht mehr da...

Weitere Faktoren, die die bedeutenden politischen Mächte dieser Zeit schwächten, sind vorhanden: In Ägypten hatte die "ewige" Regierungszeit Ramses II. ironischerweise das Reich geschwächt; wir erfahren nach Ramses II. von ersten Palastintrigen gegen den Pharao - undenkbar in früheren Zeiten...
Auch Assyrien erfuhr nach der langen und erfolgreichen (eroberungstechnisch gesehen) Herrschaft Tukulit-Ninurtas I. einen Niedergang. Tukulti-Ninurta war schon der dritte aufeinanderfolgende assyrische König gewesen, der sehr lange - wenn auch nicht so lange wie Ramses II. - regiert hatte; dies trug eventuell mit zur Schwächung des Mittelassyrischen Reiches bei.

All in all scheint der Alte Orient um 1200 herum geschwächt gewesen zu sein: In wichtigen Staaten - Ägypten, Hethiter, Assyrien - brachen innenpolitische Querelen aus, die das gesamte Wirtschaftssystem der Region mit schwächten, damit auch die kleineren Handelsnationen - Mykener, Troja, Ugarit - so dass schließlich die Seevölker (die ja auch aus irgendwelchen Gründen aufgebrochen waren, warum nicht deswegen, weil die Handelspartner ihnen ihre Waren nicht mehr abkauften und sie dadurch in Not gerieten; kam dann noch Mutter Natur mit Katastrophen oder einfach schlechtem Wetter dazu, hielt die Völker offenbar nichts mehr in der alten Heimat...) nur den letzten Sargnagel zur bronzezeitlichen Mittelmeerwelt liefern mussten. Ihr Zug war der letzte Faktor, der das wacklige Gebäude des Alten Orients der Bronzezeit zum endgültigen Einsturz brachte.

VG
Christian


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Harald1 - 26.03.2013 16:59

Hallo Chris! Ja, so kann es gewesen sein. Oder auch nicht.
Dasselbe wird man sicher einst über das Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts sagen.


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - 913Chris - 26.03.2013 17:11

So Sachen sind halt sehr kompliziert. Wenn wir schon nicht ganz durchschauen, warum wir derzeit in einer Krise stecken, wie soll uns das dann mit einer Krise gelingen, die 4000 Jahre zurück liegt?
*Philosophie Grundkurs aus* Wink

VG
Christian


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Arkona - 27.03.2013 13:59

Ich habe lange mitgelesen. Über die Seevölkerinvasion gibt es ja viel Spekulatius, bis hin zu Pastor Spanuths Uratlantikern aus den Nordseewatten. Betrachtet man das ganz nüchtern, stammt das Ganze erstmal vom Balkan und war eine frühe Völkerwanderung. Ob die von weiter im Norden angestossen wurde, weiß bis dato nur der liebe Gott. Das sogenannte germeingermanische Griffzungen-Schwert, bis nach Ägypten nachweisbar, ist ein Topos und stammt in der Vorlage eher aus Ungarn als aus Schweden.


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Harald1 - 27.03.2013 14:44

Jetzt kommst du wieder mit ganz neuen Begriffen, über die man erstmal nachlesen muß. Was ist ein gemeingermanisches Griffzungenschwert? Was ist ein Topos?

Na gut, dann können wir doch gleich den Thread über Atlantis aufmachen, wie von Bunbury vorgeschlagen.


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Arkona - 27.03.2013 15:18

(27.03.2013 14:44)Harald1 schrieb:  Jetzt kommst du wieder mit ganz neuen Begriffen, über die man erstmal nachlesen muß. Was ist ein gemeingermanisches Griffzungenschwert? Was ist ein Topos?

Na gut, dann können wir doch gleich den Thread über Atlantis aufmachen, wie von Bunbury vorgeschlagen.

Schon mal gegoogelt?


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Harald1 - 27.03.2013 17:17

Ja, deswegen schreibe ich ja von Atlantis.
In # 25 schrieb ich von Herkules. Muß natürlich Herakles heißen.
Wer hat den nun die Ilias verfaßt? Siehe deine Signatur.


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Bunbury - 28.03.2013 00:21

Ich habe mal wieder mein umstrittenes Buch zur hand genommen, nach langer Zeit mal wieder, und bin dann gleich am Anfang über eine sehr provokante Frage gestolpert, die ich an dieser Stelle einfach mal weitergebe.

Übre die Seevölker wird ja sagenhaft viel gerätselt und nachgedacht und im allgemeinen ist man der meinung, daß der kulturelle Umbruch im östlichen Mittelmeer am Ende der Bronzezeit um 1200 v. Chr. das Werk der Seevölker ist.

Das wird mittlerweile als Allgemeinwissen ja schon fast vorausgesetzt. Die Frage ist nur- stimmt das überhaupt?

Ausgrabungen an diversen Stellen des östlichen mittelmeers belegen, daß es um das jahr 1200 v. Chr. zu einer ganzen Reihen von kulturellen Umbrüchen kam. Städte wurden zerstört, Landstriche verlassen, neue Städte gegründet und dergleichen mehr.

Die erklärung für all das fand sich dann schließlich in Medinet Habu- eine ägyptische Tempelinschrift spricht von den Seevölkern, die das Mittelmeer heimgesucht hatten und nur mit Mühe und Not von den Ägyptern besiegt werden konnten.

Die Erklärung für die kulturellen Umbrüche war also gefundne- fremde Völker kamen und schlugen alles kurz und klein.

Nur stelle ich jetzt einmal eine ganz blöde Frage- man weiß doch von äygptischen Tempelinschriften, daß sie historisch nicht sonderlich zuverlässig waren. Da wurde schon mal als ägyptischer Sieg verbucht, was eigentlich eine Niederlage oder bestfalls ein Unentschieden war. Andere Siege wurden gedoppelt, so daß aus einem Sieg zwei wurden. Auch wurden gnadenlos Feldzüge, die ein längst verstorbener Pharao unternommen hatte, gewissermaßen "recycelt." und einem anderen zugeschrieben.

Warum also sollen ausgerechnet die Berichte über die Seevölker in Ägypten akkurate Tatsachen gewesen sein? Ist es wirklich gerechtfertigt, alles, was um 1200 v., Chr. im östlichen Mittelmeer passierte, mit den "Seevölkern" in verbindung zu bringen aufgrund einer ägyptischen Tempelinschrift, deren Wahrheitsgehalt dann doch eher zweifelhaft ist?

Es hat Bewegungen in der Ägäis gegeben, das ist sicher. es sind auch Völker aus dem Norden nachgekommen, das läßt sich archäologisch nachweisen. Sind sie aber vor- oder erst nach dem Kulturumbruch gekommen?

Ich bin schon sehr gespannt auf eure Antworten.

(Und den Atlantis Thread gibt es nächste Woche, ich muss jetzt erst noch mal zu Ende renovieren, bis Ostern ist nicht mehr viel Zeit...)


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Sansavoir - 28.03.2013 05:27

(26.03.2013 15:37)913Chris schrieb:  War es auch; ich hab mich wohl missverständlich ausgedrückt.
Es kann auch gar nicht anders gewesen sein, als dass es schon vor den Seevölkern - und eventuell sogar als Auslöser auch der Seevölkerwanderung - einen wirtschaftlichen Zusammenbruch im gesamten Nahen Osten gegeben hat; eventuell bestärkt durch natürliche Missgunstfaktoren, aber hauptsächlich wohl wirtschaftlich begründet und im Gefolge dessen dann auch außenpolitisch bedeutsam (siehe Trojakrieg).

Ich halte den wirtschaftlichen Zusammenbruch der um 1200 v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum und im Vorderen Orient vorherrschenden Palastwirtschaft als zentrales Ereignis dieser Zeit. Die Palastwirtschaft war eine zentralistische Wirtschaftsform, im Palast erfolgte eine zentrale Lenkung und Koordination von bereits arbeitsteiligen Gesellschaften. Der Palast diente als Wohnstätte des Königs und seiner Administration, er fungierte außerdem als Lager für Güter und im Palast befanden sich Werkstätten, in denen Handwerker für den Bedarf des Palastes arbeiteten. Der Palast regulierte das Verteilen von Gütern, das Einfordern von Abgaben und er steuerte den Fernhandel, der wohl das gemeinsame Band der verschiedenen Gesellschaften gewesen war. Dieses System hatte sich etwa um 1600/1500 v. Chr. in Griechenland und im östlichen Mittelmeer durchgesetzt.

Aufgrund des Zentralismus der Wirtschaft hatte dieses System (auf Dauer) nur einen begrenzten Spielraum. Fehlentscheidungen des Palasts, Niederlagen in Kriegen oder Naturkatastrophen konnten die Existenz dieser Gesellschaften schnell gefährden. So ist es vorstellbar, dass militärische Aktionen von Einwanderern (z.B. Proto-Illyrer, Dorier) zum raschen Zusammenbruch von bereits vorher von inneren Krisen gezeichneten Gesellschaften führten. Dass die mykenische Kultur noch bis 1050 v. Chr. weiter bestand, bedeutet ja nicht, dass um 1200 kein wirtschaftlicher Zusammenbruch stattfand. Eventuell gelang es einer neuen Führungsschicht, eine verbesserte Form der Palastwirtschaft für 150 Jahre zu etablieren.

Kann es nicht sein, dass zumindest ein Teil der „Seevölker“ sich aus der Bevölkerung der untergegangenen Gesellschaften rekrutiert hat? Oder die "Seevölker" aus einer Verbindung von Einwanderern und ursprünglicher Bevölkerung hervorgegangen sind? Das würde bedeuten, dass Teile einer sesshaften Bevölkerung sich entschieden haben, als Nomaden bzw. Seenomaden zu leben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der relativ zeitgleiche Untergang von Handelszentren wie Troja und Ugarit nicht nur in der gleichen Ursache begründet, sondern auch auf die gleichen Verursacher zurückzuführen ist.

(28.03.2013 00:21)Bunbury schrieb:  Warum also sollen ausgerechnet die Berichte über die Seevölker in Ägypten akkurate Tatsachen gewesen sein? Ist es wirklich gerechtfertigt, alles, was um 1200 v., Chr. im östlichen Mittelmeer passierte, mit den "Seevölkern" in verbindung zu bringen aufgrund einer ägyptischen Tempelinschrift, deren Wahrheitsgehalt dann doch eher zweifelhaft ist?

Der Begriff „Seevölker“ kann durchaus eine propagandistische Erfindung der Ägypter sein. Das bedeutet natürlich nicht, dass die beschriebenen Ereignisse der Ägypter nicht stimmen.
Was spricht dagegen, dass sich die „Seevölker“ aus einer Bevölkerung gebildet haben, die nach dem Zusammenbruch ihre Sesshaftigkeit aufgegeben hat und seitdem als Seenomaden von Piraterie lebte. Immerhin klingt es doch besser, dass Ramses III. 1177 statt Piraten „Seevölker“ besiegt hat. Vielleicht wollte Ramses III. ganz bewusst die sicher erkannte soziale Komponente nicht unter seinen Untertanen verbreiten.

(28.03.2013 00:21)Bunbury schrieb:  Es hat Bewegungen in der Ägäis gegeben, das ist sicher. es sind auch Völker aus dem Norden nachgekommen, das läßt sich archäologisch nachweisen. Sind sie aber vor- oder erst nach dem Kulturumbruch gekommen?

Vorstellbar: Zuerst kamen Einwanderer (Illyrien, Balkan, Thrakien), deren Ankunft zum Zusammenbruch des bereits kränkelnden Systems der Palastwirtschaft führte. Teile der einheimischen Bevölkerung geben ihre Sesshaftigkeit auf und bilden entweder mit den Einwanderern oder in völligen neuen Verbänden ein mobiles „Volk“. Diese „Völker“ werden Seenomaden, die im östlichen Mittelmeer vor allem von der Piraterie leben. Die verlassenen Gebiete locken neue Einwanderer an, von denen ein sich in Griechenland oder Anatolien ansiedelte, ein anderer Teil (als Seenomade?) weiter zog.


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - 913Chris - 28.03.2013 08:53

Gut vorstellbar das Ganze. Laut Archäologen war ja z.B. Griechenland nach dem Seevölkerzug bevölkerungstechnisch erst einmal sehr mager besiedelt, weniger zumindest als zuvor. Einige der in Ägypten überlieferten Namen von einzelnen Seevölkern deuten auf griechische Stämme. Wär auch irgendwie logisch, wenn die Bevölkerung eines Landstrichs, der eh unter eine existentiellen Krise leidet - wie das mykenische Griechenland - sich Leuten anschließt, die ebenfalls vor einer existentiellen Bedrohung fliehen und in der Hoffnung auf irgendein "gelobtes Land" umherziehen.

VG
Christian


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Bunbury - 28.03.2013 12:06

(28.03.2013 05:27)Sansavoir schrieb:  Der Begriff „Seevölker“ kann durchaus eine propagandistische Erfindung der Ägypter sein. Das bedeutet natürlich nicht, dass die beschriebenen Ereignisse der Ägypter nicht stimmen.
Was spricht dagegen, dass sich die „Seevölker“ aus einer Bevölkerung gebildet haben, die nach dem Zusammenbruch ihre Sesshaftigkeit aufgegeben hat und seitdem als Seenomaden von Piraterie lebte. Immerhin klingt es doch besser, dass Ramses III. 1177 statt Piraten „Seevölker“ besiegt hat. Vielleicht wollte Ramses III. ganz bewusst die sicher erkannte soziale Komponente nicht unter seinen Untertanen verbreiten.

Für eine reine Erfindung halte ich die Seevölker nicht. Nur macht es halt die Tatsache, daß die Ägypter es mit ihren Inschriften nicht genau nahmen, manchmal Ereignisse wiederholten, die schon Jahre zurücklagen oder einen Feldzug als zwei darstellten, enorm schwieirg, den Zeitpunkt und Umfang dessen zu bestimmen, was da als "Seevölker" Invasion beschrieben stand...

(28.03.2013 05:27)Sansavoir schrieb:  
(28.03.2013 00:21)Bunbury schrieb:  Es hat Bewegungen in der Ägäis gegeben, das ist sicher. es sind auch Völker aus dem Norden nachgekommen, das läßt sich archäologisch nachweisen. Sind sie aber vor- oder erst nach dem Kulturumbruch gekommen?

Vorstellbar: Zuerst kamen Einwanderer (Illyrien, Balkan, Thrakien), deren Ankunft zum Zusammenbruch des bereits kränkelnden Systems der Palastwirtschaft führte. Teile der einheimischen Bevölkerung geben ihre Sesshaftigkeit auf und bilden entweder mit den Einwanderern oder in völligen neuen Verbänden ein mobiles „Volk“. Diese „Völker“ werden Seenomaden, die im östlichen Mittelmeer vor allem von der Piraterie leben. Die verlassenen Gebiete locken neue Einwanderer an, von denen ein sich in Griechenland oder Anatolien ansiedelte, ein anderer Teil (als Seenomade?) weiter zog.

Das ist eine Möglichkeit- aber letztendlich erinnert das Szenario dann doch so ein bißchen zu sehr an den Untergang des römischen Reiches. War es 1700 Jahre zuvor tatsächlich wirklich genauso?

Wir werden die nächsten tage sehen, was mein schlaues Buch da so noch an Provokationen zu bieten hat...


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Arkona - 28.03.2013 12:21

In diesem Zusammenhang wurde schon die Seevölkerbewegung mit dem Atlantismythos verknüpft. Jürgen Spanuth, ein nordfriesischer Pastor, verortete allen Ernstes als Ausgangspunkt Helgoland und das Wattenmeer.
http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Spanuth


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Bunbury - 28.03.2013 12:25

Arkona, sei doch nicht so ungeduldig. Wink Auch ich werde früher oder später die Seevölker mit dem Atlantis- mythos verknüpfen, aber nicht via Wattenmeer. Es gibt da nämlich noch eine andere Alternative.
Aber liest du im Internet nach, wie ein Film ausgeht, bevor du ins Kino gehst?
Wo bleibt denn da die Spannung....


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Arkona - 28.03.2013 12:29

Wieso, hast du das Thema gepachtet?


RE: Phryger = Seevölker in Anatolien? - Harald1 - 28.03.2013 12:40

@Sansavoir: Hast du schon mal von Piraterie gelebt? Dann wüßtest du wie schwer das ist, wenn man damit auch noch ganze Völker ernähren muß.
Regelmäßigen Handelsverkehr gab es zwischen Kreta und Ägypten und Mykene.
Mit Piraterie in großem Stil kann man diesen Handelverkehr sofort unterbrechen.
Und laß doch mal Troja aus dem Spiel. Die siegreichen Achäer waren durch den Einmarsch der Dorer in ihre Heimat zur Zeit des Seevölkerzuges selbst Opfer.