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Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Druckversion

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Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Gotthelf - 14.06.2012 12:27

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Rechtsgeschichte: Welche Entwicklung der Rechtsetzung läutete den Beginn der frühen Neuzeit ein?

Welche Rolle spielte dabei die Schriftlichkeit?

Wo finde ich historische Angaben?

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RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Sansavoir - 14.06.2012 21:48

Ich könnte Dir auf Anhieb nur die "Constitutio Criminalis Carolina" nennen, kurz Carolina oder C.C.C., auch "Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V." genannt. Dieses Strafgesetzbuch umfasst 219 Artikel und wurde 1532 auf dem Reichstag in Regensburg verkündet.

Bereits 1495 wurde ein Reichstagsbeschluss gefasst, ein Strafgesetzbuch für das gesamte Reich zu schaffen. Die Umsetzung verlief schleppend, ein erster Entwurf wurde erst 1507 in Bamberg vorgelegt. Der nur wenig geänderter Entwurf wurde erneut 1521 in Worms und 1529 in Speyer besprochen, ehe er 1532 mit Mehrheit als Reichsgesetz verabschiedet wurde.

Allerdings hatten die Stände eine Einschränkung durchgesetzt. Die Carolina durfte "ihre alten, wohlhergebrachten, rechtmäßigen und billigen" Gebräuche" nicht außer Kraft setzen, d.h. die Carolina war nur dort gültiges Recht, wo es den Fürsten genehm war. Die Carolina wurde erst durch Gesetzeswerke der Aufklärung im 18. Jahrhundert allmählich abgelöst.


RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Gotthelf - 15.06.2012 09:33

(14.06.2012 21:48)Sansavoir schrieb:  Ich könnte Dir auf Anhieb nur die "Constitutio Criminalis Carolina" nennen, kurz Carolina oder C.C.C., auch "Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V." genannt. Dieses Strafgesetzbuch umfasst 219 Artikel und wurde 1532 auf dem Reichstag in Regensburg verkündet.

Bereits 1495 wurde ein Reichstagsbeschluss gefasst, ein Strafgesetzbuch für das gesamte Reich zu schaffen. Die Umsetzung verlief schleppend, ein erster Entwurf wurde erst 1507 in Bamberg vorgelegt. Der nur wenig geänderter Entwurf wurde erneut 1521 in Worms und 1529 in Speyer besprochen, ehe er 1532 mit Mehrheit als Reichsgesetz verabschiedet wurde.

Allerdings hatten die Stände eine Einschränkung durchgesetzt. Die Carolina durfte "ihre alten, wohlhergebrachten, rechtmäßigen und billigen" Gebräuche" nicht außer Kraft setzen, d.h. die Carolina war nur dort gültiges Recht, wo es den Fürsten genehm war. Die Carolina wurde erst durch Gesetzeswerke der Aufklärung im 18. Jahrhundert allmählich abgelöst.

Danke. Und diese 'Constitutio Criminalis Carolina' in der Renaissance war die Übernahme des 'Römischen Rechts'?


RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Sansavoir - 16.06.2012 11:17

(15.06.2012 09:33)Gotthelf schrieb:  Danke. Und diese 'Constitutio Criminalis Carolina' in der Renaissance war die Übernahme des 'Römischen Rechts'?

1495 wurde auf dem Reichstag von Worms von Maximilian I. das Reichskammergericht errichtet. Das Reichskammergericht sollte als höchstrichterliche Instanz im Reich für die Umsetzung des römischen Rechts wirken. In diesem Sinn wurde auch die C.C.C. geschaffen.


RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Gotthelf - 17.07.2012 07:39

Danke.


RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Roux - 13.11.2012 10:15

Welche Zeitspanne ist Dir denn wichtig? 1492 bis 1789?

Man muss da nämlich aufpassen. Die CCC ist zwar ein guter Hinweis, wurde aber dann im 18.Jh. vielerorts wieder ersetzt.
Oftmals war sie auch nur eine Art Richtschnur. In einem bestimmten Reichsstand gab es eine traditionelle Rechtsauffassung, die dann durch neue Verordnungen etc. der Obrigkeit immer wieder ergänzt wurde. Die CCC wurde nicht wörtlich übernommen, sondern oft nur zu Rate gezogen.

Man erkannte oftmals die Schwächen des Römischen Rechts darin, dass die Verfahren dadurch extrem lang wurden. Darum ging man zusehends zu einer Mischform aus Römischen Recht und älterem deutschen Recht über.

Wenn Interesse besteht, könnte ich diese Entwicklung für mehrere Reichsstände konkreter skizizieren.


RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Maxdorfer - 13.11.2012 10:25

Ob Gotthelf dieses Thema noch interessiert, wage ich zu bezweifeln.

Aber ein Einblick in das späte HRR und die Frühe Neuzeit allgemein wäre sicher sehr interessant für die anderen User, mich eingeschlossen.
Lass dich also nicht von Ausführungen abhalten.


RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Suebe - 13.11.2012 16:46

(13.11.2012 10:15)Roux schrieb:  Wenn Interesse besteht, könnte ich diese Entwicklung für mehrere Reichsstände konkreter skizizieren.


Das wäre sehr interessant.

Wobei ich mir einbilde für Württ. gelesen zu haben, dass das "alte" Gewohnheitsrecht gesammelt und dokumentiert wurde.
Aber in das "neue" württ. Landrecht so gut wie nicht einfloss.
Da die Regelungen faktisch in jedem Ort anders waren.

Das württ. Landrecht entstand übrigens im Zusammenhang mit dem "Tübinger Vertrag" Big Grin


OT: Das "württ. Landrecht" hatte Gültigkeit bis zur Einführung des BGB!


RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Roux - 19.11.2012 13:53

Als ein Beispiel mag erstmal Freiburg dienen. Hier gab es das sogenannte "Nüwe Stadtrecht ..." des Ulrich Zasius von 1520. Dieses blieb generell bis 1810 in Kraft. Noch älter war wahrscheinlich die Malefizordnung, deren älteste Handschrift zwar von um 1550 war, aber wohl aus dem 15.Jh. stammte und nachweislich bis ins 18.Jh. hinein wirkte. Man muss dabei bedenken, dass die Carolina neben sich andere örtliche Bestimmungen zuließ, wenn diese nicht der Carolina zuwider liefen. Offiziell wurde das besagte Stadtrecht des 16.Jh. nicht abgeschafft, aber doch gewissermaßen von der Carolina und der "Practica nova imperialis Saxonica rerum criminalium." (1635) von Carpzov (1595-1666) verdrängt. Ab 1769 wurde dann die "Constitutio Criminalis Theresiana" eingeführt.*

Im Grunde hatte jeder Reichsstand seine eigene Entwicklung der Straf- und Zivilprozessordnungen. Mancherlei Änderungen wurden dann durch den 30-jährigen Krieg angestoßen. Die Gerichte waren durch die Überforderung der Oberigkeit mit den vielen Vergehen im Zuge des Krieges reichlich bis restlos überfordert. So kam es 1651 in Schwäbisch Hall zu einer neuen Zivilprozessordnung.
Mochte auch offiziell in Schwäbisch Hall die Carolina zur Richtschnur genommen worden sein, so versuchte man zusehends Strafen zu den für den Staat einträglicheren Geldstrafen abzuwandeln oder Leibesstrafen mit Geldstrafen zu kombinien. **

Das aus dem römisch-kanonischen Recht aufgegriffene Positionalverfahren im Zivilverfahren wurde rasch als zeitraubend und zu aufwändig begriffen. Daher wurde schon mit dem Reichsabschied von 1570 verlangt, die Prozesshandlung zu kumulieren. Der JRA von 1654 schaffte dann das Positionalverfahren ab. Vorbild wurde wohl der sächsische Prozess mit zusammenhängender Sachverhaltsschilderung. Der JRA gebot dann weitesgehend die Normen der Reichskammergerichtsordnung zu übernehmen.

Ein wesentlicher Wandel trat allgemein im 18.Jh. mit der Zunahme von Freiheitsstrafen im Strafrecht und ähnlichem ein, die von der Carolina nur kaum vorgesehen waren. Ein wichtige Rolle spielte dabei der Einfluss der Aufklärung und das Werk des Italieners Ceasare Beccaria.

* siehe auch: Rolf Süß: "Hochgericht und Lasterstein - Rechtsleben im alten Freiburg" Rombach, Freiburg, 1980.
** siehe auch: Beate Iländer: "Verfassung und Verwaltung der Reichsstadt Schwäbisch Hall - ... (1648-1806)" F. Steinmeier, Nördlingen, 2001.


RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Suebe - 23.11.2012 12:37

(19.11.2012 13:53)Roux schrieb:  Mochte auch offiziell in Schwäbisch Hall die Carolina zur Richtschnur genommen worden sein, so versuchte man zusehends Strafen zu den für den Staat einträglicheren Geldstrafen abzuwandeln oder Leibesstrafen mit Geldstrafen zu kombinien. **

Die beiden hohenzollerischen Fürstentümer Hzl-Hechingen und Hzl-Sigmaringen haben "ihre" Verbrecher die zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, bis ins 19. Jahrhunderts ins Zuchthaus nach Ravensburg gebracht. Und mussten die Kosten für die Unterbringung natürlich bezahlen.
Was einen ganz erheblichen Kosten-Faktor im Jahreshaushalt darstellte. Hzl-Sigmaringen hat deshalb das Schloss Hornstein ab 1815 zum "eigenen" Zuchthaus umgebaut. Hechingen verbrachte die Sträflinge bis 1849 weiter nach Ravensburg.

Nur zur Erläuterung, warum die Freiheitsstrafen eine verhältnismäßig geringe Rolle in der Strafpraxis bis ins 19. Jahrhundert spielten.

siehe auch: Württemberg und Baden im Zeitalter Napoleons. Ausstellungskatalog Band 2 von 1987


RE: Frühe Neuzeit: Welche Entwicklung der Rechtsetzung? - Roux - 26.11.2012 14:43

(23.11.2012 12:37)Suebe schrieb:  
(19.11.2012 13:53)Roux schrieb:  Mochte auch offiziell in Schwäbisch Hall die Carolina zur Richtschnur genommen worden sein, so versuchte man zusehends Strafen zu den für den Staat einträglicheren Geldstrafen abzuwandeln oder Leibesstrafen mit Geldstrafen zu kombinien. **

Die beiden hohenzollerischen Fürstentümer Hzl-Hechingen und Hzl-Sigmaringen haben "ihre" Verbrecher die zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, bis ins 19. Jahrhunderts ins Zuchthaus nach Ravensburg gebracht. Und mussten die Kosten für die Unterbringung natürlich bezahlen.
Was einen ganz erheblichen Kosten-Faktor im Jahreshaushalt darstellte. Hzl-Sigmaringen hat deshalb das Schloss Hornstein ab 1815 zum "eigenen" Zuchthaus umgebaut. Hechingen verbrachte die Sträflinge bis 1849 weiter nach Ravensburg.

Die Haller entsendeten ihre Strafgefangenen ins Gefängnis nach Neuenstein. Das dortige Schloss diente nicht mehr als Residenz der gleichnamigen Hohenloher Linie. Ich habe aber den Eindruck, dass das nur selten vorkam.
Zur kurzzeitigen Aufbewahrung von Arrestanten diente ein Turm, der immer wieder in der Polizeiordnung von 1709 auftaucht. Das sogenannte Narrenhäusle, das in dieser Verordnung noch erwähnt wurde und z.B. zur Verwahrung bei grobem Unfug durch Kinder diente, verschwand mit dem Brand des Rathauses in der ersten Hälfte des 18.Jh.. Untersuchungshäftlinge wurden offenbar im Spitalgewölbe inhaftiert.

Bis zum Ende von Heilbronns Rolle als Festung wurden Verurteilte auch gern zur Zwangsarbeit auf die Baustelle allda verschickt.

Eine Gefängnisstrafe war sicher lieber von der Obrigkeit gesehen, wenn der Insasse das Geld für seine Haft selber aufbringen konnte. Ich frage mich gerade, ob der Verurteilte nicht dem Strafenden bei dem Willkommen und Abschied ein Trinkgeld zahlte. Huh